EURO 2012: Save the best for last

Noch Fragen? Spanien hat eindrucksvoll demonstriert, wer den Umgang mit dem Ball am besten beherrscht. Die bis dahin so gefällige italienische Mannschaft wurde beim 4:0 im Endspiel der EURO phasenweise vorgeführt. Das Turnier hat einen würdigen und hoch verdienten Sieger. Aber auch die Squadra Azzurra hatte ihren Anteil daran, dass das gestrige Finale eines der besten Endspiele seit langer, langer Zeit war. Zeit für ein abschließendes Zahlenspiel rund um die EURO:

Die Nummer 1
Spanien hat sich vollkommen zurecht die Fußballkrone Europas aufgesetzt. Von vielen Seiten wurde das Team für seine vorherigen Auftritte bei der EURO kritisiert. Zu statisch, zu wenig effizient. Doch im Endspiel zeigte das Team von Vicente del Bosque sein wahres Gesicht. Ganz offensichtlich hat es sich die beste Leistung für den Schluss aufgehoben und im sehr unterhaltsamen Finale ein eindrucksvolles Spiel aufgezogen. Die Mischung aus Barca-Offensive, Real-Defensive und Legionären aus der englischer Premier League erweist sich als genial. Mit Fernando Torres (Chelsea FC: 3 Tore, 1 Vorlage) stellen Sie den Torschützenkönig, mit David Silva (Manchester City: 2 Tore, 3 Vorlagen) den Scorerkönig. Ein einziges Gegentor im gesamten Turnier zeigt zudem, dass es die Spanier verstehen die Gegner mit ihrem effizienten Pressing vom eigenen Tor fernzuhalten. Und wenn einmal ein Schuss aufs Tor kommt, dann ist auf Iker Casillas Verlass.

2. Sieger
Italien hat mit einer merkwürdigen Quote den Einzug ins Finale geschafft. Aus drei Gruppen- und zwei K.o.-Rundenspielen holten sie drei Unentschieden und nur zwei Siege (Irland und Deutschland). Dahinter könnte man jetzt die Rückkehr des Catenaccio vermuten, doch weit gefehlt. Nach der blamablen WM-Endrunde 2010, mit zwei Remis gegen Paraguay und Neuseeland (!) sowie einer Niederlage gegen die Slowakei, mutmaßten selbst italienische Nationalspieler, die Squadra Azzurra würde zukünftig Gefahr laufen sich nicht für eine Endrunde zu qualifizieren. Doch der neue Trainer Cesare Prandelli baute ein Team auf, das sich einem attraktiven, offensiven Fußball verschrieb. Taktisch und mental sind die Italiener ohnehin auf der Höhe des Geschehens, so dass die Wiederauferstehung umgehend glückte.

Die 3 scheidet aus
Von aller Welt wurde die Vorrundengruppe B mit Deutschland, den Niederlanden, Portugal und Dänemark als Todesgruppe tituliert. Im Finale standen dann jedoch mit Italien und Spanien zwei Vertreter der Gruppe C. Das Nachsehen hatten hier die Kroaten, die sowohl Italienern wie Spaniern das Leben extrem schwer machten. Und das obwohl Kroatien mit Dejan Lovren, Ivica Olic und Ivo Ilicevic unmittelbar vor Turnierbeginn drei Ausfälle zu beklagen hatte. Während die Kroaten Pech hatten, war es bei den Russen in Gruppe A Unvermögen. Mit einem 4:1 gegen Tschechien fulminant ins Turnier gestartet, ließen sie sich von den Polen nach einer Halbzeitführung noch ein Tor abtrotzen. Gegen Griechenland hieß es zum Schluss 0:1 und raus mit wenig Applaus. Die beiden anderen Drittplatzierten Dänemark und die Ukraine spielten engagiert, wobei die Dänen die wesentlich reifere Spielanlage zeigten. Sie schlugen die hoch gehandelten Niederländer und verloren gegen Portugal und Deutschland erst auf der Zielgeraden. Währenddessen haderte die Ukraine mit dem „Torklau von Donezk“, oder lag es nicht doch eher an der überschaubaren Qualität des Kaders?

4 deutsche Siege
Neben Europameister Spanien feierte Deutschland die meisten Siege bei der EURO: vier. Blöd nur, dass es damit lediglich fürs Halbfinale reichte. Leider lieferten die ohnehin guten Italiener gegen die deutsche Elf ihr bestes Turnierspiel ab. Spanien zeigte im Endspiel eindrucksvoll, wie es gegen Italien hätte klappen können. Sie hatten ihr Spiel von Anfang an offensiv und druckvoll ausgerichtet und die Italiener so frühzeitig in Verlegenheiten gebracht. Die frühe Führung spielte Spanien natürlich in die Karten. Die Deutschen waren im Nachhinein schlecht beraten ihre Aufstellung an den Italienern auszurichten und sie leisteten sich in den entscheidenden Momenten zu viele Fehler. Aber das wurde ja schon in anderen Medien weithin beschrieben. Dennoch hat das junge deutsche Team einen alles in allem guten Eindruck hinterlassen.

Falsche 9
Spanien musste vor dem Turnier auf Rekordtorjäger David Villa verzichten, stellte letztlich aber mit Fernando Torres den Torschützenkönig (3 Tore, 1 Assist) und hatte sogar noch Fernando Llorente vom Europa-League-Finalisten Athletic Bilbao in der Hinterhand, der aber auf der Bank versauerte. Schuld war die „falsche Neun“ Cesc Fabregas. Vicente del Bosque vertrautete ihm die Rolle des offensivsten Spielers an, obwohl er eigentlich im Mittelfeld zu Hause ist. Er interpretierte seine Rolle als mitspielender Stürmer, der sich immer wieder fallen ließ, um das Kurzpassspiel seiner Mitspieler aufzunehmen und weniger den direkten Weg zum Tor zu suchen. Eine solche Taktik dürfte allen anderen Teams abgehen, da sie über kein geeignetes Personal verfügen. Die meisten Teams agieren mittlerweile mit einem einzigen Angreifer, Schweden und England versuchten sich mit Ibrahimovic und Rooney als hängender Spitze hinter einem zentralen Angreifer, Italien setzte konsequent auf zwei Stürmer.

11 Traumtore
Natürlich hielt die EURO wieder eine ganze Reihe von Traumtoren bereit. Meine persönliche Top-11:

  • Jordi Alba: Mit Volldampf ins Glück im Finale gegen Italien,
  • Mario Balotelli: Dampfhammerschuss gegen Deutschland,
  • Jakub Blaszczykowski: Mimt den besseren Arjen Robben. Einkehrschwung und ab dafür gegen Russland,
  • Andy Carroll: Er steht wahrscheinlich heute noch in der Luft. Horst-Hrubesch-Gedächtniskopfball gegen Schweden,
  • Cesc Fabregas: Super rausgespielt und eiskalt verwandelt im Gruppenspiel gegen Italien,
  • Mario Gomez: Annahme in der Drehung und dann formvollendet verwandelt gegen die Niederlande,
  • Zlatan Ibrahimovic: Volleyabnahme in Seitlage gegen Frankreich,
  • Sami Khedira: Direktabnahme unter die Latte gegen Griechenland,
  • Roman Pavlyuchenko: Narrt seinen Gegenspieler und trifft satt in den Winkel gegen Tschechien,
  • David Silva: Tänzchen gegen die halbe irische Abwehr,
  • Und das bemerkenswerteste Tor erzielte … Danny Welback gegen Schweden:

22 und jünger
Mehrere noch für Juniorennationalteams spielberechtigte EURO-Teilnehmer haben in den letzten Wochen angedeutet, dass sie auch zukünftig für Furore sorgen könnten. Die EURO-Fahrer der Jahrgänge 1990 und jünger sind ihren Altersgenossen jedenfalls in puncto Leistung entwachsen. Mario Balotelli drückte dem Halbfinale gegen Deutschland seinen Stempel auf, Alan Dzagoev wirbelte in der Vorrunde für Russland. Auch Danny Welbeck (England) und Christan Eriksen (Dänemark) wussten in der ein oder anderen Situation zu gefallen. Jetro Willems ging zwar mit seinen Niederländern baden, hält seit der Auftaktpartie gegen Dänemark aber immerhin den Rekord für den jüngsten Spieler bei einer Endrunde: 18 Jahre und 2 Monate.

24 zukünftige Teilnehmer
Die EURO wird wachsen. In vier Jahren nimmt nahezu jeder zweite europäische Fußballverband an der Endrunde teil. Eine Quote die kaum ein anderer Sportverband vorweisen dürfte. Von vielen Seiten wird dieser Schritt kritisiert, dürften die Hauptgründe dahinter doch finanzieller Art sein. Mehr Teilnehmer = mehr Zuschauer = noch bessere Vermarktungsmöglichkeiten. Zahlreiche Spieler äußerten sich wenig überzeugt von der Sinnhaftigkeit des UEFA-Beschlusses. Zwei Drittel der Teams werden auch nach der Gruppenphase noch im Turnier verbleiben, zwei Gruppendritte werden in die Röhre gucken, ein unglücklicher Modus. Auch sportlich dürfte die Aufblähung dem Turnier weniger gut tun. Schon jetzt erwiesen sich die Iren als überfordert mit dem Niveau in ihrer zugegebenermaßen starken Gruppe mit Italien, Spanien und Kroatien. Undenkbar, wie die Esten abgeschnitten hätte, gegen die sich die Iren im Play-Off durchgesetzt hatten. Belgier, Schotten, Finnen, Ungarn, Bulgaren, Bosnier oder Österreicher dürften hingegen jubeln. Die Chancen sich endlich einmal (wieder) für eine Endrunde zu qualifizieren steigen spürbar. Bisher nahmen erst 28 Teams an einer Endrunde teil, wir werden also bald einige Novizen begrüßen.

44 Jahre Leerlauf
Zwischen dem ersten Erfolg einer spanischen Nationalelf bei einer WM oder EM und dem zweiten ließen sich die Iberer ausreichend Zeit. 1964 gewannen sie die Heim-EM, nur um danach als regelmäßiger Mitfavorit auf den Titel immer wieder zu scheitern. 2008 platzte schließlich der Knoten bei der EURO. Und als ob sie dann erst richtig auf den Geschmack gekommen wären, holten sie sich 2010 den WM-Sieg und nun nochmals die Europameistertrophäe. Eine noch nie dagewesene Dominanz im Weltfußball. Eine gehörige „Mitschuld“ daran trägt der FC Barcelona, dessen Protagonisten Xavi und Andres Iniesta das effektive Kurzpassspiel in die Nationalelf verpflanzten. Dass der FC Barcelona 2006, 2009 und 2011 die Champions-League-Krone errang, unterstreicht die epochale Dominanz des Spielsystems „Made in Barca“. Ähnliches hatten bisher bestenfalls die deutsche Nationalelf und Bayern München Anfang und Mitte der 1970er erreicht.

76 Tore
Die Torquote ist nicht berrauschend und unterbot die Gesamttrefferzahl der letzten beiden Euros sogar noch um einen Treffer. Dennoch erweckte kein Team bei dieser EURO den Eindruck, es wolle sich dem Offensivspiel verweigern. Eine für die Zuschauer erfreuliche Tatsache, wenngleich dies nicht bedeutet, dass die Nationalteams ein Offensivfeuerwerk abgebrannt hätten. Kompaktes Verengen des Spielfeldes für den Gegner ist immer noch die oberste Prämisse, der Vorwärtsgang darf aber dennoch gerne gesucht werden. Nur zwei Spiele endeten torlos (Italien – England und Spanien – Portugal), ein Minusrekord, seit die EURO mit 16 Teams ausgetragen wird.

122 Karten
Ebenfalls einen Minusrekord stellt die Anzahl der verteilten Karten dar. Drei Platzverweise (kurioserweise gleich zwei im Eröffnungsspiel) sowie 119 Verwarnungen bestätigen den Verdacht, dass durchaus fair gespielt wurde.

2016 die nächste EURO
In vier Jahren heißt Frankreich die Endrundenteilnehmer willkommen. Blickt man auf die bisherigen Welt- oder Europameisterschaften in unserem Nachbarland, so bleibt den Gästen wohl nur die Rolle als Gratulanten. 1938 unterlagen die Franzosen zwar noch den Italienern im Viertelfinale und auch 1960 bei der EM-Premiere platzierte sich die Equipe Tricolore nur auf Platz vier. Doch 1984 (EM) und 1998 (WM) hieß der Sieger jeweils Frankreich.

20000 Irische Fans
So viele pilgerten dieses Jahr mit ihrem Team nach Polen und sie wären sicher auch in vier Jahren wieder eine Bereicherung für das Turnier. Ganz im Gegensatz zur Nationalelf der Iren, die ihren Kontrahenten nur schwer Paroli bieten konnte. Die stimmgewaltigen Fans unterstützten ihre „boys in green“ bedingungslos und mit voller Hingabe. Fan support at its best und ganz ohne Pyro! Selten wurden Gesänge mit solcher Inbrunst gesungen, die sogar vor dem Fernsehschirm Gänsehaut verursachten. Selbst das 0:4 gegen Spanien ertrugen sie mit Stolz in der Stimme und sorgten für einen der großen Momente dieser EURO, der EURO 2012.


Ein Gedanke zu “EURO 2012: Save the best for last

  1. Die irischen Fans haben mir bei dieser Euro, aber wenn ich mich recht erinnere, auch schon bei der Europameisterschaft 1988 in der Bundesrepublik am besten gefallen….

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