Darmstädter Erinnerungsort: Ein Besuch in Bielefeld

Der 19. Mai 2014 hat im kollektiven Gedächtnis der Fans des SV Darmstadt 98 seinen Stammplatz sicher. Die Lilien drehten an dem lauen Montagabend auf der Bielefelder Alm die 1:3-Hypothek aus dem Relegationshinspiel und sicherten sich in einem Verlängerungskrimi den Einzug in die 2. Bundesliga. Da mir der Besuch des jetzt schon legendären Spiels verwehrt blieb, nutze ich drei Monate später die Gelegenheit, erstmals die Stätte des historischen Triumphs zu besuchen. Die Arminia empfängt die Fortuna aus Köln. Ein Bericht über das Stadion, das Team und ein Gespräch mit einem Fan des DSC über jenen Frühsommerabend im Mai.

Der Stadionbesuch

Die Lage

Very british. Mitten in einem Wohngebiet gelegen, erspähen die Besucher die Dächer der Tribünen erstmals zwischen Einfamilienhäusern. Die Parkplatzsuche mag etwas länger dauern, dafür hat man beim Anmarsch das Gefühl, die Arminia gehört zur Stadt und nicht zu irgendeinem Industriegebiet.

Mittendrin statt nur dabei: Die Alm liegt mitten in einem Wohngebiet. (Quelle: Kickschuh-Blog)

Das Blau des Tribünendachs weist den Weg: Die Alm liegt mitten in einem Wohngebiet. (Quelle: Kickschuh-Blog)

Der Einlass

Sehr entspannt. Ich entscheide mich, die Partie im Bielefelder Block zu verfolgen. Der Preis liegt bei 12 Euro. Die aus Darmstadt gewohnte Leibesvisite entfällt zu meiner Überraschung komplett. Beim Betreten des Blocks gilt es die Karte vorzuzeigen. Nach einem zwischenzeitlichen Imbiss, ist dies bei meiner Rückkehr schon nicht mehr vonnöten. Der Ordner wünscht lediglich einen guten Appetit. Man vertraut sich also. Vorbildlich.

Der Halbzeitimbiss

So lala. Während das Bölle in Darmstadt kulinarisch nicht gerade durch seine Vielfalt punktet, erwarten den Fan in Bielefeld neben der erwartbaren Bratwurst auch Pizza oder Leberkäse. Bei der Qualität gibt es allerdings Luft nach oben. Zur Bratwurst wird kein Brötchen, sondern lediglich eine labrige Brötchenscheibe gereicht. Die Pizza liegt eher schwer im Magen, als dass sie mundet.

Das Stadion

Überaus kompakt. Der Weg vom Stadiontor zum Platz im Block könnte kürzer kaum sein. Dabei kreuzt der Besucher noch Fan-Shop, diverse Imbissstände und Toiletten. Sollte er während der 90 Minuten eine Wurst oder ein Bier holen, so entgeht ihm nichts. Die Partie wird auf Bildschirmen unter der Tribüne übertragen. Das Geschehen auf dem Rasen ist im Stadion von überall aus gut zu verfolgen. Alle Plätze sind überdacht. Die verschiedenen Bauperioden stechen ins Auge. Insbesondere die moderne Haupttribüne, die wesentlich zur finanziellen Schieflage des Vereins beigetragen hat, fällt auf. Ebenso die in ihr integrierten, überwiegend leeren VIP-Logen. Alles in allem erinnert das Stadion ein wenig an den Betzenberg. Wenngleich eine Nummer kleiner.

Aus dem Häuschen: Die Arminen bejubeln den Sieg über die Kölner Fortuna (Quelle: Kickschuh-Blog)

Aus dem Häuschen: Die Arminen-Fans bejubeln den Sieg über die Kölner Fortuna. (Quelle: Kickschuh-Blog)

Die Stimmung

Beeindruckend gut. Rund 8.500 Fans wohnen der Begegnung gegen Köln bei. Das Stadion ist damit lediglich zu einem Drittel gefüllt. Die Stimmungsmacher sind in der Südtribüne mit ihrem Unter- und Oberrang zu finden. Fahnen, Einpeitscher und Dauergesänge fallen auf. Süd- und Westtribüne üben sich bisweilen im Wechselgesang. Bis auf den Gästefanblock bleibt die komplette Nordtribüne leer. Ein Zustand, den kein Besucher gerne sieht, der sich aber im Drittligaalltag sicher noch häufiger ergeben wird. Erstaunlich: Die sich parallel anbahnende Niederlage des Mitabsteigers aus Dresden findet unter den Arminia-Fans mehr Beachtung und Anklang, als das gleichzeitig verlaufende Derby zwischen Münster und Osnabrück. Und die müssten angesichts ihrer Nähe doch immerhin als regionale Rivalen gelten.

Die Mannschaft

Von der Mannschaft, die im Bölle zum Relegationsduell auflief, sind noch ein paar Veteranen übrig geblieben. In erster Linie Fabian Klos, der Goalgetter, Leader und Fanliebling. Sebastian Hille ist den Lilien-Fans in leidvoller Erinnerung, traf er doch bei seinen letzten beiden Gastspielen in Darmstadt je einmal. Stephan Salger, Jonas Strifler und Felix Burmeister mischten ebenfalls in den Relegationspartien gegen Darmstadt mit. Christian Müller – auch ein Torschütze am Bölle – fehlt gegen Fortuna Köln gesperrt. Ansonsten gab es das bei Absteigern übliche große Stühlerücken. Von den Neuen gefallen mir die Offensivspieler Dennis Mast (vom KSC) und Christoph Hemlein (vom VfB II über Nijmegen gekommen) ganz gut. Keeper Alexander Schwolow (von Freiburg II) besitzt Potential, die Flanken von Ex-Bundesliga-Profi Florian Dick sorgen immer wieder für Gefahr.

Die Startaufstellung der Arminia gegen Fortuna Köln. (Quelle: Kickschuh-Blog)

Die Startaufstellung der Arminia gegen Fortuna Köln. (Quelle: Kickschuh-Blog)

 

Die Fans (ein Interview)

Während die Darmstädter mittlerweile Bielefelds Platz in der 2. Bundesliga einnehmen, heißt es für die Arminen also wieder die kleineren Brötchen der 3. Liga zu verdauen. Ich spreche mit dem 19-jährigen Loe, eingefleischter Anhänger und Stammgast bei der Arminia, wie die Fans der Ostwestfalen den 19. Mai erlebten und welche Folgen daraus resultierten:

Die Arminia hatte sich am Ende der letzten Saison dank eines kleinen Laufs noch auf den Relegationsplatz gerettet. Wie schätzte die Fanszene den Gegner aus Darmstadt ein?

Wir waren gewarnt. Viele Arminen haben die Saison der Darmstädter mit großem Interesse verfolgt. Die Wertschätzung war groß, weil Darmstadt eigentlich schon mit einem Bein in Liga 4 stand und dann so eine Saison spielte. Besonders die Tore von Stroh-Engel sorgten bei vielen Bielefeldern für Kopfschmerzen. Also: Respekt war vorhanden, aber keine Angst.

Mit welchen Erwartungen sind die Fans der Arminia nach dem 3:1-Sieg in das Rückspiel gegen Darmstadt gegangen?

Der Sieg im Hinspiel war der dritte Auswärtssieg in Folge, dementsprechend war die Euphorie – selbst bei den oft so nüchternen Ostwestfalen – riesengroß. Innerhalb kürzester Zeit war die Alm mal wieder ausverkauft. Ich will ehrlich sein. 27.000, die unser Team nach vorne peitschen, dazu das neu gewonnene Selbstbewusstsein aus dem legendären Dresden-Spiel und mit Norbert Meier ein Trainer, der sich in Sachen Klassenerhalt auskennt – das musste doch gut gehen! Natürlich wurde das nicht laut ausgesprochen. Oft hieß es „Das Spiel muss auch erst einmal gespielt werden“, „Darmstadt ist eine Kämpfertruppe“ oder „Wenn Arminia eins kann, ist es absteigen“. Diesen Eindruck wollte man auch der Mannschaft vermitteln, bloß nichts anbrennen lassen, bloß nicht leichtsinnig werden! Als die Jungs nach dem Sieg in Darmstadt zu uns an den Zaun kamen, riefen viele „weitermachen, jetzt nicht aufhören!“.

Ab wann wusstet ihr, hier läuft etwas gehörig schief?

Das 0:2 weckte Erinnerungen an ganz böse, typische Arminia-Momente. Als Felix Burmeister das 1:2 machte, hoffte ich noch, dass die Mannschaft gerade rechtzeitig aufwacht und Moral beweist. Dieses Auf und Ab zog sich durch das komplette Spiel: Mit dem 1:3 der Darmstädter dachte ich mir, dass das alles nicht wahr sein kann. Später war ich dann glücklich, dass wir uns irgendwie in die Verlängerung retten konnten. Dann machte Pritsche, also Kacper Przybylko, das 2:3 und ich glaubte wieder, dass wir das packen. Den Moment, als der Schiedsrichter zwei Minuten Nachspielzeit signalisierte, werde ich nie vergessen. Plötzlich verstummten die Anfeuerungsrufe und die ganze Anspannung wich einer bösen Vorahnung: Das geht noch in die Hose.

Gerade fiel das 1:3: Der Bielefelder Musiker Casper und Tennisspielerin Andrea Petkovic aus Darmstadt setzen emotionale Tweets in die Welt. (Quelle: Twitter)

Gerade fiel das 1:3 auf der Alm: Tennisspielerin Andrea Petkovic aus Darmstadt und der Bielefelder Musiker Casper setzen emotionale Tweets in die Welt. (Quelle: Twitter)

Welche Stimmung herrschte unter den Fans direkt nach dem Spiel?

Absolute Leere. Mehr Dramatik geht einfach nicht. Es war eine Mischung aus vielen Gefühlen: Fassungslosigkeit, Wut, Verwirrung, Trauer. Der ein oder andere vergoss eine Träne. Viele Arminen, mit denen ich an diesem Abend sprach, haben unzählige Auf- und Abstiege mitgemacht und alle sagten so etwas hätten sie noch nie erlebt.

Wie empfanden die Fans das Relegationsduell? In Darmstadt gilt es aufgrund seiner Dramatik und des guten Ausgangs schon jetzt als legendär.

In Bielefeld bevorzugt man es, den Ausgang des Duells nicht mehr zu erwähnen. Ich schwöre es mir immer, nicht mehr darüber zu sprechen – letztlich wird man jedoch spätestens darauf angesprochen, sobald man sich als Armine zu erkennen gibt. „Habt ihr nicht in der letzten Minute der Verlängerung noch das Gegentor bekommen und seid dann abgestiegen?“

Was bedeutete der Abstieg für den Verein?

Mit jedem Abstieg des DSC kommen Existenzängste auf. Durch den völlig unnötigen Bau der neuen Osttribüne drückt den Verein immer noch eine Schuldenlast von mehreren Millionen. Viele befürchteten außerdem, dass durch den Aufstieg Paderborns, einem direkten regionalen Werbekonkurrenten, viele Sponsoren abspringen würden. Glücklicherweise kam es nicht so, da die großen Hauptsponsoren, allen voran Gerry Weber, gehalten wurden und weitere kleine Partner hinzukamen. Deshalb zeigten wir Fans bald wieder Galgenhumor: Dritte Liga hat doch auch etwas Schönes, so müssen wir immerhin nicht mehr so lange für Bratwurst und Bier anstehen.

Mit welchen Gefühlen gingen die Fans in die Drittligasaison?

Bielefeld hat eine Art Stehaufmännchen-Mentalität entwickelt und gelernt, mit Rückschlägen und Abstiegen umzugehen, auch wenn 2014 ein besonders rabenschwarzes Jahr war. Ein Abstieg kann gut sein, da man ihn für einen Neuanfang nutzen kann. Genau das wurde getan, viele Spieler haben den Verein verlassen. Vielleicht war das wichtig, um mit dem Ereignis, über das ich nach diesem Interview nicht mehr reden werde, abzuschließen.

Wichtig war vor allem auch, dass man Leistungsträger wie Kapitän Fabian Klos halten und darüber hinaus bundesligaerfahrene Spieler wie Peer Kluge und Florian Dick verpflichten konnte. Nicht wenige sind der Meinung, dass der Kader im Vergleich zur vergangenen Saison deutlich besser ist. Umso größer ist allerdings der Druck, in diesem Jahr aufzusteigen. Nachdem der Start ein wenig holprig verlaufen ist, scheinen die Jungs jetzt langsam ins Rollen zu kommen. Eine Revanche nächstes Jahr in Liga 2 mit den Lilien würden wir uns alle wünschen. Dann muss ich nicht mehr über den 19. Mai reden.

Besten Dank, Loe, für das offene Gespräch. Der Arminia und damit Euch Fans viel Erfolg in der laufenden Spielzeit.