Portugal vs. Spanien: Jetzt geht’s um die goldene Kugel

Portugal gegen Spanien lautet heute Abend das ewig junge Nachbarschaftsduell im Halbfinale der EURO. Die Bilanz spricht mit 15 zu 7 Siegen deutlich für Spanien. Auch das letzte wichtige Aufeinandertreffen entschieden die Spanier bei der WM in Südafrika für sich. Die Dominanz war seinerzeit größer als es der 1:0-Endstand aussagt. Cristiano Ronaldo würde heute Abend liebend gerne den Spieß umdrehen. Ein Sieg mit seinen Portugiesen würde ihn dann auch dem Ballon d’Or näherbringen, dem Goldenen Ball für den Weltfußballer des Jahres.

Ein Artikel im „Spiegel“ vom 4. Juni 2012 befasste sich ausgiebig damit, wie Cristiano Ronaldo eigentlich tickt. Demnach sei die Triebfeder all seines Tuns, der Wunsch der weltbeste Fußballer zu sein und von allen als dieser anerkannt zu werden. In dieser Hinsicht müssen die drei vergangenen Preisverleihungen zum Weltfußballer ein Schlag ins Gesicht des ehrgeizigen Portugiesen gewesen sein. Dreimal setzte ihm die Jury aus internationalen Sportjournalisten sowie den Trainern und Kapitänen der Nationalmannschaften den Argentinier Lionel Messi vor die Nase. Beide spielen pikanterweise in der spanischen Primera División, der kraftvolle und dennoch elegante Portugiese für Real Madrid, der wieselflinke und trickreiche Argentinier für den Dauerrivalen FC Barcelona. In der abgelaufenen Saison lieferten sich beide ein aberwitziges Duell um die Torjägerkrone in Spanien, das Messi mit 50 (!) zu 46 (!) für sich entschied. Eine unfassbare Torquote, die längst ins Zeitalter des Lederballs und der Torhüter mit Schiebermützen sowie ohne Handschuhe verbannt zu sein schien. Zudem in Spanien, wo sich zahlreiche der stärksten Fußballer der Welt tummeln. Ronaldo und Messi treiben sich ganz offensichtlich zu immer neuen Höchstleistungen an. Wenn es nach Ronaldo geht, dann soll in diesem Jahr aber wieder die Stunde von CR7 – so sein Markenname – schlagen. Der Portugiese hat mit dem Gewinn der Spanischen Meisterschaft schon einen ersten Vorteil für sich verbucht, denn eine erfolgreiche Saison ist für die Wahl zum Weltfußballer zwingende Voraussetzung.

Vorentscheidung in der Champions League vergeben
Deshalb wäre es auch umso wichtiger gewesen, im stärksten Vereinswettbewerb der Welt zumindest ins Finale vorzudringen. Doch Ronaldo scheiterte mit Real im Halbfinale der Champions League an Bayern München. Er egalisierte im Rückspiel mit seinen beiden Toren den Vorsprung der Bayern im Alleingang, doch nach diesem frühen Doppelschlag blieb er weitestgehend unauffällig. Dass er dann noch einen Strafstoß im alles entscheidenden Elfmeterschießen vergab, ließ ihn wie den personifizierten Verlierer erscheinen. Einzig, Messi erging es nicht besser. Auch er scheiterte mit Barca im Halbfinale der Champions League. Und auch er verschoss einen Elfer.

EURO als nächste und letzte Chance
Während Messi in diesem Jahr kein internationales Turnier mit Argentinien bestreitet, bleibt Ronaldo mit Portugal bei der EURO eine weitere Möglichkeit in eigener Sache zu werben. Und er scheint gewillt diese Chance zu nutzen. Blieb er in den ersten beiden Begegnungen gegen Deutschland und Dänemark noch harmlos und fahrig im Abschluss, so kämpfte er sich im entscheidenden Moment zurück. Seine beiden Tore gegen die Niederlande ebneten den Portugiesen den Weg ins Viertelfinale. Und auch dort erzielte er gegen Tschechien das alles entscheidende Tor. Er hat also maßgeblich zum Erfolg seiner Nationalelf beigetragen, und sollte er heute gegen den amtierenden Welt- und Europameister erneut ein Tor beisteuern, das seiner Selecao den Finaleinzug beschert, dann läge er bei der Wahl zum Weltfußballer des Jahres mehr als aussichtsreich im Rennen. Umso mehr, als er dann den Barca-Stars im spanischen Team, wie Xavi oder Andres Iniesta, zum zweiten Mal in dieser Saison den Weg zu einem Titel verwehrt hätte.

Deutsche und Italiener ohne Superstar
Sicher ist auch der Finalgegner bei der EURO immer mit starken Spielern bestückt. Italien und Deutschland, die beiden möglichen Gegner, treten aber bei dem Turnier als kompakte Einheiten auf, die keinen herausragenden Star in ihren Reihen besitzen. Sicher, Andrea Pirlo ist immer noch der geniale Strippenzieher im Mittelfeld der Italiener und auch Kapitän Gianluigi Buffon hat als Torwart maßgeblichen Anteil am bisher so erfolgreichen Turnier. Zudem haben beide mit Juventus Turin ungeschlagen die italienische Meisterschaft errungen. Sie nahmen jedoch an keinem europäischen Vereinswettbewerb teil. Aus dem deutschen Team dürften bestenfalls die beiden Real-Akteure Sami Khedira und Mesut Özil sowie die Bayern-Spieler zum erweiterten Kreis der Ballon-d’Or-Kandidaten zählen, da Dortmund zwar berauschenden Fußball spielte, nicht jedoch international. Khedira und vor allem Özil könnten ihrem Real-Kollegen Ronaldo jedoch nur dann gefährlich werden, wenn sie den EM-Titel holen und dabei in den verbleibenden Spielen überragend und spielentscheidend auftreten.

Ronaldo hat es in der Hand
So hat es Ronaldo vor dem heutigen Duell gegen Spanien in der eigenen Hand, sich ins Rampenlicht zu spielen. Dieser Sachverhalt, könnte für das portugiesische Team Fluch und Segen zugleich sein. Segen, wenn Ronaldo seinen Egoismus derart kanalisiert, dass dabei Zählbares – sprich Tore – herauskommt. Fluch, wenn Ronaldo eigensinnig agiert, ohne Tore zu produzieren oder ihn die Spanier derart erfolgreich aus dem Spiel nehmen, dass er zunehmend die Lust verliert und frustriert auf seiner Außenposition schmollt.

Oder macht doch Drogba das Rennen
Dann würde vielleicht das Rennen um den Ballon d’Or doch ein ganz anderer machen: Didier Drogba! Der Ivorer hat immerhin das dramatische Finale in der Champions League für Chelsea entschieden. Er gewann mit den Londonern den FA-Cup und er stand mit der Elfenbeinküste im Finale der Afrikameisterschaft. Dass er zuletzt seinen Wechsel nach Shanghai bekannt gegeben hat, bedeutet zudem, dass er die große Bühne des europäischen Vereinsfußballs verlässt und langsam seinen Abschied vom aktiven Fußball einläutet. Eine Wahl zum Weltfußballer des Jahres käme dann quasi einer Würdigung seiner gesamten fußballerischen Laufbahn gleich. Ronaldo würde dies vermutlich fassungslos zurücklassen. Doch wie gesagt, er hat es heute Abend in der Hand den vorletzten Schritt zu seinem großen Ziel zu tun.