Incredible Armenia

In den nächsten Tagen entscheidet sich, welche Fußballverbände an der Euro 2012 in der Ukraine und Polen teilnehmen werden. Ein Verband, der sich richtig gute Chancen ausrechnen darf, ist der armenische! Grund genug einmal nachzuzeichnen, wie aus dem einstigen Punktelieferanten ein Endrunden-Kandidat werden konnte.

Was bisher geschah – eine ernüchternde Bilanz:
Armenien hat im Fußball bisher keine großen Schlagzeilen produziert. Noch nie konnte sich der Kaukasusstaat für ein großes Turnier qualifizieren. Die Bilanz in den Qualifikationen für Welt- und Europameisterschaften las sich bis 2010 ernüchternd: Von 82 Spielen konnten gerade einmal 11 gewonnen werden. Nie erzielte die Nationalelf in einer Qualifikation mehr als 9 Tore. In der letzten Qualifikation zur WM in Südafrika landete Armenien mit nur vier Punkten aus zehn Spielen auf dem letzten Gruppenplatz. Auch der armenische Liga-Fußball präsentiert sich im europäischen Vergleich auf einem bedauernswerten Niveau. So steht er aktuell in der UEFA-5-Jahreswertung auf Rang 50, eingekreist von Luxemburg und den Färöern.

Was den Armeniern blühte – eine aussichtslose Quali-Gruppe:
Angesichts der geringen Meriten verwunderte es nicht, dass Armenien für die Qualifikation zur Euro 2012 dem fünften von sechs möglichen Lostöpfen zugeordnet wurde. In diesem Topf befanden sich weitere „Fußball-Schwergewichte“ wie Montenegro, Albanien, Estland, Georgien, Moldawien, Island, Kasachstan und Liechtenstein! Armenien wurde schließlich in eine Gruppe mit Russland (Euro-Halbfinalist von 2008), der Slowakei (WM-Achtelfinalist 2010), Irland, Mazedonien und Andorra gelost. Den Außenseiterstatus Armeniens unterstrich im September 2010 der damalige FIFA-Weltranglistenplatz: 105! Alles schien also seinen gewohnten Gang zu nehmen. Umso mehr, als das erste Spiel zu Hause gegen Irland mit 0:1 verloren ging.

So far, so good – ein ordentlicher Favoritenschreck:
Doch Pustekuchen. Seiher setzte es nur noch eine Niederlage und zwar in Russland. Hinzu kamen zwei Remis in Mazedonien und zu Hause gegen Russland sowie vier Siege. Den beiden klaren Pflichtsiegen gegen Andorra folgten zwei beeindruckende Erfolge gegen die Slowakei, die vor Jahresfrist noch Italien aus der WM geschossen hatte. Einem 3:1 vor heimischem Publikum folgte Anfang September 2011 gar ein 4:0 in der Slowakei! Nach acht von zehn Spieltagen liegt Armenien (14) punktgleich mit der Slowakei (14) drei Punkte hinter Spitzenreiter Russland (17) und einen hinter Irland (15). Am Freitag (7.10.) empfängt Armenien das abgeschlagene Team aus Mazedonien (7), Russland spielt in der Slowakei und Irland reist nach Andorra. Während sich also Slowaken und Russen die Punkte gegenseitig abnehmen, können Armenien und Irland – eigene Siege am Freitag vorausgesetzt – am kommenden Dienstag (11.10.) in Dublin mindestens um Platz 2 spielen. Dieser Platz berechtigt zur Play-Off-Teilnahme.

Die Erfolgsfaktoren:
Armenien hat also beachtliche Chancen sich für die Euro 2012 zu qualifizieren. Worin liegen die Gründe für diesen Erfolg?

  • Der Trainer
    Während die armenische Nationalelf in den letzten Jahren hauptsächlich von Trainern aus Großbritannien, den Niederlanden oder auch Dänemark trainiert wurde, hat momentan der ehemalige armenische Nationalspieler Vardan Minasyan das Sagen. Der 37-jährige coacht nach seiner aktiven Karriere bereits zum zweiten Mal das Nationalteam. Zuvor hatte er eben dort assistiert und trainiert nach wie vor den armenischen Abonnementsmeister FC Pyunik Yerevan. Er kennt also den armenischen Fußball in- und auswendig sowie die alten Kämpen in seinem Kader noch aus seiner eigenen Profizeit. Zudem ist es ihm nach der desaströsen WM-Quali 2010 (nur 4 Punkte) gelungen das Team zu verjüngen. Wenn Jungstar Henrikh Mkhitaryan davon spricht, dass die Mannschaft den Glauben an sich selbst gefunden hat und zudem über eine gute Organisation verfügt, so ist dies sicher auch ein Verdienst des jungen Trainers.
  • Die Legionäre
    Das für die abschließenden beiden Qualispiele nominierte Team verfügt immer noch über einen hohen Anteil an Spielern aus der heimischen Liga. Rund ein Drittel spielt noch dort, wobei das Rückgrat Defensivspieler vom dominierenden FC Pyunik Yerevan, um den Rekordnationalspieler und Kapitän Sargis Hovsepyan, bilden. Im Tor steht mit dem 37-jährigen Roman Berezovskiy vom russischen Erstligisten FC Khimki ein weiterer Veteran. Zwei Verteidiger verdienen ihre Brötchen in der polnischen Liga, während die Angreifer primär in der 1. und 2. Russischen Liga stürmen. Das Mittelfeld hingegen spielt überwiegend in der 1. Ukrainischen Liga und ist zweifelsohne das Prunkstück der Mannschaft. Neben dem Shootingstar Henrikh Mkhitaryan, Stammspieler beim Champions-League-Teilnehmer Shakhtar Donetsk, sorgt der eingebürgerte Brasilianer Marcos Pizzelli seit 2008 für Gefahr vor dem gegnerischen Tor. Der mehrmalige armenische Torschützenkönig spielt seit diesem Jahr für Metalurh Donetsk in der ukrainischen Liga. Dort reüssiert er mit zwei weiteren Nationalmannschaftskollegen, Karlen Mkrtchyan und Gevorg Ghazaryan. Seit 2010 verstärkt zudem Yura Movsisyan die armenische Nationalelf. Ähnlich wie Neven Subotic, erhielt er seine fußballerische Ausbildung in den USA und verfügt auch über den amerikanischen Pass. Mittlerweile spielt er für Krasnodar in der russischen Premjer Liga und steuerte drei wichtige Tore in der aktuellen Quali bei.
  • Die „Goldene Generation“
    Portugal kennt seine „Goldene Generation“ um Luis Figo, die 1989 und 1991 im Juniorenbereich den WM-Titel holte und anschließend einen Aufwärtstrend im A-Team einleitete. Armenien kann im U-Bereich bislang auf keine durchschlagenden Erfolge verweisen, wenn auch ein Aufwärtstrend in den vergangenen fünf Jahren erkennbar ist. So beendete das U21-Team die Qualigruppe zur EM 2011 nur drei Punkte hinter der zweitplatzierten Türkei. Auffällig ist, dass die U21-Teams über die Jahre immer mehr Tore schossen und immer weniger kassierten. Die Punktausbeute verbesserte sich signifikant (2005: 5 aus 10 Spielen, 2010: 13 aus 10 Spielen). In der aktuellen EM-Quali führt die U21 ihre Qualigruppe sogar an, nachdem sie zuletzt in Tschechien – das für seine traditionell starke Nachwuchsarbeit bekannt ist – ein Remis erzielen konnte. Gerade aus dem letzten U21-Jahrgang haben sich bereits einige Spieler zu Stützen in der aktuellen Quali-Kampagne entwickelt. Allen voran der 22-jährige Henrikh Mkhitaryan, der bei Shakhtar Donetsk unumstrittener Mittelfeldakteur ist. Sechs Tore in 22 Länderspielen belegen seine Torgefährlichkeit. Fünf Stammkräfte aus der aktuellen Qualimannschaft sind Jahrgang 1988 oder jünger.
  • Die Mischung
    Die armenische Nationalmannschaft spielt die Qualifikation ihrer Verbandsgeschichte. Mit 17:7 Toren weisen sie gar das beste Torverhältnis ihrer Gruppe auf. Mehr Tore schossen bis dato überhaupt nur fünf Teams. Die vier Tore in der Slowakei wurden allesamt aus dem Spiel heraus erzielt. Die Elf ist also nicht auf Standards angewiesen, um Torgefahr heraufzubeschwören. Die zentralen Spieler, Pizzelli, Jungstar Mkhitaryan, Ghazaryan und Movsisyan, zeichneten für 15 der 17 Tore verantwortlich. Das Offensivspiel ist also auf mehrere Schultern verteilt und nicht so leicht auszurechnen. Hinten steht die Elf um die Routiniers Berezovskiy und Hovsepyan sehr sicher.

Das Fazit:
Die armenische Elf scheint mittlerweile eine gute Mischung aus alt und jung gefunden zu haben. Hinten sichert eine erfahrene Verteidigung ab, im Mittelfeld und Angriff wirbeln ausschließlich Spieler zwischen 21 und 27 Jahren. Der Hinzugewinn der „Ausländer“ Pizzelli und Movsisyan tat der aktuellen Quali-Kampagne ebenfalls sehr gut. Der junge Trainer Minasyan kann zwar nicht auf Personal zurückgreifen, das in den westlichen Top-Ligen spielt, gerade die Spieler im Mittelfeld und Angriff bewähren sich aber in den ebenfalls starken Ligen der Ukraine und Russlands.

Es wird also spannend sein, ob die Armenier die Gunst der Stunde nutzen und sich zumindest den Play-Off-Platz sichern können. Eine Überraschung wäre dies allemal, eine Sensation, nach allem was oben dargelegt wurde, mit Sicherheit nicht.

Ein Gedanke zu “Incredible Armenia

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