Okay, große Sprünge machen die Lilien derzeit nun wirklich nicht. Doch trotz andauernder Sieglos-Serie sammeln sie weiter beharrlich Punkt für Punkt. Jetzt geht es nach Hamburg, wo der HSV so langsam auf einen Saisonausklang ohne Relegation zusteuert. Den frühzeitigen Klassenerhalt sehnt auch Sven herbei, der bei meinsportradio.de die HSV-Raute in Ehren hält und mit dem ich am Ende spreche.
So sieht’s aus:
Ist das Glas halb voll oder doch eher halb leer? Das fragt man sich als Lilienfan derzeit Spieltag für Spieltag. In fünf der letzten sechs Partien teilten sich die Jungs von Dirk Schuster die Punkte mit ihren Kontrahenten. In vier Begegnungen lag man zwischenzeitlich in Führung. So gesehen kommen die 98er in der Tabelle nicht so recht vom Fleck. Doch lässt man die Ergebnisse außen vor, so bleibt positiv festzuhalten, dass die Leistung der Elf stimmt. Sie macht spielerische Fortschritte, ist im Kopf immer bereit alles zu geben und lässt sich von keinem Kontrahenten auseinanderdividieren.
Genauso war es auch am vergangenen Samstag gegen den VfB. Die Schwaben hätten sich am Ende nicht beschweren dürfen, wenn sie ohne Punkt nach Hause gefahren wären. Doch dieses Mal verlegten die Lilien die Last-Minute-Gegentore einfach in die erste Hälfte. Fiel das 1:1 in der 45 Minute durch Christian Gentner aus heiterem Himmel, so war das kurz darauf durch den starken Lukas Rupp erzielte 1:2 ein richtiger Nackenschlag. Dementsprechend gedämpft war zur Pause die Stimmung am Bölle. Doch die Elf ließ sich nicht entmutigen, schlug durch Peter Niemeyer rasch zurück und scheiterte kurz vor Schluss zweimal am Aluminium. Sehen wir es also einfach so:
- auch wenn der letzte Sieg vom 07. Februar datiert, liegen die Lilien sechs Spieltage vor Schluss immer noch auf Rang 13,
- der SVD ist mit einem intakten und unaufgeregten Team noch mittendrin im Kampf um den Klassenverbleib,
- er hat mit 29 Punkten jetzt schon den eigenen Bundesliga-Rekord geknackt,
- er verfügt mit Sandro Wagner über einen Stürmer, der zuverlässig einnetzt, und der dabei ist, Bodo Mattern im vereinsinternen Alltime-Bundesliga-Ranking von Platz 2 zu verdrängen.
Der Hamburger SV hat mit dem 3:0 bei Schlusslicht Hannover 96 einen gewaltigen Schritt zum Klassenerhalt gemacht. 34 Punkte und Rang 10 lassen nach 28 Spieltagen darauf schließen, dass bei den Rothosen nicht mehr allzu viel anbrennt. Dennoch stand der Sieg in Hannover lange auf der Kippe. Eine Stunde hatten die Niedersachsen deutlich mehr vom Spiel, es fehlte lediglich das 1:0. Dies fiel stattdessen im Anschluss an eine Ecke für den HSV, woraufhin das Team von Bruno Labbadia leichtes Spiel hatte. Mit zwölf Punkten in der Rückrunde hat der HSV lediglich einen mehr geholt als Darmstadt. Immens wichtig war der Heimsieg Mitte Februar gegen Mönchengladbach, der einen Negativtrend und Sinkflug in der Tabelle stoppte. Gegen Teams aus dem Tabellenkeller tun sie sich allerdings im heimischen Stadion schwer. Von den Klubs, die hinter ihnen rangieren, konnte Bruno Labbadias Team zuhause nur den VfB besiegen, verlor dagegen gegen Hannover, Augsburg und Hoffenheim.
Wir & Die & Die Bundesliga:
Zweimal fuhren die Lilien bislang in der Bundesliga zum HSV und immer verloren sie beim späteren Deutschen Meister. Am 28. September 1978 hielt der Tabellenletzte aus Darmstadt das Ergebnis beim Topteam in Grenzen. Die 2:1-Niederlage (Torschützen: Bertl, Hartwig – Eigl) sah der kicker folgendermaßen:
„Der ängstlich-vorsichtig defensive Aufsteiger überließ in der ersten Hälfte den Hamburgern so sehr das Gesetz des Handelns, daß sich nahezu alles Geschehen zwischen der Mittellinie und dem Darmstädter Strafraum abspielte. (…) Ein hoher Sieg wurde vertan. Ein verändertes Bild nach der Pause. (…) Dem HSV-Spiel fehlten plötzlich das Tempo und weiterhin die Aktionen über die Flügel. (…) „Jimmy“ Hartwig sicherte dann den hochverdienten Sieg der besseren, wenn auch nicht klüger spielenden Mannschaft. (…) Die Darmstädter wissen nach der zweiten Halbzeit, daß sie so schlecht nicht sind.“
Am 14. November 1981 reiste der SVD als Vorletzter ins Volksparkstadion zum Tabellenführer. Dabei stand er von Anfang an auf verlorenem Posten. Bereits zur Halbzeit stand es 5:0 für den HSV, der sich letztlich mit 6:1 (Tore: Hartwig, Magath, Hrubesch, Milewski, Jakobs, Hieronymus – Cestonaro) durchsetzte. Der kicker:
„Der HSV dominierte 45 Minuten lang und hätte sogar höher als 5:0 führen können, später verzettelte er sich gegen eine von der ersten bis zur letzten Minute desolaten Gästeabwehr in technischen Kabinettstückchen. (…) An Möglichkeiten trennte beide Mannschaften mindestens eine Klasse Unterschied. (…) Der HSV scheint derzeit kaum zu stoppen, die Gäste tun gut daran, sich auf einen harten Abstiegskampf gefaßt zu machen.“
Den wahrlich schwarzen Samstag komplettierten diverse Verletzungen. SVD-Keeper Dieter Rudolf brach sich in der ersten Hälfte den dritten Lendenwirbelfortsatz. Der ihn ersetzende Frank Berlepp kugelte sich den Ringfinger aus, den laut Darmstädter Echo Trainer (!) Werner Olk einrenkte, damit er weiterspielen konnte. Verteidiger Edwin Westenberger musste mit einer Platzwunde und leichter Gehirnerschütterung wie Rudolf noch während des Spiels ins Krankenhaus. Und last but not least blieb Goalgetter Peter Cestonaro nichts anderes übrig, als mit einer Knieverletzung durchzuspielen, da kein Wechsel mehr möglich war.
Ach ja, an diesem Wochenende vor fünf Jahren:
Traten die viertplatzierten Lilien in der Regionalliga Süd beim SC Freiburg II an. Nach einem Rückstand zur Halbzeit drehte das Team von Kosta Runjaic die Partie noch durch Treffer von Oliver Heil (55.) und Uwe Hesse (90+1) . 400 Zuschauer erlebten das Duell, bei dem sich der damals 18-jährige Freiburg-Keeper Alexander Schwolow auszeichnen konnte. Heute schickt er sich an, mit den SCF-Profis die Erstliga-Rückkehr sicherzustellen. Dank des Last-Minute-Sieges hielten die 98er den Anschluss an die Tabellenspitze, die aus Hessen Kassel, den Stuttgarter Kickers, Greuther Fürth II und eben den Lilien bestand.
Und die Junglilien:
Die zogen am vergangenen Spieltag mit 0:3 gegen die U19 von Mainz 05 den Kürzeren. Der Rückstand auf das rettende Ufer beträgt fünf Spieltage vor Saisonende weiterhin sechs Punkte. Nun geht es am Samstag in der Bundesliga Süd/Südwest zum Karlsruher SC. Sollte beim Drittletzten ein Sieg herausspringen, könnte der fast sichere Abstieg ein wenig hinausgezögert werden. Im Hinspiel trennten sich beide Farben mit 1:1.
Der Kontrahent hat das Wort
Sven (51) ist bei meinsportradio.de für den wöchentlichen HSV-Talk zuständig und bloggt unter zwergenwerke.blogspot.de über seinen Herzensklub.
Sven, der Drops ist so gut wie gelutscht, oder? Noch ein Sieg aus sechs Spielen und ihr solltet gerettet sein.
Ja, so sieht es aus. Wobei gerade die erste Halbzeit in Hannover so schlecht war, dass jeder andere Gegner sie zu mehreren Toren ausgenutzt hätte. Der Auftritt war so schlecht, dass mir der langersehnte und absolut wichtige Sieg am Ende sogar etwas peinlich war. So gesehen werde ich sämtliche Feierlichkeiten bis zum Erreichen der 40-Punkte-Marke oder des rechnerischen Klassenerhalts aufschieben.
Rückbetrachtend kam für mich euer Sieg im Februar gegen Mönchengladbach völlig überraschend. War dieser Erfolg nach zuvor zwei Punkten aus sechs Partien das entscheidende Ergebnis, um nicht so richtig in die Bredouille zu geraten?
Vielleicht. Die Rückrunde hat ja mit einem ordentlichen Heimspiel gegen Bayern, einer desolaten Vorstellung in Stuttgart und einem eher glücklichen Punkt gegen Köln begonnen, da kam ein überzeugender Sieg gegen Gladbach natürlich gerade recht, auch wenn man es verpasste diesen beim 0:0 in Frankfurt zu vergolden.
Will man es positiv ausdrücken, dann sind die Spiele meines Leib- und Magenvereins so spannend, weil man nie weiß welches Gesicht das Team am Spieltag zeigen wird: Die hässliche Fratze des Schalkespiels, als man eine glückliche Führung gegen einen verunsicherten Gegner durch Passivität herschenkte oder die konzentrierte Leistung im folgenden Heimspiel gegen die Hertha.
Dennoch hatte ich euch bis zum vergangenen Wochenende im Verdacht noch hinten reinzurutschen. Was macht ihr in dieser Saison besser, als in den beiden vorangegangenen Spielzeiten?
Das ging mir auch so. Konstanz liegt halt am Bodensee und davon ist Hamburg ’ne ganze Ecke weg. Wenn der HSV zu 100 Prozent konzentriert und motiviert in eine Partie geht, dann kann er sie auch für sich entscheiden; (fast) egal gegen wen er spielt. Das war in den letzten Jahren nicht so. Zudem hat man sich vor der Saison von vielen großen Namen getrennt, die nur noch Mitläufer waren. Die Mannschaft wirkt an guten Tagen wesentlich homogener, als noch im letzten Jahr. Man darf sogar hoffen, dass ein Fundament am entsteht, welches eine Weiterentwicklung in den kommenden Jahren ermöglicht.
Welche Rolle spielt Coach Bruno Labbadia bei dieser Entwicklung?
Labbadia haben wir es zu verdanken, dass wir noch erstklassig spielen dürfen. Dafür sollten und werden wir ihm ein Denkmal setzen. Er ist seit seiner Rückkehr zu einer Gallionsfigur der Öffentlichkeitsarbeit geworden, hinter der sich Personen und auch manche Missstände verstecken ließen. Er hat der Mannschaft eine Mentalität und zum Teil auch eine Identität gegeben. Er hat das von mir angesprochene Fundament geschaffen. Das alles sage ich, der ich bei seiner Rückkehr vor einem Jahr absolut entsetzt war. Jetzt muss er zeigen, dass er eine Mannschaft mit beschränkten Mitteln entwickeln kann. Ich bin skeptisch, werde ihm aber so lange wie möglich Zeit dafür geben, weil er sich diese verdient hat.
Dennoch überzeugt mich der HSV nach wie vor spielerisch nicht. Mir fehlt eine klar erkennbare Handschrift. Zudem wirkt der Verein als Ganzes noch lange nicht gefestigt. Wie siehst Du das?
Der HSV schafft es noch zu selten 100 Prozent auf den Platz zu bringen, eine Tatsache, die zum Beispiel in Darmstadt undenkbar wäre. Zudem lässt man sich zu oft das Spielgerät geben, mit dem man dann zu wenig anfangen kann. Allerdings gibt es da leichte Zeichen einer Besserung.
Was den Verein anbetrifft, so befindet er sich im zweiten Jahr nach der Ausgliederung. Es wurde vieles von links auf rechts gedreht und man hat nach wie vor das Gefühl, dass noch nicht jeder seine Position im neuen Konstrukt gefunden hat. Man hat den HSV in einem desolaten Zustand vorgefunden und es durch mehrere nur schwer nachvollziehbare Entscheidungen verpasst, diesen wesentlich zu verbessern. Das Rekordminus von 16,9 Millionen Euro aus der Spielzeit 14/15 zeugt von einer unkoordinierten Herangehensweise der neue Vereinsführung und damit hat sich diese selbst immer mehr unter Druck gesetzt. Dabei hätte man die Rückendeckung der Mitglieder und des gesamten Vereins für einschneidende Änderungen gehabt. Kurzum: Eine verpasste Chance!
Wer ist in der HSV-Mannschaft derzeit unersetzlich?
Schwer zu sagen. Man könnte Adler nennen, der mich auch in den Interviews nach den Spielen durch seine klaren Ansichten überzeugt. Sportlich hat Drobny jedoch gezeigt, dass er ihn ebenbürtig ersetzen kann. Holtby und Ekdal bilden auf der Doppelsechs das Zentrum des Spiels und haben vielleicht daher die größte Bedeutung für die Mannschaft, wobei das in Hannover ganz anders aussah… bleibt also wieder nur der Trainer.
Wieso spielt Ivica Olic keine Rolle mehr? Er sollte doch in der Lage sein, einen Sven Schipplock zu verdrängen.
Mit Olic wollte man sich auch ein Stück Mentalität einkaufen, hat es aber nicht geschafft ihn seine Qualitäten ins Spiel einbringen zu lassen. Unter Labbadia sollte er über außen kommen, eine Position, die im labbadiaschem System mit sehr viel Defensivarbeit verbunden ist. Über diese Ausrichtung soll es Differenzen zwischen den beiden gegeben haben, die Labbadia Olic sehr übel genommen hat… und Tschüss.
Wenn man den Gerüchten Glauben schenken mag, dann scheint bei Emir Spahic auch innerhalb der Mannschaft die Hand recht locker zu sitzen. Das ist sicher nicht gerade förderlich für das Binnenklima.
Man sagt, dass Spahic in der Mannschaft eine absolute Respektperson ist, erfolgshungrig bis erfolgsbesessen. Er soll die Achtung seiner Kollegen trotz seiner Ausrutscher und nicht durch diese haben. Daher schätze ich die Auswirkungen auf das Binnenklima als relativ gering ein. Für die Presse, die (wie immer) wieder alles serviert bekommt, ist das natürlich ein gefundenes Fressen.
Wie erlebst Du die Lilien in dieser Saison? Was imponiert Dir am meisten?
Erst einmal freue ich mich, dass Boban Rajkovic bei euch eine Heimat gefunden hat. Er darf regelmäßig spielen und kann endlich zeigen, dass er ein Guter ist.
Als HSVer gucke ich immer etwas neidisch auf Vereine, denen es gelingt das Maximale aus ihren Möglichkeiten herauszuholen. Man darf gar nicht daran denken wo wir wären, wenn uns das gelänge. Die Tatsache, dass ihr als Verein anscheinend unbeirrbar euren Weg geht, ganz egal wo euch dieser am Ende hinführen wird, nötigt mir Respekt ab. Aussortierte, ausgemusterte Spieler zu verpflichten und diese vielleicht erstmals ihren Möglichkeiten entsprechend einzusetzen und sie so im Sinne der Mannschaft zum Funktionieren zu bringen, sie in ein einfaches, aber unheimlich wirkungsvolles Konzept zu stecken ist in meinen Augen das Erfolgsgeheimnis. Ich kann mich davor nur verneigen, auch wenn ich anmerken muss, dass mir das Reißen einer Serie nicht gefällt. Schließlich wurden wir immer, wenn ihr in der Liga wart Meister und damit könnte es in diesem Jahr knapp werden.
Wohl wahr. Wie müssen die Lilien am Samstag auftreten, um dem HSV so richtig die Laune zu verderben und am besten mal wieder einen Sieg einzufahren?
Ganz einfach. So wie immer! Gebt uns den Ball, nervt uns mit Einsatzbereitschaft und einer guten Raumaufteilung und wartet auf Fehler. Sie werden kommen, dessen bin ich mir sicher. Ob es dann zu einem Sieg für euch reicht, wird daran liegen, wie wir mit eurem Spiel umgehen und wie ihr die Chancen nutzt, die sich euch bieten werden.
Sven, besten Dank für Deine informativen Ausführungen.
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