Es ist wirklich kaum zu fassen. Da setzte es über weite Strecken der Saison einen Nackenschlag nach dem anderen und dann legen die Lilien einen Endspurt hin, als hätte jemand einen Resetknopf gedrückt. Jetzt steht das Gastspiel beim neuen Deutschen Meister an. Sollte auch da etwas gehen? In meinem Vorbericht spreche ich mit Christopher, der für den FCB-Blog „miasanrot“ schreibt.
So sieht’s aus:
Die Lilien gehen steil und die Fans danken es ihnen aus vollem Herzen. Wer die so frustrierende Saison bis zum 2:3 in Ingolstadt am 28. Spieltag erduldet hatte, der empfindet die Lilien-Auftritte seit Ostersonntag wie ein opulentes Geschenk. Jerome Gondorfs Last Minute-Siegtreffer gegen Schalke hat irgendetwas freigelegt, was die 2:1-Siege gegen Dortmund (20. Spieltag) und Mainz (24. Spieltag) nicht vermochten. Damals setzte es wieder Niederlagen in Serie. Nun folgten das erzwungene 2:1 beim HSV und das mitreißende 3:0 gegen den SC Freiburg. Die Lilien bespielen ihre Kontrahenten inzwischen wieder mit einer Selbstverständlichkeit und Überzeugung, wie ich sie ihnen in der aktuellen Spielzeit nicht mehr zugetraut hätte. Glückwunsch an Torsten Frings und seinen Co. Björn Müller, die offenbar die richtigen Stellschrauben und Worte gefunden haben.
Dreimal schickten die beiden dieselbe Startelf auf den Platz, dreimal siegten die 98er. Felix Platte bringt eine Präsenz in die Sturmspitze, die seinen Vorgängern fehlte. Jerome Gondorf fühlt sich hinter der Spitze wie ein Fisch im Wasser. Er läuft und arbeitet viel, verteilt die Bälle, und (ganz wichtig): zieht jede Menge Fouls. Mario Vrancic gefällt als Außenbahnspieler, der immer wieder ins Zentrum pendelt und als Standardschütze sein feines Füßchen zur Geltung bringt. Wilson Kamavuaka bringt sich neben dem herausragenden Quarterback Hamit Altintop als lauf- und zweikampfstarker Sechser ein. Patrick Bangaard bildet mit Aytac Sulu eine solide Innenverteidigung. Fabian Holland und Sandro Sirigu halten ihre Seiten zumeist dicht und versuchen sich immer wieder im Vorwärtsgang. Marcel Heller ist endlich wieder in verbesserter Verfassung und Michael Esser im Tor ist sowieso eine Bank.
Gemeinsam ließen sie Freiburg nie zur Entfaltung kommen. Von Anfang an ließen sie keinen Zweifel aufkommen, wer der Chef auf dem Platz ist. So herrschte vom Fleck weg eine phantastische Stimmung unter der Sonne am Böllenfalltor. Nach Schlusspfiff fühlte sich die Menge so herrlich unbeschwert, wie schon ewig nicht mehr. Noch eine Viertelstunde nach dem dritten Sieg in Serie hüpften und sangen viele wie befreit mit, als die Stadionregie zunächst „I just can’t get enough“ und dann „Freed from desire“ einspielte.
Die Story des Spieltags lieferte aber Sven Schipplock. Der Umgang mit ihm steht exemplarisch für den Saisonverlauf. In der ersten Halbserie spielte er – der erfahrenste Stürmer im Kader und eigentliche Sandro Wagner-Ersatz – wie ein Fremdkörper. Seine Auftritte hinterließen bei den Fans reichlich Fragezeichen. Als er auch im neuen Jahr unter Torsten Frings notorisch torlos blieb, erkannten die Fans in seinem Dilemma, das des Klubs: Schipplock ein Stürmer der nicht trifft, der SVD ein Team das nicht punktet. Beiden war die Bundesliga eine Nummer zu groß. So schwang in dem zuletzt aufkommenden „Schipplock’s on fire“ zunächst ein wenig Fatalismus mit, dann Trotz und Selbstironie. Nun traf er gegen Freiburg zum ersten Mal seit zwei Jahren, wird von allen Mitspielern geherzt und durfte nach dem Spiel prompt auf den Zaun. Seine erlösende Torpremiere fällt vielleicht nicht von ungefähr in die Phase, in der die Lilien wie befreit aufspielen.
Die aktuelle Prise Lilien-Podcast:
Gab es in dieser Woche sogar im Doppelpack. Am Tag der Arbeit hatten wir angesichts des sportlichen „Höhenfluges“ überhaupt nichts zu meckern und redeten über die tollen Szenen beim 3:0-Sieg über den SC Freiburg. (KLICK)
Am Mittwochabend legten wir nach. Die unbefriedigende Situation rund um das Stadion, ruft die DFL auf den Plan. Spielen die Lilien 2018 etwa nicht mehr in Darmstadt? Wir schickten Kai zum Fantreffen mit Bürgermeister Rafael Reißer und Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch. (KLICK)
Der Kontrahent hat das Wort:
Christopher lebt in Berlin, bereichert aber die deutschlandweit beheimatete Redaktion von miasanrot.de (KLICK). Die Seite gilt als einer der besten Fußball-Blogs der Republik:
Christopher, Glückwunsch zur Meisterschaft. Wenn Du die Bayern-Saison mit drei Begriffen beschreiben müsstest, welche wären das?
Konstanz, Konstanz, Konstanz – also in allen Facetten. Positiv wie negativ. Man hat den fünften Titel in Folge gewonnen. Ein Erfolg, den man wohl erst in ein paar Jahren oder Jahrzehnten richtig würdigen kann. Auf der anderen Seite stehen viele, relativ zähe Bundesligaspiele, an die sich kein Fan so richtig erinnern kann.
Was hat dich – trotz Meistertitel – in der abgelaufenen Spielzeit am meisten gestört?
Die fehlende taktische Varianz beim FC Bayern. Ancelotti hat ein klares System vorgegeben und ist diesem gefolgt. Maximal gab es kleine Anpassungen von einem 4-3-3 hin zum 4-2-3-1. Mehr allerdings nicht, obwohl der Kader z. B. eine Spielweise mit Dreierkette ja förmlich aufzwingt. Darüber hinaus war sicherlich auch die Entwicklung der Talente, trotz des verkleinerten Kaders, ein Problem. Selbst während der vielen englischen Wochen vertraute Ancelotti fast immer dem gleichen Personal.
Da kann man bei Dir, wie bei vielen Bayern-Fans, Kritik an Carlo Ancelotti heraushören. Was glaubst Du, liegt das auch daran, dass immer ein Vergleich mit Pep Guardiola mitschwingt?
Sicherlich, wobei der Vergleich müßig zu diskutieren ist. Während der Amtszeit von Guardiola wurde die taktische Varianz als negativ abgestempelt. Damals wurden Vergleiche zum Vorgänger des Spaniers gezogen – Jupp Heynckes.
Nichtsdestotrotz hängt hier auch ein Stück Wahrheit dran. Der FC Bayern ist sehr eindimensional in seiner Spielweise. Das ging meistens auf, aber eben nicht immer. Gerade wenn die Gegner die individuelle Klasse bzw. eine gute taktische Idee hatten, fiel es dem FC Bayern unter Ancelotti schwer, die nötigen Anpassungen vorzunehmen. Das Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt, als Frankfurt sehr hoch presste, aber auch die Anpassungen, die Real Madrid im Hinspiel vorgenommen hat, wurden nicht oder wenn überhaupt sehr spät gekontert. Gegen Madrid liefen die Münchner in drei Konter. Daraus resultierten ein Gegentor und ein Platzverweis. Ancelotti nahm dann sogar noch einen Mittelfeldspieler raus. Die Mannschaft ist komplett zerbröselt. Hier hat Ancelotti zu spät und dann auch noch falsch reagiert. Also wirklich unnötig.
Ich habe den Eindruck, das Wohl und Wehe des FC Bayern hängt inzwischen fast ausschließlich vom Abschneiden in der Champions League ab. Stimmst Du zu?
Auch wenn Karl-Heinz Rummenigge immer betont, dass die Meisterschaft der ehrlichste Titel sei, habe ich leider auch das Gefühl, dass niemand dieser Argumentation folgen will. Der Kader ist sicherlich qualitativ sehr hochwertig seit 2012. Allerdings sind einige Spieler wie Ribery & Robben, aber auch Lahm und Alonso schon über ihren Leistungszenit. Das macht sie nicht zu schlechten Spielern, aber von ihnen permanent den Champions League-Titel zu erwarten, ist grotesk. Ja, der FC Bayern ist in dieser Verlosung, aber da sind eben gut und gerne acht weitere Mannschaften im engeren Kreis. Hinzu kommen „Außenseiter“ wie Monaco oder auch Dortmund, denen ebenfalls ein Lauf gelingen kann. Daher freue ich mich, wenn es in der Champions League weit geht, aber spätestens ab dem Viertelfinale gehört auch viel Glück dazu, um den Wettbewerb für sich zu entscheiden. Ich glaube viele Fans teilen diese Meinung, warum medial aber immer vom Triple gesprochen wird, kann ich nicht beurteilen, weil ich es einfach nicht verstehe.
Wie schätzt Du die Situation in der Bundesliga ein? Fünf Meistertitel infolge klingen nach einer Bankrotterklärung für den Wettbewerb. Die Bayern können sich doch eigentlich nur selbst schlagen. Und selbst das ist über 34 Spieltage hinweg kaum möglich.
Sehr gute Frage. Ich glaube die Bundesliga ist seit dem Champions League-Finale 2013 ein bisschen Opfer des eigenen Erfolges geworden. Viele Spieler, nicht nur von den Top-Teams, weckten Begehrlichkeiten im Ausland. Sané, Xhaka oder Mchitarjan fehlen der Bundesliga schon sehr. Hinzu kommt der taktische Einheitsbrei, den viele Teams spielen. Das wandelte sich etwas im Laufe dieser Saison, da viele Teams auch mal eine Dreierkette probierten, aber meistens sehen wir doch ein 4-4-2 Mittelfeldpressing. Also absoluter Standard und das seit Jahren. Dadurch kann sich keine Mannschaft aber so richtig abheben. Wenn dann noch die individuelle Qualität zwischen Platz 3 – 16 mehr oder weniger gleich ist, dann sehen wir so eine Saison. Jede Mannschaft kann jede besiegen, aber eben zu Lasten der Qualität der Liga. Das Abschneiden in der Europa League ist sicherlich auch ein Indikator dafür.
Zurück zu den Bayern. Was sind für dich die wichtigsten Stellschrauben oder Personalien, an denen der Klub in der Sommerpause nachjustieren muss?
Ich sehe drei Baustellen. Die erste ist natürlich ein Nachfolger für Lahm zu finden. Hier gibt es Argumente auf Kimmich zu setzen, allerdings wäre ein gelernter Rechtsverteidiger, der Kimmich „challengt“ die ideale Lösung. Weiterhin braucht es eine Alternative im Mittelfeld. Anstelle eines Sechers, wie es Alonso ist, bevorzuge ich eher einen Achter, der dann Thiago auf die Sechs rücken lässt. Die größte Baustelle ist sicherlich die Nachfolge von Ribery und Robben. Hier braucht es neben Costa und Coman wohl noch einen weiteren Spieler.
Vor zwei Jahren verließ Bastian Schweinsteiger den Klub, jetzt beendet Philipp Lahm seine Karriere. Holger Badstuber dürfte wohl keine Rolle mehr spielen. Da bleibt „nur“ noch Thomas Müller übrig, der das Bayern-Gen aus Juniorenzeiten kennt und vielleicht noch Mats Hummels und David Alaba. Wann wird mal wieder jemand aus der eigenen Jugend nachkommen?
Das neue Nachwuchsleistungszentrum wird diesen Sommer fertig gestellt. Dann ist der FC Bayern im Kampf um junge Talente wieder wettbewerbsfähig. Hier hat man sich lange zu sehr auf den Erfolgen von damals ausgeruht und nicht investiert. Der jetzige U19- bzw. U17-Jahrgang ist vielversprechend. Hier sehe ich zwei bis drei Spieler, die den Aufstieg in die erste Mannschaft schaffen können.
Wenn alles normal verläuft, dann werden die Lilien am Samstag als Absteiger feststehen. Wie denkst Du über den SVD? Ein Klub, der unorthodox nach oben geschossen ist, der in fast allen Bereichen der Konkurrenz hinterherhinkt und dem ein nicht DFL-konformes Stadion den Standort kosten könnte.
Ich liebe Darmstadt, weil es ein Klub ist, der vieles anders und dabei zugleich vieles richtig gemacht hat. Die Entwicklung unter Dirk Schuster war grandios. Er ließ einen Fußball spielen, den wir jetzt recht oft sehen: „Hero-Ball“. Die Qualität der besten individuellen Akteure akzentuieren. Bei Darmstadt war das lange Zeit die Schnelligkeit von Heller auszuspielen und Wagner den Ball zu geben. Hier hat man es vielleicht in der Hinrunde verpasst, diesen Weg weiter zu gehen.
Ich hoffe daher sehr, dass die Ergebnisse der letzten Wochen, die nötigen Impulse und die Richtung für die nächste Saison vorgeben. Ziel muss sein, sich in der zweiten Liga zu etablieren, um einen Durchmarsch in Liga 3 zu vermeiden. Da sind die Auflagen, die jetzt von Seiten der DFL kommen, natürlich ein Klotz am Bein und für viele Betrachter nicht nachvollziehbar. Es ist schade, wenn man hier keine Lösung fände, die Darmstadt nicht aller Chancen beraubt. Das hat der Verein und das haben die Fans nicht verdient.
Christopher, besten Dank für Deine Ausführungen!
An diesem Wochenende vor vier Jahren:
Zeigten die Lilien in der 3. Liga gegen den Karlsruher SC eine starke Leistung. Die beiden vorangegangenen Siege gegen den OFC (Liga und Pokal) hatten den abstiegsbedrohten 98ern Auftrieb gegeben. Aytac Sulu & Co. ließen dem Ligakrösus kaum Raum zur Entfaltung. Phasenweise hatten sie selbst das 1:0 auf dem Schlappen. Doch zum Schluss schauten Spieler und Fans an diesem sonnigen Maisonntag ziemlich bedröppelt aus der Wäsche. Es lief die 89. Minute, SVD-Keeper Zimmermann führte einen Abschlag aus, der Ball ging prompt im Mittelfeld verloren, Gegenzug KSC, Foul SVD, Freistoß Hakan Calhanoglu, Tor! Dem KSC war der Aufstieg somit kaum noch zu nehmen, die Lilien waren im Tabellenkeller der Verlierer des Spieltags. Die Stuttgarter Kickers, Babelsberg und Dortmund II hatten fleißig gepunktet, der BVB legte am darauffolgenden Dienstag im Nachholspiel gegen Erfurt sogar noch einmal nach. Der SVD lag damit zwei Spieltage vor Schluss drei Punkte hinter dem rettenden Ufer.
Das SVD-Team vom 0:1 gegen den Karlsruher SC:
Zimmermann (C) – Hickl, Sulu, Gorka, Stegmayer – Latza, Behrens, Hesse, Zielinsky – Steegmann, Hübner (78. Borg)
Zuschauer: 10.300
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Die Antwort auf die Frage nach der Bayern-Dominanz ist ziemlich realitätsfremd. Das Problem der Liga ist doch nicht mangelnde taktische Flexibilität sondern die wirtschaftliche Allmachtstellung des FCB. Warum verlieren die Bayern denn nur Spieler ins Renten-Dasein? Und dann Sane, Xhaka oder Mhkytarian als Beispiele zu nennen ist fast schon zynisch.
MIt würde als Bayernfan eher zu denken geben, dass meine Mannschaft bis April in keinem Wettbewerb richtig gefordert wird. Und das liegt an der individuellen Klasse der Gegner, die sich mit Ausnahme einzelner Clubs kaum ein Gegner mehr in dem Maße leisten kann, um die Bayern zu gefährden.