Tschechien vs. Island: Das unerwartete Spitzenspiel

Von Kickschuh-Gastspieler Maximilian (twitter-Account: Soccerinternational, @HubertMaRo)

Die Aufstockung der UEFA EURO 2016 auf 24 Teams hat für viel Wirbel gesorgt. Viel zu einfach sei die Qualifikation für die „großen“ Nationen, das Turnier am Ende gar „verwässert“. Die Qualifikationsgruppe A führt diese Behauptungen derzeit ad absurdum: Weder der WM-Dritte Niederlande noch die Türkei dominieren die Gruppe, sondern Island und die Tschechische Republik. Am 16. November treffen beide in Plzeň aufeinander.

Zugegeben, schon nach der Auslosung in Nizza war klar, dass die Gruppe A vergleichsweise stark besetzt ist. Zum absoluten Favoriten Niederlande gesellten sich die individuell stets starken Türken, WM-Play-off-Teilnehmer Island und mit der Tschechischen Republik ein immer wieder zu beachtendes Team aus der „zweiten Reihe“. Selbst Lettland und Kasachstan zählten in ihren Lostöpfen zu den eher unangenehmen Gegnern. Isländer und Tschechen führen die Gruppe nach drei Spieltagen mit einer makellosen Bilanz an. Wer verbirgt sich hinter den beiden Spitzenteams?

Die tschechische Nationalelf:
Die Vorgeschichte:
2012 gelangte die „Reprezentace“ bei der EURO durch Siege über Griechenland und Co-Gastgeber Polen ins Viertelfinale, dann war gegen Portugal Schluss. Die beiden Weltmeisterschaften 2010 und 2014 verliefen hingegen ohne Beteiligung der Blau-Roten. Den Trip nach Brasilien verpassten sie nicht zuletzt aufgrund bitterer Heimniederlagen gegen Dänemark (0:3) und Armenien (1:2). Die Zeiten schienen vorbei, als das Land mit Spielern wie Patrik Berger, Jan Koller, Milan Baroš, Pavel Nedvěd, Tomáš Ujfaluši und Karel Poborský zur erweiterten europäischen Spitze zählte. Auch die Vorbereitungsergebnisse – 2:2 gegen Finnland und Norwegen, 1:2 gegen Österreich und ein 0:1 gegen ein US-B-Team – gaben wenig Anlass zur Hoffnung.

Die bisherige Quali:
Doch mit dem 9. September 2014 sollte sich das schlagartig ändern. Zum Auftakt der EM-Qualifikation empfingen die Tschechen mit den Niederländern gleich den nominell schwersten Gegner – und siegten! Ein Traumtor von Bořek Dočkal, sowie ein Gastgeschenk von Oranje-Verteidiger Daryl Janmaat, der den Ball ohne Not an den eigenen Pfosten köpfte und so Václav Pilař das 2:1 in der Nachspielzeit ermöglichte, sorgten für die erste Überraschung. Ausgerechnet Pilař! Der Flügeldribbler hatte bei der EM in Polen stark aufgespielt. Nach seinem anschließenden Wechsel zum VfL Wolfsburg erlitt er einen Kreuzbandriss und wurde durch weitere Verletzungen aus der Bahn geworfen.
Im Monat darauf waren die Tschechen in der Türkei zu Gast. Die Hausherren standen nach der überraschend klaren Auftaktniederlage in Island bereits unter Druck. Die Tschechen glichen einen frühen Rückstand postwendend durch Sivok aus. In der zweiten Halbzeit dominierten zwar Arda Turan und Co., die drei Punkte nahmen aber die Tschechen dank Dočkal mit nach Hause. Ein anschließender 4:2-Auswärtserfolg in Kasachstan sorgte für die perfekte Ausbeute aus den ersten drei Begegnungen.

Die Mannschaft:
Neben den Routiniers Petr Čech, der im Tor immer noch eine Bank ist, und Tomáš Rosický sowie einer erfahrenen Abwehrreihe besteht das tschechische Team vermehrt aus nachrückenden und in der Heimat spielenden Profis.
Vor Čech vertraut Coach Pavel Vrba in der Innenverteidigung auf Michal Kadlec (29, Ex-Leverkusen) und Tomáš Sivok (31, Besiktas). Links verteidigt mit David Limberský (31, Plzeň) ein weiterer Veteran. Alle drei waren bereits 2012 EM-Fahrer. Rechtsverteidiger Pavel Kadeřábek ist hingegen vergleichsweise unerfahren. Der offensivstarke 22-jährige von Sparta Praha hat Bremens Theodor Gebre Selassie und František Rajtoral auf die Bank verdrängt und überzeugt vor allem durch starke Flankenläufe. Gegen die Türkei bereitete er das Siegtor vor und gegen Kasachstan leitete er einen weiteren Treffer ein. Da Limberský angeschlagen ist, könnte ihn Kadlec gegen Island außen ersetzen und dafür Václav Procházka (30, Plzeň) innen einspringen. Schwächen zeigten die Tschechen bisher in der Luft. Alle vier Gegentore in der Quali fielen entweder durch Kopfbälle oder nach Standardsituationen.
Die Doppelsechs besetzten zuletzt der schussstarke Vladimír Darida, der bei Freiburg immer besser in Fahrt kommt, und Lukáš Vácha, der wie die meisten Topspieler in der Tschechischen Republik beim Ligaprimus Sparta Praha unter Vertrag steht. Als Alternative stehen Tomáš Hořava (Plzeň) und der erfahrene Jaroslav Plašil (Bordeaux) bereit.
Die zentrale Rolle in der offensiven Dreierreihe nimmt weiterhin der mittlerweile 34-jährige Kapitän Tomáš Rosický ein. Im Fokus stehen aber andere. Über links kommt Ladislav Krejčí (22, Sparta Praha), dessen Standards gefährlich sind. Die rechte Bahn ist das Revier des Shootingstars Bořek Dočkal. Gegen die Niederlande gelang dem 26-jährigen mit einer herrlichen Direktabnahme das 1:0. In İstanbul erzielte er den entscheidenden Treffer und in Kasachstan trug er sich erneut in die Torschützenliste ein. Der bereits erwähnte Pilař (26, Plzeň) ist eine starke Alternative.
Im Sturm erlebt David Lafata (33, natürlich Sparta Praha) seinen zweiten Frühling. Der unbequeme Stoßstürmer traf in dieser Saison für seinen Klub in Europa in zehn Spielen 13-mal! Auch im Nationaldress spielt er eine wichtige Rolle. Er traf gegen Kasachstan und legte gegen die Niederlande einen Treffer auf. Talent Matěj Vydra gilt als sein erster Vertreter.

Die isländische Nationalelf:
Die Vorgeschichte:
Ein unbeschriebenes Blatt ist Islands Nationalteam längst nicht mehr. In der abgelaufenen WM-Quali marschierten die „Eismänner“ bis in die Play-offs, in denen Kroatien noch zu stark war. Ihre anschließende Testspielserie verlief nicht wunschgemäß. Einem 1:3 in Wales und einem 1:1 gegen Österreich folgte ein nur wenig überzeugendes 1:0 über Estland.

Die bisherige Quali:
Doch rechtzeitig zum Auftakt der Qualifikation waren die Isländer wieder auf der Höhe. Mit einem 3:0-Sieg über die Türkei ließen sie europaweit aufhorchen. Im darauffolgenden Monat zeigten die Nordmänner, dass sie auch eine eher defensiv orientierte Mannschaft knacken können. In Riga behielten sie mit 3:0 gegen Lettland die Oberhand. Kapitän Aron Einar Gunnarsson durfte dabei im 46. Einsatz sein erstes Länderspieltor bejubeln.
Es folgte das Gastspiel der angeschlagenen Niederländer  – und Island nutzte die Gunst der Stunde. Nach der frühen Führung durch einen Elfmeter von Gylfi Þór Sigurðsson zeigten die Schützlinge des Schweden Lars Lagerbäck eine sehr konzentrierte Vorstellung in der Defensive. Noch vor der Pause legten sie das 2:0 nach, ließen in Halbzeit 2 jedoch zahlreiche Konterchancen ungenutzt. Da das Team aber hinten gegen die Robbens, van Persies und Huntelaars weiterhin nichts anbrennen ließ, blieb es beim 2:0. Selbst der Liveticker des Pay-TV-Senders Sky lobte die Leistung der Mannschaft euphorisch: „Get your money on Iceland to win Euro 2016. It is on!“
Insbesondere die Ruhe am Ball beeindruckt. Waren die Spieler in den Play-offs gegen Kroatien noch sehr nervös und fahrig aufgetreten, so war davon in den jüngsten Spielen nicht zu verspüren. Das Umschaltspiel funktioniert im Stile eines europäischen Spitzenteams. An diesem Gesamteindruck ändert die jüngste 1:3-Niederlage in Belgien nichts, bei der am Mittwoch zahlreiche Spieler aus der zweiten Reihe zum Zug kamen.

Die Mannschaft:
Personell gab es im noch vergleichsweise jungen Kader seit der WM-Qualifikation wenig Bewegung. Dafür wechselten einige Nationalspieler im Sommer ihren Verein. Torwart Hannes Þór Halldórsson (30, Sandnes Ulf) spielt mittlerweile wie alle Stammkräfte im Ausland, wenngleich „nur“ in der norwegischen Liga. Stürmer Jóhann Berg Guðmundsson (24), momentan nicht erste Wahl im Nationalteam, wechselte zu Charlton Athletic, Alfreð Finnbogason (25) zu San Sebastian.
Starstürmer Kolbeinn Sigþórsson (24, Ajax) hat nach mehreren Verletzungen rechtzeitig zu Quali-Beginn wieder zu alter Stärke zurückgefunden. Ihn stellt derzeit allerdings Gylfi Þór Sigurðsson (25) in den Schatten. Der alles überragende Ex-Hoffenheimer brilliert als „Achter“, räumt vor der Abwehr ab und ist an fast allen gefährlichen Angriffen beteiligt. Dem Akteur des Premier-League-Klubs Swansea City gelangen gegen die Niederlande ein Doppelpack und je ein Tor gegen die Türkei sowie Lettland – besser geht es kaum.
Zu den Aufsteigern zählt Stürmer Jón Daði Böðvarsson (22, Viking Stavanger). Als zweite Spitze hat er momentan dem weitaus erfahreneren Alfreð Finnbogason den Rang abgelaufen. Er traf gegen die Türkei und lieferte auch gegen die Niederlande eine bärenstarke Leistung ab. Selbst in der Breite ist der Kader der kleinen Nation gut aufgestellt. Neben Alfreð sitzen auf der Bank Jóhann Berg und Flügelflitzer Rúrik Gíslason (26, FC Kopenhagen), der gegen Lettland als Joker traf. Coach Lägerbäck ist und bleibt der Vater des isländischen Erfolgs. Ihm zur Seite steht mittlerweile Heimir Hallgrímsson, der ihn nach seinem Ausstieg 2016 beerben soll.

Tschechien vs Island (Grafik: kickschuh.wordpress.com)

Wie es einem Spitzenspiel gebührt, waren die 11.000 Karten für das Spiel schnell vergriffen. Wer weiß, vielleicht treffen sich beide Teams ja in eineinhalb Jahren wieder … in Frankreich … bei der EM-Endrunde.