Ein Bild aus glückseeligen Tagen. Peter Niemeyer joggt nach dem Klassenerhalt im Mai mit seinem Sohn über den Rasen des Berliner Olympiastadions. Heute kehren die Lilien als Tabellenletzter zurück und würden gerne wieder mit einem guten Gefühl nach Hause fahren. Dazu gehört zwingend ein Punkt, gerne auch drei! Marc vom Fanzine Hertha BASE (KLICK) schildert mir im Laufe des Vorberichts den bisherigen Saisonverlauf der Hertha aus seiner Sicht.
So sieht’s aus:
Suboptimal. Die Lilien traten zuletzt überzeugend auf, blieben allerdings punktlos. Währenddessen warf die Konkurrenz den Turbo an und zieht davon. War unter Norbert Meier eine Art Systemverwirrung bei den Spielern oder eine Vertrauenskrise zwischen Team und Coach zu verzeichnen, so haben die Lilien seither eine Ergebniskrise. Durften schon die Freiburger einen schmeichelhaften Sieg gegen den SVD feiern, so hätten sich auch pomadige Bayern nicht über zwei verlorene Punkte gegen engagierte und giftige Lilien beschweren dürfen. Stattdessen: Ein Elfer, ein Sonntagsschuss, 0:2 Tore, null Punkte.
So wird der Blick auf die Tabelle zum Ärgernis, denn die Lilien stehen ganz unten und schon vier Punkte hinter dem Relegationsrang. Ganz anders entwickelt sich die Elf auf dem Platz: positiv! Die Mannschaft fightet, sie traut sich etwas zu, sie läuft sich die Lunge aus dem Leib, sie präsentiert sich als Einheit. All das honorieren die Fans. Kaum einer hätte zu hoffen gewagt, dass die Lilien mit ihrem Herz (aber auch ihren limitierten Fähigkeiten) den Bayern das Leben so schwer machen würden. Klar, die Bayern verfügten über 80 Prozent Ballbesitz, sie kontrollierten das Spiel, sie brachten das Tor der Lilien aber kaum einmal in Gefahr. Warum: Weil die Lilien gut standen, viel liefen (7,5 Kilometer mehr) und die Mehrzahl der Zweikämpfe gewannen. Dass es dann letztlich eines unhaltbaren Hammers durch Douglas Costa bedurfte, um die Lilien in die Schranken zu weisen, passte ins Bild.
Nun kommt es zum Duell bei der Hertha. Die Berliner verloren die letzten beiden Partien und werden nicht gerade mit der breitesten Brust in die Partie gehen. Dennoch: Sie genießen einen Tag mehr Pause und haben keinen Reisestress. Daneben ist allen voran Peter Niemeyer bei den Lilien ein wenig angeschlagen. Er wäre gegen seinen Ex-Klub sicher gerne mit am Start. Aufgrund seiner zuletzt gezeigten Leistung in der Innenverteidigung sollte er das bitte auch tun. Den Lilien ist zu wünschen, dass sie in den letzten 90 Minuten des Fußball-Jahres 2016 die Leistungen der letzten beiden Partien abrufen und sich endlich einmal belohnen. Ebenso wie Interimscoach Ramon Berndroth und die mitreisenden Fans!
Der Kontrahent hat das Wort:
Marc ist der Chefredakteur von Hertha BASE (KLICK) einem Online-Fanzine, in dem insgesamt sechs Jungs über den Hauptstadtklub schreiben.
Marc, die Saison hatte noch gar nicht richtig begonnen, da gab es in Berlin schon lange Gesichter. Wie sehr schmerzte das Aus in der Qualifikation zur Europa League gegen Bröndby Kopenhagen?
Zunächst tat es sehr weh, besonders die Art, wie wir das Rückspiel bestritten. Bröndby war ein absolut schlagbarer Gegner, am Ende schlugen wir uns selbst. Mit der heutigen Perspektive kann man aber sagen, dass die Mannschaft einfach nicht reif genug war. Europa wäre ein Traum gewesen, besonders nach den zuvor bitteren Jahren. Doch der Traum scheint weiterhin möglich zu sein.
Hättest Du anschließend damit gerechnet, dass ihr in der Bundesliga wieder oben mitspielt?
Nicht unbedingt. Ich glaube, mein Tipp war Platz 9 bis 10, das muss ich wohl revidieren. Ein Kapitäns-Wechsel und kaum Transfers hätten bei einem missglückten Saisonstart sowie Unruhen in der Fanszene einen passenden Cocktail für eine problematische Saison ergeben können. Ich wusste, dass die letzte Spielzeit eine tolle Basis für die kommenden Jahre sein wird, doch mit der aktuellen Leistung habe ich nicht gerechnet.
Was sind für dich die ausschlaggebenden Gründe, dass es in der Liga erneut so gut läuft, oder heißt der Erfolgsfaktor schlicht und ergreifend Pal Dardai?
Sicherlich ist viel an Pal Dardai festzumachen, jedoch auch an Michael Preetz. Unser Transfersommer war auf den zweiten Blick erfolgreich, denn wir konnten unsere absoluten Leistungsträger (Brooks, Weiser, Darida, Kalou uvm.) halten und viele Verträge verlängern. Damit festigte Preetz die Säulen unserer Mannschaft, die Vereinen wie Mainz oder Freiburg jährlich wegbrechen.
Unser Trainerteam spielt natürlich ebenfalls eine bedeutende Rolle. Es entwickelte unsere Talente (Stark, Weiser, Plattenhardt, Brooks) weiter, schaffte eine klare spielerische Identität und ein gewisses Selbstverständnis, mit dem wir in die Spiele gehen. In diesem Jahr hat man sich erneut in jedem Bereich etwas weiterentwickelt, das ergibt eine selten dagewesene Konstanz.
Zuletzt gab es zwei Niederlagen gegen Werder und in Leipzig. Wie wertest Du die Auftritte in den beiden Partien?
Diese Spiele und auch die drei vorrangegangenen sind mir tatsächlich ein Dorn im Auge, da die Mannschaft ein ungewohnt ängstliches und phlegmatisches Bild abgegeben hat. Wir erspielten uns gegen Bremen und Leipzig quasi keine Torchancen und hatten auffällig viele Patzer in der Defensive. Es wirkte, als hätte das Team vergessen, was es stark macht. Wir erleben gerade eine Schwächephase, auch wenn sich das hochnäsig anhören sollte. Ich mache es durchaus an unseren personellen Problemen fest, denn in den letzten Wochen fielen sehr viele Leistungsträger aus, allen voran Mitchell Weiser, der unglaublich bedeutsam für unser Spiel ist.
Die Lilien kommen am Mittwoch zu euch. Wie wird die Hertha aufgrund ihrer Schwächephase auftreten und wie können ihr die Lilien Probleme bereiten?
Die Darmstädter müssen genau ihr Spiel aufziehen, also defensiv kompakt stehen, keinen Zweikampf verloren geben und offensiv Nadelstiche setzen. Hertha hat momentan Probleme, tiefstehende Gegner aufzubrechen, zudem ist unser defensives Mittelfeld ungewohnt schwach, was uns anfällig für Konter macht.
Somit ist auch klar, was Hertha tun muss: Endlich wieder selbstbewusst auftreten und dem Gegner sein Spiel aufdrängen. Wir werden sehr viel Ballbesitz haben und versuchen, unsere schnellen Außenspieler in die Schnittstellen zu schicken. Ich vermute, dass beide Mannschaften in der Anfangsphase etwas zögerlich beginnen werden, dann muss es zu Herthas Spiel werden. Wenn man geduldig bleibt und sich keine Fehler erlaubt, sind drei Heimpunkte drin!
Du verfolgst unseren Lilien-Podcast „Hoch & weit“ und damit den Werdegang des SVD ein wenig. Wie ist Deine Meinung zum bisherigen Saisonverlauf der 98er?
Ich muss aufpassen, nicht zu viel zu philosophieren, denn durch euren Podcast (ein großes Lob) mache ich mir einige Gedanken zu Darmstadt.
Der bisherige Saisonverlauf ist an mehreren Punkten festzumachen, allen voran Meier, der es nicht geschafft hatte, eine eingeschworene Mannschaft zu erschaffen. Ich vermute, er wollte zu schnell zu viel, was die vielen personellen Wechsel und die fehlende Spielidee erklärt. Die Spieler konnten sich nicht voll auf ihn einlassen, weil er zu viel änderte und verdiente Spieler wie Peter Niemeyer unverständlich behandelte. Darmstadt hat ein großes Harmoniebedürfnis, dass er falsch angegangen ist.
Dennoch wäre es für jeden Trainer unfassbar schwer gewesen, nach der Schuster-Ära anzutreten. Er wurde zum Symbol, zur Gallionsfigur der Lilien-Identität und hinterließ ein riesiges Erbe. Durch seinen Abgang, aber auch durch den von Rausch, Wagner oder Caldirola verlor man sein qualitatives Gerüst. Zudem, und das ist ganz normal, verlor man seinen „Drive“ aus der Vorsaison, dieses Gefühl des gallischen Dorfs. Es ist etwas nicht wirklich Greifbares, das ungeahnte Kräfte freisetzt und einen großartigen Schulterschluss im gesamten Umfeld ermöglicht. Diese Stimmung kannst du kaum in eine zweite Saison tragen, sie verwässert und somit fehlt eine zentrale Antriebsfeder, die man normalerweise durch einen besseren Kader auffängt, was in Darmstadt kaum möglich ist.
Okay jetzt sprach doch der Fußballlyriker aus mir! 😉
Wie siehst Du insgesamt die Hertha aufgestellt? Könnt ihr euch über einen längeren Zeitraum in den Top Ten etablieren und aus dem Abstiegskampf raushalten?
Diesen Schritt haben wir vollbracht, ja! Die Bundesliga ist im oberen Drittel unglaublich eng, man kann also nie mit Gewissheit sagen, stets um Europa zu spielen, jedoch sehe ich Hertha mittlerweile als einen Club der oberen Tabellenhälfte an.
Ich würde gerne einen genaueren Zukunftsplan aufzeigen, aber dafür gibt es noch zu viele unbekannte Variablen. Müssen wir im Sommer wichtige Spieler verkaufen? Bis zu welchem Punkt kann Pal Dardai eine Mannschaft entwickeln? Diese Fragen kann ich leider nicht beantworten.
Wir habe große Entwicklungssprünge gemacht, ob wir eher zu Mainz, zu Mönchengladbach oder etwas noch viel Schönerem werden, wird die Zeit zeigen.
Marc, vielen Dank.
Heute vor vier Jahren:
Befanden sich die Lilien in einer ganz ähnlichen Situation wie heute, nur halt in der 3. Liga. Sie gingen in die Winterpause als Tabellenletzter und waren auf der Suche nach einem neuen Trainer. Das Präsidium hatte damals den „glücklosen“ Coach Jürgen Seeberger nach einem 0:3 in Münster entlassen und lotste kurz nach den Feiertagen Dirk Schuster ans Bölle. Der Rest ist Geschichte.
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