Gastspieler Maximilian: Islands Überraschungsteam peilt die EM an

Nach längerer Pause betritt wieder ein Gastspieler den Kickschuh-Blog. Maximilian bringt uns die isländische Nationalmannschaft näher. Das Team aus dem Nordatlantik hätte sich zuletzt fast für die Weltmeisterschaft qualifiziert und blickt an diesem Sonntag gespannt gen Nizza. Dann steht die Auslosung der Qualifikationsgruppen für die Europameisterschaft 2016 in Frankreich an. 53 Anwärter spielen um 23 Endrundenplätze. Können die Isländer den großen Wurf landen? Maximilian weiß, das Potential ist da:

Am 12. Juni 2014 werden die Augen der Welt auf São Paulo gerichtet sein, wenn dort das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft angepfiffen wird. Kaum eine Fußballpartie wird mit solcher Spannung erwartet wie dieses Spiel, das sich von den Zuschauerquoten her sogar mit dem WM-Finale messen kann. Gastgeber Brasilien bekommt es im Auftaktmatch mit Kroatien zu tun. Doch wären die Play-offs etwas anders verlaufen, könnte eine Mannschaft von einer Atlantik-Insel mit gerade einmal etwas mehr als 300.000 Einwohnern dem Topfavoriten gegenüber stehen: Island.

Selbst die FIFA war von der Entwicklung der Nordmänner überrascht und nannte sie auf ihrer Website die „Überraschung der Qualifikation schlechthin“. Aus Topf 6 mit den schwächsten europäischen Teams wie Liechtenstein, Luxemburg und San Marino, wurden die Isländer der Quali-Gruppe E zugelost. Dort ließen sie Slowenien, WM-Teilnehmer von 2010, und den „großen Bruder“ Norwegen hinter sich.

WM-Quali 2014: Comeback in der Schweiz
Das Duell gegen den nordischen Rivalen bildete zugleich den Auftakt zur letztlich starken WM-Quali: Mit 2:0 schickten die Isländer die Norweger nach Hause.  Auch die schwierigen Auswärtsspiele in Albanien und Slowenien konnten sie für sich entscheiden. Nur gegen die Schweiz setzte es eine unglückliche Heimniederlage. Das Rückspiel ging dann in die Geschichte ein. Island führte früh mit 1:0, lag nach einer Stunde dann aber mit 1:4 zurück. Die dann folgende Aufholjagd nahm dramatische Züge an. In der 93. Minute erzielte Jóhann Berg Guðmundsson mit einem herrlichen Schlenzer seinen dritten Treffer in der Partie und glich tatsächlich zum 4:4 aus. Nun endgültig positiv aufgeladen bezwang Island Albanien kurz darauf mit 2:1, schlug im Oktober Zypern und fuhr in Norwegen den finalen Zähler zum Erreichen der Play-offs ein.

Islands Nationalstadion Laugardalsvöllur in Reykjavík (Bild: M. Hubert)

Islands Nationalstadion Laugardalsvöllur in Reykjavík (Bild: M. Hubert)

Als ungesetztes Team war dort Kroatien letztendlich aber eine Nummer zu groß. Im ausverkauften Nationalstadion Laugardalsvöllur trotzte man dem Favoriten trotz 40-minütiger Unterzahl ein 0:0 ab, hatte allerdings auch den Ausfall von Sturmführer Kolbeinn zu beklagen. Beim Rückspiel in Zagreb lähmte die mögliche Sensation die jungen Spieler spürbar. Mario Mandžukić brachte die Heimelf nach einer guten halben Stunde verdient in Front und auch die Rote Karte gegen den Bayern-Stürmer kurz darauf, änderte nichts am einseitigen Spielgeschehen. Dario Srna sorgte in der 47. Minute mit dem 2:0 für die Vorentscheidung.

Kleine Nation, große Namen
Es ist kaum zu glauben, dass Island mit weniger Einwohnern als Malta oder Luxemburg bereits viele erstklassige Kicker hervorgebracht hat. Ásgeir Sigurvinsson (Stuttgart, Bayern), Eyjólfur Sverrisson (Stuttgart, Hertha) und auch der immer noch aktive Eiður Smári Guðjohnsen (ehemals Barcelona, Chelsea und Monaco) sorgten bereits in der Vergangenheit für Furore. Und auch die Nationalmannschaft schlug sich regelmäßig beachtlich.

Im Rennen um die Tickets für die großen Turniere konnten die Isländer zwar nicht mithalten, erwiesen sich aber des Öfteren als äußerst unangenehmer Gegner. Das musste bereits die deutsche Mannschaft während der EM-Quali 2003 auf die harte Tour erfahren. Beim damaligen Tabellenführer (!) Island reichte es in Reykjavík mit viel Dusel zu einem 0:0. Deutlich länger als das Spiel blieb danach die Wutrede von Nationaltrainer Rudi Völler („Weizenbier-Waldi“) im Gedächtnis. Im Rückspiel agierte die DFB-Elf cleverer und sicherte sich mit einem 3:0-Erfolg das EM-Ticket. Auch Frankreich (1:1, 1998) und Spanien (1:1, 2007) kehrten von ihren Reisen in den hohen Norden mit eher enttäuschten Mienen zurück.

Entwicklung dank Lagerbäck
Der Sprung vom Stolperstein zum ernsthaften Bewerber um einen Platz bei Endrunden ist maßgeblich mit Trainer Lars Lagerbäck verknüpft. Der Schwede, der bereits mit seinem Heimatland und Nigeria Erfahrungen bei Europa- und Weltmeisterschaften sammeln konnte, übernahm 2011 die isländische Auswahl. Zum damaligen Zeitpunkt liefen bereits Projekte zur Förderung der Nachwuchsarbeit an. Dazu gehörten unter anderen die Errichtung von Hallen zum Trainieren bei widrigen Wetterbedingungen, der Ausbau der sportlichen Infrastruktur und die gezielte Förderung junger Talente. Die U21 qualifizierte sich 2011 für die EM, die deutschen Junioren um die Bender-Zwillinge, Mats Hummels, Benedikt Höwedes und Marcel Schmelzer schauten in die Röhre und verloren auf Island gar mit 1:4. Bei der Endrunde besiegten die jungen Isländer dann Gastgeber Dänemark mit 3:1. Viele Spieler aus dem damaligen Kader hat Lagerbäck heute fest in die Mannschaft integriert.

Islands Vereine
Die nationale Liga Úrvalsdeild, besteht aus zwölf Mannschaften, die zumeist aus dem Umland der Hauptstadt Reykjavík kommen. Der Rest der Vulkaninsel ist eher dünn besiedelt. Doch die Maßnahmen des Nationalverbandes, dem Knattspyrnusamband Íslands, zur Förderung des Fußballs lassen sich auch in der relativen Abgeschiedenheit der Halbinsel Snæfellsnes erkennen. Die Peninsula ist international bekannt für ihren namensgebenden Vulkan, der der Ausgangspunkt für Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ ist. In Ólafsvík, einer gerade mal 1.000 Einwohner zählenden Gemeinde, verfügt der im vergangenen Jahr aus der Úrvalsdeild abgestiegene Verein Ungmennafélagið Víkingur über ein nagelneues Stadion, um das ihn hierzulande so manch Regionalligist beneiden dürfte. Und ein paar Kilometer weiter, in Rif, liegt hinter dem städtischen Museum ein bestens angelegter Kleinsportplatz.

Isländischer Charme: Der Sportplatz in Rif (Bild: M. Hubert)

Isländischer Charme: Der Sportplatz in Rif (Bild: M. Hubert)

Auch wenn Islands Liga international wohl eher drittklassig einzuordnen ist, die Vereine verkaufen sich teuer. In der Qualifikation zur Europa League musste vor dieser Saison Roter Stern Belgrad gegen Íþróttabandalag Vestmannaeyja (mit Englands Ex-Nationaltorwart Kevin James) gewaltig kämpfen, um sich nach einem 0:0 auf Island zuhause mit 2:0 durchzusetzen. Auch der belgische Vertreter Standard Lüttich hatte sich das Los Knattspyrnufélag Reykjavíkur sicher leichter vorgestellt, als es letztendlich war (3:1, 3:1). Am schlimmsten aber erging es Sturm Graz. Der steirische Vertreter blamierte sich gegen Breiðablik UBK gewaltig, verlor nach einen 0:0 auswärts mit 0:1 in Graz und war draußen! Auch ihre Landsmänner von Austria Wien mussten gewaltig zittern, ehe sie die Dritte Runde der Champions-League-Quali gegen Fimleikafélag Hafnarfjarðar mit 0:0 und 1:0 für sich entschieden hatten.

Besonders knifflig ist für so manchen Kontinentaleuropäer im Übrigen die Namensgebung auf Island. Statt Familiennamen erhält der Sohn oder die Tochter den Namen des Vaters, plus das Anhängsel „sson“ (Sohn) oder „dottir“ (Tochter). Daher wird jeder, egal ob Nationalspieler oder Premierminister mit dem Vornamen angeredet, auch die Telefonbücher sind nach diesen geordnet. Und im Fernsehen werden Sigurðsson, Sigþórsson und Co. auch als Gylfi und Kolbeinn bezeichnet. In Europa tragen die Isländer in der Regel ihre „Nachnamen“ auf dem Trikot, für isländische Verhältnisse höchst verwirrend.

Die jungen Wilden
Islands Nationalspieler sind eine begehrte Exportware und spielen über ganz Europa verstreut. Nur Torwart Hannes Þór Halldórsson ist von der Stammelf noch in der Heimat angestellt. Innenverteidiger Ragnar Sigurðsson und Flügelspieler Rúrik Gíslason spielten mit Kopenhagen in der Champions League. Ragnar zog es mittlerweile nach Russland zum FK Krasnodar. Die beiden Außenverteidiger Ari Freyr Skúlason und Birkir Már Sævarsson sind in Dänemark (Odense) beziehungsweise Norwegen (Bergen) aktiv. Emil Hallfreðsson (Verona) und Birkir Bjarnason (Sampdoria Genua) verdienen ihr Geld in Italien. Kapitän Aron Einar Gunnarsson spielt mit Cardiff City in der Premier League, ebenso der Ex-Hoffenheimer Gylfi Þór Sigurðsson (Tottenham), der sich in Deutschland vor allem als „eiskalter“ Elfmeter- und Freistoßschütze erwies.

Islands momentane Stammelf (Tabelle: M. Kneifl)

Islands Stammkräfte

Besonders begehrt sind isländische Spieler aber in den Niederlanden. Das Offensivtrio Jóhann Berg Guðmundsson (AZ Alkmaar), Kolbeinn Sigþórsson (Ajax Amsterdam) und Alfreð Finnbogason (SC Heerenveen) zerschießt dort quasi die Tornetze. Starstürmer Kolbeinn (44 Tore in 109 Spielen für Alkmaar und Ajax) stürmte in der Champions League gegen Milan und Barca, Nationalmannschaftskollege Alfreð führt mit 21 Toren in 21 Einsätzen die Torjägerliste der Eredivisie an. Kein Wunder, dass bereits in der Sommerpause Bremen und Augsburg ihr Interesse bekundeten. Flügelstürmer Johann Berg trumpft vor allem in der Europa League (fünf Tore in neun Spielen) auf und ist wegen seines im Sommer auslaufenden Vertrages sicher auch für andere Vereine interessant. Bei dieser Auswahl an Offensivkräften erscheint es sogar verkraftbar, dass sich Toptalent Aron Jóhannsson (aktuell 14 Tore für AZ Alkmaar) für sein Geburtsland USA entschied.

In Deutschland ist aktuell nur ein isländischer Spieler in den Profiligen aktiv. Innenverteidiger Hólmar Örn Eyjólfsson findet sich beim VfL Bochum aber meist nur auf der Bank wieder. Dennoch ist Bochum ein beliebtes Ziel für Kicker von der Insel. Bereits 2003 stürmten Bjarni Gudjónsson und Thórdur Gudjónsson für den Revierclub.

2016 im Visier
Die Erweiterung der Euro-Endrunde auf 24 Mannschaften erhöht auch die Hoffnungen der inzwischen fußballbegeisterten Isländer auf die erste Teilnahme ihrer Nationalelf bei einem internationalen Turnier erheblich. Erfolgstrainer Lagerbäck verlängerte jüngst seinen Vertrag, die U-Teams schlagen sich gut und weitere Talente lauern in den niederländischen Nachwuchsabteilungen auf ihre Chancen. Doch den Nordländern droht wieder eine schwere Gruppe, da sie trotz der guten Qualifikation in Lostopf 5 landeten und somit erneut schwere Gegner auf sie warten dürften. An Selbstvertrauen mangelt es der jungen Mannschaft jedoch nicht und spätestens seit November sollte den Gegnern eines klar sein: Der Angriff aus dem Eismeer ist nicht zu unterschätzen.