Fußball-Deutschland hatte nach dem letzten Spieltag sein großes Aufreger-Thema: Die „Gelbsucht“ am Böllenfalltor! Fünf Lilien-Spieler stornierten gegen Leverkusen ihre Reise zum Duell beim Rekordmeister, indem sie sich ihre fünfte, respektive zehnte Verwarnung abholten. Ob das noch Fairplay sei, wollten die Medien wissen? Sicher, es hat ein Geschmäckle! Aber Dirk Schusters Lilien sind eben geübt darin, die Grenzen des Erlaubten auszuloten, gleichwohl aber nicht zu überschreiten. Reichlich dezimiert geht es nun also nach München. Am Ende meines Vorberichts kommt mit Oliver ein ebenso leidenschaftlicher wie reflektierter Bayern-Fan zu Wort, der sich seit Jahren unter breitnigge.de mit seinem Klub befasst.
So sieht’s aus:
Da war mehr drin! So lautete die einhellige Meinung aller Lilien-Fans am vergangenen Wochenende. Die 98er hatten Leverkusen über weite Strecken des Spiels nicht zur Geltung kommen lassen, jedoch in den entscheidenden Momenten den Zugriff verloren. Dass Dr. Jochen Drees mit zwei „unglücklichen“ Entscheidungen vor dem Ausgleich seine Finger im Spiel hatte, brachte hernach noch viele Fans am Bölle auf die Palme. Am Ende hieß es jedenfalls 1:2 und die Erkenntnis: Viel Aufwand, kein Ertrag, selbst wenn die Lilien spielerische Fortschritte machen.
Nun geht es zu den Bayern, die im Normalfall eine unüberwindliche Hürde darstellen. Dass man das auch in Darmstadt so sieht, zeigt die eingangs erwähnte Tatsache, dass sich alle fünf vorbelasteten Spieler gegen Leverkusen die entscheidende Verwarnung abholten (bislang lag der Topwert lt. kicker bei drei Gelb-Sperren für ein Team). So fehlen sie gegen Bayern, sind im wichtigeren Duell gegen Werder aber wieder an Bord. Klares Kalkül! Das muss man nicht gutheißen, das darf man vielleicht auch nicht gutheißen. Für Darmstadt zählt aber nur der Klassenerhalt und da zählen Punkte gegen einen direkten Kontrahenten bekanntlich doppelt. Und die Chancen stehen zweifelsohne besser, wenn dann alle Korsettstangen an Bord sind: Abwehrchef Aytac Sulu, die Doppelsechs Jerome Gondorf und Peter Niemeyer sowie die Flügelflitzer Marcel Heller und Kocka Rausch. Das heißt zugleich, dass man die Erwartungshaltung im Duell bei den Über-Bayern nicht niedriger schrauben kann. Daraus ergibt sich aber immerhin für einige Aufstiegshelden aus Liga 3 die große Chance, zumindest auf der Bank der 98er Platz zu nehmen. Benjamin Gorka, Sandro Sirigu und Milan Ivana wird es freuen und so erhalten sie ihren verdienten Lohn für das gewiss nicht einfache Dasein in der zweiten Reihe.
Viele Worte über die Bayern zu verlieren ist müßig. In der Bundesliga bleiben sie das Maß aller Dinge und in der Champions League soll die letzte Spielzeit unter Pep Guardiola endlich mit dem Titel veredelt werden. Wäre da nicht diese rätselhafte Verletztenmisere, die die Bayern in der Ära Guardiola wie ein roter Faden durchzieht. Am Samstag verabschiedete sich der bedauernswerte Holger Badstuber mit einer Sprunggelenksfraktur in den wohl bekannten Krankenstand. Gerade in der Defensive sind die Bayern immer wieder gezwungen umzustellen. Angesichts der Qualität des Kaders finden sie national Lösungen. Wird dies allerdings auch international der Fall sein?
Wir & Die & Die Bundesliga:
Zwei Bundesliga-Partien absolvierte der SVD bislang bei den Bayern: am 11. November 1978 und am 23. Januar 1982. Beim ersten Gastspiel trotzten die Lilien als Tabellenletzter den Bayern ein Unentschieden ab. Uwe Hahn zog kurz vor Schluss beherzt aus der Distanz ab und traf unter die Latte. Sepp Maier hatte das Nachsehen, Uwe Hahn hernach die Medaille für das „Tor des Monats“. Seither ist dies keinem weiteren Lilien-Akteur gelungen. Das überraschende Remis der Lilien kam übrigens nur vier Tage nach dem 8:0-Sieg der Bayern bei Ajax Amsterdam zustande. Dort hatte der FCB das Abschiedsspiel der Ajax-Legende Johan Cruyff förmlich aus den Angeln gehoben. Der kicker wertete das Bundesligaduell folgendermaßen:
„Ließ sich Ajax überrennen, so dachten die Darmstädter mit geschickt gestaffelter Abwehr und umsichtiger Vorwärtsverteidigung gar nicht daran, den Münchern Konterchancen zu verschaffen. (…) Die Darmstädter griffen bedächtig an, erarbeiteten sich ihre Chancen über die Flügel, woran sich die Bayern kein Beispiel nehmen mochten. Wer sich taktisch so ungeschickt verhält und so schwankende Leistungen aufweist, kann nicht in den Kreis der Titelanwärter eingereiht werden.“
Im Januar 1982 ließen sich die Bayern dann kein X für ein U mehr vormachen. Souverän besiegte der Tabellenführer die als 13. angereisten Lilien mit 4:1. Nur etwas mehr als 11.000 Zuschauer fanden den Weg ins Olympiastadion und mussten dazu sogar mit einer satten Ermäßigung des Eintrittspreises überredet werden. Der kicker:
„Die Bayern hatten es freilich gar nicht nötig, an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen, dafür bot Darmstadt ganz einfach zu wenig. Besonders in der ersten Halbzeit schienen die Hessen in Ehrfurcht vor dem großen Gegner zu erstarren. So fiel es gar nicht ins Gewicht, daß die Bayern lange Zeit brauchten, um ihre Überlegenheit in Tore umzumünzen.“
Letztlich stellten Klaus Augenthaler (2), Dieter Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge bei einem Gegentor durch Peter Cestonaro den 4:1-Sieg sicher. Paul Breitner erlaubte sich sogar den Luxus, einen Elfer zu verschießen.
Ach ja, an diesem Wochenende vor fünf Jahren …
… startete der SVD mit einem Remis in die zweite Saisonhälfte der Regionalliga Süd. In Pfullendorf … bei Schneefall … vor 690 Zuschauern. Sein Lilien-Debüt gab dabei Torwart Jan Zimmermann, der bis heute einen formidablen Ruf am Bölle genießt. Der Punktgewinn in Pfullendorf reichte aus, um den zweiten Tabellenplatz hinter Hessen Kassel zu behaupten.
Und die Junglilien?
Tja. Puh. Da droht der Zug in der Bundesliga Süd/Südwest ohne die U19 des SVD abzufahren. Die 3:0-Niederlage beim Mitaufsteiger FC Ingolstadt ernüchtert doch sehr. Wenn dann auch noch die U19 des KSC beim Ligaprimus 1860 gewinnt, finden sich die Junglilien ein wenig verlassen am Tabellenende wieder. Der Rückstand auf den rettenden elften Tabellenplatz beträgt bereits sechs Punkte, eingedenk des katastrophalen Torverhältnisses (10:52) sogar sieben. Am Sonntag kommt die U19 aus Nürnberg, die derzeit auf Platz 6 steht.
Der Kontrahent hat das Wort
Oliver ist seit 35 Jahren Bayern-Fan und seit 25 Jahren Mitglied. Im Netz findet er seit über einem Jahrzehnt unter breitnigge.de Gehör, zuletzt mit Kritik an seinem Verein.
Oliver, ein leicht ketzerischer Einstieg: Was ist so toll daran, Fan eines Vereins zu sein, der Titel en masse gewinnt, der immer mal wieder die Liga bis zur Langeweile dominiert und bei dem ein 3. Platz eine Katastrophe ist? Abstiegsgefahr oder Existenzangst kennt ihr doch nicht einmal vom Hörensagen.
Allein die Frage ist schon falsch. Zunächst einmal, weil ich mir in der Tat meinen Verein nicht bewusst ausgesucht habe. Allenfalls hatten in so jungen Jahren unterschwellige Effekte eine Rolle gespielt, mediale Präsenz oder Freundeskreise. Leider waren aber die Bayern Ende der 70er-Jahre gar nicht die erfolgreiche Mannschaft, wie man sie heute kennt. Ich hätte nach dieser – immer wieder herangezogenen Logik – Fan des 1.FC Köln, der Borussia aus Mönchengladbach oder des HSV werden müssen. Dumm gelaufen also, was Deine Fragestellung betrifft. Davon abgesehen: Für mich sind Nicht-Meisterjahre gar nicht so dramatisch, wie man denken mag. Spätestens seit dem Triple 2013 bin ich noch ein wenig entspannter als zuvor geworden.
Für einen Lilien-Fan ist es mitunter schwer nachvollziehbar, wie pessimistisch ihr Bayern-Fans euch untereinander über Twitter austauscht. Selbst die Deutsche Meisterschaft schien zuletzt akut gefährdet. Warum?
Es ist eine Frage der Erwartungshaltung und Fallhöhe. Ist man als Verein wie jetzt Bayern München über einen so langen Zeitraum so erfolgreich – im Grunde und in der Dichte gar erfolgreicher als in den sogenannten „goldenen 70er-Jahren“ – dann kann durchaus eine gewisse Gewöhnung eintreten. Ist dies erst einmal passiert, sind die Verlustängste irgendwann sehr groß. Das ist meine Theorie dazu.
Als die Bayern Ende Mai 2013 die Champions League gewannen, waren die Lilien gerade sportlich in die Regionalliga abgestiegen. Die beiden Klubs trennten also vor zweieinhalb Jahren Welten, ach was Galaxien. Wie hast Du die Entwicklung der Lilien verfolgt?
Nun, ich bin alt genug, dass ich mich noch erinnern kann, Darmstadt 98 in der Bundesliga spielen gesehen zu haben. Also vor ihrem Abstieg aus der Bundesliga in den 80er-Jahren. Von daher werde ich aufmerksam, wenn ich derlei altvertraute Namen höre. Wobei dies ebenfalls für Vereine wie den FC Homburg, 1.FC Saarbrücken oder den Wuppertaler SV gilt. Die Aufmerksamkeit stieg dann wieder spürbar mit der Relegation gegen Bielefeld und dem damit verbundenen Aufstieg in die 2.Bundesliga. Wie viel dramatischer könnte das Comeback eines Klubs für die Beobachter des Bundesliga-Fußballs sein?
Ihr habt das wichtige Spiel gegen Juve vor der Brust. Zunächst kommt es zum Duell gegen die zähen, aber auch reichlich dezimierten Darmstädter. Mit welchem Gefühl gehst Du in das Spiel?
Spontan denke ich mir „Bitte keine neuen Verletzungen“, als zweites kommen mir da natürlich auch die vielen Gelb-Sperren der Lilien in den Sinn. Über diesen … Zufall muss ich schon sehr schmunzeln. Nein, es ist meines Erachtens ein ebenso normales wie schweres Bundesliga-Spiel. Die Anspannung steigt, weil durch unsere Umstände die Entscheidungen um Titel offenbar schneller fallen können als noch in der Winterpause gedacht. Ich hoffe schlicht, dass wir dem größten Ziel der Saison – dem historischen vierten Meistertitel in Folge – so schnell wie möglich näher kommen. Ein Sieg gegen Darmstadt würde da helfen.
Angesichts eurer Verletztenmisere kommt es zunehmend auf die Spieler aus der zweiten Reihe an. Wem traust Du – auch mittelfristig – am ehesten zu, eine Rolle im Team zu spielen.
„Zweite Reihe“ ist so ein Begriff, den es beim aktuellen FC Bayern eigentlich nicht mehr gibt. Derlei Leistungsunterschiede könnten wir uns als Verein mit unserem Anspruch auch gar nicht mehr erlauben. Ich verstehe allerdings den Hintergrund dieser Frage und würde mit Joshua Kimmich antworten wollen. Ohnehin gehört Spielern wie ihm die Zukunft bei den Münchnern. Jetzt kann er sich einfach schon etwas früher beweisen …
Eine Frage zu Pep Guardiola. Sein Wechsel zu Man City überrascht nun wirklich nicht und sei wohl schon länger fix gewesen. Ich habe in Online-Beiträgen der tz und von sport1 gelesen, dass er den Wechsel von Kevin de Bruyne zu Man City befürwortet haben könnte. Das wäre doch ein veritabler Skandal, schließlich ist er Trainer der Bayern.
Dieses Gerücht habe ich bisher noch nicht gehört. Und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Ich bin mir sogar noch nicht einmal sicher, ob de Bruyne für uns und unser System die Verstärkung gewesen wäre, wie man auf den ersten Blick denken könnte. Ich bin insgesamt gespannt, was aus ManCity unter Guardiola wird. Aber Pep ist dann nicht mehr unser Trainer. Und wenn mein Verein gegen seine Mannschaft antritt, will ich, dass Ancelotti ihn „auscoacht“. So einfach ist das.
Du gehörst zu den Bayern-Mitgliedern, die den Klub aufgrund seiner Beziehungen zu Katar scharf kritisieren, wie etwa am vergangenen Sonntag bei „Sport inside“ im WDR. Sei es wegen des Trainingslagers oder der Partnerschaft mit dem Flughafen Doha. Du hast dies zuletzt in einem offenen Brief kundgetan. Was prangerst Du konkret an und wie ist die Resonanz anderer Bayern-Mitglieder und -Fans?
Die Antwort auf diese Frage würde sicherlich den Rahmen sprengen. Ich versuche mich kurz zu fassen: Mich stört der Widerspruch, dass der FC Bayern sich einerseits zu seinem jüdischen Erbe, seinen im Dritten Reich verfolgten und ermordeten Mitgliedern, Spielern und Präsidenten bekennt, andererseits aber Geschäfte mit Ländern wie Katar macht, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhalten und Terrororganisationen wie die Hamas unterstützen. Die sonstigen Zustände in Katar in Bezug auf Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Schutz von Minderheiten oder auch Frauenrechten stehen sicherlich auch nicht gerade im Einklang mit den Vorstellungen von Toleranz und Offenheit, die der FC Bayern ansonsten äußert. Ferner bin ich als Fan und Mitglied – gelinde gesagt – nicht gerade begeistert von der Argumentationskette, die uns der Verein seit den vorletzten Protesten gegen das dortige Trainingslager und das Freundschaftsspiel in Saudi-Arabien Anfang 2015 bis hin zum erneuten Winterpausen-Aufenthalt am Persischen Golf und dem anschließenden Sponsorenvertrag mit dem Airport von Doha vorgelegt hat.
Die Resonanz ist gespalten. Auf der einen Seite viele Unterstützer, die diese Dinge ähnlich sehen wie wir Kritiker, andererseits aber auch Unverständnis, was das überhaupt solle. Der allergrößten, schweigenden Mehrheit der Fans und Mitglieder ist dieses Thema hingegen – so meine Vermutung – schlichtweg egal. Diesen Umstand habe ich sowohl zur Kenntnis zu nehmen als auch zu akzeptieren. Was bleibt mir anderes übrig?
Herzlichen Dank Oliver.
Sehr gerne.
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