Wenn es nach dem Willen der Spanier gegangen wäre, dann würde die DFB-Elf am Freitag vielleicht auf San Marino, Andorra oder Liechtenstein treffen, mit Sicherheit aber nicht auf Gibraltar. 16 Jahre lang hatte es der spanische Fußballverband verstanden, die britische Kolonie aus der UEFA herauszuhalten. Doch Gibraltars Fußballer ließen nicht locker und drehten dem großen Nachbarn eine lange Nase.
24. Mai 2013: Ganz Fußball-Deutschland fiebert dem Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund entgegen. In Gibraltar war das schon längst kein Thema mehr. Bereits einen Tag zuvor, hatte die britische Kolonie ihren ganz eigenen Champions-League-Triumph errungen. Auf dem 37. ordentlichen UEFA-Kongress hatten die Südeuropäer in London die vollständige Mitgliedschaft in der europäischen Fußballfamilie erlangt. Hinter den „englischen Spaniern“ lagen Jahre des vergeblichen Anrennens. 1997 hatten sie einen Aufnahmeantrag an den Weltfußballverband FIFA gestellt. Der verwies die Südeuropäer zunächst an den für sie zuständigen Kontinentalverband, die UEFA. Und damit begannen die sportpolitischen Ränkespiele.
Noone likes us, we don’t care
Den Spaniern war der kleine britische Vorposten vor der eigenen Haustür schon immer ein Dorn im Auge. Mit der Aufnahme in internationale Sportverbände würde der ärgerliche Status Quo noch offenkundiger werden, als er ohnehin schon ist. Die Spanier ließen ihren Einfluss bei der UEFA spielen und – welch Wunder – 2001 änderte der europäische Fußballverband seine Aufnahmekriterien: „Mitglieder der UEFA können europäische Verbände werden, die in einem Land, das ein von der UNO anerkannter, unabhänginger Staat ist, ihren Sitz haben (…)“ Die britische Kolonie war somit raus, ohne jemals drinnen gewesen zu sein. Und mit ihnen gleich noch die Basken und Katalanen, für den Fall, dass sie dem Beispiel Gibraltars hätten folgen wollen. Sportpolitik at its best! Die UEFA hatte jedoch die Rechnung ohne den internationalen Sportgerichtshof CAS gemacht, der einer Klage Gibraltars statt gab und dessen Aufnahme in die UEFA befürwortete. Nachdem diese Sichtweise bei Europas Fußballverbänden nicht verfing, bestätigte der CAS 2006 sein erstes Urteil. Der angepasste Artikel 5 dürfe nicht auf Gibraltar angewendet werden! Der Grund: Sie hätten schon in den 1990ern um Aufnahme gebeten und folglich müsse nach den damals geltenden Regeln entschieden werden. Nochmals ließ Spanien seine Muskeln spielen und drohte vor der Aufnahmeabstimmung im Januar 2007 mit dem Rückzug seiner Klubteams und Nationalteams von internationalen Wettbewerben. So stimmten lediglich die britischen „Bruderverbände“ Schottland, Wales und England für Gibraltars Ansinnen. Die anderen Verbände zeigten dem Aufnahmewilligen die kalte Schulter. Doch der Außenseiter steckte nicht auf. Getreu dem Motto „Noone likes us, we don’t care“, beharrten die Gibraltarer auf der CAS-Rechtsprechung, die 2011 nochmals bestätigt wurde. Nun konnte die UEFA das Urteil nicht mehr ignorieren. Spanien musste klein beigeben und die anderen Fußballverbände wollten dann mal nicht so sein. Im Mai 2013 wurden die Fußballer vom Affenfelsen UEFA-Mitglied Nummer 54 und Jogi Löw sah sich mit einem weiteren ungeliebten „Kleinen“ konfrontiert, der keinen sportlichen Gradmesser darstellt.
Klein, winzig, Gibraltar
Und tatsächlich ergab die Auslosung der EM-Qualifikationsgruppen, dass Gibraltar auf Deutschland trifft … wenngleich auf Umwegen. Zunächst war Gibraltar ausgerechnet der spanischen Gruppe zugelost worden. Da sich Spanien aber nicht die Blöße geben will, offiziell gegen Gibraltar anzutreten, beschied die UEFA schon im Vorfeld, dass die beiden nicht gegeneinander spielen. Gibraltar geht somit als der 91. Kontrahent in die über 100-jährige Länderspielgeschichte des DFB ein. Es ist der kleinste Gegner, auf den der DFB je traf. Selbst San Marino, die Färöer und Liechtenstein weisen mehr als die 30.000 Einwohner auf, über die Gibraltar verfügt. Das wäre so, also ob Oer-Erkenschwick plötzlich eine Nationalelf aufbieten würde. Doch in Gibraltar spielt der Fußball eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das einzige britische Überseegebiet in Europa darf immerhin zwei Ligen mit 22 Teams ihr Eigen nennen. Auf so viele Klubs kommen Liechtenstein und San Marino gerade einmal zusammen. Dennoch wird Gibraltar dem amtierenden Weltmeister sportlich keine Rätsel aufgeben. Die Novizen gerieten schon gegen Irland und Polen mit jeweils 0:7 unter die Räder. Kein Wunder bei einem Team, das kaum professionelle Kicker aufbieten kann.
Englische Profis mit Vorfahren aus Gibraltar
Es sei denn, es finden sich ein paar englische Profis mit familiärer Bande nach Gibraltar. Wie Danny Higginbotham. Der Verteidiger spielte für Manchester United, Derby County, den Southampton FC, den AFC Sunderland und zuletzt Stoke City über 200-mal in der Premier League. Da traf es sich gut, dass seine Großmutter aus Gibraltar stammt und obendrein noch sein Onkel Allen Bula die junge Nationalelf trainiert. Blöd nur, dass er nach den ersten drei offiziellen Länderspielen Anfang 2014 seine Kickschuhe an den Nagel hing. So sticht aus dem aktuellen Kader nur noch Innenverteidiger Scott Wiseman heraus, dessen Mutter in Gibraltar auf die Welt kam. Der 28-jährige spielt aktuell für Preston North End in der 3. Liga und kann auf mehr als 100 Einsätze in der 2. Liga verweisen. Zudem ist er ehemaliger Juniorennationalspieler … Englands wohlgemerkt.
Zielsetzung: Play-off-Teilnahme
Die Zielsetzung Gibraltars ist klar: So schnell wie möglich zu punkten. Denn ihnen soll es nicht so ergehen wie San Marino oder Andorra, die bislang alle EM-Qualifikationsspiele verloren. Coach Bula formulierte nach der Auslosung gegenüber der BBC gar das Ziel die Play-offs zu erreichen (siehe hier). Dazu müssen sie Gruppendritter werden. Bei 0 Punkten und 0:17 Toren aus den ersten drei Spielen eine utopische Zielsetzung. Gibraltars Fußballern kann man also eines nicht nachsagen, sie hätten einen Minderwertigkeitskomplex.
Ist Nordirland nicht auch britisches Überseegebiet in Europa? 😉
Und was ist mit Bielefeld und Paderborn?!?
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