Bayerns Barca-Debakel – Fünf Jahre 0:4

Wir erleben derzeit die beste Bayern-Mannschaft aller Zeiten. Sie ist amtierender Triple-Sieger, UEFA-Supercup-Gewinner, Weltpokalsieger und seit Ende März bereits wieder Deutscher Meister. Am Mittwoch dürfen sich die Bayern gegen Manchester United berechtigte Hoffnungen auf einen Halbfinaleinzug in der Champions League machen. Es wäre das vierte Mal seit 2010. Sogar die vierte Finalteilnahme in fünf Jahren scheint möglich. Doch am Abend des 8. April 2009 war der FC Bayern gefühlte Lichtjahre von einer solchen Bilanz entfernt. 

Es lief die 43. Minute im Viertelfinalhinspiel der Champions League als sich Barcelonas Lionel Messi im Camp Nou aufmachte, den FC Bayern vollends zu düpieren. Wieselflink drang er mit dem Ball am Fuß von der rechten Außenbahn ins Zentrum. Einen Doppelpass mit Dani Alves – der den Ball mit der Hacke weiterleitete – später war Messi bereits zentral vor dem Sechzehner angelangt. Bevor Mark van Bommel ihn unsanft auflaufen ließ, leitete der Argentinier den Ball mit dem Außenrist an Samuel Eto’o weiter, der sich von Bayern-Spielern umringt an der Strafraumkante befand. Die Bayern-Abwehr war so in Aufruhr, dass van Bommel Eto’o den Ball zwar vom Fuß spitzelte, dabei aber Thierry Henry mustergültig in Szene setzte. Der Franzose schloss vollkommen unbehelligt flach ins lange Eck ab. Barcelona 4 Bayern 0. Einer gnädigen Barca-Mannschaft war es zu verdanken, dass in den folgenden 47 Minuten kein weiterer Treffer mehr fiel. Das Selbstverständnis der Bayern war an diesem Abend vor fünf Jahren in seinen Grundfesten erschüttert. Zwar fehlten Daniel van Buyten, Philipp Lahm und Lucio in der Viererkette, doch auch die Schweinsteigers, van Bommels, Zé Robertos, Demichelis‘ und Ribérys konnten nicht verhindern, dass die Bayern von vorne bis hinten komplett überfordert waren.


Bei allen Gegentoren in Überzahl und dennoch heillos überfordert: Bayerns Trauerspiel vom 8. April 2009

2002 – 2009: Acht Jahre ohne Halbfinaleinzug
Die demütigende Pleite schmerzte umso mehr, als bereits der VfL Wolfsburg die Bayern vier Tage zuvor beim 5:1 zu Statisten degradiert hatte. Die beiden Niederlagen ließen Verantwortliche und Spieler des Rekordmeisters ratlos zurück. Die europäische Elite schien auf Jahre enteilt. Und im Grunde genommen ging es den Bayern ja nur darum, denn schließlich besaßen sie ein Dauerabo auf die heimische Meisterschaft. Der kontinentalen Krone hechelten die Münchner aber seit 2001 vergebens hinterher. Viertelfinalteilnahmen bedeuteten das höchste der Gefühle. Dabei schienen sie vor dem Barca-Debakel endlich die Kurve zu kriegen. Die Gruppenphase beendeten sie vor Olympique Lyon souverän auf Platz 1. Im Achtelfinale degradierten sie Sporting Lissabon zur Schießbude (5:0 und 7:1). Doch dann kamen die schrecklichen 90 Minuten von Barcelona.

Louis van Gaal: Der Grundstein zum internationalen Höhenflug
Dass die Bayern seither mit drei Finalteilnahmen in der Champions League zum erfolgreichsten europäischen Team mutierten, ist in erster Linie einer Personalentscheidung geschuldet, die wenige Wochen nach dem 0:4 fiel. Trainer-Novize Jürgen Klinsmann musste seinen Hut nehmen und die Bayern verpflichteten für die kommende Saison ihren erklärten Wunschtrainer Louis van Gaal. Selbst wenn das Engagement des Niederländers bei den Bayern keine zwei Jahre andauerte, er war es, der mit seinen Entscheidungen maßgeblich den Weg der Bayern an die Spitze des europäischen Klubfußballs bereitete.

Van Gaals Selbstverständnis:
Louis van Gaal kann man gewiss eines nicht nachsagen: er habe einen Minderwertigkeitskomplex. Seine noch zu Bayernzeiten herausgegebene Biographie wiegt stolze drei Kilo. Sein unerschütterliches Ego schien mit den sich einstellenden Erfolgen bei den Bayern unweigerlich auf die Mannschaft abzufärben. Er verkörperte eine gewisse Arroganz und Unfehlbarkeit, die durchaus mit dem Anspruch der Bayern korrespondierte. Er forderte von der Mannschaft Disziplin und schweißte sie zusammen, indem er nach außen den Prellbock abgab. Daraus konnte eine Wagenburgmentalität erwachsen, wie sie dem „Mia san mia“ entsprach. Der Glaube, international wieder konkurrenzfähig zu sein, war geweckt. Nur so konnten Rückrunden-Begegnungen, in denen sie vor dem Ausscheiden standen, noch positiv gestaltet werden (2:3 nach 0:2 in Florenz, 2:3 nach 0:3 bei Man United). Am Ende erreichten sie erstmals nach neun Jahren wieder das Endspiel in Europas Königsklasse.

Van Gaals Personalentscheidungen:
Fußball-Deutschland konnte sich bei der WM 2010 glücklich schätzen, dass van Gaal im Jahr zuvor die Bayern trainiert hatte. Er katapultierte Thomas Müller aus dem Nichts zum Stammspieler im Starensemble der Bayern. Ähnlich verlief es bei Holger Badstuber. Bastian Schweinsteiger rückte vom Flügel ins Zentrum und entwickelte sich auf der Position des Sechsers zu einem herausragenden Spieler. Müller avancierte in Südafrika zum WM-Torschützenkönig und Schweinsteiger machte den Ausfall Michael Ballacks vergessen. Schweinsteiger und Müller sind bis heute nicht aus dem Bayernteam wegzudenken. Eine Rolle, die auch dem seit 2012 verletzten Badstuber zuzutrauen wäre. Doch damit nicht genug, auch David Alaba erlebte als 17-jähriger unter van Gaal seine Feuertaufe auf der Außenverteidigerposition. Und das in der K.o.-Phase der Champions League. Der Niederländer blieb bei den Bayern seiner Devise treu, blutjungen Nachwuchsspielern sein Vertrauen zu schenken. Damit schuf er zugleich authentische Identifikationsfiguren für die Fans und verdeutlichte den Bayern, dass sie über ein immenses Potential im eigenen Unterbau verfügten. Man müsse es lediglich richtig zur Entfaltung bringen.
Nachdem der Saisonstart unter van Gaal 2009 schleppend verlaufen war, zog er auf dem Transfermarkt ein Puzzleteil an Land, das ebenfalls bis heute ein Erfolgsgarant der Bayern ist: seinen Landsmann Arjen Robben! Der als verletzungsanfällig geltende Niederländer eroberte die Liga im Sturm und erzielte gleich in seinem ersten Einsatz zwei Treffer gegen Titelverteidiger Wolfsburg. Die Vorlagen zu beiden Toren kamen von Franck Ribéry. Die bis heute kongeniale Flügelzange hatte ihre erste Duftmarke gesetzt. Robben erwies sich sofort als Volltreffer. Er erzielte in seiner Premierensaison die meisten Liga-Tore für Bayern und hielt die Champions-League-Kampagne mit seinen ebenso wichtigen wie sehenswerten Treffern in Florenz und Manchester am Leben.

Van Gaals Spielsystem:
Mit Robben hatte van Gaal den einen Spieler im Kader, der sein bevorzugtes Spielsystem mit einem zentralen Stürmer und zwei Flügelspielern veredelte. So konnte Bayern einen noch stärkeren Fokus auf ein schnelles Offensivspiel legen und einen immensen Druck auf den Gegner erzeugen. Die entfesselte Offensive sollte mit der Einführung der Doppelsechs (bevorzugt van Bommel und Schweinsteiger) nach hinten abgesichert werden, wobei es erst Jupp Heynckes gelang dem gesamten Team ein diszipliniertes Defensivverhalten einzuimpfen. Auch heute findet das von van Gaal angelegte Spielsystem in Grundzügen statt und führte die Bayern nach 2010 erneut 2012 und 2013 ins Champions-League-Finale. Seine Nachfolger Heynckes und Guardiola verdichteten und homogenisierten das begonnene Werk des Niederländers. Wobei Guardiola und van Gaal die niederländische Spielidee bei Barca als gemeinsamer Anknüpfungspunkt verbindet. Das Bayern-Team arbeitet heute geschlossen nach hinten wie vorne, spielt enorm variabel und die Ballsicherheit sucht ihresgleichen. Wenig verwunderlich führen sie die Ballbesitzstatistik in der diesjährigen Champions-League-Saison an. Sollte Bayern diese spielerische Dominanz erneut in eine erfolgreiche Kampagne ummünzen, dann dürfen sie ruhig ein Gläschen auf Louis van Gaal heben.