Europäische Ligen: Langeweile oder Spannung im Meisterkampf?

Vor wenigen Tagen behandelte dieser blog die erstmaligen Titelträger in 23 europäischen Eliteklassen. Demnach gelingt es nach wie vor Vereinen erstmals die Meisterschaft zu holen. Ein Beleg für einen funktionierenden Wettbewerb um die nationale Krone ist das nur bedingt. Deshalb soll nun in einem zweiten Schritt untersucht werden, wie „offen“ der Meisterkampf in den vergangenen 20 Jahren war. Während einige der 23 Ligen förmlich zementiert scheinen, sticht eine starke Liga besonders positiv ins Auge.

Bevor es zur Auswertung kommt, noch ein Wort zum Untersuchungszeitraum. 20 Jahre erscheinen plausibel, weil der Fußball seitdem eine starke Kommerzialisierung erlebt hat. Die Schere zwischen enorm finanzstarken Vereinen (durch Mäzene, TV-Gelder, fixe Champions-League-Prämien, Trikotsponsoren, Ausrüsterverträge, Merchandising) und dem großen Rest hat sich geweitet. Zudem hat das Bosman-Urteil von 1995 das Transfersystem auf den Kopf gestellt. Schließlich fällt der Erhebungszeitraum mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa zusammen. Den Spitzenvereinen, die ehedem von staatsnahen Institutionen gefördert wurden, kam dieser „Sponsor“ abhanden.

Gesunder Wettbewerb in Schweden
Wie „offen“ die Meisterschaften tatsächlich sind, zeigen die Tabellen 1 und 2. Sie listen auf, wie viele verschiedene Meisterteams es seit 1992 gab. Ein besonders ausgewogenes Ringen um den Meistertitel herrscht in Schweden, wo neun verschiedene Klubs Meister wurden. Dies ist umso beachtlicher, da es in Schweden seit 1896 nur 14 Vereinen vergönnt war sich Meister zu nennen. Der IFK Göteborg konnte in den vergangenen 20 Jahren die meisten Titel in der Allsvenskan einheimsen. Die fünf Meisterschaften stellen im europäischen Vergleich dennoch einen Minuswert unter den Seriensiegern dar und unterstreichen einen gesunden Wettbewerb.

Tabelle 1: Verschiedene Meistermannschaften von 1992 bis 2011 und insgesamt

Tabelle 2: Verschiedene Meistermannschaften in Ländern mit Meisterschaften seit den 90er Jahren

Neue Konkurrenz aus der Provinz in Osteuropa
Ähnlich „offen“ sind die Meisterschaften in Ungarn. Wie in Rumänien und Bulgarien wurde hier zuletzt die traditionelle Dominanz der Hauptstadtklubs gebrochen. Potente Geldgeber pushen Provinzklubs zu Titelanwärtern, so dass die Meister nun nicht mehr Ferencvaros Budapest, Steaua Bukarest oder ZSKA Sofia heißen, sondern aktuell Videoton FC, Otelul Galati bzw. Litex Lowetsch. Allerdings gelten diese Ligen auch als anfällig für Manipulationen im großen Stil. Inwiefern die wechselnden Titelträger also der sportlichen Überlegenheit oder vielleicht doch den schwarzen Koffern zu verdanken sind, lässt sich schwer sagen. Gleichwohl gab es kolossale Manipulationsskandale zuletzt auch in Italien und der Türkei.

Unterhaltung in Frankreich garantiert
Besonders interessant präsentiert sich die französische Ligue 1. Wäre nicht Olympique Lyon zwischen 2002 (zugleich die erste Meisterschaft überhaupt!) und 2008 zum Seriensieger mutiert, hätten womöglich noch mehr als neun Klubs Meisterehren erlangt. Überhaupt hat der französische Rekordmeister, AS St. Etienne, „erst“ zehn Meistertitel auf der Habenseite, wobei der letzte Titel aus dem Jahr 1981 (!) datiert. Auch aktuell liegen zahlreiche Teams wie Montpellier HSC oder Stade Rennes aussichtsreich im Titelrennen, die sogar noch nie Meister waren. Deshalb zählt die Ligue 1 zu den unterhaltsamsten und spannendsten Ligen, was angesichts ihrer Stärke besonders bemerkenswert ist.

Tendenz zu Seriensiegern in der Schweiz, Österreich und Dänemark
Auch die Schweiz kann mit sieben verschiedenen Meisterklubs auf eine gesunde Fluktuation verweisen. Bei noch tiefergehender Betrachtung fällt auf, dass es vielen Vereinen gelingt über Jahrzehnte immer wieder Meistertitel zu sammeln. So etwa die Grasshoppers aus Zürich (1898-2003), der FC Zürich (1902-2009), Servette Genf (1907-1999) oder der FC Aarau (1912-1993). Mit dem FC Basel ist jedoch zuletzt (sechs Titel seit 2002) ein ebenso solider wie finanzkräftiger Verein in eine dominante Rolle geschlüpft. Gleiches ist in Dänemark und Österreich zu beobachten. Sie schneiden im 20-Jahres-Vergleich vergleichsweise gut ab (sechs Meistervereine), dort dominierten jedoch zuletzt der FC Kopenhagen (acht Titel seit 2001) und Red Bull Salzburg (drei Titel seit 2007). Hier drohen also fade Titelkämpfe.

Die Platzhirsch-Ligen
Die Bundesliga präsentiert sich im Vergleich mit den anderen Ligen im Mittelfeld. Vergegenwärtigt man sich allerdings, dass Bayern München im Schnitt alle zwei Jahre den Titel holt, dann spricht dies nicht unbedingt für einen allzu offenen Wettbewerb. Das Phänomen eines dominanten Klubs kennen auch andere Topligen. Ganz eklatant die norwegische (Rosenborg Trondheim, 16), gefolgt von der portugiesischen (FC Porto, 14), der griechischen (Olympiakos Piräus, 13), der schottischen (Glasgow Rangers, 13) und der englischen (Manchester United, 12).
Folglich sind diese Ligen am Ende der 20-Jahres-Übersicht anzutreffen, wo auch Spanien und die Türkei rangieren. Bei Spanien, Griechenland, Portugal und der Türkei sticht ins Auge, dass es in den ersten Ligen traditionell sehr wenige verschiedene Meisterteams gab. So hat Spanien in den vergangenen 82 Jahren nur neun verschiedene Meister hervorgebracht, Griechenland kann in 83 Jahren auf gerade einmal sechs Meister verweisen. Portugal (in 76 Jahren) und die Türkei (in 54 Jahren) kennen gar nur fünf verschiedene Titelträger. Dahingegen feierte Russland, dass gerade seine 20. Meisterschaft austrägt, schon sechs Meistervereine. Hierzu zählen mit Rubin Kasan und Lokomotive Moskau gar Klubs, denen dieses Glück in der UdSSR noch verwehrt blieb.
In Schottland reduziert sich der nationale Titelkampf auf eine Glasgower Stadtmeisterschaft. Seit 1985 (Aberdeen FC) haben nur noch Celtic oder die Rangers die Meistertrophäe in die Höhe gestemmt. Von einem gesunden, geschweige denn interessanten, Wettbewerb kann hier nicht mehr gesprochen werden. Der Meisterkampf in Schottland, Norwegen, Portugal, Griechenland und der Türkei gehört demzufolge zu den Langweilern unter den europäischen ersten Ligen.

Unter der Lupe – die großen Fünf
Was ist abschließend zum Wettbewerb in den finanzkräftigsten Ligen, also den großen Fünf (England, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich), zu sagen? Italien, Spanien und England zieren zwar nicht das Ende der 20-Jahres-Übersicht, dennoch ist hier eine fortschreitende Konzentration festzustellen. So gab es in England in den letzten 16 Jahren nur drei verschiedene Meistervereine (allen voran Manchester United, dann Chelsea FC und Arsenal London). In Italien und Spanien trugen sich seit 2001 ebenfalls nur drei Klubs (Inter Mailand, AC Milan, Juventus Turin, bzw. FC Barcelona, Real Madrid und Valencia CF) in die Meisterlisten ein, seit 2005 gar nur je zwei. Hier setzt also die große Langeweile ein, wenn sich auch Manchester City in England anschickt, ein ernstes Wörtchen im Titelkampf mitzureden. Ohne die Petrodollars aus Arabien wäre aber auch dies nicht möglich.
Die Bundesliga schnitt zuletzt sehr erfreulich ab. In den vergangenen drei Jahren gab es drei verschiedene Meister (VfL Wolfsburg, Bayern München, Borussia Dortmund), in den vergangenen acht gar deren fünf (plus VfB Stuttgart und Werder Bremen). Herausragend ist und bleibt hingegen Frankreich. Die – zugegebenermaßen langjährige – Dominanz von Olympique Lyon (2002-2008) ist schon wieder Geschichte. Wie schon in den 1990er Jahren gab es hier zuletzt im jährlichen Wechsel verschiedene Titelträger. In den vergangenen vier Jahren holten Olympique Lyon, Girondins Bordeaux, Olympique Marseille und OSC Lille die nationale Krone. Derzeit schickt sich Paris St. Germain an die Liga zu gewinnen. Der Klub ist mit seinen jüngst erhaltenen Scheich-Millionen allerdings ein potentieller Seriensieger. Ob die Hauptstädter also fortan die Ligue 1 dominieren bleibt abzuwarten. Es wäre nicht zu wünschen.

2 Gedanken zu “Europäische Ligen: Langeweile oder Spannung im Meisterkampf?

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