Am Sonntag gilt’s. Will der SV Darmstadt 98 Weihnachten nicht frustriert im Tabellenkeller verbringen, dann sollte er den HSV vor heimischem Publikum besiegen. Bleibt zu hoffen, dass der SVD von Anfang an klar macht, dass die drei Punkte am Bölle bleiben. Sascha, Betreiber des HSV-Podcasts „Wunderbarer HSV“, spricht mit mir über die fast schon traditionell verfahrene Situation beim Bundesliga-Dino.
So sieht’s aus:
Tja. So richtig schlecht war der Auftritt der Lilien auf Schalke nun wirklich nicht. So richtig überzeugend allerdings auch nicht. Folgerichtig hieß es am Ende 1:3 aus SVD-Sicht. 25 starke Anfangsminuten reichten nicht, um Punkte aus Gelsenkirchen zu entführen. Dabei lief zunächst alles wunderbar. Sandro Sirigu schnappte sich (wie anno 2014 in Münster) in der eigenen Hälfte den Ball und jagte dem gegnerischen Tor entgegen. Einen Traumpass später durfte Marcel Heller den Torwart umkurven und zur Führung einschieben. Vieles erinnerte in dieser Phase des Spiels an die letzte Saison, als die 98er in ihrer Underdog-Rolle aufgingen und die favorisierten Heimteams im eigenen Stadion nervten. Leider kippte das Spiel dann relativ schnell. Warum? Weil Darmstadt in der Offensivbewegung einen Fehler machte, einen Konter zuließ und hinten die Zuordnung fehlte: Der Ausgleich! Dass es nicht gleich so richtig bitter wurde, war Michael Esser zu verdanken, der zwei Minuten später einen Foulelfmeter parierte.
Immerhin konnten immer passiver werdende Lilien das Spiel bis zur 60. Minute offen halten. Dann wurden sie erneut auf der rechten Seite überspielt und fingen sich den absehbaren Rückstand. Weil es Schalke versäumte den Sack zuzumachen, kam der SVD in den letzten zehn Minuten noch einmal auf, fing sich aber in den Schlussminuten das dritte Gegentor. Wie schon gegen Leverkusen blieb das Gefühl, dass da mehr drin war. Torsten vom S04-Blog „koenigsblog.net“ schrieb mir anschließend, dass die Lilien mutiger hätten agieren und höher verteidigen müssen. Nun gut. Hoch verteidigen ist nicht unbedingt eine Primärtugend der Lilien. Aber etwas mutiger und vor allem zwingender hätten sie schon zu Werke gehen dürfen. Hinten wie vorne. Da hilft es nicht unbedingt (Top-Leistung in den ersten 25 Minuten hin oder her), dass die Mannschaft Woche für Woche durcheinandergewürfelt wird. László Kleinheisler? Von der Startelf zum 90-minütigen Bankdrücker! Jerome Gondorf? Von der Stammelf aus dem Kader! Und in der zweiten Halbzeit sollten mit Eric Obinna, Denys Oliynyk und Domenik Stroh-Engel drei Spieler das Offensivspiel beleben, die in dieser Saison erst 22 Bundesliga-Minuten auf sich vereint hatten.
Ein funktionierendes Mannschaftsgefüge will sich auch nach Spieltag 12 noch nicht herauskristallisieren. Warum? Vielleicht, weil Norbert Meier die Rotation zum Prinzip erhoben hat? Erst ein einziges Mal vertraute er zweimal hintereinander der gleichen Startelf. Fünfmal schickte er mindestens drei neue Spieler aufs Feld, zuletzt gegen Schalke. Drei Spieler flogen schon einmal von der Startelf komplett aus dem Kader. Neben Gondorf noch Änis Ben-Hatira gegen Hoffenheim und Artem Fedetskiy gegen Wolfsburg. Gerade das von Meier vor der Saison als so wichtig eingestufte Ballbesitzspiel dürfte unter den ständigen Veränderungen eher leiden, als dass es Wunder wirkt. Als Beobachter sieht man immer wieder, dass Angriffe der 98er nicht mit der letzten Überzeugung vorgetragen, geschweige denn zu Ende gespielt werden. Man erahnt bei einigen Spielern förmlich die Fragezeichen über ihren Köpfen, sobald sie in den Angriffsmodus umschalten. Doch was heißt schon Angriffsmodus? Nach dem Schalke-Spiel sprach Meier entlarvend von „Angriffsbemühungen„. Er hat recht. Die zehn Feldspieler mühen sich, denn ihnen scheinen die Sicherheit gebenden Automatismen zu fehlen. Das wäre ja vielleicht noch zu kaschieren, wenn die Standards einigermaßen verlässlich zu Torerfolgen führen würden. Und wenn obendrein die Defensive nicht so fehleranfällig wäre. 24 Gegentoren standen in der Vorsaison zum gleichen Zeitpunkt 16 gegenüber.
So läuft alles auf einen „Abstiegsfight“ gegen den HSV hinaus. Der kicker benotet beide Teams einträchtig im Tabellenkeller. Verkürzt ließ sich sagen: Hier Not, dort Elend. Die besseren Nerven werden am Sonntag über Wohl und Wehe entscheiden. Wer bekommt seine Defensive besser in den Griff? Eine Niederlage gegen die bislang sieglosen Hamburger wäre gleichbedeutend mit einer massiven Trainerdiskussion am Bölle. Das wäre so sicher, wie das Amen in der Kirche. Da könnten sich Holger Fach und Rüdiger Fritsch noch so sehr verbal dagegen verwahren. Es bleibt schlicht und ergreifend zu hoffen, dass die Lilien-Elf die von Holger Fach ausgemachte Angst vor dem Verlieren ausblendet und mit möglichst breiter Brust aus der Kabine kommt. Vielleicht ja wieder mit den bissigen Jerome Gondorf und Peter Niemeyer auf der Doppelsechs? Mit Florian Jungwirth als zuverlässigen Rechtsverteidiger und endlich einmal Roman Bezjak im Sturmzentrum? Flankiert von den flinken Sandro Sirigu und Marcel Heller? Warum nicht? Schließlich wird so schnell keine anfälligere Defensive mehr am Böllenfalltor aufkreuzen. Und bei meinem kleinen Wunschkonzert wären wieder drei Neue im Team. Also völlig Meier-kompatibel. Auf geht’s Jungs!
Der Kontrahent hat das Wort:
Sascha betreibt den Podcast „Wunderbarer HSV„. Dort versucht er, aus schlechten Nachrichten gute zu machen. Zurzeit hat er viel zu tun …
Sascha, was macht dich eigentlich fassungsloser? Dass der HSV zweimal in die Relegation musste und sich dort zum Klassenerhalt quälte, oder dass er aktuell so tief im Keller steckt?
In punkto Fassungslosigkeit hat beides in etwa dieselbe Tragweite. Der große Unterschied ist: Die Relegationen sind Teil einer Historie geworden, zudem mit gutem Ausgang, wenngleich das Ziel auf teils peinlichem Wege erreicht wurde. Die derzeitige Situation ist aber – tja – die derzeitige. Und keiner weiß, ob der HSV sich zum dritten Mal in vier Jahren da herauslavieren kann. Im Grundsatz bin ich aber positiv eingestellt und sage: Wir finden auch am Ende dieser Saison zwei bis drei Teams, die sich noch dämlicher anstellen als der HSV.
Beschreib doch mal die ersten zwölf HSV-Spieltage aus Deiner Perspektive.
Den Auftakt daheim gegen Ingolstadt habe ich noch abgelegt unter „Kein Dreier gegen diese Truppe – ok, kann passieren“. Und auch die Niederlage gegen Leverkusen hat mich nicht schockiert, zumal es dort bis zur 90. Minute 1:1 stand und wir erst dann zwei Konter fingen. Ernüchternd war der Auftritt zuhause gegen Leipzig. Obwohl: Eifgentlich auch erst ab der 55., dann aber so richtig. Da habe ich erstmals gedacht: „Junge, das kann eine harte Saison werden.“ Weil hier die vielen Defizite des HSV klar aufgezeigt wurden. Ein behäbiger (wenn überhaupt vorhandener) Spielaufbau, null Torgefahr und eine Ansammlung von elf Spielern, die weit davon entfernt waren, eine Mannschaft zu sein. Die die Köpfe nach dem ersten Gegentor hängen ließen, sich fast aufgegeben hatten. Nix mit „11 Freunde müsst Ihr sein“.
War die Labbadia-Entlassung für dich unvermeidlich?
Nein. Der Trainer ist beim HSV seit geraumer Zeit die ärmste Sau im Klub und gern ein Bauernopfer. Mit der Entlassung haben die Verantwortlichen den vielleicht einzigen Mann entfernt, der den HSV zu 100% gelebt hat, der sich schützend vor Spieler und Funktionäre gestellt hat, der jede Drecksarbeit ausgeführt hat, auch wenn die nicht unbedingt Teil seiner Jobbeschreibung war. Labbadia war loyal. Und auch, wenn er limitiert gewesen sein mag: Ich glaube kaum, dass wir mit ihm als Trainer noch weniger Punkte geholt hätten.
Woran krankt es im Spiel des HSV am meisten?
Derzeit: An mangelndem Selbstvertrauen. Das ist der wichtigste Punkt.
Was macht Dir unter Markus Gisdol Mut, dass er die Blockade löst und der HSV die Kurve wieder kriegt?
Ich gebe zu, dass ich nicht vor Freude ausgeflippt bin, als Markus Gisdol präsentiert wurde. Aber er dreht an den richtigen Stellschrauben. Er probiert viele verschiedene Systeme aus – auch wenn da tatsächlich noch längst nicht alles Gold ist, was glänzt. Aber so macht er den HSV ein Stück unberechenbarer. Er macht Außenverteidiger wie Sakai und Ostrzolek zu Sechsern – und die spielen besser als je zuvor! Und er scheut sich nicht vor unbequemen Entscheidungen: Djourou wird als Kapitän abgesetzt. Das ist eine 1a-Klatsche für den Innenverteidiger und ein letzter Warnschuss: „Bring‘ Leistung, oder das war es hier.“ Sein Vertrag läuft am Saisonende aus. Zudem müssen die ausländischen Spieler endlich, ENDLICH wieder Deutschunterricht nehmen. Kaum zu glauben, aber: Das war hier kein Standard. Aber in allem gibt Gisdol sich viel Mühe, den HSV nuancenweise, aber kontinuierlich zu verbessern. Das ist ihm anzurechnen. Und es trägt Früchte. Klar ist die Abwehr immer noch wackelig. Aber wir schießen wieder Tore, zuletzt dreimal in Folge zwei pro Spiel. Durch die kommt eventuell das mangelnde Selbstvertrauen zurück.
Seit einigen Jahren wirkt es so, als ob das HSV-Trikot für die Spieler wie eine Bleiweste ist. Warum können alte wie neue Spieler ihre Leistungen einfach nicht abrufen?
Ich zitiere meinen HSV-Podcastkollegen @DerHoobs: „Von Didi Beiersdorfer gibt es genau einen schlauen Satz: Die Querelen und Fehler im Management machen nicht vor der Tür der Umkleidekabine Halt.“
Was glaubst Du, wie der HSV in Darmstadt ins Spiel gehen wird?
Ich befürchte: abwartend. Wie schon beschrieben, ist der HSV wahrlich kein Meister des innovativen Spielaufbaus. Ich glaube, dass er Darmstadt kommen lassen möchte und dann eventuell freigewordene Räume nutzen will. Schnelle Spieler dafür haben wir ja.
Wie müsste der SVD auftreten, um dem HSV den Zahn zu ziehen?
Mit welcher Taktik er ins Spiel gehen könnte, kann ich Dir nicht sagen – dafür kenne ich ihn zu wenig. Aber egal, wie der Masterplan aussieht: Er sollte ein frühes Tor beinhalten. Dann rattert’s beim HSV wieder im Kopf und man fürchtet sich vor einer Niederlage. Diese Furcht könnte lähmen.
Wie reagierst Du, wenn Sven Schipplock das entscheidende Tor für den SVD erzielen sollte?
Ich würde mich fragen, wann ich wieder aufwache – denn das kann dann ja wohl nur ein schlechter Traum sein. Im Ernst: Oft ist es ja tatsächlich so, dass der Fußball solcherlei Geschichten schreibt. Lieben Gruß an den Max vom Rasenfunk. Bei Schipplock kann ich mir das aber so gar nicht vorstellen. Er mag ein Riesentyp sein. Ein bundesligatauglicher Stürmer ist er in meinen Augen nicht. Aber: Wie war das mit den Pferden und der Apotheke?
Ich bin gespannt und freue mich tatsächlich ein wenig auf das Duell unserer Klubs. Auch wenn sie zusammen unfassbare 18 Punkte weniger auf dem Konto haben als der Aufsteiger aus Leipzig. Sascha, herzlichen Dank für Deine Antworten.
An diesem Wochenende vor vier Jahren:
Freitagabend, Sportpark Unterhaching. Die Spielvereinigung (Tabellenfünfter) heißt das Drittliga-Schlusslicht aus Darmstadt willkommen. Doch das erste Ausrufezeichen setzen die Lilien. Preston Zimmerman erzielt nach zwei Minuten die Führung, die die Gastgeber erst einmal aus dem Konzept bringt. Es folgt eine weitgehend ereignislose erste Hälfte, in der die Hachinger mehr Spielanteile haben, ohne aber große Torgefahr heraufzubeschwören. Erst in den letzten 15 Minuten sollte die Partie so richtig Fahrt aufnehmen. Zunächst erzielt Florian Niederlechner per Foulelfmeter den Ausgleich. Zwei Minuten später gibt wieder Preston Zimmerman die richtige Antwort. Sein Seitfallzieher landet zum 2:1 im Netz. Die Lilien wollen jetzt mit Mann und Maus den Dreier sichern. Coach Jürgen Seeberger hat dabei seine Nerven nicht im Zaum und darf die letzten Minuten auf der Tribüne verbringen. Von dort muss er zusehen, wie das kommt, wozu es so oft in jener Halbserie kommt: ein Gegentor! Erneut ist Florian Niederlechner für Unterhaching erfolgreich. Sein Tor ist bereits der sechste Gegentreffer in 20 Ligaspielen, der nach der 84. Minute fällt. Insgesamt verspielen die Lilien so neun Punkte. Kein Wunder, dass sie mit 16 Punkten am Tabellenende kleben.
Die Lilien-Mannschaft vom 2:2 in Unterhaching:
Zimmermann – Gaebler, Islamoglu, Beisel, Stegmayer – Behrens – Baier (Gorka), Latza, Hesse (Zielinsky), Zimmerman (2) – Tatara (Steegmann)
Zuschauer: 1.400
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