76 Länder spielten bislang bei den 19 Fußball-Weltmeisterschaften um den Titel. Der Weg zu einer WM scheint für einige Weltregionen allerdings wie vernagelt zu sein. Länder aus der Sahelzone, aus Ostafrika sowie Süd- und Südostasien lösten bisher so gut wie nie die Eintrittskarte zur Endrunde. Woran liegt das?
Eine Momentaufnahme
Die WM gibts nur im TV
40 von 53 afrikanischen Fußballverbänden waren noch nie bei einem WM-Turnier. Gleiches gilt für 35 der 46 asiatischen Verbände. Beide Kontinente verfügen aktuell über fünf (Afrika) bzw. viereinhalb (Asien) Startplätze für die 32 Teams umfassenden Endrunden. Bezogen auf die bisherigen WM-Teilnahmen befinden sich Afrikas starke Fußballnationen im Norden (Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten) und Westen (v.a. Nigeria, Kamerun, Ghana, Cote d’Ivoire). Einzig die Republik Südafrika stößt in diese Phalanx. Das restliche Afrika ist in puncto WM-Erfahrung ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Von den Ländern der Sahelzone (Senegal, Mauretanien, Burkina Faso, Mali, Niger, Nigeria, Tschad, Sudan, Eritrea, Äthiopien, Dschibuti) qualifizierten sich bislang nur der Senegal (1x) und Nigeria (4x) für eine WM. Die Nationalteams aus Ostafrika (Somalia, Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda, Burundi) kennen das Weltturnier nur aus dem Fernsehen.
Die Weltkarte des Fußballs:
In den verschiedenen Grün- und Grautönen sind die Länder eingefärbt, die bereits an Fußball-Weltmeisterschaften teilnahmen. Die dunkelgrauen waren noch nie bei einer WM dabei. Rot umrandet sind die 33 Länder der Sahelzone, Ostafrikas, Süd- und Südostasiens, von denen erst 3 (Nigeria, Senegal, Indonesien) zu einer WM fuhren.
Das gleiche Bild herrscht in großen Teilen Asiens. Mit den Golfstaaten (v.a. Iran und Saudi-Arabien) sowie dem Fernen Osten (v.a. Japan und Südkorea) gibt es hier zwei dominierende Fußballzentren. Von Afghanistan über Bangladesch bis zu den Philippinen sucht der geneigte Fußballfan vergebens nach weiteren Ländern mit Weltmeisterschaftserfahrung. Nur Indonesien schaffte es bisher zu einer WM-Endrunde. 1938 allerdings noch unter dem Namen Niederländisch-Ostindien und ohne auch nur ein Qualifikationsspiel bestreiten zu müssen. Bei der WM 2014 in Brasilien wird sich am Fernbleiben der süd- bzw. südostasiatischen Länder nichts ändern. Einzig Thailand darf sich derzeit noch vage Hoffnungen auf das Erreichen der entscheidenden Qualifikationsphase machen.
Ernüchternde Weltranglistenplatzierungen
Die maue WM-Bilanz der zentral- und ostafrikanischen sowie süd- und südostasiatischen Fußballverbände erfährt in der FIFA-Weltrangliste ihre Entsprechung. Von den süd- und südostasiatischen Verbänden rangierte im Dezember 2011 nur Vietnam unter den Top 100. Uganda ist der einzige Top-100-Vertreter Ostafrikas. Mit dem Senegal und Nigeria rangieren zwei Sahelanreiner immerhin zwischen Platz 40 und 50. Mali und Burkina Faso halten sich gerade noch unter den besten 70 Teams. Doch wie ist die sportliche Bilanz der Länder aus den genannten Regionen bei den Afrika- bzw. Asienmeisterschaften? Gibt es für sie dort mehr zu holen?
Selbst bei den kontinentalen Meisterschaften ohne durchschlagenden Erfolg
Lässt man die WM-erfahrenen Nigeria (2.) und den Senegal (11.) außer Acht, dann weist die „Ewige Tabelle“ der Afrikameisterschaften Mali auf Platz 14 als beste Mannschaft der restlichen Sahelzonenanrainer aus. Die elf Sahelteams kommen zusammen auf 56 Teilnahmen, was bei 27 Afrikameisterschaften keine wirklich gute Quote ist. Mit Mauretanien, Eritrea, Dschibuti und dem Tschad sind vier Teams noch nie zu den kontinentalen Meisterschaften vorgestoßen, der Niger feiert in diesem Jahr seine Premiere. Gewinnen konnten den Cup bisher nur Nigeria sowie Äthiopien und der Sudan. Die beiden Letztgenannten allerdings noch in der Frühphase des Wettbewerbs.
Das beste ostafrikanische Team ist nach dieser Lesart Uganda auf Rang 22 mit fünf Teilnahmen. Insgesamt qualifizierten sich die sechs ostafrikanischen Staaten kümmerliche 12-mal für die kontinentale Endrunde. Gewinnen konnten sie sie noch nie. Kein Wunder, dass der Council for East and Central Africa Football Association (CECAFA) seit langem eine separate regionale Meisterschaft austrägt, den CECAFA-Cup. Uganda mit zwölf und Kenia mit fünf Siegen dominieren diesen Wettbewerb.
Bei den Asienmeisterschaften liest sich die sportliche Bilanz der 16 Länder von Pakistan bis Indonesien ebenfalls ernüchternd. In den Top Ten der „Ewigen Tabelle“ findet sich keine einzige süd- bzw. südostasiatische Auswahl. Erst auf Rang 17 folgt mit Thailand das erste Land aus diesen Regionen. Bei sechs Teilnahmen errangen die Thais allerdings erst einen kümmerlichen Sieg. Vermutlich, um diese notorische Erfolglosigkeit etwas zu mindern, gibt es seit den 1990er Jahren die Südasienmeisterschaft mit Rekordtitelträger Indien (6 Meisterschaften) und die Südostasienmeisterschaften mit Thailand und Singapur (je 3 Siege) als den erfolgreichsten Teams.
Mannigfaltige Gründe für den Misserfolg
Von Nigeria abgesehen treten die 33 betrachteten Staaten nicht nur global, sondern auch kontinental kaum in Erscheinung. Doch woran liegt das? Es lassen sich eine Vielzahl von Erklärungsansätzen finden:
1. Mangelhafter Organisationsgrad
Laut FIFA-Homepage soll es in den 33 betreffenden Fußballverbänden gerade einmal 1,7 Millionen registrierte Spieler geben. Die Spanne reicht von 384.900 in Indien bis 1.200 in Bhutan. Alleine in Deutschland spielen über 6 Millionen Menschen organisiert Fußball. Selbst kleinere europäische Länder wie Bulgarien oder Dänemark übertrumpfen die allermeisten untersuchten Länder in der Anzahl der organisierten Fußballer, ebenso in der Anzahl der Vereine. Im Sinne eines konkurrenzfähigen Fußballs müsste also der Organisationsgrad verbessert werden.
2. Kaum ausgeprägter Profifußball
Doch es hapert nicht nur an der organisierten Verwurzelung des Fußballs. Das Gleiche lässt sich auch über die Professionalisierung sagen. Viele der untersuchten Länder verfügen über einen bestenfalls schwach ausgeprägten Profifußball. Selbst Indien und Vietnam, die immerhin die stärksten Nationalteams in Süd- bzw. Südostasien stellen, verfügen über keine boomenden Profiligen. Deshalb setzen beide u.a. auf die Zugkraft von internationalen Altstars. So will der indische Verband mit Hernan Crespo, Fabio Cannavaro, Robert Pires und Jay-Jay Okocha eine neue Profiliga etablieren. Der englische Altinternationale Robbie Fowler verhalf seit Juli 2011 der Thai-Premier-League als Spielertrainer zu ein wenig Glamour. Mit dieser Strategie treten Indien und Thailand in die Fußstapfen Japans, wo in den 1990er Jahren ausländische Stars eine wichtige Starthilfe für die professionelle J-League waren. Mittlerweile hat die japanische Nationalelf Weltklasseformat und japanische Spieler sind international sehr gefragt. Gleichwohl werden sich die Top-Ligen im Sudan, Burundi oder Laos keine teuren Altstars als Wegbereiter für eine populäre Profiliga leisten können.
3. Optimierbare Nachwuchsarbeit
Auf dem Feld der Nachwuchsförderung besteht ebenfalls Nachholbedarf. Eine erfolgreiche Politik fahren in dieser Hinsicht die ehemaligen französischen Kolonien Nord- und Westafrikas. Französische Trainer sind hier omnipräsent, zahlreiche Fußballer aus dem Senegal, Mali, Algerien, Kamerun, Togo oder der Cote d’Ivoire gelangen im Gegenzug relativ einfach in den französischen Fußball und später zu internationalen Topclubs wie etwa der Malier Seydou Keita (FC Barcelona). Die „französischen“ Staaten der Sahelzone ernten die Früchte dieser bilateralen Beziehung. Der Senegal und Burkina Faso verfügen in ihren aktuellen Nationalkadern über jeweils 19 „Legionäre“ im europäischen Profifußball, Mali sogar über 20. Alle anderen Staaten Zentral- oder Ostafrikas, geschweige denn Süd- bzw. Südostasiens können hier nicht im entferntesten mithalten. Die Cote d’Ivoire profitiert seit 1994 von einem Akademiesystem, das der Franzose Jean Marc Guilou aufgebaut hat. Zahlreiche Absolventen, wie die Brüder Kolo und Yaya Touré, schafften es in den europäischen Profifußball und das Nationalteam zu den WM-Endrunden 2006 und 2010.
Auch Indien könnte bald von französischem Knowhow profitieren. So bemüht sich der ehemalige französische Nationalspieler Vikash Dhorasoo seit kurzem um eine bessere Talentförderung im indischen Fußball. Behilflich sein soll hierbei eine Kooperation des indischen mit dem französischen Fußball.
Dass Taltene aus ehemaligen englischen Kolonien nicht auf die Unterstützung des alten Kolonialherren zählen dürfen, zeigt das Beispiel McDonald Mariga aus Kenia. Ein Transfer zum Portsmouth FC 2007 oder zu Manchester City 2010 kam nicht zustande, da Kenia zum jeweiligen Zeitpunkt nicht zu den Top-70-Teams der FIFA zählte. Dies ist aber eine Voraussetzung der Premiership, um nach England transferiert werden zu können! So zählte Mariga dann eben 2010 zum Kader des Champions-League-Gewinners Inter Mailand.
4. Der ablenkende Blick nach Europa
Ein handfestes Problem für die Entwicklung des heimischen Fußballs ist der Blick vieler fußballverrückter Afrikaner und Asiaten zum Mutterland des Fußballs. In Kenia gibt es vielerorts sogenannte Halls, in denen die Spiele der Premier League live übertragen werden. Auch Inder und Thais fiebern den Schlagerspielen der englischen Topliga entgegen und vernachlässigen dabei den Blick vor die eigene Haustür. Ausbleibende Zuschauer bedeuten weniger Einnahmen an der Tageskasse und weniger Anreiz für Unternehmen zu investieren. Dies hemmt wiederum die oben angesprochene Professionalisierung und schlägt sich zwangsläufig in der Leistung der Nationalmannschaften nieder.
5. Fehlende Verstärkungen von außen
Der Senegal, Mali und Burkina Faso profitieren nicht nur von ihren Eigengewächsen, die in Europa Fuß fassen, sie verstehen es – wie andere nord- und westafrikanische Staaten – erfolgreich in Europa aufgewachsene Landsleute für ihre Auswahlen zu gewinnen. Alleine in der aktuellen Nationalmannschaft Malis stehen acht Spieler, die in Frankreich geboren sind, drei wuchsen dort auf. Der Senegal hatte seine einzige WM-Teilnahme 2002 der Verstärkung durch zahlreiche in Frankreich geborene oder ausgebildete Landsleute zu verdanken. Von den erfolglosen Teams Afrikas und Asiens weisen allein die Philippinen eine größere Anzahl an „Gastspielern“ auf. Diese stammen überwiegend aus England und Deutschland, spielen dort allerdings nur unterklassig. Stephan Schröck vom Zweitligisten Spvgg. Greuther Fürth, dessen Mutter Philippina ist, dürfte das hierzulande namhafteste Beispiel sein.
6. Konkurrenz durch andere Sportarten
Fußball mag in allen genannten Ländern populär sein, Nationalsport ist er deshalb nicht zwangsläufig. In Ostafrika (v.a. Äthiopien, Eritrea, Kenia) spielen Langstreckenlauf und Marathon eine gewichtige Rolle. Der indische Subkontinent (Pakistan, Indien, Sri Lanka, Bangladesch) ist verrückt nach Cricket. In diesen Sportarten zählen die genannten Länder zur Weltspitze, weshalb hier zwangsläufig Nationalhelden geboren werden, denen nachgeeifert wird. Die einheimischen Fußballer haben demgegenüber einen schweren Stand.
7. Missmanagement und andere Katastrophen
Oft genug sorgen die nationalen Fußballverbände für störende Nebengeräusche. In Kenia erhoben in den vergangenen Jahren zwei nationale Verbände den Anspruch ihre Fußballer zu vertreten und schadeten damit den Fußball nachhaltig. In Mauretanien vernachlässigte der Fußballverband die Nationalelf derart, dass sie binnen vier Jahren vom 112. auf den 204. und damit fünftletzten Platz abstürtzte. Wenn der eigene Verband den Fußballern keine Knüppel zwischen die Beine wirft, dann sind es vielleicht andere Unwägbarkeiten. Schließlich gehören einige der erfolglosen Länder Afrikas und Asiens zu den ärmsten der Welt, die von Naturkatastrophen (z.B. Äthiopien, Pakistan, Indonesien, Bangladesch) oder kriegerischen Auseinandersetzungen (z.B. Sudan, Somalia, Afghanistan, Sri Lanka, Ruanda) gebeutelt sind.
8. Wenige WM-Startplätze
Zwar haben Afrika (5) und Asien (4,5) in den letzten Jahren mehr Startplätze für eine WM erhalten. Dennoch werden diese nicht ausreichen, um bisher erfolglosen Teams den Weg nach Brasilien (2014), Russland (2018) oder Katar (2022) zu ebnen. Selbst von den Platzhirschen aus Nord- und Westafrika, bzw. Fernost und dem Persischen Golf werden einige beim Kampf um die wenigen Tickets leer ausgehen. Nachdem mittlerweile auch Australien in Asien mitspielt, haben es die süd- und südostasiatischen Länder noch schwerer sich zu qualifizieren. Nach derzeitigem Stand der Dinge sind von den bis dato erfolglosen Ländern Asiens und Afrikas am ehesten Mali oder Burkina Faso in der Lage sich erstmals für eine WM zu qualifizieren.
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