Passiv komplett zufrieden (#SVDSGD)

Nach dem 0:4 am Montag in Osnabrück sollte gegen Dresden hinten die Null stehen. So lautete bei den Lilien ganz offensichtlich das Gebot der Stunde. Dass am Ende allerdings nicht nur hinten, sondern auch vorne die Null stand, war vielleicht nicht zwingend eingepreist, es war für die Spieler und Coach Dimitrios Grammozis aber nach der Partie absolut kein Makel. Für sie war das torlose Remis gegen Dynamo ein Schritt in die richtige Richtung. Für viele Lilienfans allerdings weniger.

So ging’s ins Spiel

Mit der gleichen Kapelle wie bei der 0:4-Klatsche in Osnabrück. Grammozis nahm keine Änderungen in der Startelf vor. Die am Montagabend vom Aufsteiger überrollte Elf sollte zeigen, dass sie es besser machen kann, als nur hinterherzulaufen.


So spielte es sich ab

Sommer, Sonne(nuntergang), Stadion … und endlich auch Gästefans auf den Stehrängen der neuen Gegentribüne. Dass dies am Ende in einem tragischen Unfall münden sollte, konnte am frühen Abend noch niemand ahnen. Deshalb sei hier gleich der Wunsch geäußert, der von einer Mauer gestürzte Dynamo-Fan möge sich rasch erholen. Dass ein Rettungshubschrauber nach Spielende auf dem Spielfeld landet, bleibt hoffentlich die große Ausnahme.

Die Lilien starteten kompakt in die Partie. Dass Victor Pálsson wieder mit Yannick Stark die Doppelsechs bildete, zeigte sofort, worauf das Hauptaugenmerk lag: Defensive Stabilität. Dresden hatte zwar mehr den Ball, musste sich aber auch erst ins Spiel fuchsen, so dass die Begegnung in den ersten 20 Minuten ausgeglichen gestaltet werden konnte. Tim Skarke suchte links immer wieder den Weg in die Tiefe, um dort lange Bälle zu verarbeiten. Ein Mittel, dass schon gegen Kiel erfolgreich war. Das dickste Ausrufezeichen setzte dann aber ein Angriff, der über die andere Seite vorgetragen wurde. Marvin Mehlem ging steil, fand in der Mitte in einer Überzahlsituation Serdar Dursun, der am hervorragend parierenden Dynamo-Keeper Kevin Broll scheiterte. Blöd nur, dass Mehlem im Abseits gestanden hatte, und die ganze Aufregung umsonst war. Außer einem Distanzschuss von Fabi Holland (auf Vorarbeit von Skarke) und einem etwas umständlichen vorgetragenen Angriff über Skarke, Stark und Dursun war es das aber mit der offensiven Herrlichkeit. Und auch in der zweiten Halbzeit herrschte vor dem Dresdner Tor überwiegend Flaute. Ein Kopfball von Pálsson und ein Distanzschuss von Mehlem waren wohlwollend zu verzeichnen.

Und damit kommen wir auch schon zum Hauptaspekt des Spiels. Die Lilien traten im eigenen Stadion auf wie ein Auswärtsteam. Hauptsache hinten dicht! So glich das angedachte 4-2-3-1 zusehends einem 4-4-1-1 oder gar 4-5-1. Wie schon gegen Hamburg und Kiel erwartete die Defensivabteilung – inklusive Doppelsechs – den Gegner sehr tief. Dynamo durfte sich bis in einen Korridor vor dem Strafraum kombinieren. Dann wurde der Gast in der Regel nach außen gelenkt, von wo oft ungefährliche Flanken in den Strafraum segelten. Das kann gut gehen, was drei zu Null-Spiele (das Elfer-Gegentor in der 98. Minute beim HSV großzügig herausgerechnet) zeigen. Es kann aber auch böse ins Auge gehen, wie bei einer Direktabnahme von Linus Wahlqvist nach der Pause oder bei einer knappen Abseitsposition noch vor dem Seitenwechsel, als Alexander Jeremejeff auf Baris Atik ablegte, der dann an Flo Stritzel scheiterte. Es kann aber auch ins Auge gehen, wenn das Team sich einmal öffnet und durch einen schlampigen Pass von Marvin Mehlem eine Umschaltaktion ermöglicht. Dann steht die Defensive ungeordnet und es ist letztlich dem Pfosten verdanken,  an dem Jeremejeffs Schuss zehn Minuten vor Schluss landete, dass kein Gegentor fiel. Die Gegner waren jedenfalls der Herr im Haus (70 Prozent Ballbesitz, 91 Prozent Passquote), ohne sich allerdings ein deutliches Chancenplus zu erspielen (der expected Goals-Wert lag aber doch bei 0,4 :1,2 pro Dynamo).


So kann man’s bewerten

Was ist nun aber der Matchplan der Lilien? Nach Ballgewinn sollen die schnellen Außen auf die Reise geschickt werden, gerne mit Dursun an der Mittellinie als Relaisstation. Dafür sind Spielzüge und Laufwege im Vollsprint vonnöten, die bislang leider zu selten von Erfolg gekrönt sind. Dursun verzettelt sich ab und an, wird aber von seinen Gegenspielern auch arg bearbeitet. Heller spielt zu eindimensional und fehlerhaft, Mehlem mit Licht und Schatten, während Skarke noch am ehesten in der Lage ist Unruhe zu stiften. Grammozis‘ Matchplan ist also das Überfallspiel aus einer geordneten Defensive. So far, so unexpected. Etwas mehr Fantasie hätte ich mir nach seiner ersten kompletten Vorbereitung mit Neuzugängen nach seinem Gusto schon gewünscht. Mehr Ballbesitz steht im Moment jedenfalls nicht auf der Agenda der Lilien. Er liegt im Schnitt bei mageren 33 (!) Prozent in den ersten vier Ligaspielen, bei einer stets schlechteren Passquote als der Gegner. Schade, denn dafür wurde doch sicher ein Fabian Schnellhardt verpflichtet, der bislang allerdings keine nennenswerte Rolle spielt. Die packenden und mitreißenden Spiele der letzten Rückrunde, wie etwa gegen Kiel und gegen Regensburg, ließen bei vielen Fans die Hoffnungen auf einen agilen und aktiven SVD wachsen. Dabei wird aber gerne übersehen, dass es damals auch reichlich dröge bis pommadige Spiele gab, wie das 0:0 gegen Bochum, das 1:2 in Fürth oder das 0:3 in Ingolstadt.

In dieser Saison überlässt jedenfalls ein bislang sehr passiver Sportverein den Kontrahenten das Spiel. Diese überspielen von seltenen Ausnahmen abgesehen – die dann für die beabsichtigte Gefahr im Umschaltspiel sorgen – mit Leichtigkeit die erste Welle der Lilien. Die Gegner können Sicherheit gewinnen, ihr Passspiel durchziehen, bis sie dann vor dem Sechzehner das Stoppschild gesetzt bekommen. Die Spielanlage aller bisheriger Kontrahenten wirkte jedenfalls wesentlich reifer als die der Lilien. Sie nehmen das Heft des Handelns in die Hand, der SVD reagiert. Der Gegner spielt Fußball, die Lilien haben ein eher untergeordnetes Interesse daran. Man ist geneigt zu sagen: Dirk Schuster, bist Du’s? Okay fünf Punkte nach vier Partien, sind nun wirklich kein Fehlstart, aber etwas mehr, als Umschaltfußball und Beton anrühren wäre auch nicht zu viel verlangt. Gerade die Neuzugänge hatten Lust auf mehr gemacht.

Und genau hier könnte der Hase im Pfeffer liegen. Innenverteidiger Dario Dumic und Flügelspieler Tim Skarke sind rasch zu einem Faktor im Lilienspiel geworden. Ansonsten ist gerade offensiv ein ganzes Lazarett beisammen: Mathias Honsak? Verletzt! Erich Berko? Verletzt! Braydon Manu? Verletzt! So fehlen im Angriff und damit im letzten Spielfelddrittel entscheidende Alternativen: Ein dribbelnder Manu, ein zielstrebiger und flinker Honsak sowie ein eventuell wuchtiger Berko. Die Offensivabteilung stellt sich ohne sie mehr oder minder von alleine auf. Ein Heller müsste bei der Konkurrenz um seinen Platz auf der Außenbahn fürchten. Und vielleicht wäre dann auch ein Schnellhardt eine geeignete Option, um diese Spieler in Position zu bringen.

Ich will hoffen, dass es so ist und kommen wird. Denn ansonsten droht das Missverständnis zwischen Teilen der Fans und dem Team zu wachsen. Auf die Pfiffe von den Rängen nach Spielende reagierte Pálsson gestern auf dem Platz sichtlich irritiert. Er hob die Hände, um zu signalisieren, dass er die Unmutsbekundungen ganz und gar nicht verstehen könne. Und als Grammozis in der per LED-Leinwand übertragenen Pressekonferenz sagte, er sei mit dem Punkt „komplett zufrieden“, da mochten die Lilienfans nach der Art und Weise des Spiels zustimmen, und dennoch schüttelten mehrere von ihnen ungläubig ihren Kopf. Denn die von ihnen erwünschte Reaktion auf das Osnabrück-Spiel war das Gezeigte definitiv nicht. Die Lilien hatten sich über weite Strecken des Spiels eingeigelt und einen bemerkenswerten Sicherheitsabstand zu ihren Gegenspielern an den Tag gelegt. Dynamo wurde das Spiel(feld) überlassen.


So kann man’s auch sehen

Dynamo-Fan Ludo ist ebenfalls Blogger und bei mir ein gern gesehener Gast, wenn es darum geht, aus Dresden geholte Lilien-Neuzugänge vorzustellen oder die Situation bei Dynamo zu erklären. Ehrensache, dass er nun erstmals ein direktes Duell einzuordnen hilft:

Ludo, wie zufrieden bist Du mit der Leistung Deines Teams?
Hmm … ich bin mit der Leistung von Dynamo sehr zufrieden. Das Team hat das Spiel bis auf zwei kurze Phasen kontrolliert. Zudem kam es trotz der massiven Darmstädter Abwehrarbeit zu Chancen. Die Entwicklung der Spielanlage stimmt mich sehr positiv.

Wie hast Du die Lilien gesehen?
Darmstadt habe ich als sehr verunsichert empfunden. Das oberste Credo war, keine Fehler zu machen. Es gab keine klar strukturierte Spielweise, kein Interesse daran, das Spiel zu gestalten. So wollte man ganz offensichtlich einen offenen Schlagabtausch vermeiden. Im Endeffekt war ich fast schon erschrocken über die spielerische Übermacht von Dynamo.

Viele Darmstadt-Fans haben schon während und auch nach der Partie über das Spiel ihres Teams gemotzt. Wie würdest Du die Leistung der Lilien im Vergleich zu euren bisherigen Gegnern Nürnberg, KSC und Heidenheim bewerten?
Darmstadt reiht sich in vielerlei Hinsicht bei den genannten Gegnern ein. Dresden war bislang immer spielbestimmend, ist aktiver aufgetreten und vor allem im Erarbeiten von Chancen versierter als die bisherigen Kontrahenten gewesen. Aber die heutige Leistung der Lilien glich, vor allem am Ende der ersten Halbzeit, der eines Boxers, der schwer in den Seilen hing.

Vielen Dank Ludo.