Nach zwei Bundesliga-Spieltagen ist die Euphorie rund ums Bölle nach wie vor groß. Viele Fans der 98er kneifen sich weiterhin ungläubig, dass ihr Klub wieder auf der großen Bundesliga-Bühne mitkickt. Wenn sie sich dann noch vor Augen führen, dass die großen Erzrivalen aus Kassel und Offenbach den jüngsten Aufschwung maßgeblich ermöglicht haben, dann ist der Wohlfühlfaktor komplett. Womit wir bei Grund 46 meines in Kürze erscheinenden Lilien-Buches sind:
Was wäre ein Fußballverein ohne seine Erzrivalen? Sie sind das Salz in der Suppe. Sie gilt es zu überflügeln. Sie garantieren gut besuchte Spiele und oftmals hitzige Duelle. Dementsprechend wird auf den Tribünen jedes Aufeinandertreffen herbeigesehnt und die Schmähgesänge besonders inbrünstig zum Besten gegeben. Im Falle des SV 1898 aus Darmstadt gibt es zwei Klubs, mit denen man sich seit Jahrzehnten besonders gerne misst. Da sind zum einen die Kickers aus Offenbach und zum anderen der KSV Hessen aus Kassel. Ausgerechnet diese beiden langjährigen Kontrahenten machten den jüngsten Aufstieg der Darmstädter aus der viertklassigen Regionalliga in die Bundesliga erst möglich. Und das kam so.
16. April 2011: Die drittplatzierten Lilien empfangen am 28. Regionalliga-Spieltag den Spitzenreiter aus Kassel am Böllenfalltor. Die Nordhessen nehmen seit einem halben Jahr den Platz an der Sonne ein und können in Darmstadt einen wichtigen Schritt zum Drittligaaufstieg machen. Nach neun Minuten scheint die Messe vor 8.100 Zuschauern bereits gelesen zu sein. Kassel führt 2:0. Doch dann kommt eine Szene, die alles dreht. Kassels Kapitän Enrico Gaede unterbindet einen Darmstädter Angriff in der 16. Minute slapstickartig mit der Hand und sieht glatt rot. Darmstadt wittert Morgenluft und dreht die Partie mit drei Toren nach der Pause. Den frenetisch gefeierten Siegtreffer stochert Ex-Profi Abdelaziz Ahanfouf zwei Minuten vor Schluss über die Linie. Von da an läuft alles für die Lilien. Sie gewinnen die restlichen sechs Begegnungen, Kassel verlässt den Platz nur noch zweimal als Sieger. Aufstieg in Liga 3, Darmstadt ist dabei. Ein Klub, der in den Jahren zuvor gerade so den Gang in die fünfte Liga vermieden hatte.
Die Fans sind aus dem Häuschen. Nach fast zwei Jahrzehnten erleben sie aufgrund der mittlerweile eingeführten eingleisigen 3. Liga endlich wieder Profifußball am Bölle. Eine Saison lang verkaufen sich die 98er recht gut und können den Nichtabstieg frühzeitig klar machen. Doch in der Spielzeit 2012/13 will wenig zusammengehen. Coach Kosta Runjaic hat das zuvor so feine Händchen für die richtigen Neuzugänge ein wenig verlassen. Verlassen wird er Darmstadt dann selber im September, allerdings auf eigenen Wunsch. Zweitligist MSV Duisburg hat angeklopft. Die Spielzeit entwickelt sich für alle Fans unter seinem Nachfolger Jürgen Seeberger von zäh zu ernüchternd. Dem glücklos agierenden Coach gelingen in zwölf Spielen nur zwei Siege. Einer davon allerdings im eigenen Stadion vor knapp 10.000 Zuschauern gegen den damals ambitionierteren und zuvor in elf Ligaspielen ungeschlagenen Rivalen aus Offenbach. Balsam für die geschundene Seele des 98er-Anhangs.
An der trostlosen Tabellensituation ändert sich unterdessen wenig. Für den Rest der Spielzeit kleben die Lilien förmlich auf den Abstiegsplätzen fest. Auch der mittlerweile engagierte Trainer Dirk Schuster ändert daran wenig, selbst wenn die Lilien jetzt defensiv deutlich stabiler stehen. Unter seiner Regie kommen noch fünf der insgesamt acht Liliensiege der gesamten Spielzeit zustande. Darunter erneut ein Sieg gegen den Kontrahenten aus dem Frankfurter Osten. Mit dem verdienten 2:0 am viertletzten Spieltag senden die Lilien noch einmal so etwas wie ein Lebenszeichen aus und springen auf Rang 18 in der 20er Liga. Doch auch nach dem letzten Spieltag stehen die Blau-Weißen immer noch auf dem ersten Abstiegsrang. Ein Pünktchen vor dem SV Babelsberg 03. Am Böllenfalltor macht sich Wehmut breit. Nach nur zwei Spielzeiten verabschieden sich die Lilien schon wieder von der nationalen Fußball-Landkarte. Immerhin hatte man zweimal gegen den OFC die Oberhand behalten.
Diese Siege sollten Gold wert sein. Denn die Offenbacher hatten sich verzockt. Sie können eine Finanzlücke von zwei Millionen Euro nicht schließen und erhalten Anfang Juni 2013 keine Lizenz vom Deutschen Fußball-Bund. Der Profiteur sitzt ausgerechnet 35 Kilometer weiter südlich und freut sich über den unverhofften Klassenverbleib. Hätten die Offenbacher gegen die Lilien auch nur einmal Unentschieden gespielt, wären die Darmstädter hinter die Babelsberger zurückgefallen und hätten nicht mehr vom Lizenzentzug profitieren können. So öffnete letztlich Kassel die Tür zur 3. Liga und Offenbach ermöglichte den anschließenden Aufstieg in die 2. Bundesliga. Wohl dem, der solche Erzrivalen hat.
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