Mit Hoffenheim und Darmstadt duellieren sich am Sonntag die beiden Klubs, denen als bislang letzte der Durchmarsch von der 3. Liga in die Bundesliga gelang. In der aktuellen Saison wollen beide den Abstieg in die 2. Bundesliga verhindern. Für die ambitionierten Hoffenheimer ein ungewöhnliches Saisonziel, doch der maue Saisonverlauf lässt keine anderen Schlüsse zu. Am Ende meines Vorberichts spreche ich mit Julian, der Macher des Hoffenheim-Blogs www.neureich-bimbeshausen.de.
So sieht’s aus:
Die Ernüchterung war am vergangenen Samstag mit Händen zu greifen. Die Stimmung im ausverkauften Böllenfalltor glich Mitte der 2. Halbzeit der auf einer Bezirkssportanlage. Sogar die Zuweisungen der Spieler waren phasenweise zu hören. Das lag nicht in erster Linie am 0:2-Rückstand der Lilien gegen Schalke und dem wenig strukturierten Offensivspiel der Heimelf. Das lag primär an den Ereignissen auf der Haupttribüne. Dort war ein langjähriges Mitglied der aktiven Fanszene zusammengebrochen und musste reanimiert werden. Die Schalke-Fans erfassten am anderen Ende des Stadions schnell die Situation und stellten für den Rest der Partie ihren Support ein. Eine ebenso bemerkenswerte wie mitfühlende Aktion. VIELEN DANK für das feine Gespür! ALLES ERDENKLICH GUTE an Wuschel!
Im Laufe der Woche legten die 98er ihren Fokus wieder auf den Klassenerhalt. Der Vorsprung auf die direkten Abstiegsplätze ist mit sieben Punkten zwar (noch) komfortabel, die meisten Tabellennachbarn punkteten aber auch am letzten Spieltag munter weiter. So steht am Wochenende ein richtungsweisendes Spiel an. Das gilt auch für die Hoffenheimer. Denn sie wissen nur zu gut, dass die Qualität ihres Kaders und Tabellenplatz 17 so gar nicht zusammenpassen. Das Spiel gegen die Lilien muss gewonnen werden, um das rettende Ufer in Sichtweite zu behalten. Genau das will der SVD verhindern. Doch dafür muss die lange Zeit stabile 98er-Defensive wieder sattelfester werden. Zehn Gegentore in den letzten vier Partien sind zu viel. Das Offensivspiel muss konsequenter in Torabschlüssen münden. Die bis kurz vor Schluss blütenweißen Trikots der Schalker Innenverteidiger Joel Matip und Roman Neustädter sprachen jedenfalls nicht für die Offensivqualität der Lilien. Erst in den letzten Minuten musste S04-Keeper Ralf Fährmann überhaupt eingreifen. Ob Schalke-Leihgabe Felix Platte die überschaubare Durchschlagskraft des SVD beseitigen kann? Wohl eher nicht. Vorerst dürfte er primär dann zum Zug kommen, wenn es gegen Ende der Partien gilt Rückstände aufzuholen.
Meines Erachtens hätte den Lilien noch ein Neuzugang gut getan, der für den ein oder anderen Überraschungsmoment im Angriffsspiel gut ist. Außer dem bislang von Dirk Schuster übersehenen Mario Vrancic ist diese Kategorie notorisch unterbesetzt. So bleibt zu hoffen, dass das schnelle Umschaltspiel häufiger in einem Torabschluss mündet und die Standards endlich wieder gefährlicher werden.
Wir & Die & Die Bundesliga:
Zu Drittligazeiten kreuzten sich die Wege der beiden Klubs häufiger. In der Bundesliga steht bislang lediglich das Hinrundenspiel zubuche. Bei tropischen Temparaturen trennten sich beide Seiten 0:0. Die Lilien brachten spielerisch wenig bis nichts zustande und waren ihren Kontrahenten deutlich unterlegen. Zum Schluss waren die 98er stehend k.o. und lediglich ein kurioser Ausfallschritt von Luca Caldirola auf der Torlinie verhinderte das sichere 0:1 durch Kevin Kuranyi, der bis heute sein Glück im Kraichgau noch nicht gefunden hat.
Ach ja, an diesem Wochenende vor fünf Jahren …
Befanden sich die Lilien als Viertligist noch in der Winterpause.
Und die Junglilien?
Eröffnen die zweite Halbserie in der Bundesliga Süd/Südwest mit einem Heimspiel gegen die U19 des VfB Stuttgart. Die Junglilien sind Tabellenletzter, der VfB nimmt in der 12er Liga Rang 3 ein. Den Jungs vom SVD fehlen lediglich vier Punkte auf den ersten Nichtabstiegsplatz. Gegen Ende der Hinrunde erzielten sie bessere Ergebnisse, doch regelmäßige Klatschen zeigen, dass bis zu einem Klassenerhalt noch an vielen Schrauben gedreht werden muss. Ob das in der Winterpause gelang, wird sich gegen den traditionell starken VfB-Nachwuchs zeigen, der im Hinspiel etwas glücklich mit 3:1 gewann.
Der Kontrahent hat das Wort
Julian, bloggt seit 2011 unter neureich-bimbeshausen.de
Julian, Du lebst in Berlin und bist Hoffenheim-Fan. Du begleitest den Klub mit einem Blog und hast Dir auch auf Twitter bereits einen Namen gemacht. Woher rührt Deine Verbundenheit zur TSG?
Ganz einfach: Ich stamme direkt aus Hoffenheim. Ich habe noch im Dietmar-Hopp-Stadion den Fußball kennengelernt. Ich bin dort quasi als Fußballfan sozialisiert worden. Ich mag deshalb das alte Stadion sehr. Es ist wie der Klub mit den Aufstiegen gewachsen und bis heute spielt die U23 darin. Dort habe ich übrigens noch Aytac Sulu spielen sehen, als er der Kapitän unserer U23 war. Schon damals war seine Präsenz bis auf die Tribüne zu spüren. Er war ein richtiger Typ auf dem Platz.
Und das ist er bis heute. Sein aktuelles Team steht in der Bundesliga besser da, als sein damaliger Klub. Ist der Abgang von Roberto Firmino der wichtigste Grund, warum es bei Hoffenheim in dieser Saison so schlecht läuft?
(überlegt) Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass nur ein Spieler den Unterschied ausmacht. Umso mehr, als wir schon im ersten Halbjahr 2015 eine schwache Punktausbeute hatten. Und Hoffenheim verließen zuletzt noch weitere namhafte Spieler. Mit Beck, Vestergaard, Abraham, Salihovic, Modeste oder Schipplock haben wir Spieler abgegeben, die relativ viel Einsatzzeit hatten. Aber Markus Gisdol wollte den großen Umbruch, denn es wäre glaube ich kein Vertrag ausgelaufen. Er konnte jede Position 1:1 neu besetzen. Für Beck kam Kaderabek. Für Abraham Schär. Für Modeste Uth. Für Schipplock Kuranyi. Für Firmino Vargas. Gisdol hatte sich den Wechsel zugetraut, er hatte sich dabei aber übernommen.
Ihr seid eigentlich ein etablierter Erstligist. Hattet bis auf eine Saison zum Teil deutlich mehr als 40 Punkte. Zuletzt sprang zweimal ein Platz in den Top 10 heraus. Wie gehen die Fans mit der aktuellen Situation um?
Puh. Nicht zuletzt durch die räumliche Distanz bin ich in der aktiven Fanszene überhaupt nicht verwurzelt und kann deshalb auch nicht für sie sprechen. In uns steckt schon immer noch ein wenig der Dorfverein, der aus der Verbandsliga hochgekommen ist. Wir haben keinen Anspruch darauf Erstligist zu sein. Ich bin deshalb auch kein großer Freund davon, alles an der Punktausbeute und der Tabellensituation festzumachen. Ich finde attraktiven Fußball packend, der lässt mich mitfiebern. Das war früher der Fall und auch unter Gisdol.
Nach Gisdol kam mit Stevens ein Vertreter der Defensivschule. Bislang ohne durchschlagenden Erfolg.
Ach diese Einordnung nach Schulen. Ich würde Stevens eher als Pragmatiker sehen, der ein Team das spielen lässt, was es kann. In Stuttgart hat er zuletzt offensiven Fußball gespielt und sie so gerettet. Jetzt hat er die Mannschaft defensiv stabilisiert. Nur gegen Gladbach und Bayern hat Hoffenheim unter ihm mehr als ein Gegentor kassiert. Die Mannschaft verliert für ein Kellerkind nicht so oft und hat ein einigermaßen gutes Torverhältnis. Mit vielen Unentschieden kommst Du jedoch leider nicht entscheidend vom Fleck. Letztlich sind die Resultate berechtigt und wir stehen nicht ganz ohne Grund da, wo wir im Moment sind.
Die Lilien kommen auswärts bislang gut zurecht. Allemal bei Teams, die agieren. Ihr habt bislang erst einen Heimsieg gegen Hannover gefeiert. Das spricht nicht unbedingt für euch.
Wir verfügen mittlerweile über ein gewisses Maß an defensiver Stabilität. Es sind schon aufwändigere Kombinationen vonnöten, um die Abwehr zu knacken. Diese spielerische Klasse fehlt Darmstadt, bei denen ich mich vor dem Fernseher dabei ertappe, die Zahl der gelungenen Pässe mitzuzählen. Auf der anderen Seite stehen sie hinten sehr gut. Wenn man dann noch die aktuelle Hoffenheimer Ideenlosigkeit in der Offensive bedenkt, dann spricht viel für ein 0:0.
Ein Punkt würde euch nicht entscheidend weiterbringen. Ein Abstieg wäre mit eurem Kader mehr als verwunderlich.
Das stimmt. Mit so einem Kader muss man sich schon relativ blöd anstellen um abzusteigen. Ich sehe die Zukunft aber nicht schwarz. Julian Nagelsmann würde sich als junger Trainer in der 2. Bundesliga womöglich sogar etwas leichter tun. Die Ansprüche wären andere, als mit einem gestandenen Bundesliga-Kader. Er könnte in der 2. Bundesliga stärker auf seine ehemaligen Jugendspieler bauen, seinen Ideen einen freieren Lauf lassen, attraktiven Fußball spielen. Deshalb würde mich persönlich ein Abstieg nicht so sehr treffen, weil ich uns gut aufgestellt sehe.
Davon könnten die Lilien profitieren.
Das stimmt. Ich kann mich übrigens noch daran erinnern, wie bei uns im Stadion für euch gesammelt wurde, als ihr knapp vor der Insolvenz standet. Da kamen Jungs mit Spendendosen vorbei und haben gesagt, hier, Darmstadt 98 geht es schlecht. Ein alter Verein, dem muss geholfen werden. Das Engagement hatte mich damals offen gestanden gewundert, da es zu Darmstadt wenig Bezugspunkte gab und Hoffenheim selbst ja eine ganz andere Geschichte hat.
Das stimmt. Mir hat unser damaliger Präsident Hans Kessler auch erzählt, dass die Hoffenheimer Fans für die Lilien gesammelt hätten. Zum Glück sind die Zeiten vorbei. Julian, ich danke Dir recht herzlich, für den interessanten Austausch.
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