Was war vor der Weltmeisterschaft nicht alles zu lesen über Nationalteams, die ohne ihre Superstars nur die Hälfte wert seien. Reihenweise wurden verletzungsbedingte Ausfälle in den Medien und Foren zu einer Tragödie hochgeschrieben. Das stimmt sicher für den betroffen Spieler. Das Abschneiden der Nationalelf musste es nicht zwangsläufig negativ beeinflussen. Das beweist die Mehrzahl der acht Viertelfinalisten.
Frankreich unbeirrt
Wenn Frankreich heute auf die deutsche Elf trifft, fehlt ihnen mit Franck Ribéry Europas letztjähriger Fußballer des Jahres. Die Franzosen kompensierten den Ausfall ihres Topstars bisher mit Leichtigkeit. Statt Ribéry wirbelt nun einfach der 23-jährige Antoine Griezmann die gegnerischen Abwehrreihen durcheinander und steht dabei Mathieu Valbuena, seinem Konterpart auf dem rechten Flügel, in nichts nach. Alternativ wird Griezmann von Karim Benzema ersetzt, so dass Frankreich ohne Ribéry sogar weniger gut auszurechnen ist.
Deutschland limitierter
Etwas anders liegt der Fall bei der deutschen Elf. Ein pfeilschneller und technisch versierter Marco Reus – jüngst von seinen Kollegen zum besten Feldspieler der abgelaufenen Bundesligasaison gewählt – würde dem deutschen Spiel äußerst gut zu Gesicht stehen. Bislang konnte Mesut Özil kaum, Lukas Podolski noch weniger und Mario Götze schon gar nicht die wichtigen Überraschungsmomente kreieren. Gegen die bisherigen Gegner verfügte das deutsche Team aber über ausreichend Qualität, um den Ausfall des (f)linken Flügels nicht zu sehr ins Gewicht fallen zu lassen.
Kolumbien erfrischend
Eine Mannschaft lässt den Ausfall ihres Topstars bislang eindrucksvoll vergessen: Kolumbien. Als sich der 60-Millionen-Angreifer Falcao im Januar das Kreuzband riss, war der Schock groß. Der in Monaco spielende Stürmer garantiert wie kaum ein anderer Tore und arbeitete verbissen an einem Comeback, letztlich vergebens. Doch siehe da: Kolumbiens Nationalelf stürmt so erfrischend durchs Turnier wie noch nie in seiner Verbandsgeschichte. Die vom Argentinier José Pekerman trainierten Südamerikaner gingen bisher nicht nur in jedem Spiel in Führung, sie verließen auch immer als Sieger den Platz. Die Lücke, die Falcao hinterließ, füllen andere Spieler mit einer beeindruckenden Leichtigkeit und Spielfreude. In erster Linie Shooting-Star James Rodríguez, der Spielmacher der Südamerikaner und bisherige Toptorjäger des Turniers. Neben ihm beleben Argentinien-Legionär Téofilo Gutierrez, Porto-Stürmer Jackson Martinez und Juan Cuadrado vom AC Florenz das Offensivspiel. Für das spielstarke Team hätte es mit Falcao nicht besser laufen können.
Kolumbiens feine Treffer gegen Uruguay
Costa Rica unangenehm
Costa Rica spielt ebenfalls das Turnier seiner Geschichte. Es überstand die Vorrundengruppe gegen die Schwergewichte Uruguay, England und Italien als Gruppenerster und setzte sich in Unterzahl gegen Griechenland durch. Und das, obwohl der Auswahl mit Alvaro Saborio der treffsicherste Stürmer fehlt und mit Bryan Oviedo ein absoluter Leistungsträger im Mittelfeld. Solche Ausfälle zu verkraften hätte schon andere Teams in Schwierigkeiten gebracht. Wie viel schlimmer musste es also erst für das kleine mittelamerikanische Land sein? Doch auch hier dasselbe Bild wie bei Kolumbien. Das Team tritt als kompakte und disziplinierte Einheit auf, die stets das Maximum abruft und für den Gegner unangenehm zu spielen ist. Hinten stehen die Ticos sicher und stellen ein ums andere Mal die gegnerischen Stürmer ins Abseits. Vorne sorgen die unermüdlichen und dennoch technisch beschlagenen Joel Campbell, Kapitän Bryan Ruiz sowie Christian Bolanos immer wieder für Unruhe in der gegnerischen Abwehr.
Belgien talentiert
Einer der Teamkollegen Oviedos beim Everton FC ist Christian Benteke. Dessen Achillessehnenriss dürfte Belgiens Nationalcoach Marc Wilmots im Frühjahr Sorgenfalten auf die Stirn getrieben haben. Benteke gilt als abschlussstark wie nur wenige im so talentierten belgischen Team. Sein Ausfall konnte jedoch eins zu eins kompensiert werden, denn Wilmots zauberte mit Divock Origi ganz einfach das nächste Talent aus dem Hut. Der 19-jährige spielte im vergangenen Jahr seine Premierensaison beim OSC Lille, ohne dass er Stammspieler gewesen wäre. Auf den letzten Drücker sammelte er vor dem Turnier seine ersten Testspielminuten im Nationalteam. Seine Leistungen in Brasilien sind so überzeugend, dass er im Achtelfinale gegen die USA den hoch eingeschätzten Romelu Lukaku auf die Bank verdrängte und seine Aufstellung absolut rechtfertigte.
Niederlande überfallartig
Die Niederlande dürften in mehrfacher Hinsicht aufgestöhnt haben. Zunächst riss Kevin Strootmans Kreuzband, der beim AS Rom die Fäden im Mittelfeld zieht und als ein Fixpunkt im niederländischen Spiel galt. Für ihn sprang der erfahrene Nigel de Jong in die Presche, der mit seiner rustikalen Art dem Team auf andere Weise weiterhelfen konnte. Nun ist das Turnier auch für ihn gelaufen, da er sich im Achtelfinale verletzte. Im Vorfeld mussten zudem Verteidiger Jetro Willems und Rafael van der Vaart die Segel streichen. Namhafte Ausfälle, selbst wenn van der Vaart beileibe keine überzeugende Bundesligasaison bestritten hatte. Bondscoach Louis van Gaal verstand es die Ausfälle vergessen zu machen und dem Team ein maßgeschneidertes System zu verpassen. Er gibt nach außen wieder einmal den Prellbock gegenüber den Medien und schart das junge Team hinter sich, das vom WM-Start weg seine Form gefunden hatte. Aus einer technisch starken Elf ragt noch einmal Arjen Robben heraus. Ohne dessen Tempo und Intuition wäre das Team allerdings wirklich limitierter. Denn van Gaal hat das vergleichsweise defensive Grundkonzept seiner Elf mit einem überfallartigen Konterfußball gepaart, für das Robben unerlässlich ist.
Brasilien und Argentinien fokussiert
Ähnlich unerlässlich wie Lionel Messi für Argentinien und Neymar für Brasilien. Die beiden südamerikanischen Schwergewichte des Fußballs blieben im Verlauf des WM-Turniers als einzige Viertelfinalisten den Nachweis schuldig, auch ohne ihre beiden Topstars zu überzeugen. Die beiden Offensivspieler des FC Barcelona waren bislang an den meisten Torerfolgen ihrer Teams beteiligt, das Spiel ist auf sie fokussiert. Das spricht für die beiden Ausnahmekönner, die sich trotz Sonderbewachung immer wieder durchsetzen können. Die Abhängigkeit ihrer Teams von den beiden muss allerdings verwundern. Sowohl Argentinien als auch Brasilien verfügen nominell über eine ganze Menge herausragender Spieler in ihrem WM-Kader. Transfermarkt.de listet die kumulierten Marktwerte der beiden Auswahlen auf Rang drei und vier unter allen WM-Teilnehmern. Ganz offensichtlich verlassen sich die meisten zu sehr auf die Geniestreiche ihrer beiden Ausnahmekönner. Argentinien und Brasilien bilden somit das Gegenpaar zu den anderen Viertelfinalisten, die bislang als Ganzes mehr überzeugten. Und das obwohl – oder vielleicht auch weil – einige ihrer stärksten Individualisten fehlen.