Ukraines Fußball auf der Kippe

Die Ukraine kommt nicht zur Ruhe. Zunächst kulminierten die monatelangen prowestlichen Proteste in der Flucht des Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Dann verleibte sich Russland binnen kürzester Zeit die Krim ein. Die Ereignisse wirken sich massiv auf den ukrainischen Fußball aus, denn schon wollen die beiden Krim-Vereine der Premier Liga den Gang nach Russland antreten. Sollte die Situation auch noch im Osten des Landes eskalieren, droht weiteres Ungemach.

Die ukrainische Liga nahm sich während den Umwälzungen der letzten Wochen Zeit und verschob den Rückrundenstart auf Mitte März. Doch der Aufschub brachte keine Entspannung. Die russische de facto Annexion der Krim führt dazu, dass die beiden Krim-Erstligisten PFK Sevastopol und Tawrija Simferopol die Aufnahme in den russischen Spielbetrieb anstreben. Die ersten Spiele wurden bereits von der Krim verlegt oder abgesagt. Selbst wenn die Staaten der Europäischen Union, deren Fußballverbände die Mehrheit in der UEFA bilden, den Anschluss der Krim nicht anerkennen, der Weg der beiden Klubs dürfte unaufhaltsam nach Russland führen.

Internationale Fußballverbände folgen nicht zwangsläufig der internationalen Politik
Denn die Politik der großen Sportverbände war schon immer gut für eigenwillige Schritte. 1950 nahm die FIFA das autonome – aber nicht eigenständige – Saarland auf, übrigens noch bevor der DFB in den Weltfußball zurückkehren durfte. In den 1950er Jahren konterkarierte der Sport die Bemühungen des Westens die DDR als Staat nicht anzuerkennen, indem er dessen Sportverbänden sukzessive Einlass gewährte. Und zuletzt nahm die UEFA Gibraltar als 54. Mitglied auf, das politisch gar keine Selbständigkeit genießt – sehr zum Unmut Spaniens.

1. Szenario: Verbandswechsel der Krimklubs durch Zustimmung aller Beteiligten
Für den Verbandswechsel eines Vereins aus nicht-sportlichen Gründen gibt es einen prominenten Präzendenzfall: Derry City. Der Klub aus dem nordirischen Londonderry nimmt seit den 1980er Jahren am Spielbetrieb des irischen Fußballverbandes teil. Ursache war der bürgerkriegsähnliche Zustand, die es dem katholischen Verein ab 1972 unmöglich machte weiter gegen nordirische Klubs anzutreten. Hierzu haben aber letztlich alle beteiligten Parteien ihren Segen erteilt, wovon im Falle der Krim momentan nicht auszugehen ist.

2. Szenario: Verbandswechsel durch einen Umzug der Krimklubs
Sollte sich der ukrainische Verband dem Wechsel der Klubs aus Simferopol und Sewastopol wiedersetzen, hätten FIFA und UEFA das letzte Wort. Selbst wenn die internationalen Fußballverbände pro Ukraine entscheiden sollten, stünde beiden Klubs noch ein Hintertürchen offen: ein Umzug! Dies zeigt etwa das Beispiel von Karabakh Stepanakert. Stepanakert liegt im von Armenien besetzten Berg-Karabach, einer Region, die jedoch bis heute auf allen Landkarten Aserbaidschan zugewiesen wird. Als der Spielbetrieb Anfang der 1990er Jahre zum Erliegen kam, wollte Stepanakert am armenischen Ligabetrieb teilnehmen, was die FIFA untersagte. Die Konsequenz: Der Verein siedelte für einige Jahre in die armenische Hauptstadt Eriwan über, zog aber nach einigen Jahren wieder zurück und fristet heute ein Dasein im fußballerischen Niemandsland. Auch der zypriotische Klub Anorthosis Famagusta spielt seit dem Einmarsch türkischer Truppen in Nordzypern nicht mehr in Famagusta, sondern in Larnaka, das südlich der Demarkationslinie in der Republik Zypern liegt.

Wie verhält sich die FIFA gegenüber dem übernächsten WM-Gastgeber?
Ein Wechsel der Fußballklubs von der Krim nach Russland dürfte also nurmehr eine Frage der Zeit sein. Gespannt sein darf man, ob Putin in dieser Angelegenheit geduldig bleibt. Im internationalen Fußball müsste er sich auf die Gesetzmäßigkeiten dieser Parallelwelt einlassen. Sollte er diese ebenso mutwillig ignorieren, wie die Haltung des Westens in der Krimkrise, dann müsste die FIFA einschreiten. Ob sie dies allerdings tun wird, bleibt fraglich. Schließlich hat der russische Fußball nicht erst seit der umstrittenen WM-Vergabe 2018 gezeigt, dass er in der Lage ist an den richtigen Schalthebeln anzusetzen. Praktischerweise sitzt Russlands Sportminister im FIFA-Exekutivkomitee und auch gegenüber der UEFA hat Russland nicht die schlechtesten Karten. Steht doch laut Neue Zürcher Zeitung ein 48-Millionen-Franken schwerer Werbedeal mit dem staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom vor dem Abschluss.

Unsichere Situation beunruhigt ausländische Profis
Dem ukrainischen Fußball könnte indes weiteres Ungemach drohen. Die ausländischen Spieler (siehe gesonderten Beitrag zu den Legionären in Europas Topligen –> Klick) werden aufgrund der turbulenten Verhältnisse zunehmend unruhig. Fünf Legionäre verließen Anfang des Monats den ukrainischen Klub Chernomorets Odessa. Und auch die traditionell große Südamerika-Fraktion bei Shaktar Donetsk dürfte derzeit alles andere als entspannt sein. Dies hat bereits der junge Brasilianer Bernard (21) durchblicken lassen, als er Anfang März mit seiner Nationalmannschaft in Südafrika weilte. Er war im vergangenen Sommer zu Shaktar gewechselt und gilt ohnehin als sicherer Kandidat für einen Wechsel zu einem westlichen Topklub.

Instabile Ostukraine
Der ukrainische Fußball muss ebenfalls befürchten, dass sich die Lage im Russland zugewandten Osten der Ukraine jederzeit zuspitzen kann. Mitte März kam es in Kharkiv bereits zu einer Schießerei zwischen prorussischen und proukrainischen Demonstranten, die zu zwei Toten führte. Sollten sich weitere bewaffnete Scharmützel ereignen, könnte Russland erneut als Schutzmacht für die russischen Ukrainer auftreten und die mehrheitlich russischsprachige Ostukraine in ihrer Hinwendung nach Russland bestärken. Der qualitative Aderlass für Ukraines Fußball wäre bei einem solchen Szenario enorm. Immerhin kommen mit Shakhtar Donetsk, Dnipro Dnipropetrowsk und Metalist Kharkiv drei der vier besten Teams aus dieser Region. Insgesamt sind neun der 16 Erstligisten der Krim oder der prorussischen Ostukraine zuzurechnen und fünf der 16 Zweitligisten.

Aufteilung der ukrainischen Profiklubs nach regionaler Zugehörigkeit

Ostukrainische Klubbesitzer zeigen kein prorussisches Interesse
Doch ob sich die von Oligarchen geführten Spitzenklubs der Ostukraine überhaupt in den sportlichen Wettkampf mit den Klubs der russischen Oligarchen begeben wollen? Der Weg in die lukrative Champions League wäre in Russland jedenfalls deutlich schwerer zu realisieren. Zudem scheinen die ukrainischen Klubbesitzer noch aus einem anderen Grund gar kein Interesse an einem Verlassen der Ukraine zu haben. Dies liegt an der traditionell engen Verzahnung von Politik und Fußball. Laut des sehr gut informierten und lesenswerten Blogs futbolgrad.com würden die Oligarchen bei einem Anschluss an Russland ihren politischen Einfluss verlieren. Zuletzt habe die ukrainische Übergangsregierung mehreren Besitzern von Fußballklubs Gouverneursposten angeboten. Dnipros Eigentümer Ihor Kolomoysky hat jedenfalls mittlerweile den Gouverneursposten in der Dnjepr-Region angenommen. Auch Metalists früherem (und vielleicht wieder zukünftigem) Eigentümer Oleksandr Yaroslavsky sei der Posten für die Region um Kharkiv angeboten worden. Rinat Akhmetov, Eigentümer von Shaktar, habe es hingegen abgelehnt, die Donetsk umgebende Donbas-Region anzuführen. Er habe sich aber deutlich zur Integrität des ukrainischen Territoriums bekannt.

Fußballer bekennen sich ebenfalls zur Ukraine
Und laut futbolgrad.com halten auch die Fußballer zur Ukraine. Einige Auswahlspieler, der mehrheitlich russischsprachigen ukrainischen Nationalelf, hatten sich in der Vergangenheit zu den prowestlichen Protesten auf dem Maidan bekannt. Zuletzt taten sich vor allem Yevhen Konoplyanka (Dnipro) und Yaroslav Rakitskiy (Shakhtar) auf twitter hervor und äußerten sich kritisch zur russischen Krim-Politik. Sollte Russland aber nochmals seine Muskeln spielen lassen, bliebe der ukrainischen Politik wie dem ukrainischen Fußball wohl nur die Rolle eines Spielballs.