Mangelnde Platzreife: Die Lilien-Zwischenbilanz

Lilie_DSCN8652_500px16 Spieltage sind gespielt. Die Winterpause hat begonnen. Die Lilien sind Tabellenletzter. War ja eh klar. Schließlich hatten das vor der Saison nicht nur alle Experten erwartet, auch die Fußballfans gaben dem SVD keine Chance. Etwa bei der großen Rasenfunk-Umfrage im August, bei der eine überwältigende Mehrheit die 98er auf Platz 18 tippte. Dennoch lohnt ein genauerer Blick. Was genau verursachte diese sich selbst erfüllende Prophezeiung? Was machte die Lilien zum mittlerweile abgeschlagenen Schlusslicht?

Zunächst die Fakten: Zwei Siegen und zwei Unentschieden stehen zwölf Saisonniederlagen gegenüber. Die Lilien punkteten im Schnitt also lediglich in jedem vierten Spiel. Ein ernüchternder Wert! Bedenkt man, dass Aytac Sulu & Co. in den letzten acht Begegnungen durchweg als Verlierer vom Platz gingen, dann ist das vor allem eins: Die Quote eines Absteigers. Noch nicht einmal die schlechtesten Bundesliga-Teams der letzten Jahre – Eintracht Braunschweig und die SpVgg Greuther Fürth – hatten eine so lange Durststrecke zu erleiden. Lediglich Hertha BSC sammelte in der Saison 2009/10 zwischen dem zweiten und neuten Spieltag ebenfalls acht Niederlagen am Stück. Am Ende stand der Abstieg mit kümmerlichen 24 Punkten. Die Hertha hatte damals nach 16 Spieltagen übrigens sogar nur sechs Punkte gesammelt und damit zwei weniger als der SVD. Bei den Berlinern betrug der Rückstand auf den rettenden Platz 15 allerdings „nur“ sieben Zähler. Bei den 98ern sind es aktuell schon acht. Einen solch großen Rückstand konnte in den letzten 15 Bundesliga-Spielzeiten kein Team aufholen. Der neue Coach am Bölle, wer immer es auch sein mag, bekommt es also mit einer ordentlichen Hypothek zu tun.

Keine eingeschwungene Defensive
Die Harmlosigkeit der Lilien lässt sich in weiteren Zahlen verdeutlichen: Aus keiner einzigen der acht Auswärtspartien ergatterten sie auch nur ein Remis, geschweige denn einen Dreier. Eine solche „Ausbeute“ erinnert an die SpVgg Greuther Fürth. Nur dass deren frappierende Schwäche während ihres Bundesliga-Intermezzos vor vier Jahren darin bestand, kein einziges Heimspiel zu gewinnen. 4:20 Tore auf des Gegners Platz zeigen zudem, woran es bei den Lilien krankt: Der Kader kassiert zu viele Tore. Nur in einem Spiel blieb der eigene Kasten sauber, selbst wenn sich die Defensive seit der Entlassung von Norbert Meier gefangen hat. Interimscoach Ramon Berndroth bildete mit Peter Niemeyer und Aytac Sulu eine erfahrene Innenverteidigung, vor der Jerome Gondorf absicherte. Seither kassierten die Lilien zwar vier Tore in drei Partien, allerdings keines aus dem Spiel heraus. Die Abwehrarbeit war bei den Lilien schon immer erste Spielerpflicht. Sie war die Basis des Erfolgs. Ohne sie war und ist alles nichts. Das darf sich Meier ankreiden lassen, der defensiv bis zum Schluss munter (oder eher hilflos?) experimentierte.

Vorne ein laues Lüftchen
Die Kür fand und findet hingegen vorne statt. Hier hat es der SVD bis zuletzt nicht verstanden, Gefahr heraufzubeschwören. Der Verlust von Sandro Wagner mit seinen 14 Toren tut weh. Das war von Anfang an klar. Wie sehr allerdings, das merkt man jetzt, wo selbst die Standards nicht mehr funktionieren. Aytac Sulus sieben Treffern nach ruhenden Bällen aus 2015/16 stehen aktuell null Tore gegenüber. Zudem ging die Effizienz im Angriff flöten. Denn bereits im letzten Jahr erspielten sich die Lilien nicht gerade Chance auf Chance, sie münzten die wenigen aber in Tore um. Nur Hannover kam seinerzeit seltener zum Abschluss, in der Verwertung rangierten die Lilien allerdings auf Rang zehn. Aktuell erspielen sich laut kicker mit dem HSV und Augsburg tatsächtlich zwei Teams noch weniger Chancen als die 98er, nur Ingolstadt verwertet sie allerdings prozentual gesehen seltener als der SVD. In neun der 16 Partien erzielten die Lilien überhaupt kein Tor. No Sandrogoal, no party! Königstransfer Roman Bezjak war zwar zwischenzeitlich verletzt, durfte aber noch nie von Beginn an als Neuner auflaufen. Obwohl er bei seinen vorangegangenen Stationen bewies, dass er dort ganz gut aufgehoben ist. Stattdessen wirkte Sven Schipplock in vorderster Front seltsam verloren und mitunter deplaziert. Toni Colak kam im Vergleich zu ihm deutlich engagierter rüber, ihm fehlte es aber an der Robustheit und dem Durchsetzungsvermögen gegen gestandene Bundesligaprofis.

Bloß nicht in Rückstand geraten!
Aus der mangelnden Durchschlagskraft resultierte ein weiterer Knackpunkt der aktuellen Misere: Man darf um Himmels Willen nicht in Rückstand geraten. War den Lilien letztes Jahr noch anzukreiden, dass sie immer wieder einen Vorsprung verspielten, so stellt sich die Situation in dieser Spielzeit komplett anders dar. Liegen die Lilien einmal zurück (und das tun sie fast immer), dann können sie eine Partie nicht mehr umbiegen. Nur gegen Hoffenheim und Werder sprang immerhin noch ein Punkt heraus.

Kaum Punkte gegen Abstiegskontrahenten
Eine weitere eklatante Schwäche war die Punktausbeute gegen die direkte Konkurrenz: Vergangene Spielzeit sammelte der SVD stolze 27 Punkte gegen die Teams, die am Ende in der zweiten Tabellenhälfte landeten. Bislang holten sie lediglich vier von 24 möglichen Punkten (die Partie gegen Gladbach steht noch aus). Insbesondere die Heimniederlagen gegen die bis dahin sieglosen Hamburger SV und FC Ingolstadt zogen dem Team endgültig den Stecker. Was wäre passiert, wenn sie beide Partien gewonnen hätten? 14 Punkte nach 13 Partien! Die beiden Kontrahenten wären hingegen bei drei und vier Zählern im Tabellenkeller zementiert gewesen! Stattdessen leisteten verunsicherte Lilien beste Aufbauarbeit gegen keineswegs sattelfeste Gegner und liegen inzwischen fünf bzw. vier Punkte hinter den beiden.

Verunsicherung und Misstrauen unter Meier
Die Verunsicherung in diesen entscheidenden Partien war wohl nicht zuletzt Norbert Meier anzulasten. Meier und die Säulen des Teams verfolgten offenbar nicht die gleiche Philosophie. Das legen Aussagen von Führungsspielern wie Aytac Sulu im Darmstädter Tagblatt („Er [der neue Trainer] muss schon einer sein, der die Möglichkeiten der Mannschaft anerkennt.“) und Peter Niemeyer („Wir haben vor drei Spielen einen Weg eingeschlagen, der der richtige ist.“) nach dem Spiel in Berlin nahe. Aus ihnen spricht ein Misstrauen gegenüber dem Weg, den Meier versuchte einzuschlagen. Mit einem Fußball, den die Mannschaft nicht beherrschte. Mit seiner Art, die dem SVD seiner Stärke beraubte: der Geschlossenheit. Dies lässt erneut Aytac Sulu im Tagblatt durchblicken („Sie [Ramond Berndroth und sein Stab] beleben die Tugenden wieder, die zuletzt ein stückweit verloren gegangen sind.“). Die Selbstsicherheit mit der die Lilien vor Jahresfrist allen voran auswärts aufgetreten war, ging unter Meier verloren.

Die Neuzugänge stechen (noch?) nicht
Folgerichtig tat Ramon Berndroth gut daran, die Wagenburgmentalität wiederzubeleben. Daneben vollzog er eine Rolle rückwärts und bot kaum mehr Feldspieler auf, die von Meier und Kurzzeit-Manager Holger Fach an Land gezogen wurden. Will man die Neuzugänge nach 16 Spielen bewerten, dann bleibt festzuhalten, dass Victor Obinna und Denys Oliinyk überhaupt keine Rolle spielten. Sven Schipplock entpuppte sich als überwiegend wirkungslos. Last-Minute- und Königstransfer Roman Bezjak durfte sich auf der Außenposition nicht sehr überzeugend beweisen und sollte – siehe oben – endlich einmal seine Chance als Sturmspitze erhalten. Toni Colak gefällt bisweilen, stößt in der Bundesliga – wie beschrieben – aber an seine Grenzen und hängt als Sturmspitze (und bei den hohen langen Bällen) in der Luft. Laszlo Kleinheisler und Änis Ben-Hatira bringen sicher einiges an Qualität mit, sie wussten sie aber viel zu selten zum Vorteil ihrer Mitspieler zu kanalisieren. Alexander Milosevic war unter Meier unumstrittener Stammspieler, konnte den Laden hinten aber auch nicht stabiliseren. Leon Guwara und Immanuel Höhn zeigten gute Anlagen, waren aber zugleich für den ein oder anderen Bock gut.

Auf verlorenem Posten
So bleibt letztlich nur ein Fazit für die durch und durch ernüchternde Halbserie: Den Lilien mangelt es an der nötigen „Platzreife“! Es bleibt zu hoffen, dass sie in 2017 mit ihren neu entdeckten (alten) Tugenden einfach wieder Freibeuter spielen. Als sicherer Absteiger gelten sie vielerorts ohnehin. Die eingangs erwähnten Statistiken machen überdies wenig Hoffnung. Dann also einfach darauf konzentrieren, was sie lange Zeit am besten konnten: einfach die Gegner ärgern und aus deren Verzweiflung eigenes Selbstvertrauen schöpfen. Denn genau genommen stehen die Lilien jetzt da, wo sie 2014 nach einem 1:3 im Relegationshinspiel gegen Arminia Bielefeld auch schon waren: auf verlorenem Posten … vermeintlich!?

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