Emre Can: Der schwierige Weg eines Bayern-Talents

Wenn heute Abend der FC Bayern die Borussia aus Dortmund zum Pokalkracher empfängt, wird Emre Can aller Voraussicht nach auf der Tribüne Platz nehmen. Der 19-jährige Jungprofi verfügt über grandiose Anlagen, allerdings ist im Starensemble der Bayern (noch) kein Durchkommen für den Mittelfeldakteur, der die deutsche U17-Auswahl 2011 bei der WM in Mexiko als Kapitän ins Halbfinale führte. Der bisherige Leistungsnachweis seiner ersten Profisaison – zwei Einsätze im DFB-Pokal – belegt den steinigen Weg vom Bayern-Talent zum vollwertigen Profi.

Can erhielt 2011 die Fritz-Walter-Medaille in Gold. Er wurde damit zum vielversprechendsten Talent seines Jahrgangs gewählt und trat in die Fußstapfen eines Mario Götze, der zwei Jahre zuvor die Auszeichnung der U17-Junioren erhalten hatte. Cans Weg in den Profifußball schien also vorgezeichnet. Sein Verein Bayern München sah das ganz ähnlich. In der vergangenen Saison spielte Can durchweg in Bayerns Zweitvertretung in der viertklassigen Regionalliga Süd. Und das obwohl er streng genommen gerade einmal dem jüngeren A-Jugend-Jahrgang angehörte. Nachdem er Ende Februar 2012 bereits zweimal zum Profikader der Bayern gehörte, teilte der Verein einen Monat später mit, dass Can ab Sommer 2012 mit einem Profivertrag ausgestattet würde.

Überangebot an Top-Konkurrenten und … 
Die aktuelle Saison ließ sich gut an. Im Endspiel um den Ligapokal stand er Anfang August gegen Borussia Dortmund in der Startelf. Dabei agierte er ebenso wie wenige Tage später im ersten DFB-Pokalspiel auf der für ihn ungewohnten Linksverteidigerposition. Can war anzumerken, dass er einen gewissen Respekt vor der ihm anvertrauten Aufgabe hatte, dennoch verrichtete er seinen Dienst zuverlässig. In den ersten vier Bundesligaspielen zählte er genauso wie im ersten Champions-League-Spiel zum Kader, ohne allerdings eingewechselt zu werden. Seine anschließende „Rückversetzung“ in Bayerns 2. Mannschaft war die logische Konsequenz, denn die Bayern hatten nach der strapaziösen EURO im Sommer wieder nahezu alle Nationalspieler an Bord.  Die 40-Millionen-Euro-Verpflichtung Javi Martínez tat ihr Übriges, um Can fürs Erste ins zweite Glied zu rücken. Gerade auf seiner Position im defensiven Mittelfeld verfügen die Bayern mit Bastian Schweinsteiger, Luiz Gustavo, Anatoliy Tymoshchuk und eben Martinez fast schon über ein Überangebot an herausragenden Profis.

… Verletzungspech
Ende Oktober durfte Can immerhin noch einmal in die Profielf zurückkehren und dieses Mal sogar auf seiner angestammten Position im defensiven Mittelfeld. Im DFB-Pokalspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern spielte er über 90 Minuten an der Seite von Tymoshchuk. Eine weitere Annäherung an die erste Elf verhinderte wenige Tage später ein Bänderriss im Sprunggelenk, der ihn das Fußballjahr vorzeitig beenden ließ. In der Rückrunde kam er bisher noch nicht zum Zug. Auch nicht am vergangenen Spieltag, als eine – für bayerische Verhältnisse – B-Elf gegen Werder Bremen antrat. Auch heute wird er im Pokal-Kracher gegen Dortmund keine Hoffnung auf einen Einsatz haben, da die Bayern alles daran setzen werden, ihre Bundesliga-Dominanz im Pokal zu unterstreichen, gerade gegen Dortmund! So verwundert es nicht, dass Can schon im Winter mit Wechsel- oder Ausleihgeschäften in Verbindung gebracht wurde. Bayer Leverkusen soll ernsthaftes Interesse geäußert haben. Doch die Vereinsführung blockte ab und Trainer Jupp Heynckes legte ebenfalls sein Veto ein.

Erfolgreiche Vorbilder: Badstuber, Müller, Alaba, Kroos und Lahm
Denn noch hat Can ausreichend Zeit, um sich zu entwickeln. Auch Holger Badstuber und Thomas Müller, die letzten Shootingstars aus dem Bayern-Nachwuchs, brauchten ein Jahr des Übergangs zwischen Jugend und Erwachsenenbereich, ehe sie in der Profimannschaft Fuß fassen konnten. Freilich profitierten sie von Trainer Louis van Gaal, der traditionell keinerlei Hemmungen zeigt junge Spieler in seine Mannschaften einzubauen. Dies beweist er derzeit in der niederländischen Nationalelf, in der er den Altersschnitt ordentlich nach unten korrigiert. Und wer weiß, vielleicht fördert mit Pep Guardiola der nächste Bayern-Coach ebenfalls die eigene Jugend? Bei Barca hat er dies durchaus getan. Mit Toni Kroos und David Alaba hatten in der jüngeren Vergangenheit zwei weitere Jungstars des FC Bayern mit dem Wechsel vom Junioren- zur Profikader zu kämpfen. Beide wählten den Umweg über Ausleihen nach Leverkusen, bzw. Hoffenheim, um gestärkt zurückzukehren und heute zum unverzichtbaren Stamminventar der Bayern zu zählen. Philipp Lahm wählte vor einem Jahrzehnt ebenfalls erfolgreich den Weg der Ausleihe, damals zum VfB Stuttgart.

„Auswärtige“ Bayern-Spieler 
Eine weitere Ausleihe tut den Bayern allerdings heute noch insgeheim weh. Nationalverteidiger Mats Hummels wurde vor fünf Jahren als 19-jähriger zum heutigen Pokalgegner Dortmund verliehen und anderthalb Jahre später verkauft. Seinerzeit war Dortmund noch kein Gegner auf Augenhöhe. In den vergangenen beiden Jahren ärgerten die Schwarz-Gelben die Bayern jedoch zur Genüge. Hummels‘ Beispiel zeigt allerdings, dass Can, der vor seinem Wechsel zu den Bayern in der Jugend von Eintracht Frankfurt spielte, durchaus bei anderen Bundesligaklubs gute Chancen hätte zu einem wertvollen Spieler aufzusteigen. Neben Hummels spielen heute noch neun weitere Spieler in der Bundesliga (Mehmet Ekici, Andreas Ottl, Markus Feulner, Stephan Fürstner, Max Grün, Stefano Celozzi, Michael Rensing, Georg Niedermeier, Sebastian Langkamp), die bei den Bayern im letzten A-Jugend-Jahrgang kickten. Zusammen mit den neun Eigengewächsen im aktuellen Bayern-Kader stehen derzeit 19 Absolventen der Bayern-Jugend bei Bundesliga-Klubs unter Vertrag.

Anzahl der Bundesliga-Spieler, die aus der A-Jugend folgender Vereine stammen (Tabelle: M.Kneifl)

Anzahl der Spieler aus den Kadern aller aktuellen Bundesligaklubs, die aus der A-Jugend der aufgeführten Vereine stammen. (Stand: 26.02.2013, Datenbasis: http://www.transfermarkt.de)

Schalke vorne, Hoffenheim hinten
Diese Quote wird lediglich von zwei weiteren Bundesligisten getoppt: vom FC Schalke 04 mit 23 und vom VfB Stuttgart mit 22 ehemaligen A-Juniorenspielern. Bei beiden fällt auf, dass sie zahlreiche Torleute (Schalke: u.a. Manuel Neuer, Mohamed Amsif, Ralf Fährmann, Christofer Heimeroth, Christian Wetklo, Patrick Rakovsky, VfB: u.a. Timo Hildebrand, Bernd Leno, Markus Miller, Sven Ullreich, Marc Ziegler) hervorgebracht haben. Der heutige Gegner Dortmund rangiert mit elf ehemaligen A-Junioren im Mittelfeld. Die Ur-Dortmunder Kevin Großkreutz und Marco Reus zählen allerdings gar nicht zu den elf Spielern, da sie in der A-Jugend für Rot Weiss Ahlen auf Torejagd gingen. Das Ende dieser Rangliste ziert 1899 Hoffenheim. Lediglich Marco Terrazzino zog von der eigenen A-Jugend in die Bundesliga hinaus, er spielt allerdings gerade für den SC Freiburg. Wahrlich (noch) kein Ruhmesblatt für den selbsterklärten Ausbildungsverein, der noch nicht einmal im eigenen Kader über einen Spieler aus der eigenen Jugend verfügt.