Christoph Zimmermann hat sich beim SV Darmstadt 98 rasch akklimatisiert. Der Sommerneuzugang spielte zuvor fünf Jahre bei Norwich City. Als Kapitän führte er den Klub 2019 in die Premier League. In den darauffolgenden Spielzeiten bremsten den Innenverteidiger häufiger Verletzungsprobleme aus, was seinem Standing im Klub und bei den Fans aber keinen Abbruch tat. Ende Juli kehrte „Zimbo“ nach Deutschland zurück und kann bei den Lilien auf eine erfolgreiche Hinrunde zurückblicken. Ich spreche mit dem 29-Jährigen ausführlich über seine Zeit in England, Rituale vor den Spielen, sein kommunikatives Naturell und Erfolgsfaktoren im Aufstiegskampf.
Christoph, als ich nach Deinem Wechsel zu den Lilien den englischen Sportjournalisten Dan O‘Hagan über dich befragte, da sagte er, Du hättest dich in Norwich und in die Region Norfolk verliebt und umgekehrt. Du hättest dich zudem auf Land und Leute eingelassen. Hat sich das erst im Laufe der Zeit entwickelt oder war das von Beginn an Deine Herangehensweise?
Für mich war bei meinem Wechsel 2017 klar: Ich bekomme die Chance in der 2. Liga bei einem ambitionierten Verein zu spielen. Wenn ich das mache, dann mache ich das so richtig mit Haut und Haaren. Ich habe die ersten zwei Jahre direkt am Stadion gewohnt und versucht den Puls des Vereins und der Stadt aufzunehmen. Das hat gut funktioniert. Später kamen Frau und Kind dazu. Die private Komponente wurde größer. Spätestens dann arbeitet man nicht mehr nur dort, man lebt auch dort. Und es wäre auch schlimm gewesen, wenn ich in fünf Jahren nur die Strecke zum Verein gekannt hätte und zu welcher Zeit ich mit dem wenigsten Verkehr dorthin komme. Es ist schöner, wirklich dort gelebt zu haben. Und auch Fragen beantworten zu können, wie: Wie weit ist es bis zum Zoo? Wie weit ist es bis zu dem Café mit dem kinderfreundlichen Frühstück? Wo lässt es sich generell gut aushalten? Man kann Auskunft geben, weil man sich eben auskennt.
Was vermisst Du am meisten?
Vermissen ist das falsche Wort, weil ich es auch hier in Darmstadt erlebe: das Zwischenmenschliche. Das hat mir aber gerade bei einer Auslandsstation wie in Norwich sehr imponiert und gefallen. Dieses völlig Unvoreingenommene, diese Offenheit. Ich glaube wir Deutschen können manchmal etwas knausrig sein. In Norwich habe ich vielleicht auch deshalb die gute Gesellschaft, die ich erfahren durfte, sehr geschätzt. Zudem herrschte dort ein anderes, ein angenehmes Lebenstempo.
Deutsche haben in England nicht immer einen leichten Stand. Ist Dir so etwas mal widerfahren?
Überhaupt nicht. Dabei fand ich es selbst nicht selbstverständlich, als Deutscher so nett aufgenommen zu werden. Wir haben schließlich eine spezielle Vergangenheit, selbst wenn die schon drei bis vier Generationen zurückliegt. Aber ich habe nie eine Voreingenommenheit mir gegenüber verspürt. Das fand ich wirklich so besonders, dass man einfach normal eine Chance bekommen hat wie jeder andere. Es gab keine Vorurteile.
Was fandest Du noch bemerkenswert?
In manchen Dingen habe ich England als progressiver kennengelernt. Etwa bei der Inklusion. Es geht meines Erachtens viel behindertengerechter zu als in Deutschland. Im Alltag kommt mir das kontaktlose Bezahlen in den Sinn. Hier stehe ich immer wieder am Parkscheinautomaten und denke, oh Gott, hoffentlich habe ich Kleingeld dabei. In England war das hingegen echt einfach. Du hältst deine Karte davor und alles läuft.
Wie hast Du England während des ewigen Brexit-Prozesses und nach dem EU-Austritt erlebt?
Der Brexit ist und bleibt ein schwieriges, ein heikles Thema. Er ist nicht der beste Dosenöffner, um mit Briten ins Gespräch zu kommen (lacht). Ich kannte aber, bis auf ein, zwei Ausnahmen, nur Leute, die in der EU bleiben wollten. Manche haben jedoch damals gar nicht gewählt, weil sie dachten ihr Land bleibt auf jeden Fall in der EU. Tja, was soll man dazu sagen? Es gab auch Leute, die haben für Leave gestimmt, weil sie mal was Neues wollten. Das fand ich bei einer solch weitreichenden Entscheidung schwierig nachzuvollziehen. Das Thema schwebt jedenfalls wie eine graue Wolke über den Dingen. Irgendwann landen Gespräche von allein beim Brexit.
Hat sich der Brexit auf Deinen Alltag ausgewirkt?
Ich habe ihn nicht großartig gespürt. Außer, dass der Paketversand zwischen England und Deutschland extrem teuer geworden ist. Da kostet das Paket manchmal mehr als der Inhalt. Wenn ich jetzt mit Freunden in Norwich spreche, dann glauben sie, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht. Etwa, indem Lebensmittel knapper werden oder ganz generell eingeführte Waren und Fachkräfte. Sie haben ein wenig Angst vor dem, was kommt. Ich hoffe, dass es glimpflich ausgeht. Ganz einfach, weil ich weiß, dass viele dort jetzt eine Entscheidung ausbaden, hinter der sie nicht stehen.
- Standen in der Hinrunde häufig gemeinsam im Abwehrverbund der Lilien: Christoph Zimmermann und Patric Pfeiffer. (Quelle: SV Darmstadt 98)
Freunde von mir leben in London und haben inzwischen den britischen Pass angenommen, weil sie keine Nachteile erfahren wollen. Wie wäre das bei Dir gewesen?
Ich hätte jetzt nach fünf Jahren den sogenannten Settled-Status bekommen. Den hätte ich wahrgenommen, weil du wirklich nicht weißt, welche Probleme du als EU-Ausländer noch hättest kriegen können. Mit diesem Status hätte ich auf jeden Fall mehr Rechte gehabt und für unsere Kinder hätten wir die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen können. Aber damit müssen wir uns nicht mehr beschäftigen
Genau, Du bist schließlich im Juli zu den Lilien gekommen. Deshalb kennst Du nun die 2. Bundesliga. Wie fällt Dein Vergleich zur Championship aus?
Es wird anders gespielt. In Deutschland ist das Spiel mehr taktisch geprägt. In England geht es hoch und runter. Tempo, Tempo, Tempo. Neutrale Beobachter mögen es ganz gerne, wenn es so intensiv ist und wenn auch mal die Taktik über den Haufen geworfen wird. In England will eigentlich jeder vorne pressen und draufgehen. Da gibt es das Mittelfeldpressing seltener.
Was ist damit für dich als Innenverteidiger in Darmstadt anders als in Norwich? Etwa im Defensivverhalten und im Spielaufbau?
In der Regel hat man etwas mehr Zeit im Spielaufbau, wenn die gegnerischen Stürmer verhaltener angreifen, allerdings tun sich auch nicht sonderlich große Lücken für Vertikalpässe auf, da der Gegner meist gut organisiert steht. Beim Defensivverhalten hat sich dahingehend etwas geändert, dass wir hier häufiger mit Dreierkette agiert haben und in Norwich eher mit Viererkette.
Welche Unterschiede erkennst Du beim Support?
In England ist es temporär richtig laut, immer dann, wenn auf dem Platz was passiert. Dann gibt es aber Phasen, in denen es einfach ruhig ist. Hier ist dahingegen durchgängig Stimmung. Ein weiterer Punkt: In England leert sich das Stadion nach dem Spiel recht zügig, während wir hier in der Hinrunde 15 Minuten nach Spielende noch unsere Ehrenrunde drehten, uns feiern ließen und uns bedankten. Das ist schon ein extremer Unterschied. Und dann kommt noch hinzu, dass die Fangesänge in England anders sind. Während hier vereinsbezogene Lieder dominieren, werden in England eher Spielern eigene Songs gewidmet.
Welchen Chant hattest Du?
Oh Moment. Der Song heißt This Girl von Cookin on 3 Burners. Zu dem gibt es einen bekannten Remix. Die Fans haben zur Melodie keinen Text, sondern einfach nur meinen Namen gesungen. Das ist eine absolute Ehre. Und es ist cool, wenn Du eine starke Aktion hast, einen guten Ball spielst, einen Ball gewinnst oder einen mal richtig schön über die Klinge springen lässt, und dich dann die Fans mit diesem Lied feiern. Eine Ecke im Stadion heißt Snake Pit. Da saßen glaube ich meine Sympathisanten. Es war immer schön, wenn ich rechter Innenverteidiger gespielt habe. Dann spielte ich eine Halbzeit relativ nah an dieser Seite und habe dann auch mal mit Absicht einen Ball so richtig schön auf diese Tribüne gehauen (lacht).
Wenige Tage nach Deiner Verpflichtung musstest Du gegen Sandhausen gleich in der zweiten Hälfte ran. Mir fiel auf, dass Du sofort viel kommuniziert hast, auch nach dem Führungstreffer. Hattest Du keine Bange, dass die Mitspieler denken, was labert der Neue so viel?
Ein großes Standing hatte ich mir damals tatsächlich noch nicht erarbeiten können. Ich kam dienstags an und das Spiel war am Freitag. Das Kommunizieren entspricht einfach meinem Naturell. Ich finde, es ist eine Aufgabe, die ein Innenverteidiger übernehmen muss. Er sieht schließlich viel von hinten und sollte deshalb führen und delegieren. Die Jungs haben alles gut angenommen. Das war von Tag 1 an so. Ich wurde topp aufgenommen, auch mit der Art, die ich verkörpere. Zudem war es vielleicht auch klar, dass wenn man einen erfahrenen Spieler auf der Innenverteidiger-Position holt, dass der den Mund aufmacht.
- Christoph Zimmermann im Traingingsspiel gegen Braydon Manu, den er einmal als seinen härtesten Gegenspieler im Team der Lilien bezeichnete. (Quelle: SV Darmstadt 98)
Das war also auch für die altgedienten Spieler kein Problem?
Nein, das war bei ihnen nie ein Thema. Wir ergänzen uns. Zudem ist es gut, wenn etwas von verschiedenen Seiten kommt. Dann muss nicht immer einer die ganze Zeit reden und das Organisieren übernehmen. Das gilt auch bei Kritik. Es ist natürlich etwas anderes, wenn ein Spieler immer nur von mir Kritik erfahren würde. Dann würde er denken, okay, vielleicht hat der was gegen mich. Wenn es aber von ein paar Seiten kommt, dann ist da womöglich etwas dran. Vielleicht sollte er den Ball dann mal früher abspielen oder mit zwei Kontakten spielen und nicht versuchen alles direkt zu lösen. Das kann, wenn es richtig gelebt wird, helfen.
Mir ist aufgefallen, dass Du dich vor dem Spiel oder als Reservespieler in der Halbzeit sehr fokussiert und etwas fernab der anderen aufwärmst. Warum?
Das hat sich über die Jahre zu einem Ritual entwickelt. Zudem kennt man irgendwann seinen Körper sehr gut. Während sich manche dehnen oder ein paar Pässe spielen müssen, brauche ich eben vor einem Spiel viel Bewegung. So fahre ich hoch, um warm zu werden und muskulär ein gutes Gefühl zu haben.
Was offenbar auch zu Deinen Ritualen gehört, ist es vor der Partie und in der Halbzeit als erster Spieler in Richtung Kabine zu rennen.
Stimmt. Ich bin dann erst einmal für mich, kann runter kommen und mich sammeln. Ich habe gerne diese kurze Zeit für mich. Ich brauche diese Ruhephasen und meine ausgedehnten Aufwärmphasen, um so gut es geht durchzukommen. Das hat zum Glück im ersten halben Jahr hier gut funktioniert.
Die Hinrunde verlief sportlich überaus erfolgreich. War es für dich persönlich aber fast noch wichtiger, wieder über eine Halbserie hinweg überwiegend verletzungsfrei zu sein und performen zu können?
Der mannschaftliche Erfolg steht immer an erster Stelle. Er hat oberste Priorität. Natürlich war es aber für mich einfach schön, so viele Spiele machen zu können und so durchgekommen zu sein. Und wenn es mal zwickt, ja, mein Gott. Ich habe ein paar Saisons auf dem Buckel. Das wird bei mir immer der Fall sein (lacht). Gerade bei meiner Größe und bei meinem Gewicht. Aber toi, toi, toi, es ist nichts Größeres dabei gewesen. Jedenfalls nichts wo ich länger als zwei, drei Tage pausieren musste. Hoffen wir, dass es die Saison so weitergeht und im besten Fall die ganze Zeit, die ich hier habe.
Ein Spiel musstest Du dennoch angeschlagen sausen lassen. Wie sehr schmerzte der Verzicht auf das Pokal-Duell gegen Borussia Mönchengladbach. Deinen Ex-Klub mit Deinem Ex-Coach?
Das Spiel wäre sicherlich eines der speziellsten meiner gesamten Karriere geworden und so wie es am Ende auch gelaufen ist, hätte ich unfassbar gern auf dem Platz gestanden. Leider kam das Spiel aber ein paar Tage zu früh und ich beziehungsweise wir als Verein konnten und wollten kein Risiko eingehen.
Du triffst in der 2. Liga auf einige Spieler wie Philip Heise (KSC), Tom Trybull (Sandhausen) und Dennis Srbeny (Paderborn), mit denen Du in Norwich zusammengespielt hast. Oder Du spielst gegen ehemalige Kontrahenten wie Julian Börner, der von Sheffield Wednesday zu Hannover 96 gewechselt ist. Fühlt sich das manchmal an wie bei einem Klassentreffen und gibt es da eine gewisse Verbundenheit unter euch Ex-Championship-Spielern?
Generell ist es immer schön ehemalige Mitspieler wiederzutreffen und sich auszutauschen. Das hat wirklich etwas von Klassentreffen. Eine Verbundenheit unter den England-Legionären gibt es also definitiv!
Du rangierst mit Darmstadt derzeit an der Tabellenspitze. Mit Norwich bist Du zweimal aufgestiegen. Was sind wichtige Zutaten, um aufzusteigen?
Bei Norwich waren es in den beiden Aufstiegsjahren Qualität und Teamgeist. Man spürt relativ schnell, ob man ein eingeschworener Haufen ist und sich etwas Besonderes entwickelt. Das ist nicht leicht zu kreieren, dazu braucht es schlichtweg die richtigen Charaktere, die sich füreinander aufopfern und ihre Rolle zu jeder Zeit professionell annehmen.
Das klingt irgendwie nach den Lilien. Lassen wir uns überraschen. Herzlichen Dank für das Gespräch, Christoph. Dir weiterhin privat wie fußballerisch eine tolle Zeit in Südhessen!
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