Was wurde aus … Vikash Dhorasoo?

Begnadeter Techniker, Fußball-Intellektueller, Nationalspieler, Spaßfußballer: So könnte man Vikash Dhorasoo beschreiben. Doch was ist aus dem Franzosen mit indisch-maurizischen Wurzeln geworden, der noch bei der Weltmeisterschaft 2006 für die Equipe Tricolore spielte? Die Antwort: Ein „Fußball-Rentner“ mit einer Vision!

Am 10. September 2006 bestritt der 18-malige französische Nationalspieler seine letzte Partie. Ein Abschied, der zu diesem Zeitpunkt ebensowenig vorhersehbar wie freiwillig war. Dhorasoo absolvierte gerade seine zweite Saison für Paris St. Germain, überwarf sich jedoch nach dem fünften Spieltag der Saison 2006/07 mit Trainer Guy Lacombe. Einer vorläufigen Suspendierung folgte Anfang Oktober 2006 der endgültige Rauswurf Dhorasoos. Im Sommer 2007 wechselte der kleine Mittelfeldspieler nach Livorno in die erste italienische Liga, nur um dort ebenfalls anzuecken und letztlich keine Minute für den Verein zu absolvieren. Einen weiteren Versuch seine Karriere wiederzubeleben brach er nach nur vier Wochen bei Grenoble Foot in der zweiten französischen Liga ab. Im Januar 2008 erklärte er seine Profilaufbahn nach 363 Spielen in der französischen Ligue 1 (AC Le Havre, Olympique Lyon, Girondins Bordeaux, Paris St. Germain), 12 Einsätzen in der italienischen Serie A (AC Milan) und 26 Champions-League-Partien für beendet.

Unerfüllte WM-Erwartungen: „Substitute“
Ein wahrlich ungewöhnliches Karriereende für einen Fußballer, der noch im Sommer 2006 als Starspieler galt. Vor der Weltmeisterschaft ebnete er am 29. April Paris St. Germain den Weg zum Pokalsieg, als er das vorentscheidende 2:0 erzielte. Einen Monat später zählte er zum französischen WM-Aufgebot. Für die Equipe Tricolore hatte er in sieben von zehn Qualifikationsspielen auf dem Platz gestanden. Dhorasoo erwartete auch bei der Endrunde eine gute Rolle zu spielen. Doch weit gefehlt, er kam zu lediglich zwei Kurzeinsätzen. Der Frust über sein Reservisten-Dasein und den „Verrat“ durch seinen ehemaligen Förderer – Nationaltrainer Raymond Domenech – dokumentierte der Franzose auf ungewöhnliche Art und Weise: mit einem während der WM heimlich durch ihn gedrehten Dokumentarfilm! Der bezeichnende Titel – „Substitute“. Die Reaktionen auf den wenig später veröffentlichten Film: Lob von Filmkritikern und Feuilleton, Kritik von Verband und Mitspielern. Konsequenterweise trat der eigenwillige Spieler aus der Nationalmannschaft zurück, in der er nach dem Karriereende von Zinedine Zidane eine wichtige Rolle hätte spielen können. Immerhin war er durch die beiden Kurzeinsätze bei der WM zum ersten indisch-stämmigen Fußballer avanciert, der auf diesem Niveau spielte.

Dem Spaßfußballer wird die Lust genommen
Es bleibt festzuhalten, dass der zweimalige französische Meister (2003 und 2004 mit Olympique Lyon) seine Karriere mit 32 Jahren im Unfrieden beendete. Der französische Verband nahm ihm den Dokumentarfilm übel und in seinen letzten Vereinen pflegte er das Image des Ungehorsamen. In Interviews betonte er immer wieder, dass für ihn der Spaß am Spiel besonders wichtig gewesen sei. Diesen verspürte er wohl am Ende weder bei Paris St. Germain noch bei Livorno. In Paris schob man ihn nach seinem Zerwürfnis mit Trainer Lacombe zum Reserveteam ab, um sich dort fit zu halten. In Livorno sollte er beim Nachwuchsteam seine Fitnessdefizite nach der einjährigen Pause aufholen. Beides für ihn untragbare Zumutungen, die in den Vertragsauflösungen mündeten.

Der Fußball-Intellektuelle
Der Abschied vom Profifußball fiel Dhorasoo aber nicht allzu schwer, ging er doch während seiner Karriere immer auf Distanz zum Fußball-Business. So begann er nach der Schule ein BWL-Studium, was für junge Fußballer Anfang der 90er Jahre eher die Ausnahme, denn die Regel war. Darüber hinaus interessierte er sich sehr für Literatur und Architektur, wie der „kicker“ 2001 berichtete. Sein Film „Substitute“ entstand letztlich auf Betreiben seines engen Freundes, dem französischen Musiker und Regisseur Fred Poulet. Dhorasoo engagierte sich auch in sozialen Projekten und unterstützte früh eine Kampagne der „Paris Foot Gay“, um sich eindeutig gegen Homophobie und Diskriminierung zu positionieren. Kein Wunder, dass ihm die Presse bald den Beinamen „Fußball-Intellektueller“ verlieh.

Karriere nach der Karriere
Während ihm dieses Image während seiner Karriere eher negativ anhaftete, eröffnet es ihm seither viele Chancen, wie er gegenüber fifa.com befand. So engagierte er sich 2008 für die Wiederwahl des Sozialisten Bertrand Delanoe zum Pariser Bürgermeister, nur um nach dessen Wahlsieg eine Stelle als Referent für besondere Sachbereiche im Pariser Stadtrat anzutreten. Hierbei widmete er sich insbesondere der Sozialarbeit mit Jugendlichen. Nachdem er durch seine Profilaufbahn finanziell ausgesorgt habe, sei es ihm fortan wichtig Aufgaben zum Wohle anderer anzugehen, betonte er wiederholt.
Auch der Kultur blieb der in Le Havre geborene Franzose verhaftet. So wirkte er 2008 vor der Kamera als Anwalt in dem Spielfilm „La tres, tres, grande entreprise“ mit. Nebenbei agiert er für den Pariser Fünftligisten L’Entente SSG als Vereinsvorsitzender. Etwas, das aus der deutschen Perspektive merkwürdig anmutet, ist Dhorasoos Leidenschaft für das Pokerspiel. In einer Runde mit Boris Becker oder Mario Basler kann man sich den feinsinnigen Ex-Profi nun wahrlich nicht vorstellen.

Förderer des indischen Fußballs
Was ihm derzeit besonders am Herzen liegt, ist der Fußball im Land seiner Urgroßeltern. Bis zum Ende seiner Profikarriere war es ihm nie gelungen Indien zu bereisen. Erst im Rahmen seines sozialen Engagements für Straßenkinder erfuhr er vor Ort, wie stolz die Inder auf ihn und seine fußballerischen Leistungen sind.  Er setzt sich deshalb zum Ziel Indien fußballerisch weiterzubringen. Bei der FIFA stieß er diesbezüglich auf offene Ohren, was angesichts des enormen wirtschaftlichen Potentials eines fußballspielenden Milliardenvolkes nicht überraschen kann. Dhorasoo zeigte sich aber auch von den sozialen Projekten der FIFA in Indien überzeugt. Als Kernelement für den Aufschwung des indischen Fußballs hat der Franzose das Ausbildungssystem ausgemacht. Da Frankreich über ein sehr gutes verfüge, setzt er auf eine Ausbildungs-Kooperation beider Nationen. Um diesen Ansatz nachhaltig zu fördern, hat er zusammen mit zwei Mitstreitern die Initiative France India Football Development (FIFD) gegründet. Am Ende soll mit dieser Hilfe ein Volk mit mehr als einer Milliarde Einwohnern in der Lage sein elf Weltklassespieler hervorzubringen, so die Vision des Vikash Dhorasoo.