Spieltag 10 (#b04d98): „Dieses ‚tolle Passspiel‘ um den 16er herum macht mich rasend“

screenhunter_27-oct-31-23-14Denkt der Lilien-Fan an die BayArena in Leverkusen, denkt er an den vierten Spieltag der vergangenen Spielzeit. Damals behielt der SVD dank Aytac Sulus‘ Schädel mit 1:0 die Oberhand und feierte den ersten Bundesligasieg nach 33 Jahren. Die 98er waren mit diesem Spiel so richtig im Oberhaus angekommen. Da wäre es doch passend, wenn die Lilien in diesem Jahr ihren ersten Auswärtspunkt in Leverkusen einfahren würden. Mit Kevin kommt im Vorbericht ein bekennender Fan der Rheinländer zu Wort. Daneben moderiert er bei meinsportradio.de.

So sieht’s aus:

Vorab zum Erfreulichen: Die Zahlen stimmen. Zumindest die in der Bilanz. Die Klubführung gab am Montag auf der Mitgliederversammlung bekannt, dass die Lilien auf ihre erfolgreichste Spielzeit überhaupt zurückblicken können. Über 40 Millionen Euro Jahresumsatz, ein Gewinn von 6,9 Millionen Euro, ein Eigenkapital von 6,7 Millionen Euro. Was bei der Bundesliga-Konkurrenz vielleicht nur ein müdes Achselzucken hervorruft, bedeutet für Darmstadt 98 einen Quantensprung. Obendrein ist das bisherige Präsidium, das den sportlichen Höhenflug begleitet hat, von den Mitgliedern bestätigt worden. Ein Ärgernis bleibt die Stadionfrage, die nicht so recht vorangehen will. Hier droht laut Präsident Rüdiger Fritsch das günstige Momentum des sportlichen Höhenflugs zu verpuffen. Es ist und bleibt ein Ärgernis!

Doch nun zum Tagesgeschäft: Sie ist gerissen, die Heimserie. Im fünften Spiel setzte es gegen RB Leipzig die erste Saisonniederlage am Böllenfalltor. Den hochfavorisierten Gästen vermochten die Lilien kein Bein zu stellen. Hinten kompakt stehen, gut verschieben, wenig Räume bieten, all das ging lange Zeit wie geplant auf. Nach vorne ging allerdings rein gar nichts. So bleibt zu resümieren, dass die Leipziger entweder so dominant waren, dass einfach nicht mehr drin war. Oder, dass es von Anfang an nur darum ging, kein Tor zu fangen und einfach auf ein 0:0 zu setzen. Sei es, wie es ist, das Offensivspiel der Lilien lässt viel zu viele Wünsche offen. Der kicker verzeichnet nach neun Spieltagen 28 Torchancen für die Lilien, das Online-Portal wahretabelle.de zählt gar nur 18. In beiden Fällen rangiert nur Schlusslicht Hamburger SV hinter den Lilien. Je nachdem, welcher Erhebung man glaubt, schaffen es die Lilien nur alle 30 oder gar nur alle 45 Minuten einen Schuss auf das gegnerische Gehäuse zu bringen. Das ist äußerst dürftig.

Was einen gegen Leipzig ebenfalls stutzig machte. Die Gäste übertrumpften den SVD in puncto Laufleistung (113,4 : 110,2 Kilometer) und Zweikampfstärke (56 : 44 Prozent) deutlich. Das sollte nun wirklich nicht sein. Denn wo sonst sollte ein Underdog stärker sein und dem Gegner den Zahn ziehen können? Es bleibt zu hoffen, dass die Lilien die enttäuschende letzte Woche (erinnert sei an die Pokal-Blamage beim FC Astoria Walldorf) am letzten Spieltag vor der Länderspielpause wettmachen können.

Dann geht es nach Leverkusen, die zuletzt gegen Wolfsburg gewannen (wie die Lilien vor zwei Wochen) und die zuvor ebenfalls gegen einen unterklassigen Klub (die Sportfreunde Lotte) aus dem Pokal ausgeschieden waren. Ein Spiegelbild der bislang überaus durchwachsenen Saison. Vielleicht kommt es den Lilien zupass, dass Leverkusen am Mittwochabend in der Champions League gefordert war? Der Sieg der Bayer-Elf bei Tottenham dürfte allerdings deren Willen gestärkt haben, die Aufholjagd in der Bundesliga endlich zu starten und nicht noch weiter aufzuschieben. Gerade jetzt vor der Länderspielpause.


Der Kontrahent hat das Wort:

Kevin kennt sich als Moderator bei meinsportradio.de sehr gut im Bundesliga-Geschehen aus. Am allerbesten allerdings bei „seinem“ Werksklub.

Kevin, wir haben Anfang November und Leverkusen stellt absolutes Mittelmaß dar. In der Bundesliga vier Siege, ein Remis, vier Niederlagen, 13:13 Tore. In der Champions League standen vor dem Tottenham-Spiel drei Unentschieden zu Buche. Im DFB-Pokal seid ihr gegen Lotte raus. Zufrieden kannst Du damit nicht sein, oder?
Auf keinen Fall. Vor der Saison bin ich, wie auch sehr viele andere Fans und natürlich auch Teile der Medien und Trainerkollegen von Roger Schmidt, von viel mehr ausgegangen. Ich habe im Leben nicht damit gerechnet, dass wir vor dem, ja so richtungsweisenden, 10. Spieltag dort stehen, wo wir jetzt stehen. Das kann und darf nicht unser Anspruch sein, denn Bayer 04 ist ein absoluter Spitzenklub der Bundesliga und gehört sicher nicht auf Platz 10. Was da im DFB-Pokal passiert ist, war eine Blamage sondergleichen. Da haben sich alle Spieler auf dem Platz von ihrer schlechtesten Seite gezeigt und sind verdient aus dem Wettbewerb ausgeschieden, in dem man in Leverkusen so viel mitnehmen wollte. Tja, ein weiteres Jahr ohne Titel steht also auf dem Programm – könnte man jetzt denken. In der Champions League ist die Ausbeute vor dem Tottenham-Rückspiel am Mittwoch an und für sich gar nicht mal so schlecht gewesen. Drei Unentschieden sind jetzt sicher nicht allererste Sahne, aber besser als Niederlagen. Das Spiel in Wembley jedoch war richtig gut und hat Hoffnung gemacht, dass es (anders als noch beim Sieg gegen Dortmund) jetzt zu mehr Konstanz führen kann. Der Weg raus aus dem Mittelmaß muss endlich eingeschlagen werden, sonst wird es eng mit der Champions League in der Saison 2017/18.

Drei der vier Bundesligasiege kamen erst zustande, als das Team in den letzten zehn Minuten ein Spiel drehte. Das spricht für die Moral, souverän sieht aber anders aus. Warum läuft es nicht bei dem Team, das viele vor der Saison noch als potentiellen Vizemeister auf dem Schirm hatten?
Ich hatte uns sogar als potenziellen Meister auf dem Schirm, da bin ich ganz ehrlich. Wenn man bedenkt, dass das 2:1 in Wolfsburg eher ein Zufallsprodukt war – genauso wie das Tor in London – dann muss man sehen, dass die Mannschaft eine unglaubliche Moral zu haben scheint, die sie eigentlich gar nicht bräuchte, wenn sie ihre Qualität im Kader mal konsequent und konstant ausspielen würde. Das fehlt mir: Konsequenz und Konstanz. Sobald beides eintritt, werden die souveränen Ergebnisse schon kommen, aber bis dahin ist es glaube ich noch ein weiter Weg. Innerhalb der Mannschaft fehlt es manchmal an Balance, Spielverständnis und auch mal an einem Abschluss. Dieses „tolle Passspiel“ um den 16er herum macht mich rasend. Da soll sich einfach mal jemand ein Herz nehmen und draufhalten, dann klingelts halt auch mal so im Kasten. Tor ist Tor. Das muss der Trainer auf jeden Fall in den Griff bekommen und den Spielern eintrichtern. In Schönheit sterben hat noch Niemandem weitergeholfen, das ist einfach so.

Lässt sich die Misere auch an einigen Spielern fest machen? Bei wem läuft es bislang nicht so recht?
Auf jeder Position außer dem Tor gibt’s da so Spieler, bei denen es in dieser Saison nicht richtig laufen will. In der Verteidigung ist das vor allem Wendell, dessen linke Seite viel zu häufig zittrig und leicht zu überspielen ist. Im Mittelfeld fehlt mir bei Charles Aranguiz manchmal etwas mehr Ruhe, er spielt mir teilweise zu hektisch in die Offensive rein. Lars Bender ist nach wie vor vom Verletzungspech verfolgt, sein Ersatz Julian Baumgartlinger muss sich an Spielweise, Tempo und Anspruch erst gewöhnen. Offensiv fehlt Karim Bellarabi an allen Ecken und Enden, Julian Brandt wirkt total verloren aktuell. Er sieht müde aus, spielt nicht sonderlich gut und braucht dringend mal eine Pause. Kevin Volland hat noch nicht den Effekt gebracht, den man sich von ihm erhofft hat und Chicharito hängt viel zu sehr in der Luft vorne. Der muss sich einfach die Bälle noch mehr holen.

Coach Roger Schmidt wirkt für mich an der Seitenlinie häufig wie eine beleidigte Leberwurst. Welchen Anteil hat er an der Stagnation?
Den Löwenanteil. Roger Schmidt ist dafür zuständig, die Mannschaft auf- und einzustellen und sie bestmöglich auf den Gegner vorzubereiten. Und das passiert leider zu wenig. Schmidt ist ein sturer Bock, der sein System durchdrücken will, obwohl dass gegen die meisten Mannschaften einfach nicht funktioniert. Da muss man dann mal einen Plan B entwickeln oder gar einen Plan C. Dann würde man mit einem besser ausbalancierten System auch den Spielertypen wie Hakan Calhanoglu helfen, die eben nicht 90 Minuten rennen können. Da fehlt mir bei Roger Schmidt einfach mal die Einsicht, dass er Fehler auch bei sich sucht und nicht nur bei Schiri, Gegner oder dem Kuckuck. An ihm reibe ich mich sehr auf, denn ich bezweifle immer noch, dass sich mit ihm der gewünschte Erfolg einstellen wird. Es sind einfach zu viele Berg- und Talfahrten, zu wenig Konstanz und auf eine Siegesserie will und kann ich mich nicht verlassen. Aber sein Kopf war in Leverkusen nie in einer Schlinge und selbst wenn, ist er jetzt raus. Jetzt gilt es auch für ihn den nächsten Schritt in seiner Entwicklung zu machen.

Jetzt kehrt er nach seiner Sperre wieder zurück. In der letzten Saison war er ebenfalls gesperrt und anschließend lief es bei euch richtig rund. Gelingt eine Wiederholung oder hat er sich langsam verschlissen?
Gute Frage, das kann ich dir nach ein paar Spielen beantworten.

Dann blicken wir auf das Darmstadt-Spiel. Vor einem Jahr übertölpelten euch die Lilien in der BayArena und gewannen nicht unverdient mit 1:0. Traust Du den in diesem Jahr auswärts noch punktlosen 98ern zu, erneut was aus Leverkusen mitzunehmen?
Natürlich! Darmstadt ist ein sehr unangenehmer Gegner mit einem noch unangenehmeren Trainer. Wenn sie die Tugenden, die sie immer auf den Platz bringen, wieder mit nach Leverkusen bringen, die ein hartes Champions League-Spiel hinter sich haben, dann kann Darmstadt definitiv was Zählbares mitnehmen, keine Frage.

Mit welchen Mitteln wäre euch aktuell am besten beizukommen?
Ich umschreibe das immer mit einem „antizyklischen Spielstil“. Werder Bremen hat das richtig gut gegen uns gemacht. Man kann uns eigentlich immer sehr weit kommen lassen, quasi bis an den 16er, denn im Zweifelsfall versuchen wir drum herum zu spielen. Uns fehlt da manchmal die Idee. Heißt, wenn der Gegner tief steht, aber dennoch in einem engen Verbund, ist das Spielen gegen uns in der Defensive gut möglich. Offensiv darf der Gegner dann nicht auf Teufel komm raus angreifen, sondern muss versuchen solide sein Spiel aufzubauen und in den wichtigen Momenten da zu sein. Es ist also kein genauer Spielstil, der uns schlägt, sondern eine balancierte Herangehensweise. Ach ja und Standards natürlich, aber das wisst ihr ja bereits!

Vielen Dank, Kevin.
Danke dir, Matthias und auf ein gutes Spiel!


An diesem Wochenende vor vier Jahren:

Kam es am Böllenfalltor in der 3. Liga zum ewig jungen Südhessenderby gegen die Offenbacher Kickers. Der 18. aus Darmstadt empfing die achtplatzierten Gäste, die seit elf Ligaspielen ungeschlagen waren und unter der Woche Union Berlin aus dem DFB-Pokal gekegelt hatten. Die Rollen waren also klar verteilt, doch was ist bitteschön bei einem Derby schon klar? 9.600 Zuschauer sollten ihr Kommen nicht bereuen, sofern sie Lilienfans waren. Die Heimelf hatte nach Wochen mit dürftigen Leistungen endlich mal wieder ihr Herz entdeckt. Die erste Hälfte gehörte den 98ern, an deren Ende Hanno Behrens (der hernach die kicker-Note 1 erhielt) mit seinem Tor zum 1:0 eine Schleife band. In den zweiten 45 Minuten fighteten die Lilien bei Dauerregen und brachten den Vorsprung nach Hause. Anschließend herrschte Genugtuung und Erleichterung auf den Rängen. Das Team hatte den Abstiegskampf angenommen, zumindest für diese wichtigen 90 Minuten gegen den OFC. Das tat gut … sehr gut.

Das Lilien-Team vom 1:0-Sieg gegen den OFC:
Zimmermann – Gaebler, Islamoglu, Gorka, Stegmayer – Behrens (1) – Hesse (Mladenovic), Baier, da Costa (Beisel), Zimmerman (Zielinsky) – Steegmann
Zuschauer: 9.600

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