Der kommende Doppelspieltag läutet die zweite Hälfte der WM-Qualifikation in Europa ein. Eine Mannschaft, die sich anschickt die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen, ist die belgische. Punktgleich mit Kroatien führen die „Roten Teufel“ die Gruppe A an. Der Abstand zum Drittplatzierten Serbien beträgt bereits passable sechs Punkte. Am Freitag und Dienstag müssen die Belgier gegen die Auswahl Mazedoniens ran. Zwei Siege und eines der verheißungsvollsten europäischen Nationalteams käme der WM-Endrunde in Brasilien einen großen Schritt näher. Der ersten für den Beneluxstaat seit 2002.
Atlético Madrid, Manchester City, Zenit St. Petersburg, Chelsea FC, Ajax Amsterdam, Tottenham Hotspur, Bayern München, Arsenal FC, Everton FC. Die Vereine der belgischen Nationalspieler lesen sich wie das Who is Who des europäischen Klubfußballs. Und die allermeisten Kicker spielen in ihren Teams tatsächlich eine bedeutsame Rolle. Nicht die schlechteste Voraussetzung, um sich endlich einmal wieder für eine WM zu qualifizieren. Da das Gros der belgischen Auswahlspieler zwischen 19 und 25 Jahren jung ist, darf sich Belgien auf Jahre hinaus über eine schlagkräftige Nationalelf freuen. Mit dem Trainer der Auswahl, der Schalker Legende Marc Wilmots, scheint der richtige Coach am Ruder zu sein, um seinen Hochbegabten das richtige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, stand er doch schon als Spieler für Geradlinigkeit und Leidenschaft, Disziplin und Willen.
Belgische Talente wagen früh den Schritt ins Ausland
Ein Blick auf den belgischen Kader bringt einen unweigerlich zu der Erkenntnis, dass der Fußballgott in den vergangenen Jahren Belgien bei der Verteilung außergewöhnlicher Talente überaus großzügig bedacht hat. Doch auch der Verband hat einiges investiert, um endlich wieder in die Erfolgsspur zu kommen. Die verbesserte Jugendförderung zahlt sich langsam aus. Darüber hinaus wagten viele der aktuellen Nationalspieler bereits als Jugendliche den Schritt ins benachbarte Ausland. Jan Vertonghen (25) und Thomas Vermaelen (27) wechselten als 18-jährige in die Kaderschmiede von Ajax Amsterdam. Toby Alderweireld (24) ging diesen Weg bereits als 15-jähriger. Eden Hazard (22) und Kevin Mirallas (25) wechselten im Alter von 14 bzw. 16 Jahren zum französischen Erstligisten OSC Lille. Selbst, wenn sie dem Juniorenalter bereits entwachsen waren, landeten viele Nationalspieler mit 19 oder 20 in großen Ligen. Marouane Fellaini (25) ging 2008 mit 20 zu Everton und wuchs dort rasch zur Identifikationsfigur der Fans heran. Christian Benteke (22) landete im vergangenen Sommer mit 21 bei Aston Villa und gilt ein Dreivierteljahr später aufgrund seiner zuverlässigen Trefferquote bereits als Lebensversicherung des abstiegsgefährdeten Klubs. Vor allem der Chelsea FC scheint ein Faible für junge belgische Talente zu haben. Hazard wechselte im vergangenen Sommer mit 21 Jahren als bereits gestandener Profi zum Londoner Verein. Romelo Lukaku (19) kam 2011 mit 18 zu Chelsea, ist derzeit allerdings an Ligakonkurrent West Bromwich Albion ausgeliehen. Kevin de Bruyne (21) besitzt seit er 20 ist ein Arbeitspapier bei den Londonern, spielt derzeit aber leihweise bei Werder Bremen. Ebenfalls anderswo sammelt Belgiens Nationaltorhüter Thibaut Courtois Spielpraxis. Der gerade einmal 20-jährige Ausnahmekeeper wurde von Chelsea direkt nach seiner Verpflichtung vor zwei Jahren bei Atlético Madrid „geparkt“, mit denen er prompt die Europa League gewann.
Exportschlager in der Premier League
Auch andere englische Klubs haben offenkundig Gefallen an Gastarbeitern aus Belgien gefunden. Eingangs erwähnte Vertonghen und Vermaelen hat es mittlerweile von Ajax zu Tottenham, bzw. Arsenal verschlagen. Vicent Kompany führte Manchester City im vergangenen Sommer als 25-jähriger Kapitän zur ersten Meisterschaft nach 45 Jahren. Mirallas hat sich Fellaini bei Everton angeschlossen und Moussa Dembélé (25) agiert neben Vertonghen beim aufstrebendem Tottenham. Fakt ist, Belgien verfügt mittlerweile über ein starkes 12-köpfiges Kontingent in der Premier League. Abgesehen von traditionell zahlreich vertretenen Schotten, Iren und Walisern entsenden lediglich Frankreich, Spanien, Brasilien und die Niederlande mehr Spieler in die Premier League. Insbesondere Hazard, Benteke, Fellaini und Lukaku machten in dieser Saison nachhaltig auf sich aufmerksam. Die vier Nationalspieler waren bis dato an 70 Toren beteiligt.
Stammkräfte in der bisherigen Quali
Axel Witsel (24) spielt zwar bei keinem englischen Topklub, er ließ im vergangenen Sommer dennoch europaweit aufhorchen. Auf den letzten Drücker löste ihn Zenit St. Petersburg für kolportierte 40 Millionen Euro bei Benfica Lissabon aus. Der 24-jährige Mittelfeldakteur gehört zu den absoluten Fixpunkten im belgischen Spiel und fehlte in den bisherigen vier Qualispielen keine Minute. Weitere Stammspieler waren in der Qualifikation der derzeit verletzte Kompany, Vertonghen und Vermaelen in der Abwehr sowie Courtois im Tor. Dieser kompakte Defensivverbund, der noch von Dembélé und eben Witsel im Mittelfeld unterstützt wird, ließ in vier Qualispielen erst ein Gegentor zu. Vorne zählen Hazard, Benteke und der Topvorbereiter der niederländischen Eredivisie Dries Mertens (25, PSV Eindhoven) zu den bevorzugten Spielern von Wilmots. Zuletzt stürmte auch Nacer Chadli (23, Twente Enschede) gegen Serbien und Schottland über die volle Distanz. Mit Spielern wie Fellaini oder Lukaku in der Hinterhand, die bisher nicht wie erwartet zum Zuge kamen, verfügt Belgien inzwischen über zahlreiche Optionen, die den meisten europäischen Kontrahenten Rätsel aufgeben können. Zudem ist der Kader in jedem Mannschaftsteil gleichmäßig stark besetzt. Kein Wunder, dass bei so viel Potential die alten Haudegen und Bundesliga-Profis Daniel van Buyten (Bayern Müchen) und Timmy Simmons (1. FC Nürnberg) nur noch auf der Bank sitzen.
Spielphilosophie und -system
Bei so viel Qualität im Kader erscheint es logisch, dass Nationalcoach Wilmots eine eigene Spielphilosophie verfolgt. Gegenüber fifa.com sprach er im vergangenen Herbst davon, dass „wir unser Spiel durchsetzen“ wollen. Seine Spieler sollen keine Angst haben und sich „nicht kleiner als unser Gegner fühlen“. Er spricht davon ein gutes Spiel aufzuziehen, in Bewegung zu sein, Torchancen zu kreieren, ohne dabei naiv zu sein. Diese Marschroute und seine Art kamen beim Team offensichtlich derart gut an, dass sich die Mannschaft im Juni 2012 wünschte, er solle nach einer kurzen Interimsphase vollständig die Verantwortung für die Nationalelf tragen. Dass er – nach eigenem Bekunden – im attraktiven 4-3-3 spielen lässt, macht er am Spielermaterial fest, das ihm zur Verfügung steht. Er wolle seine Spieler in kein Korsett zwängen, sondern sie dort einsetzen, wo sie sich am wohlsten fühlen und dieselben taktischen Vorgaben erfüllen, wie in ihrem Klub. Die bisherigen Qualispiele zeigen, dass er auswärts vom 4-3-3 abrückt und vielmehr eine zentrale Sturmspitze aufbietet, hinter der ein Fünfermittelfeld mit drei eher offensiv ausgerichteten Spielern und zwei Sechsern agiert.
A Bresil? – Na Brazilië?
Was der jungen belgischen Auswahl noch abgeht, ist die Erfahrung und vielleicht auch die Fokussiertheit und Gier. Zumindest die letzten beiden Eigenschaften dürfte Wilmots seinen Jungs zur Genüge einimpfen. Sollte das belgische Team nicht nur gegen Mazedonien sondern auch im Frühjahr gegen Serbien und Schottland fokussiert und gierig bleiben, dann sind sie auf ihrem Weg nach Brasilien höchstwahrscheinlich nicht aufzuhalten.
Eine Ahnung vom bisherigen Auftreten der jungen belgischen Elf geben die Highlights aus den Spielen gegen Serbien …
… und Schottland