Zuletzt gewannen zwei Vereine im 100. Jahr ihres Bestehens den ersten Landesmeistertitel: Viktoria Pilsen in Tschechien und Molde FK in Norwegen. Vor zwei Jahren feierte der VfL Wolfsburg seine Premiere als Deutscher Meister. Doch wann gab es in anderen europäischen Ligen zuletzt Klubs, die ihren ersten Meistertitel holten? Was begünstigt solche Erfolge? Und wie häufig kommt es überhaupt dazu?
Die jüngsten „Meisternovizen“
Ein Blick in 23 ausgewählte europäische Ligen (die aktuell 15 bestplatzierten Ligen gemäß UEFA-5-Jahreswertung, plus Schottland, Tschechien, Rumänien, Polen, Schweden, Norwegen, Bulgarien und Ungarn) zeigt, dass 2011 nicht nur in Tschechien und Norwegen, sondern auch in Ungarn und Rumänien bisher „erfolglose“ Teams den Meistertitel holten (siehe Tabellen 1 und 2). In fünf weiteren Ligen (Niederlande, Türkei, Deutschland, Schweden, Russland) geschah dies zwischen 2008 und 2010. Damit weisen neun der 23 untersuchten Ligen in den vergangenen vier Spielzeiten einen „Meisterneuling“ auf. Eine durchaus beträchtliche Anzahl. Am anderen Ende der Statistik rangieren wiederum fünf Länder, in denen sich in den vergangenen 20 Jahren kein einziger neuer Verein in der Meisterliste verewigen konnte. Die Schlusslichter bilden Schottland und England, wo seit sage und schreibe 28 bzw. 33 Jahren keine „Meisternovizen“ zu verzeichnen sind.
Osteuropäische Besonderheiten
Im Vergleich zu den „betagten“ Briten wirkten die Meisterschaften in Rumänien und Ungarn zuletzt wie Jungbrunnen. In beiden Ländern tauchten alleine im letzten Jahrzehnt drei Neuzugänge in den Meisterannalen auf. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Dominanz der jeweiligen Hauptstadtklubs nach dem Ende des Kommunismus zunehmend brökelte. Zudem kann aufgrund der vergleichsweise schwachen Qualität der Ligen mit (für westeuropäische Verhältnisse) relativ wenig Geld viel erreicht werden. Dass dies jedoch nicht unbedingt im Sinne der Nachhaltigkeit ist, zeigt das Beispiel Unirea Urziceni. Der Verein, der dank potenter Geldgeber 2006 erstmals in die rumänische Eliteklasse aufstieg, holte bereits 2009 den Titel und spielte 2009/10 in der Champions-League. Als der Klub-Mäzen anschließend seine Leistungen drastisch zurückfuhr, war es um den Verein geschehen und er löste sich auf! Am Ende der vergangenen Saison mussten alleine fünf Klubs zwangsabsteigen, ein Beleg für mangelnde wirtschaftliche Seriosität. Dies befördert allerdings eine große Fluktuation in der rumänischen Liga, die sich eben auch im Meisterschaftsrennen niederschlägt.
Gründe für erstmalige Meisterschaften
Finanzkraft ist sicher immer eine gute Voraussetzung, um erstmals Meister zu werden. Eine Schwächephase der ansonsten dominierenden Teams, gepaart mit einem eigenen „Lauf“ begünstigt ebenfalls die „Meisterneulinge“. Beides kann der VfL Wolfsburg bestätigen. Das Beispiel des FK Molde in Norwegen zeigt aber, dass es auch anders gehen kann. In den letzten beiden Spielzeiten zahlte der Verein nur in einem Fall eine Ablösesumme für einen Spieler, erlöste im Gegenzug jedoch 2,9 Millionen Euro. Auch der Verlust des Toptorjägers Pape Pate Diouf (12 Tore in 14 Spielen) im Verlauf der abgelaufenen Saison konnte nichts an der Vollendung des ersten Meistertitels ändern. Der Erfolg ist laut „kicker“ (03. November 2011) in erster Linie Trainer-Neuling Ole Gunnar Solskjaer zu verdanken. Er führte englische Strukturen im Coaching ein und professionalisierte das Umfeld. Ein auf Flexibilität und Konter basierendes Spielsystem vervollständigte die Erfolgsformel. Man könnte sie also auf „Vorsprung durch Innovationen“ reduzieren. Ob dies aber auch in den finanzstarken Ligen Spaniens oder Englands zum Erfolg führt, bleibt anzuzweifeln.
Tabelle 1: Vereine, die in ihren Ländern als letzte erstmals Meister wurden
(Tipp: Vergrößern der Tabelle durch Anklicken mit rechter Maustaste „Link in neuem Fenster öffnen“)
Tabelle 2: Erstmalige Meister in Ländern, die erst seit kurzem Meisterschaften austragen
(Tipp: Vergrößern der Tabelle durch Anklicken mit rechter Maustaste „Link in neuem Fenster öffnen“)
Ein relativierender Blick zurück
Molde und Wolfsburg, aber auch Bursaspor oder Twente Enschede waren die jüngsten Meisterneulinge in ihren Ligen. Was heißt das aber nun für die „Durchlässigkeit“ der entsprechenden Meisterschaften. Wie groß sind die Chancen von „Underdogs“ wirklich einmal zu Meisterehren zu kommen? Untersuchen wir doch in den Ligen die vorangegangenen „Meisterneulinge“. Die Bundesliga gibt hier ein ernüchterndes Bild ab. Vor dem VfL Wolfsburg reckten 39 Jahre lang nur Vereine die Meisterschale in die Höhe, die dieses Gefühl bereits kannten. Den Emporkömmlingen aus Mönchengladbach war 1970 zuletzt eine „Titelpremiere“ gelungen. Davor ballen sich allerdings mit Eintracht Braunschweig (1967), 1860 München (1966), Werder Bremen (1965) und dem 1. FC Köln (1962) vier „Meisternovizen“ und symbolisieren damit eine gewisse Umwälzung im deutschen Fußball. Wohl nicht zuletzt dank der Einführung der Bundesliga im Jahre 1963.
Durchforstet man die anderen Ligen nach den letzten drei Teams, die erstmals Meister wurden, so gibt es interessante Erkenntnisse. Bulgarien, Dänemark, Österreich und Frankreich konnten in den letzten 20 Jahren jeweils drei erstmalige Meisterteams präsentieren. Auch Italien schneidet in dieser Erhebung vergleichsweise gut ab, feierten mit Hellas Verona, dem SSC Neapel und Sampdoria Genua doch drei Teams zwischen 1985 und 1991 ihre Premieren auf dem Meisterthron. Seitdem hat sich auf dem Stiefel freilich nichts mehr getan und auch die drei genannten – z.T. mit viel Geld gepushten – Teams blieben Eintagsfliegen. In zehn Ligen dauert die Suche nach dem drittletzten „Meisterneuling“ bis mindestens in die 1960er Jahre. Das heißt im Umkehrschluss, dass in z.T. deutlich über 40 Jahren nur drei neue Titelträger hinzukamen.
Nord-Süd-Gefälle
Mit Portugal, Griechenland und Spanien schneiden drei südeuropäische Länder bei dieser Erhebung besonders schlecht ab. Hier muss man schon bis in die Jahre 1939 (AEK Athen), 1941 (Sporting Lissabon) und 1946 (FC Sevilla) zurückgehen. Auch in der Türkei haben „Underdogs“ schlechte Karten. Bedenkt man, dass die türkische Meisterschaft erst seit 1957 ausgetragen wird, dann taucht mit Galatasaray Istanbul bereits 1962 der drittletzte Verein auf, der erstmals Meister wurde. Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass in diesen Ländern früh Fußball-Hochburgen in den wenigen industriellen Zentren entstanden. Diese Platzhirsche verstanden es dann vortrefflich ihre Dominanz zu zementieren. Inwiefern die politischen Rahmenbedingungen (z.T. lange Phasen der Diktatur) hierbei eine konservierende Rolle spielten, müsste gesondert betrachtet werden.
Erkenntnisse
Der Blick in verschiedene europäische Ligen hat gezeigt, dass es quer über den Kontinent regelmäßig „Meisterneulinge“ gibt. In der Summe kommt dies allerdings relativ selten vor, so dass das Phänomen des erstmaligen Meisters eher die Ausnahme denn die Regel darstellt. Folgende regionale Besonderheiten stechen allerdings ins Auge:
- Die großen britischen Verbände Schottland und England haben am längsten keine neuen Meisterträger hervorgebracht. Zwar gab es in beiden Meisterschaften auch Phasen mit verstärkten „Meisternovizen“ (Schottland mit drei von 1955 bis 1965, England mit vier zwischen 1949 und 1955), diese liegen allerdings schon lange zurück. Von der Ausnahme VfL Wolfsburg abgesehen, gilt dies auch für Deutschland.
- Die südeuropäischen Ligen der Türkei, Griechenlands, Portugals und Spaniens haben zwar zuletzt sporadisch neue Titelträger hervorgebracht. Insgesamt sind diese Ligen jedoch traditionell fest in der Hand von wenigen Vereinen, der Wettbewerb hinkt hier also etwas. So gab es in der Türkei und in Portugal bisher nur fünf Meister, in Griechenland sechs und in Spanien neun.
- In Osteuropa herrschte zuletzt eine hohe Taktung an „Meisterneulingen“, wie in Rumänien und Ungarn. Gleiches gilt für Russland und Tschechien, wenn auch diese Länder noch keine lange Meisterschaftstradition besitzen. Vor allem in Russland und der Ukraine fließt mittlerweile viel Geld, so dass dort auch weiterhin mit „Meisterneulingen“ gerechnet werden kann (z.B. Metalist Charkow in der Ukraine oder Dynamo Moskau in Russland).
Wir dürfen also gespannt sein, wann die nächsten Neuzugänge in den Meisterlisten auftauchen. Kandidaten in den großen Ligen könnten sein: Italien – Udinese Calcio +++ Deutschland – Bayer Leverkusen +++ Spanien – der neureiche Malaga CF, Villarreal CF +++ Frankreich – theoretisch die halbe Liga mit Montpellier HSC, Stade Rennes, Toulouse FC +++ England – weit und breit kein Anwärter in Sicht
Hi Matze, interessanter Artikel. Waere auch mal gut zu sehen, wie viele von den Meisterneulingen Eintagsfliegen waren. z.B eine Kurve zu erstellen, die die Plazierungen von (z.B.) Twente Enschede 3 Jare vor bis 3 Jahre nach (ich weiss, noch zu frueh) dem Meistertitel zeigt. Damit liesse sich erschliessen, wie durchlaessig die Liga wirklich ist, denn man muss ja nicht unbedingt Meister werden, um sich als Top-Team zu etablieren. Litex Lowetsch in Bulgarien ist da ein gutes Beispiel. Die sind seit ihrem Aufstieg in den 90ern fast immer oben mit dabei, aber nicht immer Meister. Deutschland, trotz der wenigen neuen Meister, finde ich gar nicht so schlecht. Vielleicht gibt es wenige „neue“ Meister, weil es die Liga schon so lange gibt (in verschiedener Form) und deshalb schon so viele Mannschaften „mal durften“?
Nur ein paar Gedanken…
Weiter so!
Nikola
Pingback: Kickschuh-blog: Rück- und Ausblick « kickschuh