Spieltag 26 (#rbld98): „Es existiert eine Art Hassliebe zum SVD“

Am Samstag spielen die Lilien bei RB Leipzig. Da werden Erinnerungen wach an knappe und umkämpfte Partien auf Zweit- und Drittliganiveau. Ein Duell auf Augenhöhe ist aktuell aber nicht zu erwarten. Es sei denn, das Spitzenteam aus Leipzig bleibt sich treu und verliert gegen ein weiteres Kellerkind. Als Tabellenzweiter ist und bleiben die Gastgeber aber natürlich der große Favorit. Mit RB-Fan Kai spreche ich im Laufe des Vorberichts ausführlich.

So sieht’s aus:

Vor der Länderspielpause stand die Auswärtspartie in Wolfsburg an. Anderer Gegner, gleiches Dilemma: Der Gastgeber behielt die Punkte, die Lilien schauten in die Röhre. Allerdings überzeugte der SVD auch nicht wie etwa noch zuvor in der ersten Hälfte in Bremen oder über lange Strecken in Hoffenheim. Erst zum Schluss kamen die 98er zu Chancen und hätten fast noch ein schmeichelhaftes Remis eingefahren.

Das Spiel nach vorne ist und bleibt zu wenig durchschlagskräftig. Zuletzt hatte ich die Spieldaten der Lilien in der Bundesliga unter Dirk Schuster, Norbert Meier und Torsten Frings verglichen. So ansehnlich die Lilien inzwischen das Spiel aufbauen, so viel Ballbesitz sie momentan haben, so viele Kilometer sie aktuell abspulen, in eine richtige Abschlussposition kommen sie viel zu selten. Wenn dann noch die Effizienz der Schuster-Ära fehlt, dann kommt dabei eben ein Absteiger raus. (Hier geht es zur Auswertung: KLICK)

Ob in einer solchen Situation ausgerechnet bei RB Leipzig ein Punktgewinn rausspringt? Eigentlich kaum anzunehmen … eigentlich.


Die aktuelle Prise Lilien-Podcast:

Am Montag war Aidan bei uns zu Gast. Der junge Engländer aus Newcastle supportet tatsächlich die Lilien und erzählt wie es dazu kam, wer sein Lieblingsspieler ist und wie über RB Leipzig in England berichtet wird. KLICK


Der Kontrahent hat das Wort:

Kai hält als Aufziehvogel_LE auf Twitter die Fahne für RB Leipzig hoch. Zudem ist er Mitglied bei taLEntfrei (KLICK), einem Offiziellen Fanklub von RB Leipzig.

Kai, Euer Fanklub nimmt für sich in Anspruch leidenschaftlich zum Verein zu stehen, ihn aber dennoch mit einem kritisch-ironischen Blick zu begleiten. Was ist aus Deiner Sicht aktuell kritisch zu betrachten?
Aktuell wird zum Beispiel viel und auch kontrovers über die Abmeldung der U23 zum Saisonende und die damit verbundene Neuausrichtung in der Nachwuchsarbeit sowie über die geplante Strukturreform des RB-Fanverbandes, in dem viele Fanclubs organisiert sind, gesprochen. Der letzte große Aufreger war sicher das „Bannergate“ im vergangenen Oktober. Damals hatte der Verein die Banner verschiedener Fanclubs (darunter unseres OFCs) aus dem Unterrang der Haupttribüne verbannt, weil sie Werbeflächen verdecken würden. Die Kommunikation zu der Entscheidung war, gelinde gesagt, nicht optimal. Nachdem sich auf Twitter, in Foren und Blogs ein ausgesprochener Shitstorm entwickelte, suchte der Verein das Gespräch und es wurde eine Kompromisslösung gefunden. Die Banner hängen jetzt im Oberrang.
Der Vorgang ist beispielhaft für das Verhältnis von RB und seinen Fans. Auch wenn es keine formalen Rechte als Vereinsmitglieder gibt, verfolgt RB doch sehr genau, was seine Anhänger zu Themen rund um den Verein, etwa zu Ticketpreisen oder dem (glücklicherweise abgewendeten) Stadionneubau sagen. Da wird man auch mal kurzfristig zu einem Gespräch mit Entscheidern aus dem Verein geladen, wenn es Diskussionsbedarf gibt. Das mag keine Mitbestimmung im traditionellen Sinn sein. Aber diese Art des informellen Dialogs funktioniert bislang erstaunlich gut, wenn es darum geht, Faninteressen zu artikulieren.

Am vergangenen Wochenende strahlte die Sportschau eine unkritische Doku über RB aus …
… mich persönlich nerven seit dem Aufstieg die zahlreichen Jubelbeiträge über RB wie diese. Klar macht da unsere PR-Abteilung aus ihrer Sicht einen guten Job. Mir selbst wäre etwas weniger Agitation mit dem Holzhammer aber lieber. Wenn wir uns darauf verständigen könnten, bei der nächsten Schwalbe eines RB-Spielers ihn nicht wieder wochenlang medial zu bashen, kann ich im Gegenzug auf solche Lobhudeleien gern verzichten.

Noch gut in Erinnerung sind die Übergriffe gegen RB-Fans in Dortmund. Kurz danach beschwerten sich HSV-Fans über die harsche Behandlung durch die Security in Leipzig. Wie wurde beides in Eurer Fanszene diskutiert?
Die Vorfälle in Dortmund haben natürlich viele RB-Fans sehr bewegt, nicht nur die 8.000 Leipziger, die vor Ort waren (mich eingeschlossen). Die grundlegende Ablehnung durch Sprechchöre, Banner und andere Aktionen sind wir seit 2009 gewöhnt. Wenn man sich aber plötzlich in einer Situation wiederfindet, in der man selbst, seine Freude oder Familie massive körperliche Gewalt erfährt, ist das eine ganz andere Nummer. Entsprechend emotional und heftig wurde darüber diskutiert. Ich hoffe, dass im Ergebnis die Ablehnung von Gewalt, die in der RB-Fanszene bislang breiter Konsens ist, auch weiter Bestand hat.
Die Vorwürfe der HSV-Fans und des Hamburger Fanprojekts sind sehr unterschiedlich aufgenommen worden. Zum einen kommt es seit der 4. Liga immer mal wieder zu Problemen beim Umgang mit Gästefans. Auch von Teilen der RB-Fans wird die Security durchaus kritisch gesehen. Denn deren Mitarbeitern wird zum Teil eine gewisse Erlebnisorientierung und rechte politische Einstellung nachgesagt. Auf der anderen Seite hat das Abbrennen von Pyrotechnik im Gästeblock, das Auslöser der Aktion war, sicher nicht für mehr Verständnis für die Gästefans gesorgt. Da gibt es viele Leipziger, die es begrüßen, wenn die Security das Hausrecht durch strenge oder gar handfeste Kontrollen durchsetzt. Dass es trotz der Ankündigungen, etwa durch „11Freunde“, bislang keine Veröffentlichung von belastendem Videomaterial gab, trägt auch nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit der Vorwürfe bei. Grundsätzlich erwarte ich, dass sich friedliche Gästefans, die nach Leipzig kommen, in unserem Stadion wohlfühlen können und durch die Mitarbeiter und Dienstleister des Vereins korrekt behandelt werden.

Trotz aller Polarisierung: Ist die Bundesliga nicht ein Umfeld, das Euch deutlich neutraler, wenn nicht gar positiver gegenübersteht, als noch die 2. oder 3. Liga?
Auf diese Frage gibt es aus meiner Sicht zwei gegensätzliche Antworten. Zum einen ist für RB Leipzig mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga natürlich eine viel größere Bekanntheit verbunden. Und ich glaube, die Mehrheit der „normalen“ Fußballfans aka Sportschau-Zuschauer steht dem Phänomen in der Tat eher neutral gegenüber. Für sie ist RB ein Teil der Entwicklung des modernen Fußballs, sie sehen aber keine besondere Qualität der Kommerzialisierung im Vergleich zu Vereinen wie Bayern, Leverkusen, Chelsea oder PSG.
Auf der anderen Seite hat für mich das Niveau der kritischen Auseinandersetzung mit RB in der 1. Bundesliga eher abgenommen. Es gibt zunehmend nur noch schwarz-weiße Fundamentalpositionen auf beiden Seiten. Im Zweifelsfall blockt man den Gegenüber lieber, anstatt den Dialog zu suchen. Dazu kommt oft der Duktus einer moralischen Überlegenheit, mit dem die üblichen Positionspapiere gegen RB einhergehen. Wenn die 37. Fanszene den Leipzigern erklären will, was fußballkulturell richtig oder falsch ist, ist das oft nur noch ermüdend. Das habe ich in den unteren Ligen zum Teil noch anders erlebt. Mag sein, dass die regionale Nähe und das größere Wissen um die Leipziger Fußballhistorie nach 1990 bei Fans aus Erfurt, Magdeburg oder selbst Dresden eine differenziertere Sicht der Dinge ermöglichte.

Die aktive Fanszene der 98er hat zu einem Boykott des Leipzig-Spiels aufgerufen. Wie schon zu Zweitligazeiten. RB-Fans.de twitterte daraufhin: „Darmstadt hat es immer noch nicht gelernt: Wer boykottiert, verliert.“ Ärgert dich so ein Aufruf und gab es schon andere Fanszenen, die nicht anreisten?
Ich habe ehrlich gesagt nicht mitgezählt, wie viele „aktive Fanszenen“ in dieser Saison das Auswärtsspiel in Leipzig boykottiert haben. Bei bundesweit verankerten Vereinen wie dem BVB, Köln oder den Bayern ist der Gästeblock auch bei einem Boykott voll. Und ob nun 200 FCI-Fans anreisen oder nicht, spielt für die Atmosphäre im Stadion eher eine untergeordnete Rolle. Letzten Endes muss jede Fanszene für sich entscheiden, was ihr wichtiger ist: Der Support des eigenen Teams oder diese spezielle Form der Ablehnung des Erzfeindes RB. Mein persönliches Stadionerlebnis hängt jedenfalls nicht davon ab.

Am Samstag kommt es zum sechsten Liga-Duell mit den Lilien seit 2013. Der SVD hat euren Aufstieg quasi mitbegleitet. Vermutlich wird es das letzte Aufeinandertreffen für längere Zeit sein. Wie hast Du die Spiele der so ungleichen Klubs erlebt und schaust Du aufgrund der gemeinsamen Historie mit einem besonderen Blick auf die Lilien?
Ob es Euch gefällt oder nicht: Aufgrund der gemeinsamen Geschichte seit der 3. Liga existiert bei vielen RB-Fans schon eine Art Hassliebe zum SV Darmstadt. 🙂 Die Duelle gegen den SVD waren natürlich auch immer so eine „David vs. Goliath“-Nummer und Dank der Spielweise unter Eurem damaligen Coach Dirk Schuster extrem eng und umkämpft.
Darüber hinaus verbindet sich mit dem SV Darmstadt einer der emotionalsten Momente der noch jungen RB-Geschichte: Das Siegtor in der Nachspielzeit durch unseren Torwart Fabio Coltorti beim Heimspiel in der ersten Zweitligasaison, das uns nochmal kurz vom Aufstieg träumen ließ. Aktuell spielt mit Terrence Boyd jemand bei Euch, der trotz fast zweijähriger Verletzungspause zu den Publikumslieblingen in Leipzig zählte und beim Spiel sicher einen warmen Empfang durch die RB-Fans bekommt. Ich hoffe, Ihr seid da etwas toleranter als die Augsburger.
Jenseits aller folklorehaften Abneigung, als Fan hatte ich immer Respekt vor der Leistung der Akteure in Darmstadt, die das Team unter wirtschaftlich und strukturell absurden Rahmenbedingungen bis in die 1. Bundesliga geführt und dort – wie es aktuell aussieht – für zwei Saisons gehalten haben.

RB verlor vier der letzten sieben Partien. Ist das der „Einbruch“, den einige Experten für die zweite Saisonhälfte vorausgesagt hatten?
Ich würde es eher ein Schrumpfen auf Normalniveau nennen. Denn die Hinrunde verlief punktetechnisch weit über dem, was man anhand des Kaders, seiner Qualität, des Alters und der fehlenden Bundesligaerfahrung der meisten Spieler erwarten durfte. Unter den 39 Punkten der Hinrunde waren außerdem auch enge Spiele, in denen man einiges an „Matchglück“ hatte. Etwa das späte 1:0 im Heimspiel gegen den BVB oder das 3:2 in Leverkusen, das man in 9 von 10 Fällen eigentlich verlieren muss.
In der Rückrunde haben viele Faktoren dazu geführt, dass es nicht mehr so extrem gut läuft. Insbesondere zeigt sich, dass Ausfälle auf Schlüsselpositionen (Forsberg, Poulsen, Keita) eben nicht 1:1 von der Bank ersetzt werden können und dazu führen, dass bestimmte Mechanismen im RB-Spiel nicht mehr hundertprozentig funktionieren. Im Ergebnis verliert man dann halt auch mal. Von einer „Krise“ kann man aus meiner Sicht aber nur reden, wenn man den positiv verzerrten Maßstab der Hinrunde anlegt.

Dennoch, wie sind die Niederlagen gegen die Kellerkinder Ingolstadt, Wolfsburg, Hamburg und Bremen zu verstehen? Und dann auch noch mit 0:8 Toren! Das macht den Lilien doch glatt Hoffnung, den ersten Auswärtspunkt einzufahren. 😉 Wie haben diese Teams Euch den Zahn gezogen?
Ich tue mich schwer, diese Spiele unter einen Nenner a lá „Der RB-Code ist entschlüsselt“ zu bringen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass es für RB immer noch die größere Herausforderung ist, das Spiel selbst zu machen und mit dem Ball kreative Lösungen gegen defensiv eingestellte Teams zu finden. Zu den konkreten Gründen für die Niederlagen und zur aktuellen sportlichen Situation von RB gibt zwei sehr gute Analysen vom Rotebrauseblogger und von Crank bei den RB-Fans.
Was Eure Hoffnungen für das anstehende Auswärtsspiel angeht: Klar läuft es bei RB grade nicht rund und der Ausfall unseres Top-Torschützen Werner kommt jetzt noch dazu. Anderseits war das Hinspiel doch sehr eindeutig und bis auf Eure Siege gegen den BVB und Mainz habe ich in den vergangenen Wochen beim SVD nicht so viel gesehen, was Anlass zur Hoffnung auf einen Punktgewinn gibt.

Ich bin gespannt. Derzeit gibt es immer wieder Berichte, dass RB nächste Saison aufgrund der engen Verknüpfung zu Red Bull Salzburg nicht in der Champions League antreten darf. Wie wird in Deinem Umfeld darüber gesprochen?
Es wird natürlich bei jedem neuen Artikel darüber diskutiert, aber die meisten sehen es – wie ich – doch eher entspannt. Die Perspektive Europa gehörte von Beginn an zum Projekt RB. Insofern wäre es naiv anzunehmen, die handelnden Akteure hätten nicht die UEFA-Regularien bei allen Entscheidungen berücksichtigt. Formal sind die beiden Vereine seit einiger Zeit strukturell und personell unabhängig voneinander. Wenn die UEFA keine „Lex Red Bull“ schaffen will, bin ich mir sicher, dass beide Vereine nach der Qualifikation auch europäisch spielen dürfen.
Etwas anders sieht es sicher noch bei der Finanzierung von RB Leipzig aus. Hier könnten die Macher vom schnellen Erfolg etwas überrascht worden sein. Deshalb ist man seit Monaten dabei, den Finanzierungsanteil von Red Bull in Leipzig zu verringern, etwa durch Einsparungen und die Akquise neuer Sponsoren. Gut möglich, dass die UEFA im Sommer Verstöße gegen das Financial Fairplay feststellt und Auflagen oder Strafen verhängt. Zu einem Ausschluss von europäischen Wettbewerben wird das aber sicher nicht führen.

Was müsste passieren, damit die aktuelle Spielzeit für dich aus RB-Sicht eher enttäuschend endet?
Gute Frage. Wenn man so lange wie RB jetzt Tabellenzweiter ist, würde sich das Verpassen der Champions League wahrscheinlich im ersten Moment wie eine Enttäuschung anfühlen. Was aber nur zeigt, wie absurd gut unsere Hinrunde war und wie sich dadurch selbst bei den größten Realisten heimlich die Maßstäbe verändert haben. Das Erreichen der Europa League wäre weit mehr, als ich für die erste Bundesliga-Saison erwartet habe und damit keine Enttäuschung. Außerdem fände ich die erste europäische Aufwärtsfahrt nach Qäbälä oder Tirana viel spannender als nach London oder Barcelona.

Kai, vielen Dank.


Vor vier Jahren an diesem Wochenende:

Spielten die Lilien in der 3. Liga bei Arminia Bielefeld. Das Duell der abstiegsbedrohten 98er beim Aufstiegsanwärter verlief alles in allem ereignislos. So stand es nach 90 Minuten genauso wie beim Anpfiff. Ebenfalls torlos hatte sich der SVD bereits in der Vorwoche von Hansa Rostock getrennt. Die beiden Punktgewinne brachten die Lilien im Abstiegskampf nicht entscheidend vom Fleck. Der Abstand zur Abstiegszone betrug lediglich zwei Punkte, wobei Babelsberg und Dortmund II zwei bzw. drei Nachholspiele in der Hinterhand hatten.

Die Lilien vom 0:0 bei Hansa Rostock:
Zimmermann (C) – Ratei, Sulu, Gorka, Stegmayer – Behrens, Baier (89. Maas), Zielinsky (76. Hesse), Latza, Zimmerman – Borg
Zuschauer: 7.300

Die Lilien vom 0:0 bei Arminia Bielefeld:
Zimmermann (C) – Ratei, Sulu, Gorka, Stegmayer – Behrens, Baier, Zielinsky (86. Hesse), Latza, Zimmerman – Borg (77. Steegmann)
Zuschauer: 10.081

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