Das ging nun doch schneller als gedacht: Heute um 13:30 Uhr vermeldeten die Lilien die Trennung von Dirk Schuster! Bei einem Blick auf die Tabelle ein nachvollziehbarer Schritt, trennen die Lilien doch nur noch vier Punkte von Relegationsplatz 16. Bei einem Blick auf die fußballerischen Darbietungen der letzten Wochen und Monate, darf hinter die Entscheidung des Rauswurfs sogar ein Ausrufezeichen gesetzt werden.
Wie es sich bei einem Abschied gehört, gilt es aber zunächst einmal, die Leistungen von Dirk Schuster hervorzuheben. Ohne ihn hätte es unlängst keine zwei und ganz sicher nicht einmal eine Bundesligaspielzeit am Böllenfalltor gegeben. Zudem gelang der „Zwei-Blaue-Augen-Klassenerhalt“ im letzten Jahr erst nach seiner Rückkehr. Wer auch immer Dirk Schuster erwähnt, der denkt an Darmstadt 98 … und umgekehrt. Die Erfolge der vergangenen Jahre trugen seine Handschrift, und die Lilien-Fans sind für den märchenhaften Höhenflug unendlich dankbar!
Nicht mehr der Spiritus Rector der ersten Amtszeit
Aber: Der Spiritus Rector, der aus dem viel zitierten Haufen der anderswo „gescheiterten“ Spieler eine schlagkräftige und nur schwer zu schlagende Truppe zimmerte, der war er während seiner zweiten Amtszeit nicht mehr, oder nur in einer Phase am Ende der letzten Spielzeit. Die gleiche Wagenburgmentalität wie früher, sie wollte sich in dieser Saison nicht mehr einstellen. Das lag sicher auch an den Spielern, mit denen er zusammenarbeitete. Unlängst konnte ich mich für ein anstehendes Buchprojekt länger mit Jerôme Gondorf über seine Zeit bei den Lilien unterhalten. Aus vielen seiner Antworten war immer wieder herauszuhören, wie sehr sich er und seine Mitspieler in jeder Liga aufs Neue beweisen wollten. Sie waren heiß darauf, es all ihren Kritikern zu zeigen. So bildete sich eine verschworene Truppe heraus, mit einer Achse aus Sulu, Gondorf & Behrens/Niemeyer sowie Stroh-Engel/Wagner. Schaut man sich den aktuellen Kader an, dann steht diese Gier vielleicht nicht mehr unbedingt an allererster Stelle. Das Gros der Kicker sind gestandene Zweitligaspieler, die womöglich anders angesprochen und gefordert werden wollen, aus denen sich aber zugleich keine funktionierende Achse herausgebildet hat.
0:1, 0:1, 0:1 …
Und so unterschieden sich die beiden Amtszeiten von Dirk Schuster deutlich. Der Zauber des damaligen Erfolgs, er wollte sich nicht wieder einstellen. 48 Punkte aus 39 Partien sind bestenfalls solide, mehr nicht. Viel überraschender ist die Tatsache, wie ein Großteil der Spiele ablief. Sage und schreibe 15-mal lagen die Lilien alleine in dieser Saison mit 0:1 hinten. In nur 22 Partien! Das ist häufiger als in den 34 Bundesligaspielen unter Dirk Schuster in der Saison 2015/16. Damals erzielten die Gegner unter dem Strich in lediglich 14 Partien den ersten Treffer. Seinerzeit funktionierte das Prinzip der Standardtore und der Nadelstiche. Hinten diszipliniert und giftig agieren, nach Ballgewinn schnell umschalten und vorne dank Sandro Wagner eiskalt zuschlagen. In dieser Saison, da ging dieses Prinzip nicht mehr auf. Erst recht nicht, wenn man in der Regel einem Rückstand hinterherläuft. Für ein 0:1 war das System Dirk Schuster während seiner zweiten Amtszeit einfach nicht gemacht. 23-mal lag sein Team insgesamt von Dezember 2017 bis Februar 2019 hinten. Nur einmal konnte es noch gewinnen. Neun Partien konnten immerhin noch ausgeglichen werden, darunter allerdings fünf per Elfmeter, von denen drei auch noch „erschwalbt“ wurden! Insofern war Glück ein nicht ganz unwesentlicher Faktor während Schusters zweiter Anstellung!
Da wo Schuster drauf stand, war nicht mehr viel Schuster drin
Denn auch hinten half zumindest in der letzten Rückrunde das Glück ordentlich mit. Alleine gegen Nürnberg, Düsseldorf, Heidenheim und Regensburg verhinderte das Aluminium achtmal einen Treffer der Gegner. In dieser Saison fehlte dieses Glück. Individuelle Aussetzer und schwerfälliges Umschaltverhalten ermöglichten zahlreiche Gegentreffer. Exemplarisch aufgezeigt in den letzten beiden Spielen durch Heidenheim (zwei Kontersituationen) und Sandhausen, als Pálsson seinen Gegenspieler unbedrängt einköpfen ließ. Ergo: Da wo Dirk Schuster drauf stand, da war zumindest in puncto Abwehrverhalten nicht mehr viel Dirk Schuster drin. Man hätte einem von ihm trainierten Team schon viel zugetraut, aber nicht, dass es in 22 Saisonspielen die zweitmeisten Gegentore (40) fängt.
Schema F ohne Plan B
Auf der anderen Seite, steckte in dem Team aber doch eine ordentliche Portion Dirk Schuster, nur eben nicht im positiven Sinne. Trotz 29 Toren war das Offensivspiel nicht sonderlich facettenreich. Es glich eher Schema F, ohne einen erkennbaren – oder zumindest überzeugend ausgeführten – Plan B. In der ersten Saisonhälfte waren die Lilien nach Magdeburg das Team, das die meisten langen Bälle schlug. Auch 21 Flanken pro Partie ragten im Ligavergleich deutlich heraus. Und das gegen zumeist tiefstehende (weil in Führung liegende) Teams und mit nur einer Sturmspitze. Da wollte wohl jemand über die zweiten Bälle agieren, Freistöße ziehen oder einfach nur „Wilde Sau“-spielen. Mit sechs Siegen aus 22 Spielen war das in dieser Spielzeit nicht mehr sonderlich erfolgreich. Schon merkwürdig, denn der Kader trägt nach drei Transferperioden eindeutig Schusters Handschrift. Er hatte sich wohl mehrmals vergriffen, wie seine häufigen Umstellungen auf der Sechserposition und hinten rechts verdeutlichen. Bis zuletzt war hierfür kein Stammpersonal gefunden. Im Winter durfte er fünfmal nachjustieren. Die Zeit diese Rädchen ans Laufen zu bringen, die hat er nun freilich nicht mehr.
Von anderen lernen, heißt siegen lernen
Der Schustersche Ansatz, den anderen Teams ein eher rustikales Spielniveau aufzudrängen, wollte in dieser Saison also nicht fruchten. Ein Ansatz, der ohnehin reichlich merkwürdig erscheint, wenn man finanziell zu den besser gestellten Teams der Liga zählt. Dann kann man die Spiele auch gleich offensiver angehen! Mit Köpfchen, mit einem klaren System und nicht primär mit viel Mentalität. Hier seien Teams ins Feld geführt, die aus ihren Möglichkeiten viel mehr machen, ganz ohne zwei Erstligaspielzeiten im Rücken. Kiel – vor der Saison mit einem enormen Aderlass Abstiegskandidat Nummer 1 – spielt sich bemerkenswert überzeugend durch die Liga, und verstärkt sich gezielt mit Akteuren, wie Laszlo Benes oder Jae Sung-Lee, die den Ball zu ihren Freunden zählen. Paderborn rockt die Liga mit einem zielstrebigen Angriffsspiel. Warum den Fokus auf die Defensive legen, wenn die eigene Offensive das gegnerische Team fast erdrückt? Oder Regensburg, eine Mannschaft der Namenlosen, die das Pressingspiel zu ihrem Prinzip erhoben hat. Diese Teams sind mutig, sie sind schnell, auch im Kopf. Was all diese drei Teams zudem eint: Sie sorgen für Begehrlichkeiten anderer Klubs. Kiel arbeitet (unfreiwillig) Köln zu, Regensburg verlor Marvin Knoll an St. Pauli und Paderborn wird nach der Saison sehr wahrscheinlich den Verlust einiger Leistungsträger beklagen. Der letzte Leistungsträger, der die Lilien im besten Fußballalter verließ, war Jerôme Gondorf. Ansonsten gehen die Spieler eher durch die Hintertür (Aytac Sulu, Roman Bezjak, Terrence Boyd, Jamie Maclaren) oder finden bei Drittligisten als Leihspieler einen Abnehmer (Romuald Lacazette, Julian von Haacke, Orrin McKinze Gaines II). Die Lilien als Karriere-Sprungbrett gibt es nicht mehr. Und junge Spieler hatten unter Schuster schon immer einen schweren Stand. Nachfragen können gerne an Marvin Mehlem gerichtet werden.
Ein Sieg als Option ist zu wenig
Dirk Schusters Fokus lag immer im Hier und Jetzt. Das führte zum erzwungenen, aber letztlich auch reichlich glücklichen Klassenerhalt. Damals dachte er von Spiel zu Spiel, es galt Pünktchen um Pünktchen zu sammeln. Etwas das Terrence Boyd erst lernen musste. Schließlich wollte der Angreifer bei seiner Auswechslung in Kiel zur Seitenlinie rennen. Er wollte keine Zeit verstreichen lassen, galt es doch einen Sieg zu erringen. So dachte er zumindest. Doch von der Bank bedeutete man ihm, langsam zu machen. Ein Punkt sei schließlich ein Punkt. Diese Herangehensweise verfolgte Schuster auch nun wieder. In der PK vor dem Spiel in Sandhausen sagte er: „Wir wollen alles tun, um den Abstand zu halten oder bestenfalls zu vergrößern.“ Der Sieg als Option, nicht als primäres Ziel. Eine merkwürdige Auffassung gegen einen Tabellen-16., der zuhause zu den schwächsten Team zählt. Dass Ingolstadt und Magdeburg inzwischen munter punkten und fast aufgeschlossen haben, wurde Schuster zum Verhängnis. Die Führungsetage beim SVD sah sich zum Handeln gezwungen. Über den Zeitpunkt der Entlassung kann man sicher streiten. Wäre er nicht schon zur Winterpause angebracht gewesen, um dem neuen Coach wichtige Personalentscheidungen zu überlassen? War er zu früh, da Schusters langer Atem ja auch letztes Jahr zum Klassenerhalt führte?
In Carsten Wehlmann we trust
Die oben dargelegten Punkte zeigen, warum es gute Argumente für seine Entlassung gibt. Der letzte Platz in der Formtabelle aus den letzten zehn Partien unterstreicht dies. Nun gilt es den richtigen Trainer zu finden. Eine Aufgabe für Carsten Wehlmann, der im September von Holstein Kiel kam, und nur wenige Minuten nach Schusters Entlassung zum Sportlichen Leiter befördert wurde. Ein absolut richtiger Ansatz. Eine zweite sportliche Instanz mit Fußballsachverstand hat neben dem bisherigen Alleinunterhalter Dirk Schuster gefehlt. Sie ist dringend notwendig, um den Klub auf eine breitere Basis zu stellen und weiter zu professionalisieren. Es ist zu wünschen, dass Wehlmann ein gutes Händchen für den richtigen Nachfolger hat. Denn die sorgenfreie Saison, die Dirk Schuster im Sommer ausgegeben hatte, sie ist es für die 98er nicht geworden.
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