Von Einwanderer- zu Profiklubs: Drei Beispiele aus Schwedens 2. Liga

STD_Schweden-Flagge_481Flüchtlingskrise, Integrationsfrage, Doppelpassdebatte. Die Einwanderung bestimmt die Agenda in Deutschland und führt in der Konsequenz zu nicht für möglich gehaltenen Wahlerfolgen der AfD. Auch in Schweden wird die Zuwanderung zunehmend kritischer diskutiert. Dabei verfügt das Land seit den 1960er Jahren über die liberalste Einwanderungspolitik Europas. Eine Tatsache, die sich auch im Fußball niederschlägt. Zlatan Ibrahimovic und Henrik Larsson, dessen Vater von den Kap Verden stammt, sind die herausragenden schwedischen Spieler der letzten Jahrzehnte. Auch auf Vereinsebene hinterlässt die Einwanderung bemerkenswerte Spuren: Drei der aktuell 16 schwedischen Zweitligaklubs wurden von Migranten gegründet: Assyriska FF, Syrianska FC und Dalkurd FF.

UPDATE (28.10.2017): Dalkurd FF hat heute den Aufstieg in die erstklassige Allsvenskan perfekt gemacht, während sich Syrianska FC anschickt Assyriska FF in die 3. Liga zu folgen. Dorthin war Assyriska am Ende der letzten Saison abgestiegen und misst sich dort morgen mit Arameisk-Syrianska, einem weiteren aramäischen Klub.

27. August 2016, Borlänge, Superettan (2. Liga): Der beste Fußballklub der nordschwedischen Stadt empfängt den stärksten Klub aus Södertälje. Nach einer turbulenten Schlussphase besiegt das viertplatzierte Heimteam den Tabellen-13. mit 2:1. So weit so unspektakulär. Doch bei den beiden Teams handelt es sich um alles andere als alltägliche Mannschaften. Da wäre zum einen das Spitzenteam Dalkurd FF, das von kurdischen Migranten gegründet wurde, und zum anderen Syrianska FC, das von aramäischen Einwanderern aus der Taufe gehoben wurde. Das Spitzenteam aus Borlänge hielt dank des 2:1-Erfolgs die Chancen auf den Durchmarsch in die 1. Liga aufrecht. Syrianska muss hingegen auf einem der beiden Relegationsplätze zittern, nicht auf die direkten Abstiegsplätze durchgereicht zu werden. Für einen Klub, der bis 2013 erstklassig war, eine wenig erfreuliche Entwicklung.

Dalkurds 2:1 über Syrianska hielt auch die ein oder andere Unzulänglichkeit bereit

Die aramäischen Teams aus Södertälje
Zu den beiden Migrantenklubs gesellt sich noch ein drittes Team mit ganz ähnlichem Background hinzu: Der aktuelle Tabellen-14. Assyriska FF! Der Klub teilt sich nicht nur Heimatstadt und Stadion mit Syrianska, sondern auch den Ursprung, der in den 1970er Jahren in der aramäischen Community des mittelschwedischen Södertälje liegt. Das Selbstverständnis der beiden Vereine unterschied sich jedoch bei deren Gründungen. Während dem einen nachgesagt wird, sich eher auf das antike Volk der Aramäer zu beziehen, soll für die anderen die christliche Komponente ihrer Herkunft eine größere Rolle gespielt haben. Die beiden Lokalrivalen standen sich in der Woche vor dem Duell zwischen Dalkurd und Syrianska gegenüber und am Ende behielt Syrianska vor über 4.000 Zuschauern mit 1:0 die Oberhand. Damit vergrößerten sich die Abstiegssorgen bei Assyriska, die aktuell direkt hinter ihrem Nachbarn in der Tabelle auf dem zweiten Relegationsplatz rangieren.

Hinweis:
Mehr zur Entstehung und dem Werdegang der beiden aramäischen Klubs könnt ihr meinem Beitrag von Dezember 2012 entnehmen: KLICK. Im Dezember 2015 interviewte ich zudem den Ex-Mainzer Christian Demirtas, der selbst Aramäer ist und für Syrianska FC gespielt hat: KLICK!

Dalkurd FF will in die Allsvenskan
Mit solchen Sorgen muss sich der Emporkömmling der Saison nicht herumärgern. Für Dalkurd FF läuft es wie am Schnürchen. Der kurdischstämmige Klub, der vor der Saison erstmals in die Zweitklassigkeit aufgestiegen war, zeigt in der neuen Spielklasse keinerlei Anpassungsschwierigkeiten. Neun Spieltage vor Schluss beträgt der Rückstand auf einen direkten Aufstiegsplatz gerade einmal vier Zähler. Die Nordschweden haben sich damit zum sportlich erfolgreichsten Einwandererklub Schwedens entwickelt. Und es braucht nicht viel, dann treten sie endgültig in die Fußstapfen ihrer aramäischen Ligarivalen, die beide schon einmal den Parforceritt von der untersten Spielklasse bis in die 1. Liga bewältigt hatten.

Soziale Komponente und rasanter Aufstieg
Als Assyriska 2005 für ein Jahr in der 1. Liga spielte, war Dalkurd gerade mal ein Jahr alt. 2004 gründete unter anderem Ramazan Kizil den Klub, um vorwiegend den kurdischen Jugendlichen Borlänges eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten. Damals hatte die nordschwedische Stadt die höchste Pro-Kopf-Kriminalität des Landes. Drogen- und Gewaltprobleme waren gerade unter den kurdisch-stämmigen Heranwachsenden der Stadt nicht von der Hand zu weisen. Also startete Dalkurd als ein Verein, der sich bis heute um soziale Belange in der Stadt kümmert. So ganz nebenbei begann er einen fußballerischen Erfolg an den anderen zu reihen. Als Initialzündung des Erfolgs wird gerne Adil Kizil, der Sohn des Vereinsmitbegründers, ins Feld geführt. Er wechselte nach der Gründung von Dalkurd FF von Zweitligaaufsteiger IK Brage zu dem neuen Klub, der in der untersten, der achten Spielklasse startete. Danach gab es nur eine Richtung: bergauf. In den ersten vier Jahren holte das ursprünglich überwiegend aus Teenagern bestehende Team stets die Meisterschaft der jeweiligen Spielklasse. Etwas mehr als ein Jahrzehnt später ist Dalkurd im Profifußball angekommen. Und in der Zweitklassigkeit soll noch lange nicht Schluss sein, wie die Verpflichtung von zwei erstligaerfahrenen Schweden und dem vom VfL Bochum bekannten Mirkan Aydin verdeutlicht.

Ersatz-Nationalelf
Ähnlich wie die beiden aramäischen Klubs verfügt Dalkurd über eine große Strahlkraft in die Herkunftsgebiete ihrer Vereinsgründer und in die Diaspora, wohin es viele Aramäer und Kurden verschlagen hat. Dalkurd vereint inzwischen über eine Million Follower bei Facebook auf sich (einen umfassenden Beitrag zu Dalkurd veröffentlichte Ende 2015 die Internetseite Vice Sports: KLICK). Seit 2009 übernimmt ein offizieller Fan-Verband den Support des kurdischen Klubs, der als eine Art Sehnsuchtsort für viele kurdische oder kurdisch-stämmige Anhänger beschrieben wird. So kommt der Klub – wie seine aramäischen Kontrahenten – dem Status einer Nationalmannschaft nahe, denn Kurden – wie auch die Aramäer – verfügen über keinen eigenständigen Staat.

Engagement im Nahen Osten …
Trotz dieser großen Rolle, die die Klubs einnehmen, dominieren in ihnen schon längst nicht mehr Aramäer oder Kurden. Dalkurd hat es sogar von Anfang an zu seiner Politik erhoben, allen Ethnien offen zu stehen. Mit Peshraw Azizi ist immerhin der aktuelle Mannschaftskapitän Kurde (und bei Syrianska ausgebildet worden). Er ist im Nordirak geboren, wohin er regelmäßig zurückkehrt, um am dortigen Wiederaufbau mitzuwirken. Dalkurd organisiert immer wieder Spenden- und Hilfsaktionen für die kurdische Bevölkerung im Nahen Osten. Es existieren auch Gedankenspiele mithilfe kurdischstämmiger Investoren eine Fußballakademie im Nordirak zu etablieren.

… und in Borlänge
Doch auch in Borlänge engagiert sich der Verein nach wie vor stark im gesellschaftlichen Leben. Er bietet Jugendmannschaften und Tanzgruppen ein zuhause. Bei sogenannten Nachtspaziergängen werden Jugendliche auf der Straße angesprochen, ob sie nicht zum Training kommen wollen. Spieler und Verantwortliche engagieren sich als Schülerhilfen und halten Vorträge an Schulen, in denen sie den Jugendlichen vor Augen führen, wie wichtig ein Schulabschluss ist. Dem Verein angegliedert ist ein eigenes Komitee, das sich für soziale Zwecke in der Stadt engagiert und das neben Ramazan Kizil vollständig aus ethnischen Schweden besteht. Das zeigt, dass Dalkurd nicht nur für Kurden eine große Rolle spielt, sondern auch im sozialen und gesellschaftlichen Leben der gesamten Stadt angekommen ist. All dies macht Dalkurd zum Vorzeigeverein, der sich anschickt bald auch erstklassig Fußball zu spielen.

Der Traum des Mitbegründers
Ramazan Kizil will sogar noch weiter. Sein Traum ist es, einmal mit Dalkurd FF im Europapokal zu spielen und sich mit einem Klub aus der Türkei messen zu dürfen. Mit einem Fußballverein, für den es dann fernab aller Politik hoffentlich kein Problem sein würde in den kurdischen Farben im Stadion aufzulaufen. Bislang ist dies nur ein Wunsch. Im schwedischen Zweitligafußball sind der kurdische Klub und die zwei aramäischen Vereine hingegen schon zur Normalität geworden.

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