Trommelwirbel: Sechs-Punkte-Spiel! Die Lilien (14.) dürfen am Samstag bei Werder (16.) antreten. Dürfen deshalb, weil sie sich auswärts bislang pudelwohl fühlen. Der Gegner muss das Spiel machen, die 98er empfangen ihn mit einer kompakten Defensive und lauern darauf „Nadelstiche“ zu setzen, wie Dirk Schuster so gerne betont. Wie es derzeit um die Fan-Seele bei Werder bestellt ist, berichtet am Ende meines Vorberichts Werder-Blogger Steffen (hb-people.de).
So sieht’s aus:
Die Bayern präsentierten sich am letzten Spieltag als die erwartet große Nummer. 36 Torschüsse von Robert Lewandowski, Thomas Müller & Co. lassen erahnen, wer mit dem Rücken zur Wand stand. Dass die Bayern aber gestern auch Juve über 60 Minuten zu Statisten degradierten, wertet die Leistung der Lilien eher noch auf. Und die Jungs von Dirk Schuster verkauften ihre Haut wahrlich teuer, spielten gewohnt engagiert und führten gar (letztlich länger als die Bayern über die gesamte Spielzeit betrachtet). Die Taktikexperten von spielverlagerung.de bilanzierten:
„(…) die Darmstädter hatten sich vor der Partie ihre Gedanken gemacht und dem System der Bayern doch einen entsprechenden Prüfstein entgegengestellt. Es war insgesamt ein guter, teils sehr kompakter Auftritt des Aufsteigers beim Meister, auch wenn die Begegnung in der zweiten Halbzeit dann zwangsläufig darauf hinauslaufen musste, dass der überraschende Pausenstand noch gedreht werden würde.“
Die 98er fingen den Ausfall der fünf gesperrten Stammspieler gut auf. Sandro Sirigu (kicker-Note 2,5), einer der Aufstiegshelden aus Liga 3, markierte in seinem allerersten Bundesligaspiel gar einen Scorerpunkt, als er Sandro Wagners 1:0 per Flanke auflegte.
Nun sind die Bayern Schnee von gestern und die 98er haben Werder vor der Brust. Als drittbestes Auswärtsteam fahren sie zum heimschwächsten Klub der Liga. Wie Darmstadt, so konnte Bremen erst einmal zuhause gewinnen (am 30. August 2015 mit 2:1 gegen Mönchengladbach). Pikanterweise siegten die Lilien just im Hinspiel, als Ex-Werder-Stürmer Sandro Wagner das Spiel drehte. Am Samstag ist wieder mit Aytac Sulu, Jerome Gondorf, Peter Niemeyer (der an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt) und Marcel Heller in der Anfangsformation zu rechnen. Kocka Rausch dürfte spätestens als Joker zum Zug kommen. Die eingespielten Mechanismen können also wieder abgerufen werden und vielleicht münden sie ja erneut in einer 1:0-Führung? In neun von elf Auswärtspartien erzielte der SVD jedenfalls das erste Tor. Bei den Liga-Schwergewichten Schalke, Leverkusen, Dortmund und Bayern lautete das Halbzeitergebnis jeweils 1:0 für die blau-weißen Underdogs. Werder bewies im Gegenzug zuletzt gegen Hertha und Hoffenheim Moral und glich Rückstände vor eigenem Publikum aus.
Wir & Die & Die Bundesliga:
Zweimal schauten die Lilien in der Bundesliga bislang bei Werder vorbei. Das erste Gastspiel endete am 25. November 1978 in einem ernüchternden 3:0-Sieg für Bremen. Im Nachbarschaftsduell der Kellerkinder hatten sich die Lilien sicher mehr ausgerechnet, doch Klaus Wunder, Jürgen Röber und Per Röntved stellten die Weichen für Werder auf Sieg. Der kicker sparte danach nicht mit Kritik am SVD:
„Das 3:0 war letztlich noch schmeichelhaft für Darmstadt und dennoch überzeugten die Bremer keineswegs. Sie hatten lediglich das Glück, auf einen Aufsteiger zu treffen, der nach dem 0:1 bereits praktisch das Handtuch warf. (…) Werder blieb erstmals in dieser Saison ohne Gegentor, was ein recht bezeichnendes Licht auf die Angriffsstärke des Aufsteigers wirft. Bis zum Schlusspfiff war kein Darmstädter auszumachen, der den Namen Stürmer wirklich verdiente. Offensichtlich hatte man gehofft, mit einem organisierten Durcheinander die Bremer verwirren zu können, letztlich jedoch wirkte man selbst konfus.“
Das zweite Gastspiel am 13. Februar 1982 geriet ungleich spektakulärer. Ein munterer Schlagabtausch endete beim damaligen Spitzenteam von der Weser 4:4. Peter Cestonaro machte mit drei Toren das Bundesliga-Spiel seines Lebens und wurde folglich vom kicker zum „Mann des Tages“ erklärt. Das Fachmagazin sah dank ihm kaltschnäuzige Lilien:
„Nach einer halben Stunde schien es nur noch um die Höhe des Werder-Sieges zu gehen. Doch der Bruch im zuvor so zwingenden Werder-Spiel kam eine Minute vor dem Pausenpfiff. Der Anschlußtreffer von Cestonaro zum 1:2 stellte nicht nur den Spielverlauf der ersten Hälfte auf den Kopf, er schockte die Bremer auch in einem Maße, daß der Punktgewinn der Hessen letztlich sogar verdient war. (…) Dennoch: Die Wurzel allen Übels lag auch im Bremer Mittelfeld, in dem zu viel marschiert und zu wenig gedeckt wurde. So genügte oft schon ein langer Paß, um den Darmstädtern Möglichkeiten zu eröffnen, wie sie vor allem dann Cestonaro nutzte.“
Ach ja, an diesem Wochenende vor fünf Jahren …
… teilten sich die Lilien in der Regionalliga Süd die Punkte gegen den 1. FC Nürnberg II. Kapitän Boris Kolb traf für den SVD. Bereits wenige Tage zuvor hatten die Lilien unter der Woche in Stuttgart antreten müssen. Die Elf von Kosta Runjaic unterlag bei den Kickers mit 0:1. Es sollte die letzte Niederlage der Regionalliga-Spielzeit bleiben, die im Aufstieg mündete. Für die Schwaben lief damals ein gewisser Jerome Gondorf auf, Trainer am Degerloch war Dirk Schuster. Beide sind seit drei Jahren nicht mehr aus Darmstadt wegzudenken. Der Treffer des Tages fiel übrigens im Anschluss an einen Eckball. Ein Szenario, das man heute eher von den Lilien gewohnt ist.
Und die Junglilien?
Sendeten am vergangenen Sonntag in der U19-Bundesliga Süd/Südwest ein Lebenszeichen aus! Der 2:1-Erfolg gegen die Jungs vom 1. FC Nürnberg kam wohl selbst für die Presseabteilung so unerwartet, dass sie nach Spielende zunächst ein 1:1 twitterte. Den Erfolg im Rücken steht nun ein eminent wichtiges Auswärtsspiel an. Bei der U19 des 1. FC Saarbrücken müssen die Junglilien unbedingt punkten: und zwar dreifach! Die Saarländer stehen auf Platz 11, der den Klassenerhalt bedeutet. Mit einem Sieg würden die Junioren der 98er bis auf zwei Punkte heranrücken.
Die Randnotiz:
Mit Michael Stegmayer (bislang in 2015/16 keine Kadernominierung) befördern die 98er einen langjährigen Profi im Sommer zu ihrem „Oliver Bierhoff“. Der im Team beliebte Kicker soll als Teammanager die Strukturen am Böllenfalltor professionalisieren. Die Bekanntgabe der Personalie löste laut „Stegi“ „einen kleinen Jubelsturm“ bei seinen Mannschaftskameraden aus. Eine schönes Zeichen des Vereins an den Familienvater, der nun Klarheit über die Zeit nach seiner Karriere hat.
Der Kontrahent hat das Wort
Steffen (32), Werderaner seit Geburt, bloggt seit 2013 im Online-Stadtmagazin hb-people.de über seinen Klub.
Steffen, Werder hat in den 2000er-Jahren das Maximum aus seinen Möglichkeiten herausgeholt. Ich erinnere mich noch gerne an die unterhaltsamen Champions-League-Abende. Ab wann hat sich Werder Deines Erachtens aus der Spitzengruppe verabschiedet und warum?
Die Zusammenstellung des Kaders in der Meistersaison 2003/2004 verbunden mit dem damals recht frischen Spielsystem der Raute war für Werder ein Glücksfall, der Auswirkungen bis zum letzten Erreichen der Champions League 2010 hatte. Der Abschied aus der Spitzengruppe erfolgte dann endgültig ab dem Sommer 2010, wobei auch vorher schon oft deutlich wurde, dass Werder mit dem langen Festhalten am gewohnten System vergleichsweise ausrechenbar war, was oft noch durch individuelle Klasse ausgeglichen werden konnte. Ein Grund dafür ist für mich, dass heute insgesamt viel professioneller gearbeitet wird – da war Werder vielleicht ein wenig früher dran und konnte davon eine Zeit lang profitieren. Heute fliegt kein Spieler wie Diego oder Micoud mehr unter den Scouting-Radars der großen Clubs durch und wenn man sich die wachsenden Unterschiede zwischen den finanzstarken und den finanzschwächeren Vereinen ansieht, besteht bei vielen Spielern gar keine Chance mehr, sie nach Bremen zu lotsen.
In dieser Spielzeit seid ihr für mich total schwer einzuschätzen. Ihr dreht das Spiel auf Schalke, ihr holt gegen Hertha den Rückstand auf, ihr gewinnt im Pokal in Gladbach und Leverkusen. Und dann solche Liga-Partien wie gegen Gladbach und in Ingolstadt. Warum mal so und dann das gefühlte Gegenteil?
Das wüssten wir selbst gerne. Vielleicht braucht Werder diese Rolle als Underdog, um über sich hinaus zu wachsen. Aber man darf auch nicht vergessen, dass Schalke zur Pause hoch hätte führen müssen und wir in Leverkusen vom frühen Platzverweis profitiert haben. Was in diesen Spielen gestimmt hat, war die Einstellung, die Bissigkeit beim Kampf um den zweiten Ball und die nötige Zweikampfhärte. Das habe ich in Ingolstadt völlig vermisst und nur das Fehlen von Clemens Fritz kann kein Grund dafür sein, gefühlt jeden Ball hoch über das quasi nicht existente Mittelfeld hinweg nach vorne zu bolzen.
Woran fehlt es der aktuellen Werder-Elf?
Es fehlt defensiv oft die Abstimmung und die eben angesprochene Bissigkeit. Das Tor von Ingolstadt hätte man mehrfach verhindern können, gegen Hoffenheim steht der Torschütze sträflich frei zwischen unseren Verteidigern und in Mönchengladbach hätten wir nur blöder aussehen können, wenn wir die Bälle selbst reingeschossen hätten. Viel schlimmer wiegt aber die fehlende eigene Spielidee. Viel beruht auf Zufällen, spielerische Lösungen kommen ganz selten mal zum Zuge und das macht es gerade gegen die Mannschaften schwer, die selbst eher abwartend agieren. Speziell, wenn wir uns dann früh das obligatorische Gegentor fangen. Am wenigsten Sorgen habe ich im Endeffekt beim Sturm – der macht aus den wenigen wirklich brauchbaren Zuspielen noch eine Menge.
Luca Caldirola ist von Werder an die Lilien ausgeliehen und bezieht sogar noch einen Teil seines Gehalts von Werder. Er war für die Lilien die erhoffte Verstärkung. Warum hat er bei euch keine Rolle mehr gespielt?
Hier hatte er einen guten Start, unter Skripnik war er dann so gut wie raus. Weshalb die beiden nicht gut zusammen passen, kann ich schwer beurteilen. Luca ist auf jeden Fall ein super Typ und bei euch zeigt er genau das, was ihn hier anfangs so wertvoll machte. Ich hoffe sehr, dass wir die Klasse halten und er ab der kommenden Saison wieder viele Spiele für Werder macht. Es ist ja davon auszugehen, dass wir auch in der Innenverteidigung jemanden werden verkaufen müssen.
Das heißt es bestehen finanzielle Zwänge. Wie steht es denn in dieser Hinsicht um Werder?
Bei Werder geistert das Wort „Mehrwertspieler“ immer wieder herum. Gemeint ist damit, dass Werder solche Transfers wie z.B. Vestergaard nicht nur als Verstärkung sieht, sondern auch als Möglichkeit, um ein gutes Geschäft zu machen. Die Last des Stadionumbaus, wegen der WM ohne Bremen als Spielort komplett selbst finanziert, wiegt schwer und daher ist Werder gezwungen, solche Spieler bei entsprechenden Angeboten zu verkaufen. In den letzten Jahren gab es immer ein fettes Minus in der Bilanz, das Eigenkapital ist fast aufgebraucht und die Kosten für den Kader wurden massiv gesenkt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir uns leider immer wieder von unseren besten Spielern trennen und mit Caldirola in der Hinterhand gehe ich davon aus, dass auch in der Innenverteidigung jemand gehen wird im Sommer.
Gibt es etwas, das Dir an den Lilien imponiert?
Imposant ist auf jeden Fall der Weg vom Sommer 2013 bis heute. Damals seid ihr eigentlich weg gewesen aus dem Profifußball und nur wegen der Probleme anderer Vereine als 18. noch in der 3. Liga geblieben. Die Relegation gegen Bielefeld ist wohl jedem noch präsent und der Durchmarsch danach konnte sich auch wirklich sehen lassen. Toll finde ich, dass diese positive Grundstimmung mit in die 1. Liga genommen werden konnte und bislang zu vielen Punkten geführt hat, die ich persönlich Darmstadt so nicht zugetraut hätte. Auch wenn die Fernsehsender da ein wenig zu sehr drauf rumgeritten haben – ich finde es gut, dass auch ein vergleichsweise kleiner Verein mit einem sanierungsbedürftigen Stadion in der 1. Bundesliga spielen kann.
Gegen Bayern fehlten fünf wichtige Lilien-Spieler wegen Gelb-Sperren. Nun kehren sie pünktlich zum Spiel bei euch wieder zurück. Wie wurde der Sachverhalt in der Werder-Fanszene diskutiert.
Das wurde von einigen schon negativ gesehen, aber ich glaube gar nicht, dass sich die Spieler diese Karten absichtlich abgeholt haben. Es ging schließlich am Ende noch um einen Punkt – da spielt doch kein Fußballer absichtlich Foul und nimmt so Zeit von der Uhr. Außerdem kann mir niemand erzählen, dass man als Spieler von Darmstadt nach dem eben aufgezeigten Weg von ganz unten in die Bundesliga nicht besonders von der Partie bei den Bayern träumt. Klar stehen die Chancen da nicht gut, aber ein besonderes Erlebnis ist so ein Spiel trotzdem für jeden Spieler. Hätte ja sogar fast geklappt mit der Überraschung, auch ohne die fünf Stammspieler.
Mit den Lilien trifft eines der stärksten Auswärtsteams auf die heimschwache Werder-Elf. Was lässt dich als Werder-Blogger optimistisch auf das Spiel blicken?
Ehrlich gesagt nach Ingolstadt nicht viel. Hoffnung macht irgendwie noch, dass die Mannschaft an sich die Klasse hat, dieses Spiel zu gewinnen – sie ruft sie nur viel zu selten ab. Außerdem haben Werder-Trainer ein besonderes Talent dafür, die Spiele zu gewinnen, in denen ihr Job ernsthaft auf dem Spiel steht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für Skripnik bei einer Niederlage eng werden könnte, daher müsste nun eigentlich wieder gewonnen werden. Ansonsten muss ich trotz eurer bislang starken Leistungen einfach sagen, dass Werder dieses Spiel gewinnen muss, wenn die Klasse gehalten werden soll. Darmstadt hat einen klug zusammengestellten Kader, ist aber im Vergleich in der Bundeliga eine der Mannschaften, gegen die Punkte geholt werden müssen. Wir haben im Hinspiel schon keine geholt, von daher wird es jetzt Zeit. Wenn nicht, dann können wir uns am Ende der Saison auch nicht beschweren, wenn es in die 2. Liga geht.
Herzlichen Dank, Steffen!
Gerne!
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