#86 – Weil es den SC Weismain gar nicht gibt

Cover_111-Gründe_#86-SC-WeismainJetzt ist es raus! Mein Buch über die Lilien ist ab sofort bei den (Online-)Buchhändlern eures Vertrauens verfügbar. Deshalb gibt es heute den letzten Appetithappen aus meinem Werk. Darin geht es um ein ganz düsteres Kapitel in der Historie des SVD, bei dem der SC Weismain eine gewisse Rolle spielte. Das zeigt zugleich, was die 98er trotz des aktuellen Höhenfluges für mich sind: eine Schicksalsgemeinschaft!

Bielefeld soll es ja angeblich gar nicht geben. Dass dem nicht so ist, dürfte wohl kaum jemand besser wissen als die Fans des SVD. Die in den 1990er Jahren aus Jux gestartete Verschwörung gegen Bielefeld, hat sich mittlerweile zu einem geflügelten Wort entwickelt. Den Charakter eines geflügelten Worts hat bei allen Fans der Lilien der Name eines ganz bestimmten Klubs. Eines Dorfklubs um genau zu sein: Die Rede ist vom SC Weismain!

Der Sportclub aus dem 5.000 Einwohner zählenden Dorf zwischen Bayreuth und Bamberg stieg 1996 in die Regionalliga Süd auf. Er zählte mithin zu den Konkurrenten des SVD und er sollte im Mai 1998 gehörig Schicksal spielen. Denn am Ende der Saison 1997/98 gehörten die Lilien und Weismain zu den akut abstiegsgefährdeten Teams der dritten Liga. Die Lilien waren schon in der ganzen Saison nicht so recht aus dem Quark gekommen und in der Rückrunde hatte sich die Situation nochmals verschärft. Da halfen selbst die unerwarteten Siege gegen die beiden Klassenbesten nicht. Sei es das legendäre 3:2 in Offenbach, das in diesem Buch im Kapitel über Amaechi Ottiji gewürdigt wird. Sei es ein 2:0-Erfolg über Spitzenreiter Ulm, mit Jung-Coach Ralf Rangnick.

Aufgrund des Rückzugs von Hessen Kassel spielten im Saisonverlauf nur noch 17 Teams um den Auf- beziehungsweise gegen den Abstieg. Das bedeutete zugleich, dass die Lilien am letzten Spieltag spielfrei waren. Die Partie am Bölle gegen Weismain war somit die letzte Begegnung, in der die 98er im Gegensatz zu ihren Kontrahenten punkten konnten.

Was den Zuschauern dann am Nachmittag des 16. Mai 1998 geboten wurde, kann mit Pleiten, Pech und Pannen nur unzureichend beschrieben werden. Das Unheil begann nach 28 Minuten mit dem unberechtigten Platzverweis für SVD-Leistungsträger Oliver Wölki. Eine Tatsache, die das Team weiter verunsicherte. Was dann folgte, grenzte an Slapstick, wie sich alle Dabeigewesenen noch heute erinnern. Unter anderem Lilien-Kapitän Thomas Schmidt in seinem Interview in diesem Buch. Die nach wie vor zu elft spielenden Gäste schoben sich nach dem Seitenwechsel minutenlang den Ball in der eigenen Hälfte zu und scheuten jegliches Risiko. Sie wussten, ein Punkt genügt zum vorzeitigen Klassenerhalt. Die Lilien hatten diese Gewissheit offenbar nicht, denn Darmstadt machte eine Viertelstunde vor Schluss urplötzlich die „Mühle auf“, wie es Gästecoach Kurt Geinzer beschrieb. Es kam, was kommen musste. Weismain nahm das Geschenk der sich öffnenden Lilien an, spielte doch mal nach vorne und setzte zwei Kontertore zum 0:2-Endstand.

Blankes Entsetzen auf den Rängen und dem Platz. Denn: Aufgrund der anderen Ergebnisse hätte dem SVD auch ein Punkt zum Klassenerhalt gereicht! Warum hatten die Spieler plötzlich Harakiri gespielt? Sie waren kurioserweise nicht über das sich zu ihren Gunsten entwickelnde Spiel zwischen dem FC Augsburg und dem Mitkontrahenten SC Neukirchen im Bilde. Lilien-Coach Lothar Buchmann sparte nach dem Abpfiff nicht mit Kritik an seinem Team, dem er gesagt habe, sie „sollen nicht aufmachen“. Den bei den Fans ungemein beliebten Kapitän Thomas Schmidt stellte er gar bloß: „Solange es 0:0 stand, übernehme ich für das Spiel die Verantwortung. Doch dann hat der Libero seine Position verlassen. Die Niederlage geht auf seine Kappe.“ Abwehrspieler Martin Kowalewski berichtete hingegen, Buchmann habe gesagt, sie müssten selbst entscheiden, was zu tun sei. So rannte die verunsicherte Mannschaft orientierungslos ins Verderben. Die Klubleitung schaute sich das unwürdige Schauspiel nicht lange an und entließ Buchmann umgehend.

Es kam, was kommen musste: Am letzten Spieltag überholten der SV Wehen, der VfR Mannheim und der SC Neukirchen den zum Zuschauen verdammten SVD und verdrängten ihn auf den Abstiegsplatz 16. Eine Hoffnung blieb noch. Würden sich die Offenbacher Kickers in den Aufstiegsspielen zur 2. Liga durchsetzen, wären die 98er gerettet. Doch dazu kam es nicht. Somit waren die Lilien an ihrem 100. Geburtstag erstmals nur viertklassig. Der SC Weismain spielte ein weiteres Jahr Regionalliga, bevor er abstieg und seit einer Insolvenz im Jahr 2004 gar nicht mehr existiert. So gesehen können die Lilien-Fans in Anlehnung an die Bielefeld-Verschwörung tatsächlich mit Fug und Recht behaupten, den SC Weismain gibt‘s doch gar nicht.

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