#68 – Weil wir mit Zdenek Nehoda einen Europameister in unseren Reihen hatten

Cover_111-Gründe_#68-Zdenek-NehodaHeute schloss das Transferfenster und damit der mittlerweile ganz normale Wahnsinn um Ablösen und Gagen in Millionenhöhe. Im Dezember 1982 ließen die Lilien deutschlandweit aufhorchen, als sie einen Neuzugang präsentierten, den wohl nur die wenigsten beim damaligen Zweitligisten vermutet hätten. Zdenek Nehoda, seines Zeichens Europameister von 1976 und Kapitän der tschechoslowakischen Nationalmannschaft bei der WM 1982, wechselte nach Darmstadt. Genau darum geht es in Grund 68 meiner „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, die in wenigen Tagen erscheinen werden:

Sommer 1982: In Spanien treffen sich die weltbesten Nationalteams, um ihren Meister zu ermitteln. Auch die Tschechoslowakei mischt bei der Endrunde mit und strebt als Dritter der vorangegangenen Europameisterschaft den Einzug in die K.o.-Runde an. Doch schon der Turnierauftakt gerät zum Rohrkrepierer. Gegen die Underdogs aus Kuwait reicht es lediglich zu einem 1:1. Eine Niederlage gegen England und ein Unentschieden gegen Frankreich besiegeln das frühe WM-Aus. Das Team um Kapitän Zdenek Nehoda hatte enttäuscht. Der Angreifer von Dukla Prag war seit 1981 tschechischer Rekordnationalspieler. 1976 war er einer der Helden von Belgrad, die den Europameistertitel gewannen. Nur ein halbes Jahr nach der WM in Spanien wechselte Nehoda ins kapitalistische Ausland, was der Sportminister der CSSR ab einer gewissen Anzahl von Länderspielen beziehungsweise einem bestimmten Alter gestattete. Ihn zog es in die Bundesrepublik. Doch das Ziel waren nicht die um ihn buhlenden Bundesligisten Hertha BSC oder Borussia Mönchengladbach. Das Rennen machte Zweitligist Darmstadt 98.

Die Verpflichtung des zweimaligen CSSR-Spielers des Jahres durfte im Dezember 1982 getrost als Coup bezeichnet werden. Umso mehr, als die 1982 aus der Bundesliga abgestiegenen Lilien den anvisierten Wiederaufstieg bereits zum Zeitpunkt der Verpflichtung Nehodas aus dem Blick verloren hatten. Hinzu kamen eine immense finanzielle Schieflage, nachlassendes Zuschauerinteresse und Unstimmigkeiten zwischen Trainer und Mannschaft. Die Darmstädter Antwort: Personalrochade! Spieler wie Goalgetter Peter Cestonaro mussten gehen, dafür kam unter anderem der tschechische Starspieler. Ausschlaggebend für den Sensationstransfer war, dass die Lilien ein halbes Jahr zuvor bereits den 31-jährigen Ludek Macela von Nehodas Klub Dukla Prag verpflichtet hatten. Lilien-Schatzmeister und Verhandlungsführer Heinz Schneller konnte auf existierende Kontakte zurückgreifen. Zudem verband Macela und Nehoda eine Freundschaft. Macela erklärte gegenüber dem Darmstädter Echo: „Weil ich hier bin, hofft Zdenek, sich leichter einzufinden, (…).“

Angesichts seiner Meriten war Nehoda naturgemäß nicht ganz billig. Kolportierte 25.000 Mark im Monat ließen sich die klammen Lilien den tschechischen Nationalspieler kosten. Doch dem SVD wurde angeblich unter die Arme gegriffen. Schatzmeister Heinz Schneller deutete zumindest an, dass „eine Gruppe von Sponsoren die Transferkosten, Unterkunft und Unterhalt“ übernehme. Die Erwartungen an den Neuzugang am Böllenfalltor waren immens. Nehoda – der vor seinem Engagement in Darmstadt bereits promovierter Jurist war – zeigte sich hingegen unerschrocken: „Das ist nichts Neues, alle haben schon in der CSSR immer erwartet, daß ich der Beste bin, die Tore schieße. Ich habe keine Angst, ich bin gewohnt, der Beste zu sein.“

Wie nicht anders zu erwarten, wurde das Liliendebüt des Tschechen von reichlich Trubel um seine Person begleitet: „Ich bin einiges gewöhnt aus der CSSR, aber diesen Rummel hatte ich nicht ganz erwartet.“ Zumindest dem Ergebnis nach verlief sein Premierenauftritt positiv. Die 98er schickten Alemannia Aachen mit 2:1 nach Hause. Nehodas Leistung war allerdings noch steigerungsfähig. Er selbst bewertete seinen Auftritt nüchtern: „Ein Mann kann auf Anhieb noch keine Mannschaft umkrempeln. Aber ich hoffe, daß wir uns in Zukunft gegenseitig weiterbringen. Ich hoffe, daß ich im nächsten Spiel schon ein Tor für meine Mannschaft schieße.“

Gesagt, getan: Nehoda traf in der darauffolgenden Partie bei den Stuttgarter Kickers zum 1:1-Endstand. Letztlich brachte Nehodas Wirken am Böllenfalltor jedoch nicht den für beide Seiten erwünschten Erfolg. Der SVD kam in der Rückrunde nicht entscheidend vom Fleck und fand trotz einiger Kantersiege keinen Anschluss an die Tabellenspitze. Neun Treffer in 19 Partien waren für den Neuzugang eine solide Ausbeute, aber beileibe nicht überragend. Herausragend blieben lediglich seine drei Treffer gegen den FSV Frankfurt, mit denen er beim 6:2 frühzeitig die Weichen auf Sieg gestellt hatte. Weitere fünf Tore in 14 Begegnungen später war die Lilien-Episode Nehodas bereits beendet. Im Januar 1984 schloss sich der Tscheche dem damals amtierenden belgischen Meister Standard Lüttich an. Für immerhin zwölf Monate hatte der SVD einen internationalen Star und Europameister aufs Feld geschickt.

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