Wir sind dann mal weg – Nationalteams auf Abwegen

Der Fußball kennt eine ganz eigenwillige Geographie. Demnach liegen die brasilianischen Nachbarn Suriname und Guyana in der Karibik, Israel ist genauso wie das an China grenzende Kasachstan in Europa zu verorten und Australien ist doch tatsächlich ein Bestandteil Asiens. Wer google maps richtig bedienen kann, weiß, dass dem nicht so ist. Die Fußballverbände der genannten Länder treten in den falschen Kontinentalverbänden an. Weshalb ist dem so? Eine Rundreise:

AUSTRALIEN
Seit 2006 in der Asian Football Confederation (AFC). Zuvor Oceania Football Federation (OFC).
Der Wechsel der australischen „Socceroos“ zur asiatischen AFC hatte primär sportliche Gründe. Australien dominierte den Südsee-Verband, wofür der 31:0-Rekordsieg gegen Amerikanisch-Samoa (11.04.2001) Pate steht. Da der Weltfußballverband FIFA dem OFC-Sieger allerdings keinen festen WM-Platz garantiert, muss er sich in einem zusätzlichen Play-off gegen einen Vertreter anderer Kontinentalverbände (zumeist Südamerika) durchsetzen. Nachdem den Australiern dies partout nicht gelingen wollte, baten sie den AFC um Aufnahme, da dieser über vier Fixplätze für die WM-Endrunde verfügt. Nachdem AFC und FIFA grünes Licht gaben, dürfen die australischen Kicker seit 2006 den asiatischen Kontinent vom Libanon bis Japan und von der Mongolei bis Indonesien erkunden. Der Treppenwitz des Wechsels war, dass sich die Socceroos ausgerechnet in ihrer letzten WM-Qualifikation als OFC-Mitglied in den Play-Offs gegen Uruguay durchsetzen konnten. Die Chancen sich in der AFC regelmäßig für die WM-Endrunde zu qualifizieren, sind dennoch bedeutend besser.

KASACHSTAN
Seit 2002 in der UEFA (Union of European Football Associations). Zuvor im asiatischen AFC.
Was für die Australier so verlockend klang, war für die Kasachen offenbar nicht länger erstrebenswert. Sie verließen 2001 den asiatischen Verband, um kurz darauf bei der europäischen UEFA ein neues Zuhause zu finden. Kasachstan begründete sein Aufnahmegesuch damit, dass ein Teil seines Staatsgebietes in Europa liege. Manche zweifeln diese Argumentation an, da die Grenze zwischen Europa und Asien selbst in der Wissenschaft uneinheitlich gezogen wird. Die UEFA hieß die kasachischen Kicker jedenfalls gerne willkommen. Hatte sie doch bereits Anfang der 1990er Jahre allen Verbänden die Tür geöffnet, die aus dem sowjetischen Fußballverband hervorgegangen waren. Von diesem Angebot machten zwischen 1992 und 1994 die Fußballverbände von Armenien, Aserbaidschan und Georgien Gebrauch. Nachdem die Kasachen das Angebot zunächst ausschlugen, kamen sie rasch zu dem Schluss, dass der sportliche Wettbewerb innerhalb Europas besser für die Entwicklung des heimischen Fußballs sein würde. Folglich klopften sie 2001 an die europäische Tür und erhielten Einlass.
Russland und die Türkei gehörten noch nie einem anderen Kontinentalverband als der UEFA an, obwohl große Teile ihres Staatsgebiets außerhalb Europas liegen. Während Russland als Nachfolgeverband des sowjetischen in die UEFA gelangte, war der UEFA-Eintritt der Türkei 1962 insofern konsequent, als sich Ankara unter Staatspräsident Atatürk und dessen Nachfolgern eindeutig Europa zuwendete. So trat die Türkei bereits Ende der 1940er Jahre dem Europarat bei. 1952 folgte die Mitgliedschaft in der NATO. Auch der Fußballverband blickte seit seiner Gründung 1923 gen Westen. Die türkische Nationalelf setzte stark auf europäische Trainer und maß sich beständig mit den gut entwickelten europäischen Nationalteams. Erst 1950 bestritt die Türkei ihr erstes Freundschaftsspiel gegen eine asiatische Nation (Iran).

ISRAEL
Seit 1994 in der UEFA. Bis 1974 im asiatischen AFC.
Jetzt wird es kurios. Der israelische Fußballverband gehört seit 1994 als Vollmitglied zur europäischen Fußballfamilie. Zuvor war er mehr oder weniger zwanzig Jahre lang heimatlos umhergeirrt. Die Aufnahme in die UEFA, vielmehr jedoch der Ausschluss aus der asiatischen AFC, hatte politische Gründe.
1956 waren die Israelis zunächst noch dem AFC beigetreten. Jedoch geriet schon die erste WM-Qualifikation zur Farce. Zuerst weigerte sich die Türkei (damals noch keinem Kontinentalverband angehörend) gegen Israel anzutreten, so dass Israel kampflos in die Finalrunde einzog. Dort hatten der Sudan und Ägypten ebenfalls kein Interesse an den Duellen mit Israel, das in der damaligen Suezkrise militärisch an der Seite Frankreichs und Großbritanniens stand. Der letzte verbliebene Gruppengegner Indonesien willigte einer Begegnung ein, jedoch nur auf neutralem Platz, was die FIFA ablehnte. Die FIFA sträubte sich nun allerdings Israels Auswahl ohne ein Qualifikationsspiel bei der WM zuzulassen. Deshalb loste sie den Israelis einen Gruppenzweiten aus den restlichen Qualigruppen zu. Wales kam so zur unverhofften Chance sich doch noch für die WM zu qualifizieren, was ihnen letztlich zum ersten und bis heute einzigen Mal gelang.
Der weiterhin schwelende Nahost-Konflikt sorgte 1974 für den Ausschluss Israels aus der AFC. Allen voran die arabischen Staaten wünschten keinen weiteren sportlichen Wettkampf. Einem Übertritt in die UEFA schoben bis zum Zusammenbruch des Ostblocks die kommunistischen Staaten einen Riegel vor. Israels Nationalelf sammelte fortan ordentlich Flugmeilen, musste sie sich doch in den unterschiedlichsten WM-Qualigruppen durchschlagen (zumeist gegen Teams aus Ozeanien und Fernost, Anfang der 1980er Jahre auch einmal in Europa).

SURINAME, GUYANA
Schon immer in der nord- und mittelamerikanisch, karibischen CONCACAF (Confederation of North, Central American and Caribbean Association Football).
Suriname und Guyana liegen beide nördlich von Brasilien. Dennoch waren beide nie Mitglieder der südamerikanischen CONMEBOL (CONfederación SudaMEricana de FútBOL). Beide schlossen sich in den 1960er Jahren der neu gegründeten CONCACAF an und gehören darüber hinaus zur Caribbean Football Union (CFU), die einen Unterverband der CONCACAF darstellt. Die Gründe für die Hinwendung nach Norden sind historischer Art.
Im Vergleich zu Brasilien und den spanischsprachigen Ländern Südamerikas, die ihre Unabhängigkeit Anfang des 19. Jahrhunderts erkämpften, erlangten Guyana und Suriname erst 1966 bzw. 1975 ihre Souveränität von Großbritannien respektive den Niederlanden (Französisch-Guyana gehört bis heute zu Frankreich). In den jeweiligen Kolonialherren liegt auch die unterschiedliche Orientierung der südamerikanischen Länder begründet. Suriname und Guyana blickten zu den anderen Besitzungen Britanniens und der Niederlande, die vor ihrer Haustür in der Karibik zu finden waren, während die iberisch geprägten Länder eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte teilen. Konsequenterweise gehören Suriname und Guyana dem Karibikverbund CARICOM an, der die wirtschaftliche Integration und Zusammenarbeit der 15 Mitgliedsstaaten fördern will.

Ergo:
Letztlich sind drei Ursachen für den Beitritt in einen „falschen“ Kontinentalverband auszumachen: Sportliche, politische und historische.