Am Dienstagabend wird nicht die Sonne über dem Böllenfalltor scheinen, dafür werden aber die Flutlichtmasten erstrahlen. Aus dem 90 Kilometer entfernten Hoffenheim reist die TSG an und hat Sandro Wagner im Gepäck. Entgegen lange kursierender Gerüchte, verschlug es den Lilien-Torjäger der vergangenen Saison nicht auf die Insel, sondern in den Kraichgau. Über das Duell mit den Remis-Königen der ersten drei Spieltage spreche ich mit Maximilian, Hoffenheim-Fan aus Fürth und Blogger über den internationalen Fußball (KLICK).
So sieht’s aus:
Okay, okay. In Dortmund kann man schlecht aussehen und in Dortmund kann man auch deutlich verlieren. Erst recht, wenn man Darmstadt 98 heißt. Ein Klub, der in Rekordzeit in die Bundesliga gespült wurde. Der vor der Saison einen empfindlichen Aderlass zu beklagen hatte. Der sich mit neuem Führungspersonal und 14 neuen Spielern erst noch finden muss. Doch das, was die Lilien am Samstag beim BVB anboten, war mutlos und uninspiriert. Phasenweise fühlte es sich an, als würde ein Opferlamm zur Schlachtbank geführt. Vor einer Fünferabwehrkette agierten eine Viererkette und Sven Schipplock als Alibi-Stürmer, der sich in der Nähe der Mittellinie aufhalten durfte. Vom Anpfiff weg igelten sich die Lilien ein. Das Ziel war klar: Den ersten Gegentreffer so lange wie möglich hinauszögern. Nach nur sieben Minuten waren alle Planspiele über den Haufen geworfen, denn Gonazalo Castro durfte unbedrängt einschieben. Dass es auch zur Pause nur 1:0 stand, war mehr Glück als Können. Spätestens nach dem Platzverweis des sichtlich frustrierten Peter Niemeyer ergaben sich die 98er in ihr Schicksal. Keine Spur von der Darbietung von vor einem Jahr, als ebenfalls unterlegene aber giftige Lilien ein 2:2 in Dortmund ertrotzten. Selbst die Notelf von München schlug sich im Februar beim Rekordmeister bedeutend besser. So ereilte mich während der 90 Minuten von Dortmund die Erkenntnis, dass wohl kaum ein Zweitligist harmloser hätte auftreten können.
Was sticht nach drei Spieltagen ins Auge?
- Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass sich das Team von Norbert Meier in 270 Minuten noch keine hundertprozentige Torchance erspielt hat. Ein Offensivspiel, das diesen Namen verdient, ist bestenfalls in Fragmenten zu erkennen. Fast schon konsequent, dass der einzige Treffer aus einer abgerutschten Flanke von Sandro Sirigu resultierte.
- Das Team wirkt nicht kompakt. Immer wieder lässt es sich auseinanderdividieren. Immer wieder tun sich Lücken in der eigentlich so dicht gestaffelten Defensive auf. Regelmäßig kommen Spieler zu spät in die Zweikämpfe. Und wenn sie doch zur Stelle sind, fällt das Zweikampfverhalten gegenüber der vergangenen Saison ab. Das Doppeln und Absichern muss besser werden. Sicher ein Nebeneffekt des erst spät komplettierten Kaders. Dennoch muss sich hier schleunigst etwas ändern! Am besten gepaart mit der typisch selbstlosen Lilien-Mentalität. Dass die SVD-Spieler in Dortmund im Schnitt deutlich unter 10 Kilometer liefen (99,8 Kilometer), hat es so vermutlich schon lange nicht mehr gegeben. Zum Vergleich: Beim 3:1 im Februar in München liefen die eingesetzten Spieler durchschnittlich über einen Kilometer mehr (116,5 Kilometer).
- Der Kader ist überfordert, sobald aus dem Trio Aytac Sulu, Peter Niemeyer und Jerome Gondorf zwei Spieler ausfallen. Sulu lief in dieser Saison noch gar nicht auf und droht mit Wadenproblemen weiterhin zu fehlen. Niemeyer ging mit dem Team in Dortmund unter, Gondorf in Köln. Gegen Hoffenheim könnte es noch dicker kommen. Durch Niemeyers Platzverweis beim BVB dürften die Lilien vermutlich ganz ohne die drei tragenden Säulen auskommen.
Da ist es eine Wohltat, dass die Lilienfans nach wie vor wissen, wo ihr Klub herkommt und sie weiter hinter ihrem Team stehen. Das war trotz der höchsten Bundesliga-Auswärtsniederlage der Lilien-Geschichte in Dortmund zu sehen und überdeutlich zu hören. Von dieser Seite wird also bis auf Weiteres kein negativer Druck auf das Team einwirken. Diese Einstellung teilen Christian, Mike, Daniel, Kai und ich in unserem Lilien-Podcast „Hoch & weit“ (KLICK), selbst wenn wir gerne das Haar in der Suppe suchen. Aber Identifikation bedeutet eben auch Emotion. Die nächste Folge zeichnen wir am Mittwoch nach dem Hoffenheim-Spiel auf.
Der Kontrahent hat das Wort:
Maximilian, Blogger und Hoffenheim-Fan:
Maximilian, in der letzten Saison schwebte Dein Klub permanent in Abstiegsgefahr. Die Lilien holten vier Punkte gegen euch. Warum wird die TSG in dieser Spielzeit wieder weiter oben anzutreffen sein?
Es wäre schön, wenn man das denn mit Gewissheit sagen könnte. Für diese Saison ist auf jeden Fall mit Julian Nagelsmann ein absoluter Hoffnungsträger auf dem Trainerstuhl, der schon in der Rückrunde sein Können beweisen konnte. Vom Kader her sollte man nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben, aber das war die letzten beiden Male als es eng wurde eigentlich auch der Fall. Dennoch: Es scheint ein festes Konzept zu geben und die Leistungen sind soweit ganz gut. Hält man diese Konstanz, müssen wir diese Saison nicht zittern.
Ihr seid mit drei Punkten aus drei Spielen in die Saison gestartet. Wie bewertest Du die drei Unentschieden gegen Leipzig, Mainz und Wolfsburg?
Sehr zwiespältig. Das Remis zum Auftakt gegen Leipzig war eine Enttäuschung, nicht weil ich RB unterschätze oder gar den Spielverlauf falsch im Kopf habe. Aber der klassische späte Ausgleich und die recht wacklige Defensive waren da nicht so toll. Gegen Mainz freut man sich am Ende über die tolle Aufholjagd, muss sich aber angesichts der desaströsen ersten Halbzeit Gedanken machen. Gegen Wolfsburg hätte das Spiel vom Ergebnis ähnlich laufen können, wenn beide Teams die Chancen machen. Wenn man ein sehr simples Fazit haben möchte: Vorne hui, hinten pfui.
Was funktioniert bereits ganz gut und wo siehst Du noch Luft nach oben?
In der Offensive scheinen Kramarić, Wagner und Uth den sehr schmerzhaften Abgang von Kevin Volland ganz gut kompensieren zu können. Das Kombinationsspiel und in Teilen die Chancenauswertung waren schon recht gut, auch der Einsatz stimmt soweit. Die Defensive ist aber das alte Problem. Ich habe das Gefühl, es ist egal ob der Trainer Rangnick, Stanislawski oder Gisdol heißt, ob Starke, Haas, Wiese, Casteels oder Baumann zwischen den Pfosten stehen und davor Compper, Vorsah, Delpierre, Vestergaard, Schär oder Süle verteidigen: eine wirklich solide Leistung hat man vielleicht einmal alle zehn Spiele. Und das, obwohl es alles Spieler sind, die auch in der Bundesliga gute Leistungen abliefern können. Gerade im Umschaltspiel auf Defensive ist da noch viel zu verbessern.
Du hast Sandro Wagner bereits erwähnt. Für mich passte er als relativ gestandener Spieler nicht so recht in euer Beuteschema. Zudem hattet ihr mit Kevin Kuranyi nicht die besten Erfahrungen gemacht. Wie verwundert warst Du über seine Verpflichtung und wie wird er in der Fanszene betrachtet?
Die Verpflichtung hat mich schon überrascht, es war ja – wenn man den Medien glaubte – sicher, dass er nach England gehen würde, was zu seiner Spielweise gefühlt besser gepasst hätte. Bei den Fans wurde das sehr zwiespältig gesehen: Einerseits war man sich seiner Qualitäten bewusst, andererseits soll sich das Hoffenheimer Spiel ja gerade durch seine offensive Vielseitigkeit und schnellen Kombinationsfußball auszeichnen. Da hätte man sich eher andere Spieler vorgestellt. Er ist natürlich ein polarisierender Typ, aber gerade so einer hat der TSG im Grunde genommen gefehlt.
Wer sind für dich die Säulen des Hoffenheimer Spiels und gibt es in Deinen Augen neben Niklas Süle einen weiteren Youngster, der einmal zu Höherem berufen sein könnte.
Ganz wichtig sind in meinen Augen Baumann, Süle, Rudy, Kramarić und mit Abstrichen Polanski. Baumann, weil er ein fantastischer Torwart ist und wir so einen bei unserer Abwehr brauchen und Süle, weil er nicht nur eines der Top-Talente für die Innenverteidigung ist, sondern auch ein Stück weit eine ‚Identifikationsfigur‘. Kramarić ist quasi der Volland-Ersatz, der Mann für die kreativen Zaubermomente. Rudy als Bindeglied zwischen Offensive und Defensive, wobei man das häufig unterschätzt. Und Polanski als klassicher Kämpfertyp.
Neben Süle traue ich im Moment Nadiem Amiri, der in der Vorbereitung ein paar Mal verletzt war, aber schon letzte Saison einige Male sein Können bewiesen hat, eine gute Karriere zu. Er könnte in der Offensive der gesuchte Spielgestalter werden. Auch Philipp Ochs ist für mich ein ganz großes Talent, allerdings muss sich für ihn noch die ideale Position finden. Als Linksverteidiger hat er nicht so überzeugt.
Was müssen die Lilien am Dienstag tun, um Hoffenheim den Zahn zu ziehen?
Eine gute Mischung aus Offensive und Defensive finden. Ein defensiver Gegner schmeckt der TSG nicht wirklich, aber gerade zu Hause wäre das für Darmstadt eigentlich zu scheu. Umso mehr, weil unsere Abwehr nicht gerade sicher ist. Von daher: Gut verteidigen, „kontrolliert“ die Offensive suchen und die sich bietenden Chancen nutzen.
Letzte Frage, die allerdings nichts mit dem Spiel zu tun hat. Du hast dafür gesorgt, dass auf transfermarkt.de die Namen der Spieler vertont wurden, die an der EURO 2016 teilnahmen. Wie war die Resonanz und gibt es schon Pläne das Angebot auszuweiten?
Die Resonanz war wirklich herausragend. Auf allen transfermarkt-Domains gab es 1,3 Millionen Aufrufe der einzelnen Audio-Dateien. Bei meiner eigenen Webseite nochmals knapp 20.000. Dazu Interviews und Berichte für Zeitungen, Online-Medien, Radio und Fernsehen. Auch zu Transferschluss waren die Aufnahmen noch einmal sehr begehrt. Konkrete Pläne zur Ausweitung gibt es nicht, ich stehe da mit transfermarkt.de in losem Kontakt. Allerdings wird eine Fortführung im vergleichbaren Ausmaß, etwa für Bundesliga oder Champions League, nicht aus eigener Kraft und ohne finanzielle Förderung möglich sein.
Maximilian, vielen Dank für das Gespräch.
Zu dieser Zeit vor vier Jahren …
Bereiteten sich die Lilien unter ihrem neuen Trainer Jürgen Seeberger auf das Heimspiel gegen den VfB Stuttgart II vor. Die 98er standen nach neun Spieltagen auf einem Abstiegsplatz in der 3. Liga und hofften nach dem Last-Minute-Remis beim Halleschen FC auf den zweiten Dreier der Saison.
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