Kicker-Rangliste vs. Abschlusstabelle

Die Bundesliga-Saison 2011/12 ist Geschichte. Erneut ziert der Schriftzug „BV Borussia Dortmund“ den Rand der Meisterschale, während der 1. FC Köln und der 1.FC Kaiserslautern nach 34 Spieltagen die Eliteklasse verlassen müssen. Die Tabelle lügt ja angeblich nie, doch wie gut oder schlecht spielten die Teams in der abgelaufenen Saison tatsächlich? Wer einen Blick in die kicker-Rangliste wirft, die sich aus der Benotung der Spieler aller Teams zusammensetzt, erhält eine Ahnung davon, welcher Klub besonders überzeugend auftrat und welcher oftmals nur enttäuschte. Stimmt demzufolge die sportliche Leistung der Teams mit dem erreichten Tabellenplatz überein?

Hierzu vergleiche ich nicht einfach die Platzierungen der kicker-Rangliste mit der Abschlusstabelle, das wäre meines Erachtens nicht aussagefähig genug gewesen. Denn wie oft lassen Sieg oder Niederlage ein Team am letzten Spieltag mehrere Plätze gut machen oder einbüßen. Ich habe stattdessen den kicker-Rang eines Teams genommen und nachgesehen, wie viele Punkte der Klub in der Bundesliga errungen hat, der genau auf diesem Platz „finishte“. Nun habe ich die tatsächliche Punktzahl mit der des Teams auf dem eigenen kicker-Rang verglichen, woraus sich eine Differenz ergibt, die ich „Diskrepanzwert“ nenne. (Bsp.: Ein Klub erreicht in der Bundesliga die Endplatzierung 14 mit 40 Punkten. Der kicker-Rang des Klubs beträgt hingegen Platz 10. Das zehntplatzierte Team in der Bundesliga holte 45 Punkte, so dass der Diskrepanzwert 5 Punkte beträgt.) Dass diese Untersuchungsmethode tatsächlich aufschlussreicher ist, zeigen die Beispiele Bayer Leverkusen und 1. FC Nürnberg. Beide beendeten die Saison drei Plätze besser, als dies die kicker-Rangliste nahelegt. Während bei Nürnberg der „Diskrepanzwert“ nur drei Punkte beträgt, ist er bei Leverkusen zehn Punkte. Nürnberg bewegte sich damit eindeutig in der Nähe seiner gezeigten Leistungen (ein Sieg Unterschied), Leverkusen schnitt hingegen viel zu erfolgreich ab. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass sie nächstes Jahr Europa-League spielen, statt donnerstags vor der Glotze zu sitzen.

Bundesliga-Auswertung Saison 2011-12 (Quelle: M. Kneifl)

* Punktdifferenz in der offiziellen Abschlusstabelle zwischen der tatsächlich ereichten Punktzahl und der Punktzahl des Vereins auf dem erreichten kicker-Rang

Mainzer Frust                                                   
Der 1.FSV Mainz 05 müsste sich hingegen schwarz und blau ärgern. Statt die Saison auf Platz 13 abzuschließen, hätte der Karnevalsverein laut kicker-Bewertung Europa entern müssen. Neun Punkte beträgt in seinem Fall der „Diskrepanzwert“. Zwei weitere Vereine weisen beim „Diskrepanzwert“ ebenfalls Auffälligkeiten auf. Der VfL Wolfsburg schnitt mit einer Schere von sechs Punkten besser ab, als dies seine sportlichen Leistungen hergegeben hätten. Gleiches trifft auf den Hamburger SV zu. Und dieser kann sich wahrlich glücklich schätzen; das kicker-Urteil hätte ihn schnurstracks in die Zweitklassigkeit geführt. Die gleichwohl nicht überzeugenden Kölner werden es mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.

Überwiegend leistungsgerechte Tabelle
Trotz dieser Beispiele entsprach die diesjährige Bundesliga-Abschlusstabelle im Großen und Ganzen den gezeigten Leistungen. Meister und Vizemeister sind hier wie dort identisch. Vier weitere Teams der 18er-Liga landen ebenfalls exakt auf den für sie in der kicker-Rangliste vorgesehenen Plätzen. Somit stimmt bei einem Drittel aller Klubs die Einschätzung der wöchentlichen Leistungen durch das altehrwürdige Fachmagazin tatsächlich mit der Endplatzierung nach 34 Spieltagen überein.

Dortmunder Ausnahmestellung
Die momentane Ausnahmestellung der Dortmunder Mannschaft findet ihre Entsprechung in der sehr guten kicker-Durchschnittsnote von 2,95. Damit erreichen die Borussen zum zweiten Mal in Folge einen Notenschnitt von unter 3,0. Ähnliches hatte zuletzt der SV Werder Bremen Mitte der 1980er Jahre erreicht! Der BVB also auf historischer Mission. Die bislang unerreichte Rekordpunktzahl von 81 Punkten unterstreicht dies nachdrücklich.

Ein Erklärungsversuch
Was sagt uns nun der „Diskrepanzwert“? Leverkusen und Mainz platzierten sich am deutlichsten außerhalb der gezeigten Leistungen. Wolfsburg und Hamburg mit Abstrichen. Die beiden „Abweichler“ Mainz und Leverkusen lassen sich womöglich so erklären. Mainz spielte offensichtlich einen attraktiven Fußball oder wusste zumindest als Team zu überzeugen, wenngleich die Ergebnisse nicht immer den gezeigten Leistungen entsprachen. Vielleicht kann dies mit dem Wort „Ergebniskrise“ auf den Punkt gebracht werden. Leverkusen hingegen dürfte vor allem mit einer höheren Erwartungshaltung konfrontiert worden sein. Schließlich waren sie 2011 Vizemeister und starteten in der Champions League. Womöglich haben sie auch weniger glanzvoll, dafür aber effektiver gespielt.

2008 bis 2011: Die unter Wert Geschlagenen
Ein Blick in die vorangegangenen vier Spielzeiten soll helfen, diese Einschätzungen auf die Probe zu stellen (Auswertung, s. Anhang am Ende des Beitrags). Bei durchschnittlich zwei bis drei Teams ist der „Diskrepanzwert“ pro Saison besonders eklatant (mehr als zehn Punkte). Anders als in der jüngsten Saison war Leverkusen in den vorangegangenen Jahren nicht vom Glück begünstigt. Sie platzierten sich regelmäßig zu schlecht. Dasselbe Schicksal teilten einmal die TSG 1899 Hoffenheim und nochmals der 1. FSV Mainz 05. Leverkusen, Hoffenheim und Mainz galten in den jeweiligen Runden als spielstarke Teams, denen es jedoch nicht gelang ihre guten Leistungen über eine ganze Spielzeit zu konservieren. Leverkusen und Hoffenheim spielten 2008/09 eine Hinrunde wie von einem anderen Stern, mussten in der Rückrunde allerdings dem Anfangstempo Tribut zollen. Mainz erging es 2010/11 nach einem Startrekord nicht anders. Dennoch galten alle drei auch dann noch als Teams mit inspirierenden Momenten, als die Punktausbeute nachließ.
Es gibt aber auch die Kategorie „verdienstvolle Absteiger“. Sowohl der 1.FC Nürnberg (2007/08), als auch Hertha BSC (2009/10) stiegen ab, obwohl sie dies gemäß kicker-Leistungsbarometer nie hätten tun dürfen. Eine Spielzeit zuvor hatten sich beide noch ins internationale Geschäft gespielt und gerieten dann in einen 34 Spieltage andauernden Sinkflug. Vielleicht wollten sie den Abstieg mit denselben Mitteln vermeiden, die ihnen zuvor einen Platz unter den Top6 garantiert hatten? Kopflos agierten sie auf diese Weise wohl eher nicht und das scheinten die Spielbeobachter honoriert zu haben.

2008 bis 2011: Besser als erlaubt
Bei den Teams, die 2008 bis 2011 deutlich schlechter bewertet wurden, fällt auf, dass der Hamburger SV fast immer dazugehört. Seit der Saison 2008/09 liegt der „Diskrepanzwert“ der Rothosen zwischen sechs und 13 Punkten, stets zu ihren Gunsten. Schon im letzten Jahr hätten die Hamburger demnach absteigen müssen. Dies kann fast nur mit einer (zu?) hohen Erwartungshaltung an den Bundesliga-Dino erklärt werden. In diesem Jahr bot der HSV allerdings tatsächlich viel zu oft ungenießbare Magerkost. Der FC Bayern München gehört ebenfalls zu den Vereinen, die mit einer hohen Erwartungshaltung bewertet werden. Angesichts seiner Stärke wird er jedoch nie einen deutlichen „Diskrepanzwert“ aufweisen. Dafür schneidet er einfach nie schlecht genug ab. Er wird aber zumeist schlechter bewertet, als er in der Endabrechnung tatsächlich rangiert, erst recht, wenn er nicht Meister wird. Dann schlägt sich die „Enttäuschung“ messbarer nieder.
Eine weitere Gruppe unter den schlechter bewerteten Teams stellen die Mannschaften dar, die für einen „ehrlichen“, aber schmucklosen Fußballstil stehen. Dieser führte sie überraschenderweise direkt ins Titelrennen und letztlich ins internationale Geschäft, wie den FC Schalke 04 (2007/08 und 2009/10) und Hertha BSC (2008/09). Ihnen gelang es offenbar Siege, wenn schon nicht zu erspielen, so doch wenigstens zu erzwingen; „dreckige Siege“ oder Arbeitssiege eben. Und so etwas schlägt sich meines Erachtens in einer nüchterneren Benotung nieder.

Bundesliga-Auswertung 2008 bis 2011 (pdf)