Spieltag 12 (#s04d98): „Wo es früher Gejammer gab, heißt es nun ‚Jetzt erst recht‘.“

screenhunter_30-nov-19-21-57Die Vorfreude auf das Auswärtsspiel in Gelsenkirchen hält sich in Grenzen. Da ist zum einen das ernüchternde 0:1 gegen Ingolstadt. Zum anderen drücken null Punkte aus fünf Auswärtspartien aufs Gemüt. Ob ausgerechnet bei den wiedererstarkten Schalkern was drin ist? Nach vergeigtem Saisonstart heißt es dort „Jetzt erst recht“. Das weiß Hassan, der ein richtiger Königsblauer ist. Er ist in vielen Online-Medien gefragt, sobald es um die Fan-Sicht auf seinen Verein geht. Genau das wird er hier im Vorbericht tun. Doch zuerst zu den Lilien:

So sieht’s aus:

Sinkflug mit der Tendenz zum harten Aufschlag auf den Abstiegsplätzen! Da waren sie wieder, die Lilien, wie ich sie über viele Jahre gekannt habe. Vergeigen wie selbstverständlich ein Big-Point-Spiel gegen einen direkten Kontrahenten. Ein Big-Point-Spiel wohlgemerkt gegen einen Klub, der – neuer Coach hin oder her – in zehn Spielen zwei magere Pünktchen gesammelt hatte. Gegen einen Klub, der saisonübergreifend seit April nicht mehr gewonnen hatte. Gegen einen Klub, der gerade einmal 200 bis 300 Unentwegte mobilisierte, die ihm in Darmstadt den Rücken stärkten. Gegen einen Klub, der bis dato Tore in homöopathischen Dosen erzielt hatte.

Die 0:1-Niederlage gegen den FC Ingolstadt wird noch eine Weile schmerzen. Nicht nur, weil sich das Spiel zuverlässig auf Zweitliga-Niveau bewegte, sondern vor allem, weil der Abstand auf Tabellenplatz 17 auf drei Pünktchen zusammenschmolz. So fällt Sven Schipplock der Ausspruch von Anfang November schneller auf die Füße, als ihm lieb sein darf. Damals sagte er: „So lange die unteren Teams nicht punkten, ist das für uns eine ganz entspannte Ausgangsposition.“ Pustekuchen! Wer so eine Aussage tätigt, von dem darf man erwarten, dass er selbst im direkten Duell weiß, was die Stunde geschlagen hat. Stattdessen irritierte er mich (und meine Mitstreiter im Lilien-Podcast „Hoch & weit“: LINK) erneut in den 15 Minuten nach seiner Hereinnahme durch seine Körpersprache und Zweikampfführung. Und das, obwohl er Zeit seiner Bundesliga-Karriere vor allem eins war: Ein Joker (79 x eingewechselt, 45 x Startelf)! So hilft er weder sich, noch seinem Team weiter.

Ingolstadt ging agiler ins Spiel und hätte nach zehn Minuten schon 2:0 führen können. Einmal klärte Leon Guwara auf der Linie, einmal parierte Michael Esser gegen Moritz Hartmann prächtig. Einzig sehenswert aus SVD-Sicht: Änis Ben-Hatiras Lattenfreistoß. Anschließend sahen die Fans eine durch und durch zerfahrene Partie. Abspielfehler? En masse! Fouls? Zuhauf! Durchdachte Aktionen? Fehlanzeige! Beim SVD darf man weiterhin nach so etwas wie einer Spielidee suchen. Obwohl? Direkt nach der Pause ließen die Lilien in zwei Momenten Zielstrebigkeit, Tempo und Spielwitz erkennen. Beide Male kreierten der spielfreudige Mario Vrancic und der verbesserte Marcel Heller gute Chancen. Zunächst scheiterte Antonio Colak an Ingolstadts Keeper, dann schaffte es der von einem Ingolstädter bedrängte Ben-Hatira den Ball neben das leere Tor zu setzen! Danach Rückfall in alte Muster. Viel Stückwerk. Wenig Plan. Insbesondere das Aufbauspiel krankt. Und dann packt beim Gegner Moritz Hartmann einfach mal einen Volleyschuss aus, gegen den kein Kraut gewachsen war. Anschließend ließ sich der SVD 22 Minuten lang bitten, bis er in der Nachspielzeit ein überraschendes Abschluss-Feuerwerk zündete. Doch sämtliche Chancen blieben in der vielbeinigen Abwehr hängen oder waren eine Beute von FCI-Keeper Martin Hansen.

So hinterließ das Spiel viele SVD-Anhänger ernüchtert bis gefrustet. Die Unruhe wächst. Mehrere Fans in meinem Umfeld zählen Norbert Meier bereits an. Auch medial bekommt der Verein erstmals seit Ewigkeiten Gegenwind. Der kicker berichete, „am Böllenfalltor knirscht es im Gebälk“ und zwischen Meier und Kapitän Aytac Sulu gebe es „Irritationen“. Die BILD läuft sich schon mal gedanklich für größere Schlagzeilen warm („Doch jetzt ist mal so richtig Krise“). Das größte Kaliber brachte jedoch das Darmstädter Echo in Position: „Erreicht der Trainer noch die Spieler?“ „War Meier jemals der Richtige?“ „Eine Mannschaft, die diesen Namen verdient, gibt es auch fünf Monate unter seiner Regie nicht.“ Die Frankfurter Rundschau zeigt sich hingegen (noch?) nachsichtig: „Meier muss sich (…) den Vorwurf gefallen lassen, dass er es bislang nicht geschafft hat, die Einzelteile seines Kaders zu einem sinnvollen Gebilde zusammenzuhängen. Dass dies an einem Standort wie Darmstadt, wo finanzielle Zwänge den personellen Handlungsspielraum der Verantwortlichen eingengen, ein äußerst kniffliges Unterfangen ist, darf aber nicht vergessen werden.“

Der Glaube an ein weiteres Wunder ist derzeit jedenfalls nicht sehr ausgeprägt, trotz Rang 15. Um mich herum verließen am Samstag mehrere Fans schon zehn Minuten (!) vor Abpfiff die Gegengerade. Lücken taten sich auf. Ebensolche gab es auf der neu errichteten Nord-Tribüne. Daran änderte selbst die SVD-Geschäftsstelle nichts, die in den Tagen vor dem Spiel gebetsmühlenartig darauf verwies, dass es noch Tickets gäbe. 35 Euro für einen Sitzplatz dürften den allermeisten Fans schlichtweg zu teuer sein! Vielleicht nicht gegen die Bayern und auch nicht gegen Dortmund, gegen einen Großteil der Bundesliga-Konkurrenz allerdings schon. Das wirft zugleich kein gutes Licht auf die Neubaupläne an einem anderen Standort. Wenn in einem Bundesliga-Abstiegsduell der Heimbereich nicht voll ist, wie soll er es dann künftig in der – höchstwahrscheinlich – 2. oder 3. Liga gegen den SV Sandhausen oder die SG Sonnenhof Großaspach werden?!? Mit dem aktuellen Provisorium am Bölle käme ich persönlich bestens zurecht. Sicher, die Gegengerade müsste den DFL-Auflagen angepasst werden, aber sonst?

Doch zurück zum Tagesgeschäft. Norbert Meier muss sein Team in Gelsenkirchen umbauen. Immanuel Höhn zog sich unter der Woche einen Mittelfußbruch zu. Ich erwarte, dass ihn weder Artem Fedetskiy noch Sandro Sirigu als Rechtsverteidiger ersetzen. Stattdessen dürfte Florian Jungwirth die Position einnehmen und Peter Niemeyer wieder eine Chance im defensiven Mittelfeld erhalten. Die Rollen auf Schalke sind klar verteilt. Der Favorit trägt königsblau. Wettbewerbsübergreifend blieb S04 in den vergangenen elf Spielen ungeschlagen und gewann davon neun. Noch nicht einmal die Doppelbelastung der Gastgeber im Europapokal lässt sich als Hoffnungsschimmer für die Lilien anführen. Denn auch in Dortmund und Leverkusen verlor der SVD, nachdem diese zuvor unter der Woche international gefordert waren.


Der Kontrahent hat das Wort:

Hassan (@hassanscorner) twittert, schreibt und spricht ebenso beständig wie meinungsstark über den Schalke 04.

Hassan, warum stimmten bei S04 zu Saisonbeginn die Ergebnisse in der Bundesliga überhaupt nicht, und warum passt es in den letzten sechs Spielen auf einmal?
Im sportlichen Bereich gab es auf Schalke viele Veränderungen. Neuer Sportvorstand, neuer Sportdirektor, ein neuer Trainer, viele neue Spieler – aber vor allem, eine neue Philosophie. Dass es nicht sofort auf Anhieb funktionierte war der Tatsache geschuldet, dass sich einiges noch finden musste. Zeit ist hier wohl der ausschlaggebende Faktor. Mittlerweile hat sich alles eingespielt und nun gibt der S04 ein wesentlich besseres und erfolgreicheres Bild ab.

Zuletzt konntet ihr euch zweimal „nur“ für die Europa League qualifizieren. Jetzt sind mit Wolfsburg, Leverkusen und Mönchengladbach eure Konkurrenten um die vorderen Plätze noch gar nicht ins Rollen gekommen. Wie sehr schmerzt es da, dass ihr den Saisonstart verschlafen habt?
Weniger als man glauben mag. Selbstverständlich wäre es schöner, wenn wir nicht direkt vom Start weg, der Musik hinterhergelaufen wären. Wenn man jedoch vergleicht, dann stellt man fest, dass die drei genannten Klubs allesamt nur punktuelle Veränderungen hatten, und eben nicht einen derart großen Umbruch wie die Königsblauen. Trotzdem haben sie ihre Schwierigkeiten gehabt und stehen mit Ausnahme von Bayer Leverkusen hinter Schalke 04.

Wie bewertest Du die Chancen, dass sich mit dem neuen Duo Christian Heidel und Markus Weinzierl endlich Kontinuität in der sportlichen Leitung einstellt?
Auf Schalke ist das Vertrauen zurückgekehrt. Christian Heidel und Markus Weinzierl haben den Menschen hier ihre Vision verständlich gemacht und sie wurde angenommen. Nach den ersten fünf Niederlagen war es still und ruhig, weil die Leute rund um Schalke dazugelernt haben und der sportlichen Führung vertrauen. Es ist eine neue Wertigkeit des allgemeinen Wohlbefindens eingetreten. Hier entsteht etwas und das königsblaue Volk steht voll hinter den Plänen der Entscheidungsträger.

Was unterscheidet bislang Markus Weinzierl vom letztjährigen Coach André Breitenreiter, der ebenfalls mit viel Vorschlusslorbeeren kam?
Die Persönlichkeit. Damit hatte André Breitenreiter auf Schalke sichtlich Probleme, weil er es sich intern mit vielen Mitarbeitern verscherzt hatte. Sportlich gesehen trifft Markus Weinzierl oftmals die richtigen Entscheidungen und seine Mannschaft macht sie für jeden sichtbar. Schalkes Spieler sind wieder eine eingeschworene Truppe mit einem taktischen Konzept, das in der Lage ist, jeden Gegner zur Weißglut zu bringen. Fast unsere komplette Sturmreihe fällt aktuell aus, dennoch haben wir die Lösungen, die man braucht um erfolgreich zu sein. Wo es früher noch Gejammer gab, scheint sich nun ein „Jetzt erst recht“-Gedanke festgesetzt zu haben. Und das ist der Verdienst von Weinzierl, seinem Team und dem Team hinter dem Team.

Was sind für dich die großen Stärken im aktuellen Schalker Kader, der – für meine Begriffe – über eine enorme Breite verfügt?
Das große Plus ist, dass wir durch die klugen Transfers von Heidel, tatsächlich qualitativ in der Breite haben aufrüsten können. Dadurch ist der Konkurrenzkampf härter den je geworden. Jeder im Kader ist sich bewusst, dass er Vollgas geben muss, sonst findet er sich wahrscheinlich auf der Tribüne oder der Reservebank wieder. Das beste Beispiel dafür, ist Sead Kolasinac. Viele – mich eingeschlossen – gingen davon aus, dass Neuzugang Abdul Rahman Baba gesetzt sein wird. Vor allem nach dem famosen Spiel in Nizza in der Frühphase der Saison. Kolasinac hat den Kampf angenommen und sich wieder in die Startelf gespielt. Er ist nun nicht mehr wegzudenken. Oder zum Beispiel Johannes Geis, der in Frankfurt zum Bundesligaauftakt sehr bescheiden spielte und auf der Tribüne landete. Nun ist er wieder Stammspieler und glänzt. Weinzierl hat mit dem 3-5-2-System ein taktisches Korsett geschnürt, das durchgängig mit jedem Spieler im Kader funktioniert. So ist zumindest bis jetzt mein Eindruck.

Welchen Stellenwert hat die Europa League für euch Fans?
Es fühlt sich für mich an, wie eine Bestrafung für die bösen Sünden der Vergangenheit. Schalke spielte drei Jahre am Stück in der Königsklasse und nun im zweiten Jahr wieder die Europa League. Und Sonntagsspiele mögen wohl die Wenigsten.

Wer könnte aus dem starken Schalker Nachwuchs als nächstes durchstarten? Und warum ist es Donis Avdijaj ganz offensichtlich nicht?
Bei Donis muss man fair genug sein: Er hatte noch nicht die Chance, sich wirklich mal im Schalker Trikot auf großer Bühne zu beweisen, abgesehen von den letzten zehn Minuten am Donnerstag gegen Nizza. Der Junge hat enorme Fähigkeiten, warum er bislang außen vor ist, kann ich leider auch nicht erklären. Der nächste große Hit aus der Knappenschmiede könnte Haji Wright sein. Aktuell kickt er in der U19 von Norbert Elgert. In zehn Spielen war er an 13 Toren beteiligt. Sechs Treffer und sieben Vorlagen – eine tolle Quote. Er dürfte recht bald einen Profivertrag erhalten. Aber auch Fabian Reese und Bernard Tekpetey, Letzterer eine Empfehlung von Gerald Asamoah, darf und sollte man nicht vergessen. Beide durften sich jetzt ebenfalls gegen Nizza zeigen.

Wie nimmt man als Schalke-Fan solche Liga-Kontrahenten wie den SV Darmstadt 98 oder zuvor den SC Paderborn 07 und die SpVgg Greuther Fürth war? Sind das eher nervige Pflichtaufgaben, weil sie von den Rahmenbedingungen total hinterherhinken?
Die Fußballleckerbissen, auf die man sich Tage und Wochen vorher schon freut, sind das nicht. Da bin ich ehrlich. Dennoch sind das Teams, die man nicht unterschätzen darf. Wenn Darmstadt am Sonntag zu uns auf Schalke kommt, befürchte ich, dass das Spiel schwieriger wird als gedacht. Darmstadt braucht dringend Punkte und im letzten Jahr haben sie hier ja schon einen geholt, uns dabei zwei geklaut. Und wenn man dann liest, dass Sven Schipplock seit fast 600 Tagen nicht getroffen hat, würde es mich nicht wundern, wenn diese Serie am Sonntag reißt. Solange Schalke ein Tor mehr schießt als die Lilien, soll es mir aber recht sein.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Du führst seit einem Unfall ein Leben im Rollstuhl. Wie ist die Situation für einen Rolli-Fahrer in den Bundesligastadien? Hast Du in dieser Hinsicht schon Erfahrungen mit dem Bölle machen dürfen?
Ich mache keine Auswärtsfahrten mehr, da mir diese zu stressig geworden sind. Deshalb kann ich Dir nur sagen, wie es auf Schalke ist. Bis auf die Sicht im Stadion ist eigentlich alles perfekt. Das Personal ist immer sehr freundlich und hilfsbereit. Bisher hatte ich dort noch keine großen Probleme.

Hassan, besten Dank!


An diesem Wochenende vor vier Jahren:

Ich wusste, dass ich den folgenden Satz früher oder später schreiben würde, und hier ist er: Dass der momentane Abstiegskampf in der Bundesliga ein Luxusproblem darstellt, wird klar, wenn wir gerade einmal vier Jahre zurückblicken. Damals grüßten die Lilien vor ihrem Gastspiel bei den Stuttgarter Kickers als Tabellenletzter der 3. Liga. Und daran sollte sich auch nach dem Spiel nichts ändern.

Die Kickers (Tabellenplatz 18) hatten in der Vorwoche Aufstiegscoach Dirk Schuster wegen Erfolglosigkeit entlassen. So coachte Guido Buchwald übergangsweise die Degerloch-Elf. Das Spiel war alles andere als ein Leckerbissen und die Zuschauer auf der Waldau sahen ein wenig Krampf und viel Kampf. Eine dicke SVD-Chance kurz vor der Pause machte zumindest ein wenig Lust auf mehr. Es sollte dann aber bis zur 75. Minute dauern, ehe Danny Latza die 98er in Front schoss. Als sich der Darmstädter Anhang schon mit dem Sieg anfreundete, durfte sich Kickers-Goalgetter Marco Grüttner in der 90. Minute sträflich ungedeckt auf die Reise machen und verwandelte nervenstark zum leistungsgerechten 1:1. Bei den Kickers mit von der Partie war damals Jerome Gondorf, der seit drei Jahren die Lilien-Geschichte mitschreibt.

Die Lilien-Elf vom 1:1 bei den Stuttgarter Kickers:
Zimmermann – Gaebler, Islamoglu, Beisel, Stegmayer – Baier (Hesse), Latza (1), Behrens, Zimmerman, Da Costa (Zielinsky) – Tatara (Steegmann)

Zuschauer: 3.500

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