Na was ist denn hier los? Die Lilien punkten auswärts! Dreifach! Verdient! Ja, man möchte fast schon sagen souverän. Wunderbar! Da scheint auf der Zielgeraden einer zumeist frustrierenden Saison ein Team zu sich selbst zu finden. Legt der SVD nach dem Erfolg in Hamburg gegen den SC Freiburg nach? Zuzutrauen wäre es ihm nach der zuletzt ansteigenden Form. Während meines Vorberichts spreche ich mit SC-Fan Michael, der beim Füchsletalk-Podcast mitmischt, über die grandiose Saison des Aufsteigers.
So sieht’s aus:
Da war er endlich, der Brustlöser auf den Klub, Spieler und Fans 14 lange Auswärtsbegegnungen warten mussten: der erste Auswärtssieg der Saison. Das Team ließ im Gegensatz zu den letzten Partien in Ingolstadt und gegen Schalke hinten nichts anbrennen. Geriet es damals oft ins Schwimmen, so hatte man in Hamburg während der ersten Hälfte nie die Sorge, hier könne gleich ein Tor für den HSV fallen. Kurz nach der Halbzeit stellten Aytac Sulu (selbstredend nach einem Standard!) und Felix Platte per Doppelschlag konsequent auf 2:0.
Spätestens danach war zu merken, wo sich so ein Spiel gegen Ende einer Saison ebenfalls abspielt: zwischen den Ohren! Der HSV hatte einiges zu verlieren, die Lilien überhaupt nichts. Dementsprechend war das Auftreten beider Teams. Der HSV blockiert, die Lilien fast schon locker und befreit. Das Darmstädter Kollektiv wusste zu überzeugen, agierte wenig fehlerhaft und es scheint sich sogar langsam so etwas wie eine Stammelf herauszukristallisieren. Vieles erinnerte aus Lilien-Sicht an die Auswärtsspiele der letzten Spielzeit, aus denen die 98er sagenhafte 26 Punkte mitnahmen. Sogar das Gegentor in der Endphase kennen wir aus 2015/16. Doch auch danach ging alles glatt und der Schlusspfiff sorgte für ein großes Hallo bei Spielern, Trainerteam und Fans.
Nun kommt der SC Freiburg ans Böllenfalltor. Den Aufsteiger hatte man sich als Lilien-Fan vor Saisonbeginn als Kontrahenten im Abstiegskampf ausgeguckt, doch da spielten die Breisgauer nicht mit. Von Anfang an legten sie sich ein Punktepolster zu und können mit inzwischen 44 Punkten das Wort Klassenerhalt vorwärts wie rückwärts herunterbeten. Einzig das Torverhältnis von -14 irritiert dabei ein wenig. SC-Trainer Christian Streich erklärt das damit, dass Freiburg gerne das Risiko suche und einen Rückstand umgehend korrigieren möchte. Das ginge dann schon mal nach hinten los. Dafür entschieden sie die meisten engen Spiele für sich. Das Hinspiel war ein eben solches. Die Lilien zeigten ihre bis dahin engagierteste Partie und verloren erst kurz vor Schluss durch einen Elfmeter mit 1:0. Ansporn genug, den verlorenen Zähler am Samstag zurückzuholen, oder gleich drei davon.
EXKURS: Meine LILIEN-KOLUMNE im P
So schnell kann es gehen. Nach dem 2:3 vor drei Wochen in Ingolstadt saß der Frust tief. Zu wenig clever traten die unterlegenen Lilien auf, die selbst die Gastgeschenke der Schanzer partout nicht in Punkte ummünzen wollten. Just zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine erste Lilien-Kolumne für die Mai-Ausgabe des Darmstädter P-Stadtkulturmagazin einzureichen, die in diesen Tagen erscheinen wird. Mein erbetenes Saisonfazit fiel nach 28 Spieltagen durch und durch ernüchternd aus. Die Headline „Mannschaft ohne Eigenschaften“ wirkt nach den seitherigen Auftritten deplaziert. Shit happens! Das Schicksal des frühen Redaktionsschlusses. Und doch muss eine Bilanz natürlich den Saionverlauf berücksichtigen, und der war überwiegend ungenügend. However, ihr wisst jetzt, bei wem der Shitstorm aufschlagen darf 😉
Die aktuelle Prise Lilien-Podcast:
Mit David hatten wir am Montag prominente Verstärkung aus dem Drei90-Podcast an Bord. Er kennt den SCF und den SVD aus dem Effeff, so dass wir gerne mit ihm über die beiden Klubs diskutierten: KLICK.
Der Kontrahent hat das Wort:
Michael supportet den SC Freiburg und ist fester Bestandteil des Füchsletalks (KLICK), der sich bei meinsportradio.de allmonatlich mit dem aktuellen Tabellensechsten befasst.
Michael, was hat dich zum SC-Fan gemacht? Oder muss ich fragen, was hat dich nach Leipzig verschlagen?
Freiburg-Fan bin ich tatsächlich noch länger als SC-Fan: als Kind war der SC einfach der Verein, der dort Fußball gespielt hat, wo wir mit der Familie oft Urlaub gemacht haben – ich war also immer schon Exil- bzw Auswärtsfan wenn man so will. Ist mal eine etwas andere Geschichte als „mein Vater hat mich gleich nach der Geburt bei Schalke (oder so) angemeldet!“ Nach Leipzig bin ich vor drei Jahren gezogen, weil meine Frau hier studiert hat und nach dem Studium beim MDR gelandet ist. Seit ich hier wohne, habe ich immerhin ein Auswärtsspiel im Jahr zu dem ich laufen kann. Diese Brausegeschichte in Leipzig hat also nicht nur Nachteile.
Der SC ist für mich die positive Überraschung der Saison. Wo hättest Du ihn vor Saisonbeginn getippt und was waren für dich die Erfolgsfaktoren der Saison?
Die Mannschaft ist im Sommer zusammen geblieben und wurde noch ergänzt, das ist für uns sehr außergewöhnlich. Normalerweise muss man eigentlich nach jeder Saison mindestens einen Leistungsträger ersetzen und es dauert dann bis zur Winterpause bis alles wieder eingespielt ist. Deswegen hatte ich also schon mit einem einigermaßen souveränen Klassenerhalt gerechnet. Dass es so eine super Saison werden könnte, hätte ich aber nicht gedacht. Wobei man dazu sagen muss, dass man sich von der Tabelle auch nicht blenden lassen sollte: viele Siege waren knapp, viele Niederlagen hoch; wir haben fast die gleiche Tordifferenz wie Mainz und haben elf Punkte mehr.
Das Streich-Team ist sogar dick im Rennen um die Europapokalplätze. Ist das fast schon zu viel des Guten? Oder anders gefragt: Wäre der SC so gefestigt Europa zu entern, ohne in der Bundesliga Federn zu lassen?
Einerseits wäre es schon ein Risiko: zum einen die Doppelbelastung und die Reisen, und dann werden wegen des Erfolgs wieder einige Spieler weiter ziehen. Andererseits werden wohl Grifo, Philipp und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch der ein oder andere gehen, wenn wir am Ende nur Achter werden. Das wird für den Kader wesentlich schwerer wiegen, als eine Doppelbelastung, die, wenn man ganz ehrlich ist, ja vermutlich leider nicht allzu lange anhalten würde. Als Fan würde es mich sehr freuen, wenn es mit der Europa League klappt. Ich habe schöne Erinnerungen an die letzten Reisen, habe eine Menge netter Leute getroffen und ein bisschen was von Europa gesehen. Mit Estoril und Liberec auch Orte, in die ich ohne Europacup normalerweise nicht gefahren wäre.
Was auffällt, ist das kuriose Torverhältnis. Worauf führst Du es zurück? Und was machen Deine Überlegungen ein T-Shirt anzufertigen, auf dem steht „Don’t mention the Tordifferenz“?
Das Shirt stände in guter Gesellschaft mit anderen großartigen SC-Shirts aus der Vergangenheit. Allen voran das mit dem Slogan „Scheiß SC, Du machst mich fertig“ aus den frühen Neunzigern. Aber: es werden wohl Aufkleber werden, das ist nicht so aufwendig. Die Tordifferenz selber – über die ich also nicht wirklich sprechen möchte – ist einer der seltenen Anlässe, einmal das Wort kurios zu verwenden. Alleine dafür sollten wir uns einfach freuen und uns nicht in einer tieferen Analyse verzetteln…
Die Freiburger Mannschaft hat jedenfalls im Kollektiv überzeugt. Selbst die Ausfälle von Vincenzo Grifo und Maximilian Philipp habt ihr zuletzt kompensiert. Wer ist Dein Spieler der Saison und warum?
Ganz klar: Caglar Söyüncü! Ein echtes Juwel in der Innenverteidigung, der mit seinen 19 Jahren einen super Job da hinten macht. Er wurde als Ergänzung aus der zweiten türkischen Liga geholt, sollte langsam mit Kurzeinsätzen an die erste Mannschaft geführt werden und musste dann wegen diverser Verletzungen seiner Kollegen am Ende der Sommerpause direkt von Anfang an ran. Die Unsicherheiten aus ein, zwei Spielen in der Vorrunde hat er abgelegt, er scheint ein eingebautes Radargerät zu haben. Er weiß immer wo die anderen stehen und wohin der Ball kommt. Dass er wirklich mal ins Tackling muss, ist selten geworden. Und Zweikampfwerte über 90% sind keine Seltenheit. Ich hoffe, dass wir noch ein paar Jahre unseren Spaß an ihm haben, bevor er zu einem richtig großen Verein wechselt.
Den Klub zeichnet aus, dass er sehr gut plant und frühzeitig Verpflichtungen tätigt. Gibt es bereits Gerüchte, wer im Sommer beim SC aufschlagen könnte und wer dürfte auf der anderen Seite nur schwer zu halten sein?
Bei den Abgängen stehen Grifo und leider auch Philipp so gut wie fest, alles andere wäre eine echte Überraschung, die ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen kann. Bei Kempf und Schwolow gibt es Gerüchte, aber Genaueres weiß man noch nicht. Was Zugänge angeht, ist SC-typisch noch nichts nach außen gedrungen, obwohl ich mir sicher bin, dass da schon Gespräche stattfinden. Ein paar Spieler sind ausgeliehen und werden wohl zurück kommen, zum Beispiel Mats Moeller Daehli von St.Pauli. Als Neuzugang wirklich freuen würde ich mich über Pascal Stenzel. Ihn haben wir von Dortmund ausgeliehen und es wird gerade versucht, ihn fest zu verpflichten.
Im Sommer geht ihr in eure vorletzte Saison am alten Standort. Ich bin ein Fan des Schwarzwald-Stadions, wenngleich die Sicht aus dem Gästeblock bescheiden ist. Mainz – vom Umfeld und den Rahmenbedingungen ein vergleichbarer Standort – hat mit seinem neuen Stadion so seine Problemchen. Wie stehst Du dem Umzug gegenüber?
Wir sind alle sehr gespannt wie das neue Stadion aussehen wird. Weil es eine Ausschreibung ist, an der Stadt und Land beteiligt sind, müssen die Entwürfe bis zur Entscheidung über den Sieger der Ausschreibung nach der Saison geheim bleiben. Dass Du Mainz ansprichst ist gut. Ich finde an deren neuem Stadion kann man sehr gut sehen wie man es nicht macht – auf dem freien Feld, sehr schlecht an das Verkehrsnetz angebunden und quasi ohne jegliche Verbindung zur Stadt. Klar wird unser neues Stadion auch nicht mehr so schön gelegen sein wie das Dreisamstadion, aber was die Erreichbarkeit angeht, wird es mit Parkplätzen und Straßenbahnanbindung auf jeden Fall besser zu erreichen sein als Mainz mit seinen Shuttlebussen.
Ich bin gespannt wie die Stimmung sich verändern wird. Das neue Stadion wird relativ sicher nicht eine so hohe Auslastung haben wie das aktuelle, denn es sollen ja 11.000 Plätze mehr rein. Was wichtig ist, und da sage ich Euch als Darmstädtern sicher nichts völlig Überraschendes, ist dass ein neues Stadion für den Profifußballstandort Freiburg komplett alternativlos ist. Mit dem jetzigen wäre es mehr als schwierig dauerhaft unter den besten 15 Mannschaften des Landes zu bleiben.
Wie hast Du das Hinspiel in Erinnerung? Der SC gewann durch ein Joker-Tor von Nils Petersen kurz vor Schluss. Für meine Begriffe glücklich.
Das war tatsächlich kein überzeugendes Spiel, knappe Kiste: für die Leistung hättet ihr keine Niederlage verdient gehabt. Witzigerweise war es tatsächlich mein letztes Spiel im Stadion in Freiburg, denn von Leipzig aus ist es doch eine ziemliche Gurkerei bis man dort ist. An was ich mich noch erinnere ist, dass wir vor dem Spiel teils im T-Shirt auf der Nordtribüne in der Sonne standen obwohl es Dezember war. Zudem war die Pressekonferenz nach dem Spiel sehr unterhaltsam. Da waren mit Christian Streich und Ramon Berndroth zwei Trainer am Reden, denen ich gerne zugehört habe.
Was erwartest Du vom Spiel am Böllenfalltor?
Als traditionell pessimistischer Fan erwarte ich ein hartes Stück Arbeit und einen hohen Laufaufwand für unsere Jungs. Ein Auswärtssieg wäre super, ist aber kein Selbstläufer. Ich glaube es ist niemand allzu sauer wenn ich sage, dass Darmstadt vermutlich absteigen wird. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen und Euch eine Zweitligasaison wünschen, die näher an unserer letzten dort ist, als an der unseres Mitabsteigers Paderborn. Es wäre schön Euch bald wieder zu sehen, in welchem Stadion und unter welchem Tribünendach auch immer. 🙂
Die guten Wünsche nehmen wir Lilien-Fans sehr gerne an. Herzlichen Dank, Michael.
An diesem Wochenende vor vier Jahren:
Gab es den doppelten Knalleffekt. In höchster Abstiegsgefahr gewannen die Lilien zunächst am Freitagabend in Offenbach mit 2:0, bevor am darauffolgenden Montag der Lieblingsrivale im Hessenpokal gleich noch einmal bezwungen wurde. Preston Zimmerman stellte mit dem Treffer des Tages den Einzug ins Pokalfinale sicher. Drei Tage zuvor hatte er seine Farben am Bieberer Berg bereits mit 1:0 in Führung gebracht, ehe Markus Steegmann in einem Spiel der fahrlässig vergebenen Chancen kurz vor Schluss den Deckel drauf machte. Die Lilien hatten damit alle drei Saison-Duelle gegen den OFC gewonnen. Die sechs Punkte in der 3. Liga sollten sich am Ende noch als überlebensnotwendig erweisen. Schön, wenn man solche Rivalen hat.
Das Lilien-Team vom 2:0 in der Liga beim OFC:
Zimmermann – Ratei (25. Zielinsky) – Sulu – Gorka – Stegmayer – Hickl – Baier – Hesse (87. Behrens) – Latza – Zimmerman (1) – Steegmann (1) (90. Da Costa)
Zuschauer: 9.433
Das Lilien-Team vom 1:0 im Pokal gegen den OFC:
Zimmermann (C) – Hickl, Maas, Sulu, Stegmayer – Latza, Behrens, Hesse (90. Ratei), Zielinsky (85. Tatara), Zimmerman (1) – Steegmann (76. Da Costa)
Zuschauer: 4.700
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