Die nächste Länderspielpause grüßt, doch davor steht den Lilien eine wichtige Aufgabe ins Haus: Das Duell gegen Werder Bremen! Geht das Spiel verloren, darf man bei vier Punkten nach sechs Spielen von einem Fehlstart reden, bei einem Sieg sähe das Ganze schon wieder anders aus. In der vergangenen Saison bezwangen die 98er Werder durch einen Doppelpack eines gewissen Sandro Wagner. Was zur Situation bei den Gästen zu sagen ist, erzählt mir Blogger Joey (KLICK) in einem ausführlichen und aufschlussreichen Gespräch.
So sieht’s aus:
Puh. 0:2 in Köln, 0:6 in Dortmund, 0:1 in Augsburg. 3 Spiele in der Fremde, 3 Niederlagen, 3 Nullnummern im Angriff. Die Ausbeute auf des Gegners Platz will so gar nicht zu dem Lauf der letzten Verwöhn-Saison passen. Damals setzte es in 17 Auswärtsspielen gerade einmal fünf Niederlagen. Dabei kamen die Lilien am vergangenen Samstag in Augsburg besser ins Spiel als noch in Köln oder in Dortmund. Die 98er hielten dagegen und die Heimelf vom Tor fern. Nach 30 Minuten war mit dem Lattentreffer von Raul Bobadilla lediglich eine Chance für Augsburg zu verzeichnen. Doch dann brachten Peter Niemeyer und Leon Guwara unnötig (Über)Härte ins Spiel und bei einem rigorosen Schiedsrichter, wäre nicht nur Guwara vom Platz gegangen. Doch die eine Hinausstellung genügte, und das Spiel kippte entscheidend in die falsche Richtung. Augsburg köpfte mit dem Wiederbeginn die Führung und die Lilien waren in den verbleibenden 45 Minuten nicht in der Lage zurückzuschlagen. Ganz im Gegenteil, die Niederlage hätte noch deutlicher ausfallen können.
Nach fünf Spieltagen scheint es fast so, als ob die Lilien die Atmosphäre am Böllenfalltor dringend brauchen, um zu punkten. Für das Spiel gegen Werder sollten sich Norbert Meier und seine Kicker den Flutlichtabend gegen Hoffenheim in Erinnerung rufen. Die damalige Einstellung, Leistung und vor allem mannschaftliche Geschlossenheit gilt es zu wiederholen; Offensivaktionen, die den Namen verdienen inklusive. Ein schnelles und zielstrebiges Umschaltspiel fehlt bislang komplett. Das Internetportal wahretabelle.de verzeichnet nach fünf Partien zwar 29 Torschüsse der 98er, aber lediglich sieben kümmerliche Torchancen, die diesen Namen wirklich verdienen (LINK). Eine unterirdische Quote. Und selbst die Standards wirken seltsam harmlos und wenig einstudiert. Vielleicht können die Lilien ja gegen Werder den langen Pass auspacken, der vorne verarbeitet, weitergeleitet und tatsächlich zum Torabschluss gebracht wird.
Werder präsentierte sich in der vergangenen Woche deutlich verbessert und enorm spielfreudig. Einer unglücklichen Last-Minute-Niederlage gegen Mainz, folgte ein verdienter Last-Minute-Sieg gegen Wolfsburg. (Interims-)Coach Alexander Nouri hat der zuvor verunsicherten Mannschaft wieder Selbstbewusstsein eingeimpft und einige Kicker, die bereits abgeschrieben waren oder im Drittligateam spielten, ins kalte Wasser geschmissen. Die Elf suchte ihr Heil konsequent in der Flucht nach vorne. Man darf gespannt sein, wie Werder in Darmstadt auftritt und welche Lehren Norbert Meier aus den vergangenen Partien zieht. Personell betrachtet wird dem SVD Leon Guwara gegen seinen Stammklub fehlen, was ihn selbst am meisten ärgern wird. Der arg vermisste Kapitän Aytac Sulu versucht sich zumindest wieder im Training. Sven Schipplock und Victor Obinna sind ebenfalls ins Training zurückgekehrt.
Der Kontrahent hat das Wort:
Werder-Fan Joey bloggt unter fussballromantik.wordpress.com
Joey, mal wieder bewegte Zeiten in Bremen. Wie ist aktuell die Stimmung bei den Fans?
Nach dem jüngsten Sieg gegen Wolfsburg hat sich die vorher enorm gereizte und angeheizte Stimmung wieder etwas beruhigt. Die Entscheidung der Verantwortlichen, mit Skripnik in die Saison zu starten, war leider der erwartete Fehler. Die bedingungslose Unterstützung des Saisonendspurts wurde offenbar, fälschlicherweise, auch mit Skripnik verknüpft und entsprechend, fälschlicherweise, ein gewisses Vertrauen attestiert. Das war jedoch nahezu nicht mehr gegeben, entsprechend ist die Stimmung nach dem Pokalaus und dem schlechten Start in die Liga schnell gekippt.
Wer Werder kennt, weiß aber, dass der Unmut der Fans schnell wieder in positive Energie umgewandelt werden kann, wenn eine Aufbruchstimmung entsteht, die vom (Trainer-)Team angeheizt wird. Unter Nouri hat man genau das geschafft und entsprechend hat sich die Situation wieder etwas beruhigt.
Du sprachst die positive Energie an: Wenn ich mir die Werder-Heimspiele der letzten Spielzeiten vor Augen führe, dann fällt auf, wie sehr die Zuschauer den Schulterschluss mit der Mannschaft übten. Warum gehen die Werder-Fans – wenn es eng wird – nicht auf die Barrikaden?
Gute Frage. Vor einiger Zeit wurde im Abstiegskampf mal die Parole „Werder ist Bremen, Bremen ist Werder“ ausgerufen. Das trifft die Verbindung von Stadt und Verein denke ich sehr gut. Es ist in Bremen nahezu unmöglich, Werder aus dem Weg zu gehen. Unabhängig davon, ob man nun Werder-Fan ist oder nicht, entsteht allein durch das Leben in Bremen eine gewisse Verbindung zum Verein, die weit über die Spieler und die Verantwortlichen hinausgeht. Das habe ich etwa bei meinen Kommilitonen gemerkt, die weder aus Bremen kamen, noch sich sonderlich für Fußball interessierten – nach ein paar Monaten in Bremen gehörte auch für sie Werder irgendwie dazu. Man kommt in Bremen einfach nicht um Werder herum.
Das wiederum führt vielleicht dazu, dass die Unterstützung auf einer anderen Ebene funktioniert. Das, was Thomas Eichin letzte Saison als „Wagenburgmentalität“ gefordert hat, besteht in gewisser Weise schon länger. Das Gefühl, sich und seinen Verein als Einheit verteidigen zu müssen. Auch, wenn wir zu den etablierten Vereinen der Liga gehören, waren wir selbst zu Erfolgszeiten nie so richtig einer der „großen“ Vereine. Das Potenzial von Bayern, Dortmund, dem HSV oder Schalke hatten wir aufgrund unserer Rahmenbedingungen eigentlich nie. Wenn wir erfolgreich sein sollten, dann, weil wir etwas besser arbeiteten als die Konkurrenz. Nachdem man sich in den letzten Jahren damit abgefunden hat, mit der Ligaspitze erstmal nichts mehr zu tun zu haben, geht es eben darum, gemeinsam so gut wie möglich zu sein. Nur gemeinsam kann es gehen und damit immer mehr als angenommen. Das führt immer wieder zu Synergieeffekten.
Als Thomas Eichin als Manager gehen musste und durch Frank Baumann ersetzt wurde, fanden das viele Werder-Fans in meiner Twitter-Timeline keine gute Idee. Eichin wurde zugutegehalten, dass er von außen kam und kein Mitglied der Werder-Familie war. Was ist an den alten Werder-Kämpen in der Führungsetage schlecht?
Ich persönlich konnte die Trennung von Eichin absolut nachvollziehen. Einerseits wegen der durchaus handfesten Gerüchte über interne Konflikte, andererseits wegen seiner eher kurzfristig und gelegenheitsorientierten Kaderarbeit. Dennoch mochte ich ihn, weil er hier mit einer klaren Aufgabe antrat und diese Aufgabe bedingungslos auf seine Art und Weise erfüllen wollte. Das hat uns gut getan, weil dadurch Reibung entstanden ist, die zum Hinterfragen etablierter Vorgehensweisen geführt hat. Werder ist in den Erfolgszeiten zu satt geworden, hat zu vieles einfach geschehen lassen und es versäumt, sich strukturell besser aufzustellen. Eichin hat alte Strukturen aufgebrochen und sich damit, verständlicherweise, nicht nur Freunde gemacht.
Mit Baumann statt Eichin hat man oberflächlich betrachtet die Wohlfühlvariante genommen. Man muss aber auch sehen, dass Werder mit vereinsnahen Akteuren historisch gesehen positive Erfahrungen gemacht hat. Dass man dann auf jemanden wie Baumann zurückgreift, der sowohl ein intelligenter als auch ein ehrgeiziger Mensch ist, der eine Verbindung zum Verein und zu den Fans und bereits erste Berufserfahrungen vorzuweisen hat, ist verständlich. Seine bisherige Arbeit gefällt mir durchaus gut, weil ein Plan zu erkennen ist. Die Entscheidung, an Skripnik festzuhalten, war meiner Meinung nach vor allem vom Aufsichtsrat geprägt, der für mich zu krampfhaft versucht, das Muster vergangener Erfolge zu replizieren. Werder war damals nach einem gewissen Schema erfolgreich und es erweckt den Anschein, dass man es nun wieder mit diesem Schema versuchen möchte –dabei aber die Veränderungen des Fußballs außer Acht lässt.
Werder verpflichtete in den letzten zwölf Monaten mit Claudio Pizarro, Max Kruse und Serge Gnabry spektakuläre Offensivkräfte. Ähnlich namhafte Neuzugänge gab es in der Defensive nicht. Jannik Vestergaard wurde sogar abgebeben. Setzt Werder falsche Akzente?
Jein. Die Transferpolitik war erneut zu Gunsten der Offensive ausgelegt, allerdings sehe ich das nicht zwangsläufig negativ. In der Offensive hatte man deutlichen Verbesserungsbedarf. Spieler wie Gnabry oder Kruse helfen dabei, Werders Strukturlosigkeit im letzten Drittel zu bekämpfen und kitzeln damit mehr Nutzen aus Spielern wie Junuzovic oder Bartels heraus.
Dass man sich in der Defensive für günstigere Akteure entschieden hat, ist nicht automatisch negativ. Man hat sich eben deutlich für Erfahrung statt Potenzial entschieden und sowohl Moisander als auch Sané gefallen mir hier gut. Gerne hätte ich zwar einen Spieler wie Knoche oder Wimmer in Bremen gesehen, aber die waren wohl schlicht unrealistisch.
Als sehr wichtig hätte ich es jedoch erachtet, im defensiven Mittelfeldzentrum nachzulegen. Petsos war mir hier zu sehr Gelegenheitstransfer, Fritz sollte kein Stammspieler sein und Junuzovic muss eine Reihe weiter vorne spielen, um mit seinen Defiziten nicht zu viele Lücken zu reißen. Mit Delaney vom FC Kopenhagen hat man für die zweite Saisonhälfte jedoch bereits einen fixen und interessanten Neuzugang vorzuweisen. Ich möchte deshalb nicht überkritisch sein.
Ich sprach für meinen Blog mit Johanna und Kim über die Leihe von László Kleinheisler (KLICK) und mit Karim über die Leihe von Leon Guwara (KLICK). Alle drei waren not amused, dass Werder einen Kontrahenten mit Spielerpersonal versorgt. Stimmst Du zu?
Nein. Spieler entwickeln zu wollen, heißt auch, dass man dabei Entscheidungen treffen muss, die für einen selbst nicht nur positiv sind. Sowohl Kleinheisler als auch Guwara haben teils deutliche Defizite, die sie, in meinen Augen, für Werders Top 18 aktuell disqualifizieren. Beide brauchen dringend Spielpraxis auf hohem Niveau, um überhaupt mittelfristig für Werder eine Option zu werden. Wenn sie diese Spielpraxis bei euch kriegen und sich weiterentwickeln, freut mich das. Wir müssen den Klassenerhalt unabhängig davon schaffen und, bei allem Respekt, wenn wir am Ende hinter euch landen sollten, dann wären die Ausleihen von Leon und László dafür einfach nur eine billige Ausrede.
Ist Bremen nicht gerade jetzt ein brandgefährlicher Gegner? Ein Team, das vom neuen Trainer angefixt wurde, das wie entfesselt auftritt. Hältst Du es für denkbar, dass die Spieler in Darmstadt erst recht Gas geben, weil sie mit Nouri weiterarbeiten wollen?
Das halte ich für möglich, würde ich aber nicht überbewerten. Ihr seid ein ganz anderes Team als zuletzt Mainz oder Wolfsburg, entsprechend werden auf uns und das Trainerteam ganz andere Aufgaben hinzukommen. Wir sind nun nicht mehr der Underdog mit Publikum im Rücken, sondern das Team im Aufwind, das auswärts eine Aufgabe der Marke „sollte man wuppen“ erledigen muss. Das ist absolut keine einfache Situation. Positiv ist für uns, dass das Team nun wieder etwas Selbstvertrauen tanken konnte und Nouri eine ganze Woche hatte, um „sein“ Team auf ein Spiel vorzubereiten. Das heißt aber auch: Er muss liefern. Dieses Mal muss er nicht nur als Motivator überzeugen, sondern auch als Taktiker. Seine kleinen Anpassungen gegen Mainz und Wolfsburg – geringere Abstände zwischen den Ketten, strukturierter Aufbau, Angriffe über Flachpass-Kombinationen auf den Flügeln – haben mir gut gefallen, gegen euch müssen wir uns aber mehr einfallen lassen, weil ihr euch tiefer fallen lassen werdet. Dies wird auch dazu führen, dass wir wieder die gewohnten Defizite bei Fritz und Junuzovic im Zentrum sehen werden. Es wird spannend sein, ob Nouri sich hierfür einen Plan einfallen lassen kann. Ich bin gespannt!
Zum Abschluss eine rückwärtsgewandte Frage: Werder war zwischen 2004 und 2010 fünfmal unter den Top 3. Von 2011 bis 2016 nur einmal in den Top 10. When and why did it all go wrong?
Das ist eine Frage, die detailliert zu beantworten hier den Rahmen sprengen würde. 😉 In Kurzform: Werder hat zu Erfolgszeiten viele Entwicklungen im Fußball schlichtweg verpennt, ist taktisch immer weiter ins Hintertreffen geraten, hat sich bei Risikotransfers verzockt und es nicht geschafft, einen homogenen und in allen Mannschaftsteilen gut strukturierten Kader auf die Beine zu stellen. Dadurch wurde man immer abhängiger von der individuellen Qualität der Spieler und dadurch immer anfälliger für Ausrutscher gegen taktisch überlegene Teams. Gekoppelt mit der besseren Grundausbildung in Deutschland, den dadurch stabiler werdenden „kleinen“ Teams und nicht zu kompensierenden Abgängen von Leistungsträgern wie Mertesacker oder Özil, ist Werder immer weiter abgerutscht. Der in Erfolgszeiten aufgeblähte Kader konnte aufgrund altbackener Strukturen nur durch das internationale Geschäft finanziert werden. Der sportliche Misserfolg führte zu immer gravierenderen finanziellen Problemen, die wiederum das Verbessern der individuellen Qualität unmöglich machten – und schon war man in einem Teufelskreis gefangen.
Die gesunkene Qualität führte zum Misserfolg, der zu finanziellen Problemen, die zu weniger Qualität und so weiter. Der damals völlig verhunzte Stadionausbau belastet uns noch heute und wird uns auch noch lange belasten. Mittlerweile haben wir finanziell zum Glück die Kurve bekommen und haben auch sportlich, zumindest meiner Meinung nach, wieder einen konkurrenzfähigen Kader. Nun brauchen wir noch einen guten Trainer und die Zukunft wird, davon bin ich überzeugt, wieder rosiger aussehen.
Vielen Dank, Joey. Das waren mal sehr tiefschürfende und interessante Einblicke!
Ach ja, vor vier Jahren:
Stand den Lilien in der 3. Liga eine englische Woche ins Haus. Zunächst reiste das Team unter der Woche zum Spitzenklub VfL Osnabrück. Als es schon fast nach einem Punktgewinn für wacker verteidigende Lilien aussah, schlug der VfL in der 86. Minute doch noch zu und sorgte im dritten Spiel unter Jürgen Seeberger für die erste Niederlage.
Die Lilien-Mannschaft vom 0:1 beim VfL Osnabrück:
Zimmermann – Gaebler (Maas), Beisel, Islamoglu, Stegmayer – Behrens (Gorka), Latza – Zielinsky, Hesse – Steegmann, da Costa (Karli)
Zuschauer: 7.700
Am darauffolgenden Wochenende gastierte Arminia Bielefeld am Böllenfalltor. Überlegene Lilien versäumten das Tore schießen und so zog die Arminia kurz nach der Pause auf 2:0 davon, ehe Kacper Tatara verkürzte. Die Lilien warfen alles nach vorne, doch sie scheiterten immer wieder am späteren 98er-Keeper Patrick Platins. So kam was kommen musste, und zwar in Person des eingewechselten Sebastian Hille. Er traf zum 3:1 und beförderte die Lilien wieder in die Abstiegszone. Und ja, Hilles Tor war ein sehenswerter und technisch feiner Heber. Aber das war noch lange kein Grund, dass er anschließend schier ausrastete. Sein Jubel nervte mich damals kolossal. Und Hille sollte anderthalb Jahre später wieder treffen. Wieder am Bölle, wieder sehenswert zum 1:3, wieder als Einwechselspieler und wieder ordentlich abfeiernd. Die Rede ist vom Hinspiel in der Relegation. Doch dieses Mal sollte sich Hille zu früh freuen, he he he 🙂
Die Lilien-Mannschaft beim 1:3 gegen Arminia Bielefeld:
Zimmermann – Gaebler, Beisel (Gorka), Islamoglu, Stegmayer – Hesse (Zielinsky), Latza, da Costa, Behrens (Albayrak), Zimmerman – Zielinsky, Hesse – Tatara (1)
Zuschauer: 5.100
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