Sebastian Polter soll in den verbleibenden 15 Partien den Zielspieler im Angriff der Lilien geben. Er wird damit Luca Pfeiffer in vorderster Front ersetzen, der dann womöglich wieder mehr sein Spiel so aufziehen kann, wie er es 2021/22 am Bölle gezeigt hat: als um den zentralen Angreifer herumspielende Doppelspitze, die sich fallen lassen und nach außen ausweichen kann. Die Verpflichtung eines neuen Zielspielers war von den Fans lange herbeigesehnt worden. Doch kann Polter die hohen Erwartungen überhaupt erfüllen? Nach einem starken Jahr beim VfL Bochum, mit dem er den Klassenerhalt in der Bundesliga-Saison 2021/22 feierte, wechselte er zum FC Schalke 04. Dort agierte er jedoch deutlich weniger glücklich und wurde – auch verletzungsgeplagt – im Jahr 2023 nur selten von Beginn an aufgeboten. Ich habe mich bei Philipp und Torsten über Polter erkundigt. Philipp begleitet Bochum als Journalist (u.a. mit dem VfL-Magazin), Torsten ist als Blogger- und Podcast-Urgestein nah dran an Schalke. Allen voran mit tausendfreunde.de.
Philipp, Darmstadt benötigt dringend einen Zielspieler, der die Bälle fest macht, der auch mal Fouls zieht und bei Standards seine Kopfballstärke zur Geltung bringt. Das klingt ganz nach Sebastian Polter, oder? Würdest Du noch etwas ergänzen oder irgendwo Abstriche machen?
Ja, Sebastian Polter ist ein klassischer Mittelstürmer, ein Zielspieler. Wenn Darmstadt 98 einen solchen Spieler gesucht hat, dann haben sie ihn in Sebastian Polter möglicherweise gefunden. Polter ist jedenfalls aufgrund seiner Erfahrung in vielen Spielsituationen ein abgezockter, ein cleverer Spieler. Auch aufgrund seiner Erfahrung in der Bundesliga. Er hat ja schon für verschiedene Klubs gespielt.
Was seine Kopfballstärke anbetrifft: Ja, die bringt er mit. Wobei ich ihn in Bochum nicht in Erinnerung habe, dass er bei Standards besonders gefährlich war. Er hat seine Kopfballtore eher aus dem Spiel heraus erzielt. Da er ein cleverer Spieler ist, ist er in der Lage Spielsituationen zu erkennen und da zu stehen, wo ein Mittelstürmer zu stehen hat. Und wenn es notwendig ist, dann zieht er auch ab und zu ein Foul.
Was Sebastian Polter nicht ganz so mitbringt, ist, dass er Bälle fest macht. Ja, das schafft er teilweise auch, er ist aber technisch nicht der allerbeste Fußballer. Insofern muss man da ein paar Abstriche machen.
Was hat Polter seinerzeit dem Spiel des Bundesligaaufsteigers Bochum im Abstiegskampf gegeben?
Seine teilweise abgezockte, dreckige Spielweise war gut für den VfL. Und er hat natürlich Tore erzielt. Seine zehn Treffer waren ein statistisch guter Wert. Das heißt, er hatte vielleicht keine eingebaute Torgarantie, aber er war ein wichtiger Spieler. In der Rückrunde musste er dann teilweise dem technisch etwas stärkeren und schnelleren Stürmer Jürgen Locadia weichen. Aber nach dem Aufstieg war er sofort wichtig. Er kam rund um den ersten Spieltag nach Bochum, zählte dann am 2. Spieltag sofort zur Startelf und erzielte gleich ein Tor. Er hat sich sehr schnell integriert. Er war also wichtig, ging dann aber bekanntermaßen nach dem Klassenerhalt nach Schalke, weil er dort einen finanziell besser dotierten Vertrag erhalten hat.
Am Dienstag (30.01.) war ich im Rasenfunk zu Gast und habe über die bisherige Bundesliga-Saison und die aktuelle Situation bei den Lilien gesprochen: Hört rein
Du hast gestern gepostet, dass die Lilien mit Polter und Holtmann nun wie der VfL im Jahr 2022 den Klassenerhalt schaffen wollen. Von außen betrachtet: Glaubst Du, die beiden können die dringend benötigten Ergänzungen sein, um wirklich den Turnaround zu schaffen?
Gerrit Holtmann und Sebastian Polter waren in der Saison 21/22 wichtige Spieler für den VfL und maßgeblich am Klassenerhalt beteiligt. Maßgeblich meint, sie waren ein fester Bestandteil der Mannschaft. Es war eine kollektiv gute Leistung, sonst hätte Bochum den Klassenerhalt nicht geschafft. Im Abstiegskampf ist es ja oft der Fall, dass das Kollektiv entscheidet und nicht die Einzelspieler.
Wenn beide wieder ihre Form von vor zwei Jahren erreichen, dann sind sie eine Hilfe für Darmstadt. Wobei man natürlich gucken muss: Polter war zuletzt zweimal länger verletzt und hat in der 2. Liga gespielt. Da stellt sich für mich die Frage, ob er an dieses Niveau wieder herankommt.
Das gleiche gilt für Holtmann. Er hatte seinerzeit ein sehr gutes erstes Erstligajahr beim VfL. Im zweiten war er dann nicht mehr so stark. Er hat weniger gespielt, war zeitweise verletzt, ist im Sommer in die Türkei gewechselt. Auch da war er zwischendurch verletzt, hat wenige Spiele absolviert. Er steht nicht voll im Saft und bringt genauso wie Polter keine große Spielpraxis mit. Insofern muss man abwarten, ob sie dieses Leistungsniveau von damals wieder erreichen. Wenn sie das schaffen, dann sind sie auf jeden Fall eine Verstärkung, das haben sie in der Bundesliga nachgewiesen.
Zumal Holtmann eine besondere Stärke mitbringt, das ist seine Schnelligkeit. Er hat sie beim VfL Bochum immer wieder eingebracht. Sie hat ihn zum Publikumsliebling werden lassen. Wenn er an sein Leistungsniveau wieder herankommt, dann ist für mich vor allem Holtmann eine Verstärkung für Darmstadt 98. Aber es kann durchaus auch Polter sein.
Torsten, Sebastian Polter kommt per Leihe von Deinen Schalkern zu den Lilien. Tue ich ihm unrecht, wenn ich sage, bei Schalke konnte er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen?
Natürlich hatte man sich als Fan und als Verantwortlicher auf Schalke erhofft, dass Sebastian Polter eine Torquote mitbringt, die er bei Bochum gezeigt hat. Das hat eben nicht funktioniert. Insofern kann man sagen, dass er die Erwartungen nicht erfüllt hat. Andererseits war Polter eben ein Stoßstürmer und in der Kaderzusammenstellung kam von Beginn an die Frage auf, warum holt sich Schalke 04 mit Sebastian Polter einen Stoßstürmer, wenn man eigentlich mit Simon Terodde eh schon einen Stürmer ähnlicher Prägung im Kader hat. So war es von Beginn an die große Frage, wie das mit den beiden zusammenpasst, oder ob doch nur einer von beiden spielt.
Im Endeffekt war es dann so, dass es unter Frank Kramer eine Phase gab, in der beide zusammen aufgestellt wurden. Das hat aber nicht gepasst. Die beiden mussten sich deshalb die Rolle teilen. Schon allein das hat dazu geführt, dass sich Polters Spielzeit limitierte. Und wenn einer von beiden nicht performt hat oder mal unglücklich gespielt hat, dann wurde nicht an ihm festgehalten, sondern dann kam es relativ schnell zu einem Wechsel. Das hat aber beiden nicht gut getan.
Welche Rolle spielen dabei seine Verletzungen. Er fehlte euch in 2023 knapp 20-mal.
Ja, das ist natürlich so ein Punkt. Klar ist er häufig ausgefallen und wenn es die Chancen gegeben hätte, dann war er eben nicht da. Für mich war das Hauptthema aber in der Doppelpositionierung von Polter und Terodde sehen. Wenn Polter der eine Stoßstürmer im Kader ist, auf den man setzt, dann glaube ich, dass er in seine Rolle gefunden und performt hätte.
Nun wechselt er zu den Lilien in die Bundesliga. Als zwar bundesligaerfahrner Spieler, der aber bei euch in Liga 2 auch kaum von Beginn an aufgeboten wurde. Hat er überhaupt noch Bundesligaformat?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es bei ihm an fehlendem Bundesligaformat liegt. Wenn Schalke so eine Abstiegssaison gespielt hat, dann hatte einfach vieles nicht funktioniert. Ich glaube nach wie vor, dass Sebastian Polter ein Stürmer ist, der – wenn er seine Bälle zugespielt bekommt – vorne knipsen kann.
Bei den Lilien trifft er nun wieder auf Tim Skarke. Sie haben nur wenig zusammengespielt. Dennoch ein Duo, das etwas reißen kann?
Du sagst es selbst, das Zusammenspiel mit Tim Skarke hat gar nicht so ausdauernd stattgefunden. Auch Skarke war gleich verletzt und hat deshalb lange gar nicht gespielt. Sein Talent ist immer wieder aufgeblitzt, aber dass er sich richtig mal so richtig eingegroovt hätte auf Schallke, das gab es so gar nicht. Wenn er richtig gut drauf war, dann konnte man sehen, dass er ein guter Flankengeber sein kann. Gleiches gilt für Polter, der, wenn er ausdauernd spielen würde, treffen kann. Insofern kann man sich das mit den beiden in der Theorie vorstellen, aber auf Schalke hat es so eben nicht stattgefunden.
Die Lilien stecken aktuell in einer vergleichbaren Situation wie Schalke vor einem Jahr. Nach neun Punkten zur Halbzeit holte S04 noch starke 22 Punkte. Wie ist das gelungen?
Auf Schalke hat man in der Winterpause ein paar Transfers getätigt, die geholfen haben. Auch mit Trainer Thomas Reis hatte man sich gut zusammengefunden. Er hat es geschafft, die Spieler davon zu überzeugen, dass wenn man ihm folgt, man in der 1. Liga erfolgreich sein kann. Dort spielte Schalke einen Underdog-Fußball. Man war eine Einheit mit den Fans, die gesehen haben, okay wir haben den schwächsten Kader der Liga – das war sehr deutlich zu sehen – und trotzdem kann man mit viel Einsatz und Leidenschaft um Punkte kämpfen und diese dann auch holen.
Am Ende waren es dennoch zu wenig. Die letzten vier Spiele waren allesamt gegen sehr starke Gegner. So hätte Schalke letztlich davor schon safe sein müssen. Das war nicht der Fall. In ein paar Spielen hätte das Team mehr aus seinen Chancen holen können, was aber leider nicht gelang.
Besten Dank euch beiden, für eure Ausführungen zu Sebastian Polter.
Weitere Interviews zu Verpflichtungen in der Winterpause:
- Offensivspieler Gerrit Holtmann (per Leihe vom VfL Bochum)
- Offensivspieler Julian Justvan (per Leihe von der TSG Hoffenheim)
Und noch zu den Verpflichtungen zur Hinrunde:
- Sechser Bartol Franjic (per Leihe vom VfL Wolfsburg)
- Verteidiger Christoph Klarer (von Fortuna Düsseldorf)
- Angreifer Fraser Hornby (von Stade Reims)
- Verteidiger Matej Maglica (per Leihe, inzwischen fix vom VfB Stuttgart)
- Mittelfeldspieler Andreas Müller (vom 1. FC Magdeburg)
- Mittelfeldspieler Fabian Nürnberger (vom 1. FC Nürnberg)
Die beiden Offensivspieler Luca Pfeiffer (VfB Stuttgart) und Tim Skarke (Union Berlin) kehrten leihweise zu den Lilien zurück und sind mithin bekannt, weshalb auf Insider-Interviews verzichtet wurde.