Pokalausgabe (#D98BSC): „Diese Saison hat Dardai die Spieler von der Leine gelassen“

Wenn Ende Oktober an einem Dienstagabend das Flutlicht am Bölle angeht, dann ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Pokalspiel ansteht. In der 2. DFB-Pokalrunde kommt mit der Hertha ein formstarker Bundesligist, der in Darmstadt keinesfalls straucheln möchte. Die Lilien wollen hingegen endlich mal wieder ins Achtelfinale einziehen. Eine Leistung, die ihnen bislang erst siebenmal vergönnt war. Dreimal setzte die Hertha bislang in dem Wettbewerb das Stoppschild. Zuletzt 2006/07. Mit Linksverteidiger Fabi Holland spielt ein Hertha-Eigengewächs inzwischen seine fünfte Spielzeit am Bölle und dürfte damit eine Extraportion Motivation mit ins Spiel nehmen. Vor der Partie verabschiedet wird Peter Niemeyer, der ebenfalls für beide Vereine das Trikot getragen hatte und der im Sommer seine Karriere beendete.

In 98 Worten

Nach sechs Spielen ohne Dreier, war das 2:0 am Freitagabend gegen das Spitzenteam aus Fürth ein Wohlfühlerfolg. Die Lilien profitierten zunächst von einem groben Patzer des Gästetorwarts. Mit zunehmender Spielzeit agierten die 98er selbstbewusster, sodass die Spielvereinigung ihr Spiel kaum aufziehen konnte. In Halbzeit 2 gestattete der SVD den Gästen mit hohem Laufaufwand und Pressingphasen keine einzige Torchance. Deutlich verbessert zeigten sich Tim Rieder und Marvin Mehlem. Auf der Sechserposition gab Slobodan Medojevic einen formidablen Staubsauger, während vorne Serdar Dursun ackerte. Wenn gegen die Hertha eine Pokalüberraschung gelingen soll, dann nur mit einer ebenso leidenschaftlichen wie effizienten Leistung.


Der Kontrahent hat das Wort

Henry ist einer von drei Mitstreitern des Hertha BSC-Podcasts „Damenwahl„. In Kürze feiern die Jungs Jubiläum: Im November werden sie mit ihrer 100sten Folge auf Sendung gehen. Lehnt euch zurück, das Gespräch wurde dann doch etwas ausführlicher.

Henry, als Du mir noch zu gemeinsamen Bundesligaspielzeiten Rede und Antwort standest, da meintest Du, die Bundesliga sei spielerisch limitiert. Wie limitiert ist sie in der aktuellen Spielzeit?
Da hat sich was getan. Offensichtlich ist die Bundesliga sportlich auf einem ganz guten Weg. Viele Mannschaften zeigen besseren und ansehnlicheren Fußball als noch vor ein paar Jahren. Außerdem haben wir schon den neunten Spieltag hinter uns und die Bayern führen nicht schon wieder mit zwanzig Punkten Vorsprung. Sollte es doch mal wieder einen echten Titelkampf geben? Wäre uns allen ja sehr zu wünschen.

Hertha kam gut aus den Startlöchern, ließ mit vier Punkten gegen die Bayern und den BVB aufhorchen und hat sich in der oberen Tabellenhälfte festgesetzt. Was macht die Mannschaft bislang richtig gut?
Der Fokus auf Sicherung der defensiven Stabilität in den letzten Spielzeiten ging natürlich zu Lasten der Offensive. Das war auch für uns Herthaner nicht immer schön anzusehen. Selbst wenn vielen Fans der Sinn der vorsichtigen Spielweise durchaus bewusst war, war dieses übervorsichtige Spiel nicht sonderlich populär. Der Begriff „Hintenrumscheiße“ zur Beschreibung dieser Spielweise wurde geboren.
Diese Saison hat Dardai die Spieler von der Leine gelassen, denn nun hat er endlich auch das Personal dafür. Wie jeder gute Trainer lässt er das Spiel spielen, das mit den ihm zur Verfügung stehenden Spielern möglich ist. Das war in den letzten Jahren eben kein Hurra-Fußball, sondern das sichere Spiel mit der Zielsetzung, die Ordnung zu halten. Seit diesem Sommer geht mehr.

Wie stellt sich das im Spiel konkret dar?
In der Vergangenheit konnten Herthas Offensivbemühungen durch konsequentes Zustellen der Außen gut kontrolliert werden, weil das Zentrum keine Gefahr und keine Dominanz ausstrahlte. Das hat sich geändert. Das Zentrum, von der Sechs bis zur Zehn, bestimmt das eigene Spiel. Und weil sich der Gegner verstärkt darum kümmern muss, ergeben sich fast zwangsläufig Räume auf den Außen. Außerdem finden sich Spieler im Kader, Neuzugänge wir Grujic und Dilrosun oder wachgeküsste Talente wie Duda, die das Niveau der Mannschaft stark anheben.

Vor einer Woche hatte sicher nicht nur ich mit einem Sieg der Hertha gegen Freiburg gerechnet. Am Ende stand es 1:1. Kann man daraus ableiten, dass es der Hertha nicht so sehr liegt, das Spiel gegen einen defensiv-kompakten Gegner zu machen?
Nicht zwangsläufig. Zuvor wurde ja unter anderem auch Schalke mit 0:2 geschlagen, und die Gelsenkirchener stehen nicht gerade für begeisterndes Offensivspektakel.
Ich würde eher sagen, dass das Unentschieden gegen Freiburg aus einer für Hertha ungewöhnlichen Abschlussschwäche resultiert. Hertha hat das Spiel klar bestimmt und Chancen waren auch vorhanden. Aber irgendwie wollte die Kugel nur einmal über die Linie. Solche Tage gibt es eben. Das Gute daran: in den vergangenen Jahren hätte Hertha gegen einen solchen Gegner am Ende wahrscheinlich noch verloren.

Das Gros der Hertha-Spieler ist 23 Jahre oder jünger und sehr viele kommen tatsächlich auch zum Einsatz. Was steckt hinter diesem Jugendstil?
Hertha musste in der Vergangenheit oft genug zusehen, wie der eigene Nachwuchs vorschnell den Verein verließ. Das hatte viele Gründe, nicht immer war der Verein daran schuld. Wenn ein junger Jerome Boateng eine Verdoppelung seines Gehalts verlangte, dann konnte das Hertha eben nicht stemmen, ohne das gesamte Einkommensgefüge der Mannschaft zu sprengen. Der HSV hat dann lachend zugeschlagen. Dahinter stand aber natürlich auch die Überzeugung der Spieler, den nächsten Karriereschritt nicht bei Hertha machen zu können. Das hat sich grundlegend geändert.
Hertha hat es sich zum Ziel gemacht, vielversprechende Talente aus dem eigenen Nachwuchs über den Status der reinen Erstligareife hinaus zu halten und zu fördern, und ihnen auch Einsatzzeit zu geben. Sollten bestimmte Positionen nicht adäquat aus dem eigenen Nachwuchs zu besetzen sein, werden diese mit jungen Spielern von außerhalb besetzt. Beispiele hierfür sind die Spieler Maier, Mittelstädt, Dardai aus dem eigenen Nachwuchs und Stark, Plattenhardt und Dilrosun vom Transfermarkt.
Die jungen Spieler kommen so auf viele Einsatzminuten und Hertha kann glaubwürdig um Talente werben, weil man einfach gute Argumente hat: Du spielst hier ein paar Jahre, dann machst du den nächsten Schritt in deiner Karriere.

Wie vorteilhaft ist es dabei, dass Coach Pal Dardai aus dem eigenen Unterbau stammt?
Ihm kommt eine besondere Rolle zu. Wie Du schon andeutest, führte ihn sein Weg zum Cheftrainer über die Jugendmannschaften. Zur Erinnerung: Dardai wechselte als Spieler zur Saison 1997/1998 mit dem Aufstieg Herthas in die 1. Bundesliga in die Hauptstadt und blieb dem Verein bis heute treu. Er spielte hier ununterbrochen bis zu seinem Karriereende im Jahr 2012. Danach wechselte dann ins Trainerteam der Nachwuchsakademie. Im Jahr 2013 übernahm er die damalige U15, den mittlerweile schon fast berühmten 99er Jahrgang. Im Februar 2015 folgte dann nach der Beurlaubung von Jos Luhukay die Beförderung zum Cheftrainer.
Die Verzahnung zwischen den Kickern der Akademie und der Profimannschaft ist sehr eng. Beide spielen auf dem gleichen Trainingsgelände, teilen sich Räumlichkeiten in der Akademie und arbeiten zum Teil mit dem gleichen Betreuerstab. Regelmäßig werden junge Spieler aus einer der U-Mannschaften zum Training der Profis eingeladen. Damit gewöhnen die sich schon an die Bedingungen bei den Profis. Der Übergang zwischen den einzelnen Teams erfolgt in kleinen Schritten und nicht mit einem großen Sprung. Das erleichtert die Eingewöhnung. Dardai ist regelmäßig bei Besprechungen der Akademie dabei und kennt alle U-Spieler. Zu den Spielern seiner ehemaligen U15 besteht dabei natürlich ein besonders enges Verhältnis.
Übrigens: alle drei Söhne von Pal und seiner Frau Monika, Palko (Jg. 1999), Marton (Jg. 2002) und Bence (Jg. 2006), sind Fußballspieler bei Hertha BSC. Palko hatte ja bereits einige Einsätze in der Profimannschaft.

Unter den jungen Spielern sticht Arne Maier heraus. Was kannst Du zu ihm sagen?
Zwischen ihm und Pal Dardai besteht eine über die reine Spieler-Trainer-Beziehung hinausgehende Verbindung. Maier hat viel Zeit bei Familie Dardai verbracht, ist sogar mit ihnen in den Urlaub gefahren. Er scheint auf dem besten Wege, ein ganz besonderer Spieler zu werden. Bereits jetzt, mit gerade einmal 19 Jahren, verfügt er über großartiges Spielverständnis, tolle Übersicht und eine feine Technik. Sein Spiel ist wesentlich offensiver ausgerichtet als bei den beiden Sechsern aus der letzten Saison. Dazu kommt eine große Portion Mut und Durchsetzungskraft. An ihm werden wir noch viel Freude haben. Nicht wenige sehen in ihm bereits einen künftigen Nationalspieler

Wie stark die jungen Spieler sind, zeigt sich auch daran, dass Alexander Esswein und Pascal Köpke mehrmals in der U23 ranmussten. Neuzugang Köpke traf in der 2. Liga regelmäßig, spielt bei euch aber gar keine Rolle. An Selke und Ibisevic scheint kein Vorbeikommen.
Nein, derzeit scheint ihm das nicht zu gelingen. Allerdings wird Ibisevic auch nicht jünger. Ich erwarte, dass sich die Möglichkeiten für Köpke spätestens in der kommenden Saison ergeben.
Alexander Esswein ist jemand, den die spielerische und technische Entwicklung Herthas überholt zu haben scheint. Ich sehe derzeit wenig Möglichkeiten für ihn, es wieder in den Kader zurückzuschaffen. Vielleicht wäre ein Abgang im Winter zu einer anderen Mannschaft eine kluge Option. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich Esswein trotz der schwierigen sportlichen Lage immer hochprofessionell verhält und kein Klagen zu hören ist.

Es ist davon auszugehen, dass die Hertha das Spiel bei den Lilien hochkonzentriert angehen wird. Schließlich wollen Klub und Fans doch endlich mal ins Finale im heimischen Stadion einziehen. Richtig?
Das wird wirklich langsam mal Zeit.

Peter Niemeyer hat sich unter den Fans am Böllenfalltor einen ausgezeichneten Ruf erworben. Vor dem Pokalspiel wird er nun verabschiedet. Von einer Anstellung bei der Hertha – so wie es vor seinem Wechsel nach Darmstadt hieß – war in einem Interview mit ihm im Darmstädter Echo keine Rede mehr. Weißt Du, warum daraus nichts geworden ist?
Nein, darüber ist mir auch nichts bekannt. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass Niemeyer nach 16 Jahren als Profi erstmal eine Zeit die Seele baumeln lassen möchte und in aller Ruhe seine Möglichkeiten sondiert. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn Niemeyer zu Hertha zurückkehren würde. In welcher Rolle ist dabei für mich zweitrangig. Toller Typ. Aber darf ich Dir noch eine Frage stellen?

Ja, klar.
Wie schätzt man in Darmstadt in der Rückschau den Spieler Wagner und dessen Wirken ein? Sportlich und menschlich.

In dem eingangs von mir erwähnten Interview mit Dir, hattest Du keine positiven Worte für Wagner übrig. Das kann ich nach seinem provokanten Jubel bei euch absolut verstehen. Sich vor die Heimfans zu stellen und den dicken Max zu markieren, das mag kein Anhänger. Da konnte er offenbar mit seiner Vorgeschichte bei der Hertha nicht aus seiner Haut.
Für uns war Wagner 2015/16 ein ganz entscheidender Faktor des Nichtabstiegs. Eine Leistung, die den Lilien in der 1. Bundesliga niemand zugetraut hatte. Sein Engagement bei uns war also für beide Seiten eine Win-win-Situation. Er hat seine Karriere wiederbelebt und uns mit seinen 14 Toren die beste Bundesligaplatzierung aller Zeiten ermöglicht. Insofern wird sein Name bei uns immer einen guten Klang haben. Zudem fand ich ihn in Interviews erstaunlich ehrlich und oft auch reflektiert. Auf dem Platz war er immer hart zu sich und seinen Gegenspielern. Zweikämpfe gegen ihn taten auch den Verteidigern weh. Dass er mit seinem Spiel und seiner Körpersprache gerne die gegnerischen Fans gegen sich aufbrachte, hat ihn beflügelt. Als Gästefan hätte ich mich vermutlich auch auf ihn eingeschossen. So trug er eine unvergessliche Saison lang unser Trikot und das war auch gut so.

Okay, danke Dir.

Blicken wir noch kurz auf das Pokalspiel unserer Teams. Mit welcher Marschroute rechnest Du am Dienstag, an einem naßkalten Oktoberabend am Bölle?
„Auf sie mit Gebrüll!“ In Darmstadt haben wir ja schon ganz gut ausgesehen. Ich erwarte eine deutlich dominierende Herthamannschaft. Hoffentlich mit mehr Glück im Abschluss als noch zuletzt gegen Freiburg.

Henry, besten Dank für Deine Antworten und alles Gute für die weitere Bundesligasaison.
Hah, den kleinen Seitenhieb habe ich verstanden. 🙂 Vielen Dank. Euch auch alles Gute für die weitere Zweitligasaison.


Auf die Ohren

Unser Podcastteam tritt erst am heutigen Montagabend wieder zusammen, um den Sieg gegen Fürth Revue passieren zu lassen und auf das Pokalspiel und die danach anstehenden Aufgaben zu blicken. Reinhören lohnt sich! Unser Auftritt findet sich hier: KLICK


Jung & …

Die U15 präsentierte sich nach einem starken Saisonauftakt in der Regionalliga Süd zuletzt nicht auf der Höhe. Einer Niederlage gegen Wehen Wiesbaden folgte ein Remis gegen Sandhausen und nun eine 0:3-Niederlage beim FSV Frankfurt. Nur ein Punkt gegen allesamt hinter ihnen stehende Kontrahenten: Das war sicher anders geplant. Am Samstag geht es nun gegen den stärker einzuschätzenden Eintracht-Nachwuchs. Die U17 hielt sich hingegen bei ihrem 5:0-Erfolg über die SG Kelkheim schadlos. Am kommenden Sonntag geht es für den souveränen Tabellenführer der Hessenliga zur drittplatzierten SG Rosenhöhe Offenbach. Die U19 kam unterdessen nicht dazu, sich in der Hessenliga mit Kickers Offenbach zu messen. Das Duell der beiden Spitzenteams wurde kurzfristig abgesagt. Stattdessen kommt es nun am kommenden Sonntag zum Duell gegen Hessen Kassel. Das Spitzenspiel des Tabellenzweiten gegen den Tabellenvierten steigt um 11 Uhr am NLZ.

… verliehen

Silas Zehnder feierte zum Hinrundenabschluss in der Regionalliga Bayern sein Startelfdebüt für Viktoria Aschaffenburg. Beim 2:1-Sieg über die Zweitvertretung des FC Augsburg stand der Youngster über 84 Minuten auf dem Feld. Zugleich wurde bekannt, dass die Unterfranken im Halbfinale des Bayernpokals 1860 München empfangen. Bei der im April auszutragenden Begegnung könnte es zu einem Aufeinandertreffen zwischen Zehnder und Romuald Lacazette kommen, den die Lilien zu den Löwen verliehen haben. Am Sonntag lief der Franzose beim 2:2 gegen die SG Sonnenhof Großaspach eine Halbzeit lang auf. In der Pause war für den Mittelfeldspieler beim Stand von 1:1 Schluss. Julian von Haacke durfte am Sonntag ebenfalls in der 3. Liga ran und zwar für den SV Meppen. Bei der 1:2-Niederlage der Emsländer gegen Preußen Münster spielte er wie gewohnt durch.

Patrick Banggaard hatte am Samstag Grund zum Jubel. Der an den AE Pafos nach Zypern ausgeliehene Däne feierte mit seinem Team den ersten Saisonsieg. Binnen neun Minuten machte Pafos bei Omonia Nikosia in der zweiten Hälfte aus einem 0:2 ein 4:2. Banggaard stand erneut über die volle Spielzeit auf dem Platz. Jamie Maclaren muss hingegen erst wieder am Mittwoch ran. Dann kommt es in Schottlands 1. Liga zum Edinburgh-Derby, in dem seine Hibs bei den Hearts antreten, die die Tabelle anführen.

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