25. Mai 2013: Borussia Dortmund spielt im Wembley-Stadion gegen die Bayern um die Krone im europäischen Vereinsfußball. An diesem Tag lag der Drittliga-Abstieg der Lilien gerade einmal eine Woche zurück. Glückliche Umstände und ein wahnwitziger Höhenflug führen nun dazu, dass sich die beiden Teams keine drei Jahre später am Böllenfalltor im Bundesliga-Spielbetrieb messen. Football, bloody hell! Neben der Einstimmung auf das Highlight-Spiel am Bölle, spreche ich mit Journalist Stefan, der bei ‚YellowWallPod‘ mitwirkt.
So sieht’s aus:
Zwei Minuten plus Nachspielzeit trennten die 98er von einem Dreier bei Werder Bremen, den jeder nur zu gerne mitgenommen hätte. Doch dann kam Claudio Pizarro, der nach einer Ecke das Kopfballduell gegen Florian Jungwirth gewann und den Ball neben den unbesetzten ersten Pfosten platzierte. Letztlich also ein 2:2 , das angesichts der unterschiedlichen Halbzeiten als leistungsgerecht gewertet werden darf.
Nun kommt der große BVB zu einem Flutlichtsspiel ans Böllenfalltor. Würden die Bayern nicht so unfassbar dominant auftreten, die Schwarz-Gelben wären ein heißer Anwärter auf die Meisterschaft. 54 Punkte aus 24 Spielen sind normalerweise titelverdächtig. Die Gäste haben die enttäuschende letzte Saison beeindruckend abgeschüttelt und überzeugen national wie international mit ihrem starken Offensivfußball. Die Dreifachbelastung hat bislang keine Spuren beim stark besetzten Kader von Thomas Tuchel hinterlassen. Die Favoritenrolle am Bölle ist also vergeben. Im Hinspiel überraschten die Lilien dennoch. Zunächst schloss Marcel Heller einen schnell vorgetragenen Gegenangriff mit einem sehenswerten Volleyschuss zum 1:0 ab, und als nach zwei Treffern von Pierre-Emerick Aubameyang jeder dachte, die Verhältnisse seien zurecht gerückt, spielte Aytac Sulu zwei Minuten vor Schluss mit einem trockenen Rechtsschuss den Spielverderber. Ist eine Wiederholung der Überraschung möglich? Unter normalen Umständen sicher nicht. Da ist zum einen die Heimschwäche der Lilien (7 Punkte aus 11 Partien) und zum anderen das Ziel des BVB, vor dem Spitzenspiel gegen die Bayern den Kontakt nicht vollends abreißen zu lassen. Doch wer weiß, die Lilien haben ja schon mehr als einmal in dieser Spielzeit überrascht? Dirk Schuster, bitte übernehmen Sie.
Wir & Die & Die Bundesliga:
Wahrlich Historisches gab es am Böllenfalltor am 07. Oktober 1978 zu bejubeln: Der SV Darmstadt 98 holte sich mit einem 3:2 über Borussia Dortmund seinen ersten Bundesligasieg! Zwar ging der im Tabellenmittelfeld stehende BVB durch Manni Burgsmüller und Ralf Augustin zweimal in Führung, doch die Lilien steckten nicht auf. Uwe Hahn, Jürgen Kalb und Joachim Weber trafen für die Heimelf zum Premierensieg. Nach der Partie gelangten die Borussen nur durch ein Spalier von Polizisten zu ihrem Bus, da die mitgereisten Fans mit der gezeigten Leistung überhaupt nicht einverstanden waren. Durchaus nachvollziehbar, wenn man dem kicker von damals glauben mag:
„Borussia Dortmund war die schwächste Mannschaft, die in dieser Saison ihre Visitenkarte am Böllenfalltor abgab. Erschreckend labil war vor allem die Deckung. (…) Darmstadt 98 (…) griff ständig an, erzielte 12:4 Eckbälle und riß so das Spiel noch aus dem Feuer. Das spricht für die Moral des Tabellenletzten. Den Chancen nach hätte es gut und gern 6:2 heißen müssen.“
Am 03. April 1982 sollten die Borussen die Oberhand behalten. Die auf UEFA-Cup-Kurs liegenden Gäste trafen auf Lilien, die erneut die Rote Laterne hielten und mit Manfred Krafft einen neuen Trainer engagiert hatten. Willi Wagner erzielte nach der Pause per Sonntagsschuss die Führung für den SVD, doch Rüdiger Abramczik, Theo Schneider und Manni Burgsmüller drehten das Spiel. Der kicker sah die Begegnung wie folgt:
„[Die Lilien] hatten alles gegeben, ohne die sonst übliche Hektik, sauber aus der Deckung heraus gespielt, aber Sieger war letztlich die cleverere und routiniertere Elf geblieben. (…) Im Endspurt setzte sich endgültig die reifere und mannschaftlich geschlossenere Borussia durch. Begünstigt wurde sie nach dem 1:1 (…), weil Gerber wegen Verletzung und der wesentlich verbesserte Vorreiter (…) ausgewechselt werden mussten. Damit war die gute Darmstädter Taktik empfindlich gestört.“
Heute vor fünf Jahren:
Rangierten die Lilien in der Regionalliga Süd auf Rang 3 und bereiteten sich auf das bevorstehende Spiel bei Hoffenheim II vor.
Und die Junglilien?
Die mussten am Sonntag in der Bundesliga Süd/Südwest zu einer Art Schicksalsspiel zum 1. FC Saarbrücken. Und was bleibt zu sagen? It’s a shit! Da glich die U19 die Partie auf der Zielgeraden aus, nur um in der 87. Minute das 1:2 zu kassieren. Nahezu eine Duplizität zum Hinspiel, als die Saarländer den Siegtreffer in der 90. Minute erzielten. So kleben die Junglilien mit 13 Punkten auf dem letzten Tabellenplatz fest, lediglich der KSC bleibt mit 14 Punkten in Schlagdistanz. Um den ersten Nichtabstiegsrang streiten derzeit Ingolstadt, Heidenheim und die Eintracht mit 19 Punkten. In den verbleibenden acht Begegnungen müssen die Jungs von Richi Hasa folglich konsequent punkten!
Der Kontrahent hat das Wort:
Stefan (26) begleitet den BVB als Journalist für ESPN FC, betreut die BVB-App der Ruhr-Nachrichten und ist Chefredakteur bei YellowWallPod.
Steffen, was verbirgt sich hinter dem englischsprachigen BVB-Podcast YellowWallPod?
Der YellowWallPod wurde 2012 von Matthias Suuck ins Leben gerufen, der ursprünglich aus Münster stammt aber mittlerweile in den USA residiert. Matthias kam die Idee, da es noch kein Podcast über Borussia Dortmund gab und sich das Format in den USA schon größerer Popularität erfreute als in Deutschland. Dazu kam, dass der BVB sich gerade wieder auf die internationale Ebene hievte.
Mittlerweile schreiben wir zu sechst für die Seite und zeichnen abwechselnd den wöchentlichen Podcast auf. Die Resonanz ist großartig. Wir haben sehr treue Hörer die uns von allen möglichen Flecken der Erde lauschen. Wir freuen uns, jede Woche positives Feedback zu bekommen und die frohe Botschaft in die ganze Welt hinaustragen zu können.
Wie sehr steckt den Fans und dem Verein das letzte schlechte Jahr noch in den Knochen? Oder anders gefragt: Ist die Freude 2016 größer über ein richtiges Spitzenteam zu verfügen als noch 2014?
Ob die Freude größer ist möchte ich gar nicht beurteilen. Fakt ist, die letzte Saison ist schon längst vergessen. Es ist definitiv sehr angenehm zu wissen, dass schon jetzt die Qualifikation für die Champions League so gut wie im Sack ist und man sich unbesorgt den Freuden der Europa League hingeben kann. Spätestens gegen Tottenham wird man erfahren ob der BVB wirklich eine Spitzenmannschaft ist. In der Bundesliga ist sie das und bislang gibt es wenig Zweifel daran, dass sie das in Europa auch ist.
Der BVB hat sich erstaunlich schnell von der Übergestalt Jürgen Klopp emanzipiert, oder?
Allerdings. Echte Liebe heißt auch loslassen können. Nein, im Ernst: der sportliche Erfolg, der direkt unter Tuchel einsetzte, war sicherlich ausschlaggebend dafür, dass der Übergang sehr fließend war.
Was sind für dich die entscheidenden Faktoren, dass es in dieser Saison so gut läuft?
Puh. Achtung, da muss ich weiter ausholen. Unter Klopp hatte sich der Fokus nicht verschoben. So fiel die Emanzipation vom Spiel gegen den Ball hin zum Spiel mit dem Ball aus, auch aufgrund der Verletztenmisere. Tuchel hat es sehr schnell geschafft, seinen überdurchschnittlich talentierten Spielern eine Spielidee mit an die Hand zu geben, die einer Spitzenmannschaft würdig ist. Aus Chaos wurde Kontrolle. Der BVB hatte sich in den letzten Jahren unter Klopp vermehrt schwer getan, tiefstehende Gegner zu knacken. Es wurden einfach zu viele Punkte gegen vermeintlich mittelmäßige Mannschaften liegen gelassen.
Die Neuausrichtung weg vom rigorosen ‘Vollgasfußball’ hin zu einem geduldigeren Angriffsfußball, brachte zunächst die notwendige Stabilität zurück. Einige vermissen sicherlich Klopps spektakuläre Spielweise, aber ich sehe mir gerne an wie Schwarzgelb heute das Bällchen übers Spielfeld laufen lässt, um dann gezielt den Ball in die Lücke zu spielen. Mit der erhöhten Spielkontrolle und ein paar neuen Ideen im Angriffsspiel konnte sich der BVB gegen fast jeden Gegner viele hochwertige Chancen herausspielen. So hat das Team seine oft bemängelte Chancenverwertung verbessert. Als Erkenntnis bleibt, dass Gegenpressing wohl doch nicht der beste Spielmacher ist.
Und manche Spieler blühen unter Tuchel auf …
Spielern wie Henrikh Mkhitaryan, der diese Saison (endlich) richtig explodiert ist, kommt der etwas überlegtere Spielstil sehr entgegen. Tuchel hat es geschafft in kürzester Zeit das geknickte Selbstvertrauen der Spieler aufzurichten und das Potential, welches in seiner Mannschaft steckt, auszuschöpfen.
Nicht außer Acht lassen dürfen wir die ökonomischere Herangehensweise. Borussia Dortmund läuft im Schnitt rund acht Kilometer weniger als noch unter Klopp, was dem BVB gerade in den vielen englischen Wochen sehr zugute kommt. Das ist sicher zugleich ein Faktor, warum Tuchel weniger Verletze beklagen muss.
Ein wichtiger Faktor dafür, dass es seit Jahresbeginn weiterhin gut läuft, ist sicherlich Tuchels Adaption eines etwas defensiveren Fußballs. Trotz der vielgepriesenen Offensive des BVB lag man in der Hinrunde 13-mal 1:0 zurück. Das Hinspiel zwischen Dortmund und Darmstadt mag vielleicht als Paradebeispiel für die mangelnde Absicherung gegen Konter dienen. Auch wenn die meisten Spiele dennoch gewonnen wurden, kann sich kein Verein, der in allen drei Wettbewerben vertreten ist, den Aufwand leisten, ständig das Ergebnis drehen zu müssen. In der Praxis nimmt der BVB meist nur noch einen Außenverteidiger mit nach vorne – vorzugsweise Marcel Schmelzer – um mit mindestens drei Spielern auf der letzten Linie eventuelle Gegenstöße abzufangen. Dies passiert natürlich zur Lasten der Offensive, aber zugunsten von weniger Gegentoren. In der Hinrunde schafften die Dortmunder nur neunmal in 30 Partien ohne Gegentor zu bleiben. 2016 blieb Roman Bürkis Weste in “nur” neun Spielen schon sechsmal weiß. Acht Siege und ein Unentschieden sprechen eine klare Sprache. Tuchel zieht momentan die richtigen Schlüsse.
Ich persönlich schätze solche Spieler wie Gonzalo Castro sehr. Er hatte einen schweren Start bei euch, dann lief es besser. Wieso schaffte er es aber zuletzt mehrmals nicht einmal in den Kader? War sein Wechsel ein Missverständnis?
Gonzalo Castro als Missverständnis zu bezeichnen wäre sehr hart. Die Qualität im Dortmunder Kader ist sehr hoch und da kann es schnell mal vorkommen, dass Spieler auf der Tribüne sitzen, die nicht auf der Höhe ihrer Schaffenskraft sind. Einen lieben Gruß an Shinji Kagawa an dieser Stelle. Nichtsdestotrotz sehe ich Castro als eine absolute Bereicherung. Er kann letzte oder vorletzte Pässe wunderbar gefühlvoll anbringen und wird sich bestimmt auch wieder in die Startelf spielen. Bei Tuchel steht einfach Form über Klasse.
Du hattest das Hinspiel bereits angesprochen. Wie hast Du es gesehen? Die Lilien haben zur Pause 1:0 geführt und kurz vor Schluss noch zum 2:2 ausgeglichen.
Für Dortmund ist es wohl immer noch das Spiel mit dem unnötigsten Punktverlust im Ligabetrieb. Auch wenn schon zwei Tage vorher in der Zeitung stand, dass Marcel Heller mindestens einen macht, hätte man trotz der Sechserkette der Lilien mindestens drei Tore erzielen können – und das 2:2 besser verteidigen müssen. Wieso Mats Hummels nicht richtig in den Zweikampf geht, bleibt mir bis heute in Rätsel. Am Ende wird der Punktverlust wohl nicht weiter tragisch sein, es sei denn die Meisterschaft sollte tatsächlich nochmal zum Leben erweckt werden. Zudem durften sich die Gästefans über einen unverhofften Punkt im Westfalenstadion freuen. Es sei ihnen gegönnt. Hauptsache nicht Schalke.
Der BVB tanzt auf drei Hochzeiten, er ist permanent gefordert. Am Samstag geht es gegen die Bayern, dann kommt Tottenham. Doch davor steht noch ein Kick an einem windigen und nasskalten Mittwochabend gegen unangenehme Lilien an. Der Spaßfaktor könnte größer sein.
Auch wenn ich mich auf ein richtig schönes Drecksspiel am Bölle freue, könnte Tuchel von mir aus – und das ist jetzt nicht gegen Darmstadt gerichtet – mit der A-Jugend antreten. Hauptsache niemand verletzt sich vor den prestigeträchtigen Partien. Auch wenn sich viele Bundesliga-Fans ob der Darmstädter Spielweise grämen, ich finde es insgeheim sehr amüsant wie sich die Lilien durch die Liga gaunern.
Wie geht das Spiel am Bölle aus?
Ich bin ja geneigt auf ein trostloses 2:2 zu tippen wie im Hinspiel, aber die Heimtabelle führt mich dann doch in die Versuchung einen 1:3-Auswärtssieg für die Schwarzgelben hervorzusagen.
Stefan, vielen Dank für den reichhaltigen Einblick, den Du zum BVB gegeben hast.
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