Reingeschaut: Football Disco!..

Quadratisch kommt es daher, vielleicht nicht unbedingt praktisch, aber ganz gewiss gut! Sage und schreibe 424 Seiten stark ist „Football Disco!..“, eine Hommage des Schweizers Pascal Claude an Fußballlieder auf Vinyl oder vielmehr an deren Plattencover. Seine internationale Sammlung erstreckt sich von Argentinien über Algerien und Deutschland bis Japan. Fünf Essays helfen die über 900 Plattenhüllen und die damit verbundene Popkultur aus sechs Jahrzehnten einzuordnen.

Nicht wenige Zeitgenossen halten ihn für einen der größten Verirrungen der Musikgeschichte: den Fußballsong. Dabei weiß jeder Stammgast im höherklassigen Fußball einen davon zu singen. Denn auch heute noch hat jeder Klub mindestens ein Lied, auf das sich dessen Fans einigen können. In fremden Stadien wird hingegen gerne belustigt bis verächtlich reagiert, sobald ein Lied durch die Boxen dröhnt, das dem heimischen Anhang heilig ist. Dabei mag sich der Song in Stil und Schlichtheit kaum vom Kultlied des eigenen Klubs unterscheiden. Doch das ist nicht der Punkt. Für viele Fans bietet ihr Vereinslied schlicht und ergreifend genausosehr eine emotionale Heimat wie der Stadionbesuch an sich.

Gerade Lilienfans wie mir geht es nicht anders. Schließlich wissen alle Blau-Weißen Alberto Coluccis „Tor, Lilien vor!“ [aka „Die Sonne scheint“] noch im Schlaf mitzuträllern. Über den abenteuerlichen Italosound der 1980er sehen wir dabei großzügig hinweg. Und wer sich auch von der hyperaktiven Querflötte in Hessen Freds Samba „Lilie Schuß …“ nicht in den Wahnsinn treiben lässt, der ist beim SV Darmstadt 98 bestens aufgehoben. Wahre Perlen finden sich in Liedern jüngeren Datums. Etwa „Lilienfieber“ und „Allez les bleus“ von Decubitus sowie „Europapokal“ von Miltonfisher, die ganz ohne Big Band und Sommer-, Sonne-, Sonnenscheinflair auskommen. Sie wurden von Fans für ihren Verein geschrieben und haben sich schon lange ihren festen Platz im Spieltagsprogramm gesichert.

Doch der Fußball gebar noch weit mehr als die klassischen Lieder über einen Klub. Das führt „Football Disco!..“ eindrucksvoll vor Augen. Das Buch zeigt, dass Fußball und Musik spätestens in den 1960er Jahren begannen, zum festen Bestandteil der Popkultur zu werden. Unter tatkräftiger Mitwirkung geschäftstüchtiger Musikmanager wuchs zusammen, was aufs erste Hinhören nicht immer zusammengehörte. Da wurden Nationalteams vor Großturnieren regelmäßig ins Aufnahmestudio geschleift und mit professioneller Unterstützung in die Hitparade gehievt. Da wurden Stars wie Petar Radenkovic, Pelé, Franz Beckenbauer, Jairzinho und später Kevin Keegan oder der nahezu schon omnipräsente Chris Waddle zu Chartstürmern. Letzterer gerne auch im Duett mit Glenn Hoddle.

Dies und noch viel mehr vermittelt „Football Disco!..“. Mehr als 900 Plattencover machen das Buch zu einem großen, bunten Wimmelbild. Dabei wirken manche Plattenhüllen so austauschbar wie moderne Fußballarenen. Andere so verunglückt, wie der Song, der sich dahinter verstecken mag. Immer wieder stechen Cover ins Auge, die anmuten wie ein Verkehrsunfall … man kann einfach nicht wegsehen. Und dann gibt es tatsächlich auch die liebe- und stilvollen.

Fünf Essays aus Deutschland, England, Italien und Argentinien geben einen Einblick hinter die Geschichte der Fußballlieder in den jeweiligen Ländern. Dabei erfährt man einiges, das sich in so manchem Pubquiz noch als gewinnbringend entpuppen dürfte. Dass etwa New Order nur einen einzigen Nummer 1-Hit in England hatte: mit dem englischen Song zur Fußball-WM 1990. Und, dass der italienische Verein, dem die meisten Fußballlieder gewidmet sind, nicht etwa Juventus Turin ist, sondern der SSC Neapel. Maßgeblich befeuert durch die Erfolgsjahre unter Diego Armando Maradona. Ein Landsmann Maradonas, Boca-Fan Luciano Caldarelli, vermittelt in seinem persönlich gefärbten Essay dann, wie ehedem Vereinshymnen in Argentinien ihren Weg – verstärkt durch das Radioprogramm – ins Stadion und damit ins Innerste der Fanseele fanden.

Dass sich kaum aktuelle Plattencover in dem Buch wiederfinden, liegt am veränderten Musikkonsum. Vinyl hat weitgehend ausgesorgt, „Digital ist besser“ wie Tocotronic die Welt schon 1995 wissen ließen. Und was hätte da näher gelegen, als „Football Disco!..“ einen Downloadlink für ein paar der abgebildeten Plattencover beizulegen? Denn beim Durchblättern juckt es doch allzu oft in den Fingern, in gewisse Lieder reinzuhören. Für solche Fälle hat Pascal Claude allerdings längst vorgesorgt. Seit Jahren versammelt er unter 45football.com ein beständig wachsendes Archiv der Fußballlieder. Ein Besuch, der jedem schwerstens ans Herz gelegt sei. Denn dort gibt es sie alle: schlimme Lieder, schmissige Songs und ehrliche Chants.

Ergo: Wer sich dafür interessiert, wie es aussah, als Leder auf Vinyl traf, der kommt an diesem Buch nicht vorbei! „Football Disco!..“ hat noch einen weiteren Vorteil, es taugt als formidables, popkulturelles Coffee-Table-Book! Und wer – wie ich – beim Durchblättern auf der Suche nach Plattenhüllen zu seinem Lieblingsklub ist, dem wird eines ganz gewiss nicht: langweilig.


Pascal Claude (Bildquelle: Susanne Bolik)

FOOTBALL DISCO!..
THE UNBELIEVABLE WORLD OF FOOTBALL RECORD COVERS
Hrsg. von Pascal Claude
Texte von Luciano Caldarelli, Pascal Claude, Christian Hahn & Grahame Waite
Köln 2019
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln
19,80 EUR
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