Die Lilien sehen rot … und gewinnen

Lilienfahne (Quelle: M.Kneifl)Der SV Darmstadt 98 gegen RB Leipzig. Zum dritten Mal begegneten sich gestern Nachmittag die beiden Klubs binnen Jahresfrist. Jedes Mal als Tabellennachbarn, jedes Mal zählten sie zu den Top4 der Liga. Ein Spitzenspiel also. Vor der Begegnung sahen die Darmstädter im wahrsten Sinne des Wortes rot und behielten am Ende gegen die Leipziger erstmals die Oberhand. 

Die Ausgangssituation
Die beiden Aufsteiger halten sich beharrlich in der Spitzengruppe der 2. Bundesliga. Die als sicherer Absteiger gewerteten „Lilien“ werden nach wie vor von der Aufstiegseuphorie und einem starken Kollektiv getragen. RB durfte aufgrund seiner Ambitionen in den oberen Tabellenregionen erwartet werden. Beide Klubs präsentieren sich äußerst heimstark und punkten auswärts zuverlässig, wenngleich auf deutlich niedrigerem Niveau als im eigenen Stadion.

Das Überthema
Natürlich der Brausesponsor der Leipziger. Das Engagement des österreichischen Geldgebers polarisiert die deutsche Fußballfanszene wie kein zweites Thema. Auch die aktiven Lilienfans machten bereits im vergangenen Jahr deutlich, dass sie wenig von dem „Projekt“ halten, einen Verein aufzukaufen und mit reichlich Geld in die Bundesliga zu führen. Am ersten Spieltag warfen die Fans aus Protest gegen RB während des Spiels Klopapierrollen auf den Rasen und sorgten so für eine Spielunterbrechung. Der DFB halste dem Verein dafür kürzlich eine Strafe von 4.000 Euro auf, die die aktiven Fans umgehend selbst bezahlten. Vor dem Spiel gab es deshalb reichlich Spendeneimer, um das Bußgeld auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Beim Einmarsch der beiden Teams zeigten die Fans von Neuem ihre Aversion gegen RB und hielten tausende rote Papierbögen in die Höhe. Ganz nach dem Motto „Zeigt Red Bull die rote Karte“. Das Böllenfalltor leuchtete also für einige Minuten in einem unüblichen Rot. Zudem waren Stadiongänger mit Kaiserslautern-Schals, Dresden-Schals, Stuttgart-Schals und Lok Leipzig-T-Shirts zu sehen. Ein Schulterschluss gegen den ungeliebten Kontrahenten?

Die Aufstellungen
Im Vergleich zu den beiden Duellen in Liga 3 warteten beide Teams mit neuen Gesichtern auf. Auf Darmstädter Seite haben sich Romain Brégerie, Tobias Kempe, Florian Jungwirth und Christian Mathenia sowie Fabian Holland ins Team gespielt. Leipzig hat mit Marvin Compper und Rani Khedira Qualität hinzugewonnen. Terrence Boyd kam nach längerer Verletzung zu seinem Startelfdebüt für RB. Fabio Coltorti im Tor, der resolute Tim Sebastian sowie Georg Teigl davor und eben Compper verfügen über reichlich Erstligaerfahrung. Khedira und Kapitän Dominik Kaiser haben ebenfalls bereits oben reingeschnuppert. Stürmer Yussuf Poulsen und Boyd sind oder waren Nationalspieler für Dänemark bzw. die USA.
Die Lilien holten sich mit den Neuzugängen Brégerie, Kempe und Jungwirth Zweitligaerfahrung ins Haus. Alle drei haben sich ohne Umschweife in die Stammelf gespielt. Gegen RB fehlten die Aufstiegshelden Marco Sailer und Jérome Gondorf angeschlagen bzw. erkrankt. Ansonsten boten die Lilien eine gewohnt homogene, aggressive und lauffreudige Truppe auf.

Das Spiel
Darmstadt startete bei Kaiserwetter wie die Feuerwehr. Nach fünf Minuten verzeichneten die Statistiker bereits die dritte Einschusschance … und die saß. Flügelflitzer Marcel Heller überlief die Abwehr und flankte in deren Rücken, wo Dominik Stroh-Engel in aller Ruhe platziert einnicken konnte. Erneut profitierte er von der mustergültigen Vorarbeit seiner Mitspieler, die ihm zudem durch ihre Laufwege den notwendigen Raum verschaffen. Nach dem 1:0 konnten sich die 98er das Spiel ganz nach ihrem Geschmack zurechtlegen. Sie verteidigten äußerst diszipliniert und zweikampfstark. Hielten die Leipziger von ihrem Tor fern und fabrizierten außer in der Schlussphase keine Fouls in Strafraumnähe, die den Scharfschützen Dominik Kaiser in Position gebracht hätten. Nach Ballgewinn hielten sich die Südhessen nicht mit langen Ballstafetten auf. Der Ball wurde – wie gewohnt – schnellstmöglich vors gegnerische Tor gebracht. Über die gesamten 90 Minuten verloren die Blau-Weißen nie den Zugriff aufs Spielgeschehen.
Leipzig war nach dem frühen Rückstand gefordert und hatte zunehmend die größeren Spielanteile, ohne sich jedoch entscheidend vors Tor spielen zu können. Dennoch wurde Leipzigs Spielphilosophie deutlich, die darauf ausgelegt ist, dem Spiel den eigenen Stempel aufzudrücken. Das Spielerpersonal ist dafür zweifelsohne vorhanden. Die Leipziger pressen aggressiv und stehen hoch, weshalb lange Bälle auf die Flügel ein probates Mittel der Darmstädter waren. Poulsen zeigte im Offensivspiel der Leipziger, dass die 2. Liga für ihn eigentlich eine Nummer zu klein ist. Kopfballstark, technisch versiert, dynamisch im Antritt und keinem Zweikampf abgeneigt, müsste sein Weg zwangsläufig in die Bundesliga oder eine andere europäische Eliteklasse führen. Konsequenterweise hatte er die größte Chance der Ostdeutschen, die Torhüter Mathenia furchtlos mit dem Kopf entschärfte. Auch Joshua Kimmich, der eigentlich geschont werden sollte, deutete nach seiner Einwechslung an, dass er über großes Potential verfügt. Der erst 19-jährige legt bereits eine selbstbewusste Körpersprache an den Tag und überzeugt am Ball und mit seinem Einsatzwillen. Die Leipziger bissen sich letztlich an der unbequemen Spielweise der Lilien die Zähne aus. So entschied wie bei den beiden Aufeinandertreffen in der vergangenen Saison ein Tor die Partie. Erstmals zugunsten der 98er.

Die Auffälligkeiten
Der Lauf der Lilien geht weiter. Sechs Zu-Null-Siege in sieben Heimspielen machen sie für den Moment zum heimstärksten Team der Liga. In elf der 13 Saisonspiele gingen die Darmstädter in Führung und punkteten hernach immer. Torjäger Dominik Stroh-Engel kann in dieser Saison offensichtlich nur Serien. Fünf Toren in den ersten fünf Spielen folgten fünf Spiele ohne jeglichen Torerfolg. Nun traf er in den letzten drei Begegnungen erneut je einmal. Die Leipziger erzielten in den letzten sechs Spielen lediglich einen Sieg, hatten es aber auch überwiegend mit den besserplatzierten Teams der Liga zu tun. Dass der ein oder andere Leipzig-Fan an der Niederlage zu knabbern hatte, zeigte sich nach dem Spiel. Zumindest ein Anhänger hatte sich wohl so sehr im Ton vergriffen, dass er vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen wurde. Wie meinte ein Kumpel hernach: Vielleicht ist RB Leipzig ja doch auf dem Weg zu einem ganz normalen Fußballverein.

Der Ausmarsch
Das Umfeld der Lilien ist traditionell umtriebig. Ende der 1990er sangen „Milton Fisher“ die Lilien in den Europapokal, den sie nie auch nur annähernd erreichten. In absehbarer Zeit könnte RB Leipzig tatsächlich international spielen. Gestern begleitete das Lied die heimischen Fans auf ihrem Heimweg aus dem Stadion. Ein formidabler Gassenhauser, vor allem wenn es – wie derzeit – läuft wie geschnitten Brot:

3 Gedanken zu “Die Lilien sehen rot … und gewinnen

  1. Ooooh, wie ist das schön! Habe das legendäre Lilienspiel leider verpasst. Aber meine Ausrede ist die bestestmögliche: Habe den Eff-Zeh in 1899 Hoppenhausen zum Auswärtssieg gesungen. Welch ein Tag!
    Danke für den formidablen Spiel- und Hintergrundbericht, Herr Platzwart!

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