Einwurf: Der ewige Tritt des Kevin-Prince B.

Da war gestern Abend mal wieder Champions-League (AC Milan gegen Arsenal FC) auf Sat1 angesagt und Kevin-Prince Boateng spielte ganz groß auf. Doch was haben uns die Herren Johannes B. Kerner und Wolff-Christoph Fuss immer wieder aufs Abendbrot zu schmieren? Die minütlich größer werdende Verwunderung, dass der „Bad Boy“ Kevin-Prince B. bei Milan „resozialisiert“ wurde. Einfach nur peinlich.

Wenn es bis gestern Abend noch jemanden gegeben haben sollte, der Kevin-Prince Boateng nicht kannte, der dürfte nach dem „Genuss“ der Champions-League-Übertragung bei Sat1 zweierlei Eindrücke gewonnen haben. Der ghanaische Ex-Nationalspieler mit Berliner Wurzeln ist ein richtig guter Kicker, aber auch ein absoluter Problemfall. Während die erste Einschätzung zweifellos zutrifft, da es mit den eigenen Augen wahrzunehmen war, ist die zweite Schnee von gestern. Das scheint Moderator Kerner und Kommentator Fuss allerdings entgangen zu sein.

Das „deutsche“ Image von Boateng
Sicher, Kevin-Prince Boateng ist ein extrovertierter, emotionaler und mitunter aggressiver Spielertyp. Dies verhilft ihm aber auch zu einer Spielweise, die prädestiniert dafür ist ein Spiel zu gestalten und mitunter zu entscheiden. Doch was machen unsere beiden Sat1-Journalisten? Sie stecken den bald 25-jährigen immer noch in die Ecke des Ungezogenen, des Schwererziehbaren, des Kopflosen. Sie beziehen sich dabei auf drei „Fußspuren“, die Boateng offensichtlich in der deutschen Wahrnehmung hinterlassen hat.
1. Seine Zeit als Jungprofi bei Hertha BSC bis 2007: Dem schussgewaltigen Mittelfeldspieler wird schnell das Image des Ghetto-Kids verliehen, das der großmäulige Teenager nur zu bereitwillig bediente.
2. Sein halbjähriges Intermezzo im Frühjahr 2009 in Dortmund, wohin er von Tottenham Hotspur ausgeliehen wurde: In Erinnerung bleibt sein übler Tritt gegen den Kopf des Wolfsburgers Hasebe, der die rote Karte nach sich zog.
3. Sein folgenschweres Foul gegen Michael Ballack im Vorfeld der WM 2010 im englischen FA-Cup-Finale: Ballack musste im Anschluss die WM absagen, was eine Art Schockstarre bei den deutschen Fans auslöste. Das DFB-Team schien ohne ihren Kapitän sämtlicher WM-Chancen beraubt. Boateng, der zuvor bekannt gegeben hatte fortan nur noch für Ghana, das Land seines Vaters, zu spielen, war die „persona non grata“. Es war klar, dass dieser Tritt sich fest im kollektiven Gedächtnis verankern würde.

Unbeobachteter Reifeprozess im Ausland
Dass diese drei Erinnerungen haften bleiben, hängt damit zusammen, dass Boateng – bis auf das Dortmunder Intermezzo – seit 2007 im Ausland spielt. Die Entwicklung, die er seither genommen hat, blieb in Deutschland zumeist unbeobachtet. Sicher, er scheint sich im Monatsrhythmus ein neues Tattoo zuzulegen, er ist ein Poser und genießt dem Vernehmen nach auch nach wie vor das Nachtleben. Auf dem Platz wirkt er jedoch zunehmend reifer. Nachdem er sich zunächst bei Tottenham Hotspur nicht durchsetzen konnte, heuerte er 2009 beim Portsmouth FC an und war in der Abstiegssaison einer der auffälligsten Akteure der Pompeys. Zudem war er maßgeblich am FA-Cup-Finaleinzug der Südengländer beteiligt.

Der Star der „Black Stars“
Dann kam die WM 2010 in Südafrika und Boateng spielte ein überragendes Turnier. Er schwang sich trotz der wochenlangen Diskussionen um seinen Tritt gegen Ballacks Knöchel zu Höchstleistungen auf. Ohne vorher für Ghana gespielt zu haben, übernahm er sofort eine Führungsrolle im Team und glänzte als ungemein mannschaftsdienlicher Kicker. Dass er in der Vorrunde mit Ghana ausgerechnet gegen das DFB-Team spielen musste, bot zusätzliche Brisanz. Die deutsche Boulevardpresse wartete nur auf einen Ausraster des langjährigen DFB-Juniorennationalspielers. Doch: nichts geschah. Boateng agierte enorm abgeklärt und besonnen. Später schoss er Ghana ins Viertelfinale.

Meisterstück im Mailänder Ensemble
Nach seinen starken Auftritten bei der WM war sein Transfer von Portsmouth über den FC Genua 1893 zum AC Milan der verdiente Lohn. In 26 Einsätzen trug er maßgeblich zum Gewinn der italienischen Meisterschaft bei. Dass er sich im Starensemble der Mailänder durchsetzen konnte, war längst keine ausgemachte Sache. Er belehrte seine Kritiker aber eines Besseren. Mit seinem kraftvollen und mitreisenden Spiel avancierte er schnell zu einem wichtigen Spieler. Mittlerweile taugt seine Einstellung auf dem Platz auch jüngeren Spielern als Vorbild. So sagte der mit ihm bei Milan spielende deutsche U20-Nationalspieler Alexander Merkel in einem 11Freunde-Interview, dass Boateng „(…) ohne Pause an sich arbeitet, weil er den Willen hat, sich in allen Bereichen zu verbessern. An dieser Einstellung orientiere ich mich.“ Inzwischen genießt Boateng in Mailand Kultstatus, was er neben seinen guten Leistungen auch dem Moonwalk verdankt, den er bei der Meisterfeier im vollbesetzten Stadion in Perfektion imitierte. Der Enthusiasmus der Mailänder Tifosi schlug ihm auch nach seiner Galavorstellung gegen Arsenal London entgegen: er wurde mit Standing Ovations verabschiedet.

Sat1 einfältig
All dies schien die Sat1-Männer derart zu verwirren, dass sie immer wieder nur über die „Resozialisierung“ des „Bad Boys“ stammeln konnten. Als ob Boateng schwer kriminell oder gar asozial gewesen wäre. Kerner erdreistete sich sogar den positiven Einfluss von Boatengs Berater ins Feld zu führen, der im übrigen – richtig – Deutscher sei. Da will man dem „Entertainment-Sender“ doch am liebsten immer wieder den Ton abstellen.