Noch lange werden sich Spieler und Verantwortliche des FC Bayern fragen, wie das gestrige Champions-League-Finale verloren werden konnte. 4:5 nach Elfmeterschießen gegen einen Gegner, der sich so gut wie gar nicht am Spiel beteiligte und eigene Offensivaktionen nur in homöopathischen Dosen startete. Dennoch hat sich nunmehr der Chelsea FC aus London in den Champions-League-Annalen verewigt und wie dieser Erfolg zustande kam, wird schon in wenigen Wochen niemanden mehr interessieren: The winner takes it all!
„Right to play“ stand unter den Trikotnummern auf den Jerseys der Chelsea-Spieler. Für jeden, der dieses Finale am 19. Mai 2012 im Stadion oder am TV erlebt hat, ein schlechter Witz. Die Engländer waren ein in ihren Offensivaktionen selten limitierter Finalist. Eine Grafik, die abbildet, wo sich die einzelnen Spieler während der Partie aufgehalten haben, dürfte eine weitgehend verwaiste Bayern-Hälfte zeigen. Dass Chelsea sich dennoch durchsetzen konnte, ist in erster Linie den Bayern selbst zuzuschreiben, denn sie machten den Sack einfach nicht zu. Sie zeigten mehr Engagement, hatten mehr Ballbesitz, zielten häufiger auf das Tor, erarbeiteten sich eine aberwitzige Anzahl an Eckbällen (20), erzwangen kurz vor Schluss das 1:0 und stehen dennoch mit leeren Händen da. Die Dominanz der besseren Bayern wird so bestenfalls eine Fußnote in der Fußballgeschichte bleiben. Denn wer erinnert sich heute noch daran, dass Bayer Leverkusen vor zehn Jahren Real Madrid in Glasgow verdientermaßen hätte bezwingen müssen. Heute erscheint der schmeichelhafte 2:1-Erfolg der Königlichen von damals nur noch als Ausdruck der Dominanz der „Galaktischen“ um Raúl, Zinedine Zidane und Luís Figo. Quasi als logische Fortsetzung der zuvor errungenen Siege von 1998 und 2000. Wie konnte nun aber den Bayern diese Niederlage widerfahren?
Fehlende Leichtigkeit
Trotz der drückenden Überlegenheit wirkten die Bayern seltsam fahrig, sobald sie sich dem Strafraum der Londoner näherten. Reihenweise ließen die sonst so selbstsicheren Bayern die letzte Konsequenz vor dem Tor vermissen. In schöner Regelmäßigkeit verballerten Mario Gomez, Thomas Müller, Arjen Robben und Toni Kroos selbst aus aussichtsreicher Position. Von 17 Torchancen landeten laut offizieller UEFA-Statistik gerade einmal sieben im Bereich des Kastens von Chelseas-Keeper Petr Cech und selbst die erforderten keine Glanztaten des Tschechen. Unzählige weitere Schüsse wurden von der vielbeinigen Chelsea-Abwehr geblockt. Dem wild entschlossenen Anrennen der Bayern fehlte eine gewisse Leichtigkeit. Das ewig beschworene „Finale dahoam“ entpuppte sich so mit fortlaufendem Spielverlauf immer mehr als Bürde, die Aktionen wirkten immer weniger durchdacht.
Dominanz versus Effizienz
Chelsea freilich schien überhaupt keinen aktiven Matchplan zu verfolgen. Vorne sollte offensichtlich Didier Drogba und hinten Cech helfen, dazwischen wohl der liebe Gott. Kein Wunder, dass Bayerns Abwehrverbund so gut wie nie gefordert war. Angesichts der im DFB-Pokalfinale so fehleranfälligen Defensive verwundert es, dass Chelsea die Problemzone der Bayern in 120 Minuten nie unter Druck setzen wollte. Nach vorne hatten es die Bayern gegen eine sehr massierte Chelsea-Abwehr nicht leicht. Häufig liefen sich die Bayern im Abwehrbollwerk fest. Mit zunehmender Spieldauer suchten insbesondere Robben und Kroos ihr Heil in Distanzschüssen, die jedoch nie ihr Ziel fanden. Gomez hatte in der ersten Hälfte zwei, drei sehr gute Chancen, die auf einem solchen Niveau zwingend verwertet werden müssen. Nach der Halbzeitpause wurde er dann bestens zugedeckt. Kroos wiederum war in seiner Rolle als Nebenmann von Bastian Schweinsteiger auf der Doppelsechs nicht so effektiv und wirkte in seinen Aktionen oft unglücklich. Immerhin bereitete er das Tor durch Thomas Müller sehr schön vor und hätte damit zum Wegbereiter eines Bayern-Erfolgs werden können, wenn, ja wenn nicht sechs Minuten später Didier Drogba zurückgeschlagen hätte. Bezeichnenderweise nach dem ersten und einzigen Eckball, den Juan Mata mustergültig auf den Kopf des an den ersten Pfosten stürmenden Ivorers zirkelte. Ein Musterbeispiel an Effizienz. Die Bayern hingegen brachten das Kunststück fertig aus zwanzig Eckbällen kein einziges Mal Kapital zu schlagen. Erstaunlich bei der individuellen Klasse eines Toni Kroos oder Arjen Robben, dass sie nicht in der Lage waren aus diesen Standardsituationen Gefahr heraufzubeschwören.
Robben hinterlässt Fragezeichen
Apropos Robben. Der Niederländer darf sich einen Gutteil der Niederlage selbst zuschreiben. Nicht nur, dass er den Elfmeter in der Verlängerung versiebte, und das obwohl er schon in der Bundesliga in Dortmund scheiterte und gegen Real Madrid im Halbfinale keinesweg sicher verwandelte. Robben schnappte sich während der 120 Minuten alle ruhenden Bälle auf der rechten Bayernseite und forderte dabei Cech im Kasten der Londoner nie ernsthaft heraus. Vielleicht sollte eine europäische Spitzenmannschaft in der Lage sein, auf eine solche Ineffizienz zu reagieren und auch einmal einen anderen Profi an den Ball lassen. Auch seine mittlerweile hinlänglich bekannten Dribblings nach dem Schema F parallel zum Strafraum mit abschließendem Distanzschuss stellten für den Gegner kein Problem dar. Weniger Egoismus täte dem Bayern-Spiel in dieser Hinsicht gut. Mario Gomez hätte den Elfmeter jedenfalls nicht schlechter schießen können.
Verwaiste linke Seite
Zudem beraubten sich die Bayern einer weiteren spieltaktischen Option, indem sie die Außen nicht effektiv einsetzten. Vor allem auf links machte sich der Ausfall von David Alaba schmerzlich bemerkbar. Diego Contento bekam gar nicht die Chance sich gleichwertig einzubringen. Nach hinten war er nicht gefordert und nach vorne trauten ihm seine Mitspieler offensichtlich nicht über den Weg. So bestand seine Aufgabe darin den Ball nach vorne zu tragen, ihn 25 Meter vor dem Tor bevorzugt an Franck Ribery, Toni Kroos oder Bastian Schweinsteiger weiterzureichen und danach unbemerkt an der Seitenlinie zu verhungern. Als er dennoch einmal gesucht wurde, beschwor seine gefährliche Flanke in der 35. Minute prompt eine Großchance von Thomas Müller herauf.
Schon vor dem Elfmeterschießen verloren
Dass den Bayern der Spielverlauf stark aufs Gemüt geschlagen war, zeigte dann das Elfmeterschießen. Keeper Manuel Neuer musste bereits als dritter Bayern-Schütze antreten, was überdeutlich zeigt, dass kein anderer bereit war Verantwortung zu übernehmen. Prompt versagte anschließend Ivica Olic vom Punkt und auch Schweinsteiger hat seine „Eier“ im Gegensatz zu Madrid nicht rechtzeitig wieder gefunden, wie sein verzögerter Anlauf zeigt. Cech tat ihm nicht den Gefallen sich in eine Ecke zu verabschieden und damit die andere zu öffnen, weshalb Schweinsteiger in seiner Not zu weit nach außen zielte und damit dem Pfosten zu zweifelhaften Ruhm verhalf.
Alles in allem also eine selbstverschuldete Niederlage und die unnötigste seit langem, vor allem unter den günstigen Vorzeichen (Heimspiel, kein übermächtiger Gegner, Führung kurz vor Schluss und im Elfmeterschießen). Daran werden Spieler und Verein noch lange zu knabbern haben. Und wer weiß, wann sie wieder im Finale stehen werden. Es ist schon ungewöhnlich genug, dass es ein Team innerhalb von drei Jahren zweimal ins Finale schafft. Nach dem Erfolg von 2001 mussten die Bayern ganze neun Jahre auf einen erneuten Einzug ins Endspiel der Königsklasse warten. Und dann würde kaum noch jemand von den gestrigen Unglücksraben im Kader der Bayern stehen.
Für alle noch einmal die Tore und das Elfmeterschießen in aller Ausführlichkeit:
Du hast ja so recht. Wenn ich mich schon mal freue, dass ein Bayern-Spieler ein Tor macht, muss die Gegenmannschaft etwas dafür getan haben. Müller hat sich das Tor mehr als Gomez verdient. Warum er danach ausgewechselt wurde, ist mir ein Rätsel. Er hat bis dahin gut nach hinten abgesichert. Und warum sollten die Bayern für verbleibende vier, fünf MInuten die Abwehr mit einem nicht eingespielten Spieler stärken? Tja, und Robben und sein Egoismus ist ja wohl auch ein Trainer-Problem. Zumindest in der Halbzeit hätte er eingreifen müssen. Heynkes ab auf die Sonnenbank.