Weiter geht’s bei den 98ern mit der Mission Nichtabstieg. Fünf Wochen Winterpause wollten dazu genutzt werden die Akkus aufzuladen und am Spielsystem zu feilen. Der Rückrundenauftakt führt die Lilien nach Hannover, sodass es gleich zu einem sogenannten Sechs-Punkte-Spiel gegen den Abstieg kommt. Neben dem gewohnten Vorbericht im Kickschuh-Stil, lasse ich erstmals auch einen Anhänger eines Kontrahenten zu Wort kommen. Ich spreche mit Gunnar (46), der zusammen mit Jaime den 96er-Blog „Niemals allein!“ betreibt. Eine Seite, die nicht nur eine größere Nummer in Hannovers Fanszene ist, sondern in Sachen Taktikverständnis Maßstäbe setzt.
So sieht’s aus:
In der Vorrunde rieb sich Fußball-Deutschland verwundert die Augen. Die Lilien überraschten. Nicht so sehr mit ihrem schlichten Fußballstil, sondern mit ihrem ungemein kompakten und konsequenten Spiel. Kaum einmal ließen sich die 98er von einem Kontrahenten auseinanderdividieren. Bissig und hartnäckig sammelten sie 18 Punkte in 17 Spielen. Man liege damit voll im Soll, wird Dirk Schuster nicht müde zu betonen. Und er hat natürlich recht. Doch es ist kein Geheimnis, dass das Punktesammeln in der zweiten Halbserie keinen Deut einfacher wird. Allen voran das Spiel nach vorne muss besser werden. Zu oft fehlte beim kräfteraubenden Dauerlauf im Mittelfeld der Durchblick oder auch die Ruhe in der gegnerischen Hälfte. Zu schnell gingen die Bälle verloren. In dieser Hinsicht hätte Dirk Schuster nur zu gerne das Trainingslager in der Türkei genutzt, um neue Mechanismen einzuüben. Doch Jan Rosenthal und Sandro Wagner mussten das Trainingslager früh verlassen, Kocka Rausch und Marcel Heller waren phasenweise angeschlagen. Zudem lässt die ersehnte Verstärkung für die Offensive wie erwartet/befürchtet noch auf sich warten. Für die linke Außenverteidigerposition wollten die Lilien ebenfalls die Augen offen halten. In den letzten Testspielen rotierte Luca Caldirola nach außen und Slobodan Rajkovic lief an seiner Stelle in der Innenverteidung auf. Überzeugend war diese Rochade jedoch nicht unbedingt. So bleiben vor dem immens wichtigen Spiel in Hannover einige Fragen offen. Doch die gibt es auch in Hannover, wo alle auf das Premierenspiel von Neu-Coach Thomas Schaaf gespannt sind (s. Interview am Ende dieser Seite).
Wir & Die & Die Bundesliga:
Mangels glorreicher Duelle in den ersten Bundesliga-Spielzeiten der Lilien, muss ein Stenogramm des Hinspiels herhalten. Marcel Heller schrieb sich in die Vereinschronik, indem er mit einem Treffer Marke „Tor des Monats“ das erste Bundesligator für die Lilien nach 33 Jahren erzielte. Ein Solo über das gesamte Feld schloss er mit einem wunderbaren Schlenzer unter die Latte ab. Den Ausgleich besorgte kurz nach der Pause Charlison Benschop, der wie schon vor Jahresfrist für Düsseldorf am Bölle traf. Den erneuten Führungstreffer für die Lilien erzielte wieder Heller, der einen krassen Fehler der 96er ausnutzte, Torwart Ron-Robert Zieler umrundete und den Ball ins leere Tor schob. Glück hatte der SVD, als Mevlüt Erdinc einen Elfer für Hannover bemerkenswert miserabel verschoss. Pech hatte er, als der an diesem Tag überraschend indisponierte Aytac Sulu in Bedrängnis ein Eigentor erzielte. Zwei Alutreffer von Dominik Stroh-Engel und „Toni“ Sailer hätten den Lilien fast noch einen Dreier beschert. Anschließend wollte Gäste-Coach Michael Frontzeck ein tolles Spiel gesehen haben. Dirk Schuster sprach davon, dass die Lilien in der Bundesliga angekommen seien und gezeigt hätten, dass sie mithalten können. Mich beschlich hingegen nach Spielschluss der Verdacht, trotz aller Euphorie zwei Punkte liegen gelassen zu haben.
Ach ja, an diesem Wochenende vor fünf Jahren …
War für die Lilien in der Regionalliga Süd noch Winterpause.
Und die Junglilien?
Pausieren noch eine Weile in der A-Junioren Bundesliga Süd/Südwest.
Der Kontrahent hat das Wort:
Gunnar (46), 96-Blogger: http://www.niemalsallein.de/
Gunnar, wie schon im letzten Jahr finden sich die 96er in der Abstiegszone wieder. Wann begann es für euch eigentlich schlechter zu laufen?
Wir kommen ja ein bisschen rüber wie ein etablierter Erstligist und waren ja auch mal kurz in Europa unterwegs, aber wir erinnern uns auch noch gut an den Aufstieg aus der zweiten Liga – das war erst 2001/2002. Seither ist die längste bisherige Phase Erstklassigkeit, das ist, bei aller Erwartungshaltung schon noch was, worüber man sich freuen kann. Andererseits waren wir zuletzt immer im gesicherten Mittelfeld und das passt schon auch zum Kaderwert: Mit einem 60-Mio-Kader sollte man zwischen 8 und 14 pendeln und nicht um Platz 15 kämpfen müssen.
Wie hast Du die letzten Jahre erlebt?
Unter Mirko Slomka gab es ein rasantes Umschaltspiel. Voll auf Konter. Bisschen wie Darmstadt heute, aber vielleicht mit ein bisschen mehr Qualität im Kader. Nach dem Ende der Slomka-Ära kam unser Favorit Tayfun Korkut, der der Mannschaft ein flexibles Ballbesitzspiel verordnete. Das war schön und taktisch interessant, aber trotz guten Spiels gingen in der zweiten Saisonhälfte massenhaft Spiele mit Pech verloren. Wie gegen Bayern: Wir führen 2:1, dann gibt es einen unberechtigten Freistoß und einen falschen Elfmeter, Peng, vorbei. Dann kam Michael Frotzeck, alles wurde sehr simpel. Wir Taktikblogger mussten sehr weinen über das neue Gesicht der Mannschaft und es funktionierte nicht einmal: Man wollte wieder zurück zum schnellen Konterspiel, aber ohne aktives Pressing, gute Staffelungen und Ballgewinne im Mittelfeld ist das mit dem Konter schwierig. Haarsträubend.
Das spielerische Niveau beim Hinspiel am Bölle habt ihr folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Fürchterlich anzusehen!
Und das war es auch. Zwei Mannschaften, die den Ball nicht wollen. Auf beiden Seiten ein Gebolze nach vorne, ein Lauern auf den zweiten Ball. Von Darmstadt war das erwartbar, von Hannover hätten wir mehr erhofft. Wir freuen uns natürlich über Tore der eigenen Mannschaft, aber wir möchten, dass die Tore aufgrund der überlegenen Taktik und Spielanlage erzwungen werden, nicht, dass sie durch Zufall fallen wie das Eigentor von Sulu im Hinspiel. Überhaupt ein Spiel mit vielen Zufällen, das beide hätten gewinnen können: Wir verschießen einen Elfmeter und kassieren ein absolut unnötiges Tor durch einen individuellen und nicht abgesicherten Fehler; Darmstadt schießt zwei Mal ans Aluminium. Da hätten sich beide nicht über eine Niederlage beschweren dürfen.
Die Spielweise der Lilien muss für euch Taktik-Gourmets ein Alptraum sein.
Ach was. Ihr habt einen Kaderwert von um die 20 Millionen Euro. Mit den Mitteln, die Dirk Schuster zur Verfügung stehen, holt er echt was raus. Das Spiel, die Taktik, alles ist optimal auf den Kader ausgerichtet und umgekehrt. Sicher, es ist nicht schön anzuschauen, und aus dem Spiel heraus fehlt der klare Plan, wie ein Tor fallen soll. Die Lilien simplifizieren den Fußball so, wie man es fast schon gar nicht mehr gewohnt war: super laufaufwändiges Spiel im Mittelfeld, lange Bälle auf Stroh-Engel oder Wagner als Zielspieler, dann auf die zweiten Bälle, und alles mit einer erstaunlichen Effizienz. Sie spielen dieses System definitiv besser als wir in der ersten Halbserie. Und es ist interessant zu sehen, dass so etwas funktionieren kann.
Klar ist aber zugleich, Darmstadt is punching above their weight, wie man in England sagt. Sie erzielen bessere Resultate, als sie mit dem Kader erzielen dürften. Das Ziel muss es sein, die Klasse zu halten und dann immer ein Stückchen besser zu werden, so wie Mainz oder Augsburg. Schau’m mer mal, ob das gelingen kann.
Nun zu euch, Hannover hat sich in der Winterpause verstärkt. Wie ist Deine Einschätzung?
Ich bin hoffnungsfroh bei den Mittelfeldspielern Hotaru Yamaguchi und Iver Fossum, aber was Hugo Almeida uns helfen soll ist mir nicht recht klar. Wir erspielen uns einfach keine FUCKING CHANCEN! Es fehlt nicht an der Verwertung, bei der uns ein durchschlagskräftiger Strafraumstürmer wie Almeida sofort helfen würde. WIR BRAUCHEN MEHR CHANCEN. Und damit meine ich nicht Weitschüsse (das geht an Sie, Herr Sané)!
Wie ist die Stimmung vor dem Rückrundenauftakt gegen die Lilien?
Schon euphorisch. Alle sind erstmal froh, dass Frontzek weg ist. Mit Thomas Schaaf haben wir einen Coach, den man leicht sympathisch finden kann und der zumindest schon einmal große Erfolge gefeiert hat. Wir haben Hoffnung, dass es besser weitergeht. Dazu müssten wir aber erstmal gegen euch gewinnen – und das wird sicher kein Spaziergang.
Gunnar, vielen Dank für die klaren Worte.