Nationalspieler gesucht … im Ausland

Heute Abend geht es weiter mit der Qualifikation für die Euro 2012. Dabei treten mehrere Teams mit Spielern an, die als Migranten in anderen Staaten aufgewachsen sind und dort ihre fußballerische Ausbildung erfahren haben. Wie Ömer Toprak, 2008 noch U19-Europameister mit dem DFB. Er spielt fortan für die Türkei, das Heimatland seiner Eltern. Der türkische Verband durchforstet mit seinem Europabüro seit längerem penibel, welche türkisch-stämmigen Spieler in anderen Ländern fußballerisch herausstechen, damit er diese für sein Nationalteam gewinnen kann. Grund genug einmal dem Phänomen des Verbandswechsels nachzuspüren.

FIFA regelt Verbandswechsel neu
Die Voraussetzungen für einen Einsatz in einem anderen Verband sind seit 2004 sukzessive von der FIFA gelockert worden. War lange Zeit kein Wechsel möglich, sobald einmal das Trikot eines Verbandes getragen wurde (selbst wenn dies nur im Juniorenbereich war), so hat sich dies mittlerweile geändert. Heute kann jeder Spieler, der mehrere Staatsbürgerschaften besitzt oder eine andere erhält, einmalig den Verband wechseln. Eine wesentliche Voraussetzung bleibt allerdings, dass er keine Qualifikations- oder Meisterschaftsspiele für die A-Nationalmannschaft des abgebenden Verbandes absolviert hat. Auf dieser Basis konnten Jermaine Jones und Kevin-Prince Boateng fortan für die USA, bzw. Ghana auflaufen, da Jones noch kein Pflichtspiel für die DFB-Elf absolviert hatte, Boateng nur in den U-Mannschaften für Deutschland an Pflichtspielen teilnahm.

Auswirkungen der Regelung
Naturgemäß waren fortan zwei Arten von Verbänden in den Verbandswechsel von Spielern involviert: die abgebenden und die abwerbenden. Zur ersten Kategorie zählen die klassischen Einwandererländer mit zumeist großer Fußballtradition und einem guten Nachwuchssystem. Zu ihnen gehören bspw. Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, England und Deutschland. Die aufnehmenden Verbände finden sich oft in noch jungen Nationalstaaten und/oder klassischen Auswandererländern, wie der Türkei, den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, der früheren Sowjetunion und natürlich in Afrika. Die Ausbildung des eigenen Fußball-Nachwuchses lässt in den abwerbenden Verbänden meist noch zu wünschen übrig, weshalb sie sich gerne anderswo bedienen.

Aufgrund der gemeinsamen Kolonialgeschichte suchen afrikanische Nationalteams gerne nach in Frankreich geborenen oder aufgewachsenen Migranten. Die Niederlande verliert immer wieder ehemalige Juniorennationalspieler an Marokko, während sich in Deutschland ausgebildete Talente verstärkt Abwerbeversuchen des türkischen, polnischen und russischen Verbandes ausgesetzt sehen. Die Schweiz hat mit Mladen Petric und Ivan Rakitic namhafte Fußballer hervorgebracht, die nun für Kroatien spielen.

Gründe für Verbandswechsel
Ein Grund für diese Wechsel ist sicher das Überangebot an sehr guten Spielern in den ausbildenden Verbänden. Die Chance in den zumeist fußballerisch schwächeren Teams eine gewichtigere Rolle zu spielen, dürfte für viele Spieler verlockend sein. Zudem steigern sie ihren Marktwert, wenn sie internationale Erfahrung vorweisen können.

Die abwerbenden Verbände profitieren von den Kindern ausgewanderter Landsleute, indem sie das Leistungsniveau ihrer Nationalteams anheben. Die „Neuverpflichtungen“ verfügen in der Regel über eine sehr gute fußballerische Ausbildung und haben womöglich schon internationale Junioren-Turniere bestritten. Zudem scheinen ausländische Nationaltrainer eher bereit zu sein, in anderen Ländern nach Verstärkungen zu suchen. Jürgen Klinsmann forscht für das US-Team auf der ganzen Welt nach Spielern US-amerikanischer Abstammung. Guus Hiddink und Dick Advocaat brachten und bringen als russische Nationaltrainer deutsche Spieler mit Geburtsort in der ehemaligen Sowjetunion (u.a. Andreas Beck/1899 Hoffenheim, Andreas Wolf/Werder Bremen, Konstantin Rausch/Hannover 96, Alexander Merkel/CFC Genua 1893) ins Gespräch. Hiddink sucht auch als türkischer Nationaltrainer den Kontakt zu türkischstämmigen deutschen Spielern. Bernd Storck konnte Heinrich Schmidtgal überzeugen, für sein Geburtsland Kasachstan aufzulaufen.

Bevorstehende Turniere befördern ebenfalls die Bereitschaft sich im Ausland nach Verstärkungen umzusehen. So wirbt Polen im Vorfeld der Euro 2012 im eigenen Land gezielt um polnisch-stämmige Fußballer, vornehmlich in Deutschland (Sebastian Boenisch/Werder Bremen, Eugen Polanski/FSV Mainz 05, Adam Matuschyk/1.FC Köln) und Frankreich.

Ähnlich wie Vereinsmannschaften gewinnen die abwerbenden Verbände sofort komplette Spieler, die das eigene Niveau rasch heben können. Dies könnte für die FIFA ein starker Beweggrund gewesen sein, das Verbandswechselrecht im Sinne des Wettbewerbs zu lockern.

Der Vorläufer: Irland zeigte was möglich ist
Auch wenn der türkische Verband mittlerweile das dichteste Scoutingnetz ausgeworfen haben wird, so war er beileibe nicht der erste Verband, der systematisch junge und fußballerisch gut ausgebildete Landsleute im Ausland aufspürte. Jack Charlton, seines Zeichens Nationaltrainer des damaligen Fußballzwergs Irland, durchforstete mit seinem Amtsantritt 1986 die britischen Profiligen auf irisch-stämmige Spieler und gewann mehrere Profis für die Kleeblätter. Dank der in England und Schottland geborenen Kicker erlebte Irlands Nationalelf unter Charlton eine bis dato nicht gekannte Erfolgsperiode mit einer Euro- (1988) und zwei WM-Teilnahmen (1990 und 1994). Bis heute ist der britische „Einfluss“ im irischen Team existent.

Der aktuelle Nationaltrainer der Iren, Giovanni Trapattoni, führt diese Politik fort. Interessanterweise hat er allerdings ein anderes Land in den Fokus genommen: die USA. So hat sich der irische Verband sehr um Conor Doyle bemüht, der als Sohn irischer Nachfahren in den USA geboren wurde und mittlerweile für Derby County in England spielt. Nachdem er bereits für die amerikanische U20 und die irische U21 auflief, hat er zuletzt bekannt gegeben, endgültig für die USA spielen zu wollen.

Sonderstellung USA
Die USA nehmen übrigens bei den Verbandswechseln eine Sonderstellung ein. Zum einen suchen sie spätestens seit der Verpflichtung von Jürgen Klinsmann intensiv in aller Welt nach Profis, die für die USA spielberechtigt sind. Andererseits wecken in den USA aufgewachsene Fußballer auch das Interesse ihrer Herkunftsländer, da an den Schulen und Universitäten mittlerweile gut ausgebildet wird. Neben Neven Subotic, der mittlerweile für Serbien spielt, trifft dies in Teilen auch auf den italienischen Nationalstürmer Giuseppe Rossi zu, der bis zu seinem 13. Lebensjahr in seinem Geburtsland USA lebte und erst dann nach Europa zum Fußballspielen kam. Für die argentinische U20 spielte zuletzt Michael Hoyos, der ebenfalls in den USA geboren wurde und dort bis zu seinem 15. Lebensjahr Fußball spielte.

Fazit
Einige Nationalverbände verfügen mittlerweile – ähnlich wie Vereinsteams – über Scoutingabteilungen, die nach Spielern suchen, die aufgrund ihrer Herkuft für das eigene Nationalteam spielberechtigt sind. Sicher ein Reflex auf die gelockerten Wechselbedingungen durch die FIFA. Der Vorteil liegt für die anwerbenden Verbände auf der Hand, sie erhoffen sich durch die „Neuverpflichtungen“ einen raschen Schub für die eigene Mannschaft. Die Spieler wiederum versprechen sich internationales Renomee und vielleicht sogar die Teilnahme an einem großen Turnier.

Problematisch wird die Konstellation nur, wenn sich beide Verbände intensiv um einen Spieler bemühen, wie zuletzt offensichtlich bei Mesut Özil und Ilkay Gündogan. In solchen Fällen bleibt zu hoffen, dass nicht der umworbene Spieler selbst auf der Strecke bleibt. Entweder indem er sich verspekuliert und seine Karriere nicht den erhofften positiven Effekt erhält oder ihm seine Entscheidung von Anhängern des anderen Verbandes übel genommen wird.

2 Gedanken zu “Nationalspieler gesucht … im Ausland

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