Am Wochenende treffen sich zehn afrikanische Nationalteams zum ersten Akt des finalen Dramas. Dem Schwarzen Kontinent stehen fünf Tickets für die nächstjährige WM in Brasilien zu, die in fünf Play-off-Duellen ausgespielt werden. Mit Äthiopien befindet sich noch ein krasser Außenseiter im kontinentalen Rennen um einen Endrundenplatz. Die aktuelle Nummer 93 der FIFA-Weltrangliste empfängt am Sonntag den amtierenden Afrikameister Nigeria zum Hinspiel in Addis Abeba. Ein auf den ersten Blick hoffnungsloses Unterfangen für die Walya Antelopes genannten äthiopischen Kicker. Doch deren Formkurve zeigte zuletzt stark nach oben.
Äthiopien sagt dem geneigten Sportfan bestenfalls als Langstreckenlaufnation etwas. Im Fußball hat sich das ostafrikanische Land bislang kaum Meriten erworben. Die spärlichen Erfolge liegen lange zurück. 1962 errangen sie die Afrikameisterschaft und platzierten sich zwischen 1957 und 1968 insgesamt fünfmal unter den Top-4 des kontinentalen Turniers. Doch damals nahmen kaum mehr als eine handvoll Nationen an den Meisterschaften teil. Aktuell rangieren sage und schreibe 24 afrikanische Teams in der FIFA-Weltrangliste vor den Kickern mit dem grün-gelb-roten Wappen auf ihren Trikots. Erst in diesem Jahr qualifizierten sie sich erstmals seit 1982 wieder für den Afrika-Cup, schieden allerdings in der Vorrunde aus. Im Vereinsfußball sieht es kaum besser aus. Noch nie konnte ein äthiopischer Klub auch nur annähernd Hand an eine kontinentale Trophäe legen.
Es tut sich was im ostafrikanischen Hochland
Doch es gibt Anzeichen, dass die äthiopischen Kicker nach vorne drängen. Hauptstadtklub Saint George erreichte in diesem Jahr als erster äthiopischer Verein die Gruppenphase des CAF Confederation Cups, einem Äquivalent der Europa League. Die Gruppenphase stellt quasi das Viertelfinale dar, in dem die acht Klubs die Halbfinalisten in zwei Gruppen ausspielen. Am Ende reichte es zwar nur zu vier Punkten aus sechs Spielen, der Verein erwies sich allerdings als absolut konkurrenzfähig. Zudem errang die Nationalelf in den vergangenen zwölf Jahren dreimal die Krone bei den Ostafrikameisterschaften und die Qualifikation für den diesjährigen Afrika-Cup verdeutlicht, dass mit den Äthiopiern langsam wieder zu rechnen ist.
Jüngste Erfolge ohne Legionäre
Die Walya Antelopes profitierten beim diesjährigen Afrika-Cup von einem verkürzten Qualifikationsmodus. Der Kontinentalverband hatte beschlossen die Endrunde von den geraden auf die ungeraden Jahre zu legen, weshalb für die Qualifikation nur ein halbes Jahr Zeit blieb. So reichten zwei K.o.-Runden aus, um die Teilnehmer zu ermitteln. Äthiopien kam beide Male aufgrund der Auswärtstorregel weiter. Gegen Benin reichten zwei Unentschieden, gegen den Sudan – immerhin Viertelfinalist 2012 – machten sie die 3:5 Hinspiel-Niederlage durch ein 2:0 in Addis Abeba wett. Äthiopien reiste mit einem Team zur Endrunde nach Südafrika, das bis auf Topstürmer Saladin Said ausschließlich aus Spielern von äthiopischen Vereinen bestand. Das ist äußerst ungewöhnlich, spielen doch bei den zwei anderen afrikanischen Teams der Stunde – Burkina Faso und Kap Verde – die meisten Nationalspieler in Europa. Sicherlich befördert von den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Portugal, die in beiden Fällen als Sprungbrett nach Europa fungieren. Zudem können sich beide Auswahlen bei Emigranten bedienen, die fußballerisch in Europa ausgebildet wurden. Dies ist bei Äthiopien nicht der Fall. Umso höher ist das Erreichte einzuschätzen. Selbst Topspieler Said spielt lediglich bei Wadi Degla in der ägyptischen Liga.
Auftritt beim Afrika-Cup beeindruckt
In Südafrika maß sich das Team von Nationalcoach Sewnet Bishaw in einer starken Vorrundengruppe mit dem damals amtierenden Afrikameister Sambia (1:1), dem späteren Finalisten Burkina Faso (0:4) und dem späteren Sieger Nigeria (0:2). Trotz der etwas ernüchternden Bilanz mit lediglich einem Punkt, ging das äthiopische Team gestärkt aus der Afrikameisterschaft hervor. Nigeria konnte 80 Minuten Paroli geboten werden, ehe zwei späte Elfmeter die Niederlage besiegelten. Sambia trotzten sie selbst mit dem Handicap einer einstündigen Unterzahl ein Remis ab. Lediglich gegen Burkina Faso begingen sie elementare Fehler, als sie sich trotz Überzahl dreimal in der Schlussphase auskontern ließen. Dennoch beeindruckten sie laut afrikanischen und britischen Onlinemedien mit ihrer Spielweise, die auf Ballbesitz und gepflegtem Passspiel basiert. Der aktuelle nigerianische Nationalcoach Stephen Keshi beschreibt die Spielweise der Ostafrikaner als „unvorhersehbar“. Nigerias Altinternationaler Sunday Oliseh fühlt sich gar an den FC Barelona erinnert. Diese Sichtweise mag sicher übertrieben wirken, soll aber vielmehr verdeutlichen, dass Äthiopiens Fußballer darauf aus sind, dem Spiel ihren Stempel aufzudrücken und dabei durchaus attraktiv auftreten können.
Äthiopien wäre der erste ostafrikanische WM-Fahrer
Dies erfuhren in der aktuellen WM-Qualifikation sämtliche Kontrahenten. In der ersten Ausscheidungsrunde, in der zunächst einmal die Leichtgewichte des afrikanischen Fußballs im K.o.-Modus gegeneinander antraten, wiesen sie Somalia mit 0:0 und 5:0 in die Schranken. In der zweiten Qualiphase – einer Gruppenphase – setzten sie sich souverän gegen Südafrika, Botswana und Äquatorialguinea durch. Sie verloren nur eine Partie, allerdings am Grünen Tisch, nachdem sie gegen Botswana einen gelb-gesperrten Spieler eingesetzt hatten. Auf dem Spielfeld fuhren sie fünf Siege und ein Remis ein und qualifizierten sich letztlich souverän für die finalen K.o.-Duelle, in denen sie Nigeria zugelost wurden. So nah kamen sie der WM bislang noch nie. Sollten sie sich gar noch gegen den amtierenden Afrikameister durchsetzen, wäre dies nicht nur eine faustdicke Überraschung. Äthiopien wäre zugleich das erste afrikanische Land, das sich für eine WM qualifiziert, das nicht am Mittelmeer oder Atlantik liegt. Eine wahrlich epochale Aussicht.
Nigeria vs. Äthiopien: Europa-Legionäre vs. Homeboys
Immer noch besteht der Hauptteil des Teams aus Spielern der heimischen Liga. Nach dem Africa Cup of Nations wechselten aber immerhin drei Spieler nach Libyen, Israel und Südafrika. Topstar Said spielte gar für ein halbes Jahr bei Lierse SK in Belgien, konnte dort aber keine ausreichenden Einsatzzeiten sammeln, so dass er wieder zu seinem ägyptischen Klub zurückkehrte. Ausgerechnet Said hat sich nun aber verletzt und wird seinem Team im Hinspiel aller Voraussicht nach nicht zur Verfügung stehen. Den Walya Antelopes fehlt also ein verlässlicher Vollstrecker. Ganz anders hingegen Nigeria, 15 Spieler stehen bei europäischen Vereinen unter Vertrag, unter ihnen John Obi Mikel (Chelsea FC), Victor Moses (Liverpool FC) und Emanuel Emenike (Fenerbahce). Der Verband versammelte sein Team vier Tage vor der Abreise nach Addis Abeba in Nigeria, um sie auf das Match vorzubereiten. Dort treffen sie auf einen Gegner, der sich mehr als zwei Wochen gezielt auf das Duell vorbereiten konnte. Trainer Bishaw hatte also viel Zeit seine Spieler physisch, mental und taktisch auf das Spiel einzustimmen. Der Nachteil keine international gestählten Spieler zu haben, könnte sich so in einen Vorteil umkehren, zudem sich die Nationalspieler von den Topklubs der heimischen Liga bestens kennen. Das Erreichen der Afrikameisterschaft und die bislang souveräne WM-Qualifikation steigerte das Selbstbewusstsein und zeigte was möglich ist.
Wer nicht hüpft ist kein Äthiopier: Nach den Toren (01:48 und 02:28) im letzten Heimspiel gegen Nigeria geht auf den Tribünen der Punk ab.
Gute Heimbilanz und zuletzt gezeigte Auswärtsstärke geben Anlass zur Hoffnung
Zudem sind die Pflichtspiel-Erfahrungen mit Nigeria nicht die schlechtesten. In der WM-Qualifikation 1994 gewannen die Äthiopier gegen den turmhohen Gruppenfavoriten zu Hause mit 1:0, ehe sie in Nigeria mit 0:6 unter die Räder kamen. In der Qualifikation für den Afrika-Cup 2012 kreuzten sich die Wege der beiden erneut in der Qualifikationsgruppe. Erneut taten sich die Nigerianer in Addis Abeba schwer und erreichten ein eher glückliches 2:2. In Nigeria hatten sie die Äthiopier hingegen mit 4:0 überrannt. Zuhause sind die Äthiopier also in der Lage ein gutes Resultat zu erzielen, wobei die Tatsache, dass Addis Abeba auf über 2.300 Metern liegt, dem Heimteam traditionell entgegen kommt. Nun gilt es auswärts besser abzuschneiden. In der aktuellen WM-Kampagne verloren sie noch kein Auswärtsspiel. So gesehen ist der Außenseiter alles andere als auf die leichte Schulter zu nehmen.
Verband und Liga professionalisieren sich
Hinzu kommt, dass der Verband dem Team zuletzt keine Steine in den Weg legte. Für schwarz-afrikanische und auch äthiopische Verhältnisse nicht die selbstverständlichste Tatsache. Noch 2008 und 2009 hatten die Kicker unter den eigenen Funktionären zu leiden. Die FIFA sanktionierte Unregelmäßigkeiten in der nationalen Fußballorganisation, indem es einen Aktionsplan veranlasste, der von den äthiopischen Verantwortlichen jedoch nicht umgesetzt wurde. Konsequenterweise schloss die FIFA den Verband aus und das Team musste sich aus der WM-Qualifikation zurückziehen. Doch dies ist vor dem anstehenden Duell gegen Nigeria am Sonntag kein Thema mehr. Der Fußballverband ist dabei sich professioneller aufzustellen und es engagieren sich in der Liga vorsichtig internationale Sponsoren wie Heineken. Der Fußball ist in Addis Abeba derzeit ohnehin omnipräsent: das Team ziert Hochhausfassaden und die Fernsehkanäle erinnern beständig an die „180 Minuten bevor Geschichte geschrieben wird“. Äthiopien scheint also bereit zu sein, für den Sprung nach Brasilien.