Ungarn-Aufstand 1956: Wie Bonn beinahe ein Länderspiel verhinderte

Über zwei Meldungen bin ich in den letzten Tagen gestolpert: Miroslav Klose sagte, „Die Politik muss außerhalb des Stadions bleiben“ und der ungarische Volksaufstand von 1956 jährt sich zum 55. Mal. Beide Sachverhalte scheinen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben. Gerade das Beispiel des niedergeschlagenen Volksaufstands zeigt allerdings, dass die Politik sehr wohl versucht im Sport mitzumischen: 1957 wollte Außenminister Heinrich von Brentano ein DFB-Länderspiel gegen Ungarn verhindern.

Ein Blick zurück: Am 23. Oktober 1956 begann der ungarische Volksaufstand, den sowjetische Truppen ab dem 4. November blutig niederschlugen. Der Westen reagierte entsetzt und suchte nach Möglichkeiten auf diese Ereignisse zu reagieren. Sportliche Wettkämpfe waren im damaligen Kalten Krieg eine der raren Möglichkeiten, in der sich Ost und West, noch dazu öffentlichkeitswirksam, begegneten. Die Bonner Politik wollte es deshalb der neu installierten ungarischen Regierung erschweren durch sportliche Wettkämpfe an Prestige zu gewinnen. Außenminister Brentano verweigerte deshalb vor allem ungarischen und sowjetischen Sportlern im Laufe des Jahres 1957 immer wieder die Einreise.

Bundesregierung erteilt Einreisevisen eine Absage
Nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand war der Abbruch jeglicher Kontakte zum Ostblock in der bundesdeutschen Bevölkerung mehrheitsfähig. Eine Haltung, die in anderen NATO-Staaten ebenfalls vorherrschte. So ist einem damaligen Vermerk des Auswärtigen Amtes zu entnehmen, dass „die Mehrzahl der NATO-Staaten (…) den Standpunkt einnehmen, dass Sportveranstaltungen mit Ungarn unerwünscht sind.“ Folgerichtig beschloss das Bundeskabinett im August 1957, „Einreise- und Aufenthaltsgenehmigungen an Angehörige der Ostblockstaaten zur Teilnahme an Länderkämpfen nicht zu erteilen.“ Unmittelbar davon betroffen waren Handball- und Kanusport-Länderkämpfe gegen Ungarn.

DFB befürwortet eine Kehrtwende
Die Entscheidung des Bundeskabinetts drohte sich nun auf ein bereits vereinbartes Fußballländerspiel zwischen der Bundesrepublik und Ungarn auszuwirken. Die ungarische Seite hatte dem DFB noch vor dem Aufstand zwei Länderspiele für das Jahr 1957 vorgeschlagen. Beide einigten sich auf ein erstes Spiel Ende 1957, das vom DFB als Rückspielverpflichtung für das letzte Freundschaftsspiel aus dem Jahre 1942 aufgefasst wurde. DFB-Präsident Peco Bauwens sah die Durchführung des Länderspiels durch die politischen Vorgaben massiv gefährdet. Auf dem DFB-Bundestag versuchte er bereits im Juli 1957 die Stimmung in seinem Sinne zu beeinflussen. Er tat dies taktisch klug, indem er eine wunde Flanke der Bundesregierung ansprach, die spezifisch deutsch-deutsche Konstellation. Er sagte, „wir können den sportlichen Stellen der DDR nicht mehr sagen wir sind frei, wenn die Einreise ausländischer Sportler nach [West]Deutschland von politischen Stellen abhängig ist.“ Mit dieser Anspielung schlug er zudem eine Brücke zur Agenda der internationalen Sportverbände, die eine strikte Nichteinmischung der Politik in ihre Sphäre forderten. Die westdeutschen hatten sich bislang gegenüber den ostdeutschen Sportverbänden klar im Vorteil gewähnt, da sie sich per se als „frei“, also regierungsunabhängig, verstanden. Dieser Sachverhalt drohte nun durch das angedrohte Einreiseverbot als unglaubwürdig entlarvt zu werden.

Die Stimmung kippt
Nach der öffentlich geäußerten Kritik Bauwens‘ sah sich Außenminister Brentano durch weitere Entwicklungen immer mehr in die Ecke gedrängt. Die NATO-Partner ließen keine einheitliche Politik gegenüber dem Ostblock erkennen. Das Auswärtige Amt konstatierte bei den Bündnispartnern „eine biegsame Linie“. Selbst der nicht gerade als „Sportfan“ bekannte Bundeskanzler Konrad Adenauer schien auf eine Politik einzuschwenken, die „sportfreundlich und kompromissbereit“ war. Auch das Innenministerium zeigte Verständnis für die Wünsche des Sports. Die bundesdeutsche Presse positionierte sich im Zuge der sich wandelnden öffentlichen Meinung ebenfalls eindeutig gegen die Haltung des Auswärtige Amts, so dass Brentano letztlich zurückruderte. In einer Unterredung mit Willi Daume, dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes, teilte er am 27. August 1957 mit, dass „eine staatliche Lenkung des Sports nicht in Frage kommen kann“. Er werde trotz seiner „ernstlichen Bedenken“ gegen „zweiseitige Sportveranstaltungen“ mit der Sowjetunion und Ungarn zukünftig eine Regelung anstreben, die „den berechtigen Wünschen des deutschen Sports und den internationalen Gepflogenheiten“ entspreche.

Der DFB bekommt sein Spiel
Als der DFB um die Einreisegenehmigung für die ungarische Nationalelf bat, legte Brentano nicht einmal mehr Wert darauf, den Antrag persönlich einzusehen. Der Außenminister hatte vergeblich versucht die blutigen Ereignisse in Ungarn zu seinen Gunsten zu nutzen, also der Kontrolle des Sportverkehrs zwischen dem kommunistischen Osten und dem Westen. Dennoch zeigt diese Begebenheit klar, dass selbst in Demokratien Regierungen versuchen Sportbeziehungen in ihrem Sinne zu steuern.
Das Länderspiel zwischen Westdeutschland und Ungarn konnte jedenfalls am 22. Dezember 1957 stattfinden. 85.000 Zuschauer verfolgten das erste Aufeinandertreffen der beiden Teams seit dem „Wunder von Bern“ im ausverkauften Niedersachsenstadion von Hannover. Dem Dortmunder Alfred Kelbassa blieb es vorbehalten das Tor des Tages zum 1:0-Sieg der DFB-Elf zu erzielen.